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Rebecca Rotter ca. 1918
© Sammlung Matthias Heyl

Rebecca Rotter (geborene Maidanek) * 1876

Mergellstraße 11 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
REBECCA ROTTER
GEB. MAIDANEK
JG. 1876
ABGESCHOBEN 1938
RICHTUNG POLEN
ZBASZYN
ERMORDET

Rebecca Rotter, geb. Maidanek, geb. 25.12.1876 in Unter-Wikow, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zbaszyn, Todesdatum unbekannt

Mergellstraße 11 (Stadtteil Harburg-Altstadt)

Als Rebecca Rotter geboren wurde und in einem jüdischen Elternhaus aufwuchs, war ihre Heimat, die Bukowina (Buchenland), die östlichste Provinz des Kaiserreiches Österreich-Ungarn. Zu den Bewohnerinnen und Bewohnern ihres Geburtsortes zählten Juden, Rumänen, Polen, Ukrainer, Slowaken und Deutsche, die einhundert Jahre vorher hier angesiedelt worden waren. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Unter-Wikow rumänisch und erhielt den Namen Vicovu de Jos.

Mit ihrem Ehemann Simon Rotter (geb. 16.10.1870) und ihren ersten drei Kindern – zwei Söhnen und einer Tochter – verbrachte Rebecca auch als junge Frau noch einige Jahre in ihrer Heimat, bevor die Familie das Buchenland zu Beginn des 20. Jahrhunderts verließ. Der dritte Sohn Max Rotter kam als Nachzügler dreizehn Jahre nach der Geburt seines zweiten Bruders am 13.5.1915 in Harburg zur Welt, wo die Familie zunächst in der Hermannstraße (heute: Salzburger Häuser) wohnte. Max Rotter erfuhr später von seinen Eltern, dass der offene und versteckte Antisemitismus in der alten Heimat einer der Gründe für ihren Aufbruch in ein anderes Land gewesen war. Auch andere Verwandte wie Max Rotters Onkel Karl Maidanek und seine Familie (s. dieselbe) sowie seine Tante Anna Apteker und ihre Familie (siehe dieselbe) fanden in Harburg ein neues Zuhause.

Für Rebecca und Simon Rotter war der Neuanfang in der Fremde nicht leicht. Jahrelang zogen sie als Kleinhändler und Hausierer mit einer Handkarre durch die Straßen Harburgs und Wilhelmsburgs, um ihre Waren feilzubieten und das nötige Geld für den Unterhalt der Familie zu verdienen. Oft musste Rebecca Rotter die Tour allein zurücklegen, da ihr Mann häufig krank war. Die Situation besserte sich erst, als die Kinder später mit ihrem Verdienst zum Wohlergehen der Familie beitrugen.

Die Familie "war religiös, aber nicht ultra-religiös", wie Max Rotter sich, rückblickend auf seine Kindheit und Jugend in Harburg, erinnert. Sie besuchte die Gottesdienste in der Harburger Synagoge, wo Simon Rotter jahrelang Schammes, Synagogendiener, war. Sie ließ sich auch in der Gebetstube der orthodoxen osteuropäischen Juden in der Wilstorfer Straße sehen. Trotz ihrer tiefen Gläubigkeit verstanden die Eltern – und vor allem ihre Kinder – sich gut mit ihren nichtjüdischen Nachbarn. Die drei Söhne und ihre Schwester hatten christliche Freundinnen und Freunde und waren wie andere Jugendliche Mitglieder in Harburger Sportvereinen. Einer der Brüder hatte eine Christin geheiratet, was seinem Vater zunächst nicht besonders gefallen hatte, aber letztlich dazu führte, dass die Familie bald sowohl die jüdischen als auch die christlichen Festtage feierte.

Die Kinder wiederum waren leidenschaftliche Anhänger des Zionismus. Max Rotter zählte zu den Wortführern der zionistischen Jugendgruppe in der Harburger Gemeinde. Als die drei Brüder, die alle bei der Firma Karstadt – in Barmbek, in Wandsbek und in Leipzig – beschäftigt waren, schon bald nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler von der Geschäftsführung entlassen wurden, wanderten sie in kurzen Abständen nacheinander nach Palästina aus, wohin sich ihre Schwester mit ihrem tschechischen Mann bereits vorher begeben hatte.

Max Rotter verließ Deutschland als letzter der drei Brüder im Frühjahr 1934 im Alter von 19 Jahren. Er ging schweren Herzens, weil er wusste, dass es für seine Mutter und seinen kranken Vater nur wenig Grund für einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft gab. Sie hatten inzwischen eine andere Wohnung in der Beethovenstraße 11 (heute: Mergellstraße) bezogen. Ein halbes Jahr später – im Oktober 1934 – starb der Vater an einem Herzanfall. Sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Harburg. Dass seine Mutter, die sich jahrelang für ihre Familie aufgeopfert hatte, jetzt ganz allein zurechtkommen musste, erfüllte Max Rotter angesichts der wachsenden antisemitischen Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland in zunehmendem Maße mit tiefer Sorge.

Rebecca Rotter zog im Juni 1935 in die Grindelallee 40 nach Hamburg und wurde Mitglied der dortigen Deutsch-Israelitischen Gemeinde. Am 28. Oktober 1938 wurde sie wie rund eintausend andere Hamburger Jüdinnen und Juden von der Polizei aus ihrer Wohnung geholt und wenige Stunden später per Bahn an die deutsch-polnische Grenze verfrachtet, wo alle aussteigen mussten und ins Nachbarland abgeschoben wurden.

Viele Vertriebene blieben wochen- und oft monatelang in dem völlig überfüllten polnischen Grenzort Zba˛szy´n, andere versuchten, von hier noch einmal für einige Tage nach Deutschland zurückzukehren, in anderen Ländern Zuflucht zu finden oder bei Verwandten in Polen unterzukommen.

Am Vorabend des deutschen Überfalls auf Polen gelangte Rebecca Rotter zu entfernten Verwandten in Stanisławów (deutsch: Stanislau, heute: Iwano-Frankowsk), einer Stadt mit über 40000 jüdischen Einwohnern im Osten Polens. Dieses Gebiet wurde 17 Tage später auf Grund des geheimen Zusatzprotokolls zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von der Roten Armee besetzt.

Nicht ganz zwei Jahre später rückte die Wehrmacht am 26. Juli 1941 nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion in die jetzt ukrainische Stadt ein. Am 1. August erklärte die deutsche Militärverwaltung Galizien zum 5. Distrikt des Generalgouvernements und errichtete anschließend in vielen Orten – so auch in Stanislau – Gettos, in die die jüdische Bevölkerung umgesiedelt wurde. Ein Brief, den Rebecca Rotter aus diesem Getto ihrem Sohn Max schrieb und dem Roten Kreuz zur Beförderung übergab, war ihr letztes Lebenszeichen.

Die Lebensbedingungen im Getto von Stanislau waren so katastrophal, dass die Überlebenschancen gleich Null waren, wie der Bericht eines kleinen Mädchens zeigt, das mit seinen Eltern aus dieser Hölle fliehen konnte: "Die Lebensbedingungen im Ghetto waren schrecklich und von Kälte, Hunger und Krankheiten geprägt. Ich hatte nicht genug zu essen, nichts Warmes anzuziehen und große Angst. … Jeder Tag verging unter Todesangst. Die Ghettobewohner und besonders die Kinder starben an Hunger und Entbehrungen. Die Schwachen und Kranken wurden in Gruppen auf das Gelände des jüdischen Friedhofs transportiert, wo man Gräben ausgehoben hatte. Dort wurden sie dann erschossen. … Das Leben im Ghetto wurde von Tag zu Tag schwerer. Täglich trieben die Deutschen große Gruppen von Menschen zusammen und erschossen sie. … Meine Eltern begriffen, dass auch wir keine Chance haben würden, wenn es uns nicht gelänge, aus dem Ghetto herauszukommen."

Dem schlimmsten Massaker im Getto Stanislau fielen am 12. Oktober 1941 fast 12000 jüdische Männer, Frauen und Kinder zum Opfer. Sie mussten sich auf dem Marktplatz versammeln und wurden von dort zum jüdischen Friedhof getrieben, wo sie ihre Kleidung ablegen und in die ausgehobenen Massengräber hinabsteigen mussten, bevor sie der Reihe nach von Polizisten erschossen wurden. Im Jahre 1942 wurden weitere Mordaktionen aus dem Getto Stanislau gemeldet. Am 23. Februar 1943 ermordeten die deutschen Sicherheitskräfte die letzten Bewohnerinnen und Bewohner des Gettos, bevor sie es auflösten.

Vergebens hofften Max Rotter und seine Geschwister noch lange auf ein zweites Lebenszeichen ihrer Mutter aus dem Getto Stanislau. Am 31. Oktober 1963 wurde Rebecca Rotter vom Amtsgericht Hamburg auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Max Rotter hat den Namen seiner Mutter später nachträglich auf den Grabstein seines Vaters auf dem Jüdischen Friedhof in Harburg setzen lassen.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH, 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 130515 Rotter, Max; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; Interview mit Max Rotter, Hamburg 1988, in: Heyl, Synagoge, CD-ROM, Hamburg 1999; Zabarko, "Überlebt", S. 51; Kändler/Hüttenmeister, Friedhof, S. 237; Freundlich, Stanislau; Der Stanislau-Pro­zess 1966, in: http://www.nachkriegssjustiz.at/prozesse/geschworeneng/ermittlung_stanislau.php (eingesehen am 7.3.2010); Nazi Occupation, in: http://wapediia.mobi/en/Ivano_Frankovsk (eingesehen am 17.3.2010).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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