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Selma Wolff (geborene Katzenstein) * 1874

Neue Straße 52 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
SELMA WOLFF
GEB. KATZENSTEIN
JG. 1874
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Neue Straße 52:
Toni Neufeld

Selma Wolff, geb. Katzenstein, geb. am 7.5.1874 in Harburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 21.9.1942 nach Treblinka, ermordet

Stadtteil Harburg, Neue Straße 52

Selma Katzenstein kam als Tochter des jüdischen Produktenhändlers Jacob Katzenstein und seiner Ehefrau Friederike zwei Jahre nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges zur Welt. Die Neue Straße, in der die junge Familie in dieser Zeit wohnte, verlief auch damals schon parallel zur Schlossstraße (heute: Harburger Schlossstraße), die das alte Zentrum Harburgs um die ehemalige Zitadelle und den Hafen mit den neuen Ansiedlungen um den Sand verband und die Richtung der weiteren Stadtentwicklung aufzeigte. Hier ragte der Kirchturm der Dreifaltigkeitskirche, der Hauptkirche der Stadt, in den Himmel, und hier reihte sich ein Geschäft an das andere. Auch das Leben auf der Straße spiegelte die zentrale Bedeutung dieser wichtigen Zufahrt zum Kaufhaus im Harburger Hafen wider.

Der Weg von diesem Wohnbezirk zur Harburger Synagoge in der Eißendorfer Straße war nicht weit. Dieses Gotteshaus war 11 Jahre vorher errichtet worden, nachdem die Jüdische Gemeinde vor Ort nach dem schrittweisen Abbau vieler gesetzlicher Beschränkungen langsam gewachsen war, aber bei weitem nicht so stark wie die Gesamtbevölkerung der Stadt. Die 175 Harburger Juden hatten insgesamt nur einen Anteil von 1,3% an der Gesamtbevölkerung der Stadt von 13.179 Einwohnern. Doch sie trugen in beachtlicher Weise zum wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei.

Unklar ist, wann Selma Katzenstein ihren Mann Siegfried Wolff (*26.9.1873) aus einer ebenfalls jüdischen Familie kennenlernte und dann heiratete. Ebenso wenig ist bisher darüber bekannt, wo das junge Paar eine eigene Wohnung bezog und welchen Beruf Siegfried Wolff ausübte.

Wir wissen nicht, welche Auswirkungen die schrittweise Ausgrenzung und Entrechtung der Juden im Einzelnen auf den Alltag der Wolffs hatte; dass die Folgen aber tiefgreifend waren, ist daran zu erkennen, dass die beiden Eheleute 1941 im Lazarus-Gumpel-Stift in der Schlachterstraße 47 in der Hamburger Neustadt wohnten. Dieses Haus gehörte zu den vielen Wohnstiften, die einst von vermögenden Hamburger Juden für vorwiegend jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger mit geringem oder keinem Einkommen gegründet worden waren.

Die Nachfrage nach diesem speziellen Wohnraumangebot stieg nach 1933 kontinuierlich, als immer mehr jüdische Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, und vor allem nachdem der Mieterschutz für Juden im April 1939 aufgehoben und das Wohnungssonderrecht eingeführt worden war. Das "Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden" vom 30.4.1939 sah vor, dass Juden nur noch bei Juden wohnen durften und jüdische Vermieter gezwungen werden konnten, jüdische Mieter und Untermieter aufzunehmen. Dieses Gesetz hatte als durchaus nicht unbeabsichtigte Nebenwirkung – mehr als zwei Jahre vor den "Zwangsumsiedlungen" in eigens dafür bestimmte "Judenhäuser", zu denen 1942 dann auch das Lazarus-Gumpel-Stift gehörte –, eine stärkere räumliche Konzentration der jüdischen Bevölkerung Hamburgs zur Folge, die den nationalsozialistischen Machthabern dann ab 1941 eine reibungslosere Durchführung der Deportationen ermöglichte.

Nachdem die ersten Abtransporte aus Hamburg schon begonnen hatten, starb Siegfried Wolff am 21. November 1941.

Wie viele andere Bewohnerinnen und Bewohner des Lazarus-Gumpel-Stifts wurde auch Selma Wolff am 19. Juli 1942 von Hamburg nach Theresienstadt deportiert. Im Herbst 1941 hatte die NS-Führung damit begonnen, ie ehemalige Garnisonsstadt an der Eger zu einem Getto für Juden aus Böhmen und Mähren auszubauen. Seit Juli 1942 wurde dieser Ort dann auch als "Altersgetto" für deutsche und österreichische Juden genutzt, denen hier ein sorgloser Lebensabend versprochen wurde.

In den folgenden Wochen und Monaten traf ein Transport nach dem anderen an diesem Ort ein, an dem vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 7000 Menschen gelebt hatten. Allein im September 1942 nahm die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner, die neu untergebracht werden mussten, um 18.693 Personen zu. Mehr als 13.000 dieser Menschen wurden in den nächsten Wochen und Monaten in die nationalsozialistischen Vernichtungslager im Osten weiterdeportiert.

Selma Wolff gehörte zu den Menschen, die am 21. September 1942 nach Treblinka gebracht wurden. Hier hatten die deutschen Besatzer in einem abgelegenen Waldgebiet - mit Anschluss an die Bahnstrecke Warschau – Bialystok – im Frühjahr 1942 eine Todesfabrik errichtet. Gleich nach ihrer Ankunft mussten die, die hier ausstiegen, ihr Gepäck abgeben, sich einer Rasur aller Körperhaare unterziehen und den Weg in die als Duschräume getarnten Gaskammern antreten. Die Leichen wurden anschließend von Häftlingen eines extra für diesen Zweck eingesetzten und streng abgeschirmten Sonderkommandos in zwei große Gruben geworfen.

Selma Wolff war 68 Jahre alt, als ihr Leben hier ausgelöscht wurde. Auch ihre Schwestern Henny Andrade und Toni Neufeld überlebten den Holocaust nicht.

Stand: November 2016
© Klaus Möller

Quellen: Staatsarchiv Hamburg, 992b Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg, 332-5 Standesämter; Helms-Museum, Harburger Adressbücher; Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Jürgen Sielemann, Paul Flamme (Hrsg.), Hamburg 1995; Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942–1945, Prag 2000; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Harburger Opfer des Nationalsozialismus, Bezirksamt Harburg (Hrsg.), Hamburg 2003; Alfred Gottwald, Diana Schulle, Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich 1941–1945, Wiesbaden 2005; Matthias Heyl, Vielleicht steht die Synagoge noch. Ein virtuelles Museum zur Geschichte der Harburger Juden, CD-ROM, Hamburg 1999; Wegweiser zu den ehemaligen Stätten jüdischen Lebens oder Leidens in Hamburg, Heft 1, Deutsch-Jüdische Gesellschaft Hamburg (Hrsg.), Hamburg 1983.

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