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Horst Aschoff * 1930

Maretstraße 50 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
HORST ASCHOFF
JG. 1930
EINGEWIESEN 17.3.1934
ROTENBURGER ANSTALTEN
"VERLEGT" 9.10.1941
HEILANSTALT LÜNEBURG
ERMORDET 12.1.1944

Horst Aschoff, geb. am 10.10.1930 in Harburg-Wilhelmsburg, eingewiesen in die `Rotenburger Anstalten der Inneren Mission´ am 17.3.1934, `verlegt´ in die `Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg´ am 9.10.1941, ermordet am 12.1.1944

Stadtteil Harburg-Altstadt, Maretstraße 50 (früher: Reinholdstraße 31)

Die ersten Schritte seines Lebens legte Horst Aschoff in der Grumbrechtstraße 30 zurück, wo seine Eltern Adolf Albert und Anna Margarethe Aschoff, geb. Larsson, damals wohnten, bevor sie in die Marxstraße (heute: Reinholdstraße) 31 zogen.

Der kleine Junge entwickelte sich nicht so wie viele andere, was seinen Eltern zunehmend Sorgen bereitete. Auf ärztlichen Rat wandten sie sich mit ihren Problemen an das städtische Wohlfahrtsamt. Nach einer eingehenden Untersuchung stellte Amtsarzt Giertmühlen am 27. März 1933 fest, dass der kleine Junge "psychopathisch veranlagt" und "unerziehbar" sei. Er empfahl die Aufnahme in eine geschlossene Anstalt. Nachdem Facharzt Buss diese Diagnose bestätigt hatte, wurde Horst Aschoff im Alter von dreieinhalb Jahren am 17. März 1934 vom Harburger Wohlfahrtsamt in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission eingewiesen, da das Kind wegen "seiner absoluten Unerziehbarkeit … auf die Dauer nicht im Elternhaus zu halten" sei.

Inzwischen hatte sich die nationalsozialistische Utopie eines "gesunden Volkskörpers" propagandistisch wie gesetzlich durchgesetzt. "Unproduktiven Menschen" wurde das Lebensrecht abgesprochen. Sie sollten von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden. Viele Einrichtungen, die ursprünglich gegründet worden waren, um Menschen mit Behinderungen zu helfen, nahmen diese Ideen auf.

Auch die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission zeigten sich nicht als immun gegen diesen neuen Zeitgeist. Seit Anfang des Jahres 1934 galt die Einrichtung im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als geschlossene Anstalt. Die Patientinnen und Patienten durften die Anlage nicht mehr ohne spezielle Erlaubnis der Anstaltsleitung verlassen. Auch die Trennung der Geschlechter innerhalb dieses geschlossenen Bereichs wurde rigoros durchgesetzt. Mindestens 356 Personen aus den Rotenburger Anstalten – 238 Männer und 97 Frauen – wurden in der Zeit von 1934 bis 1945 zwangssterilisiert.

Den Rotenburger Anstalten gelang es nicht, Horst Aschoff zu helfen, wie sein Zeugnis am Ende der 1. Klasse der Anstaltsschule zeigt, in dem sein Verhalten, wie folgt, beschrieben wird: "Horst steckt voller Bosheiten, worüber er, wenn er sie ausführen konnte, sich sichtlich amüsiert. Seine Konzentration ist sehr schlecht. … Für die Gemeinschaft ist Horst untragbar. … Durch seine Unruhe, Quälereien usw. stört er ständig. Außerdem verleitet er die Kinder in seiner Umgebung zu Ungezogenheiten. Er ist feige und hinterhältig."

Ein ärztliches Gutachten vom 17. September 1939 begründete seine weitere Anstaltsbehandlung mit den Worten: "Der hier untergebrachte Horst Aschoff ist ein hochgradig schwachsinniger, sehr unruhiger und schwer erziehbarer Junge. Er neigt dazu, alles zu zerstören, was ihm in die Hände fällt. Er schlägt andere Kinder und bedarf einer ständig strengen Aufsicht."

Es ist nicht bekannt, welchen Eindruck Horst Aschoff bei der vierköpfigen Ärztekommission hinterließ, die im April 1941 alle 1150 Rotenburger Patientinnen und Patienten begutachtete – innerhalb von vier Arbeitstagen. Gutachten, die mit einem + versehen wurden, kamen einer Ermächtigung zum Töten gleich. Sie bildeten die Grundlage für die Zusammenstellung der Listen mit den Namen derer, die in eine Tötungsanstalt verlegt werden sollten.

Ende Juli 1941 wurden 70 Männer und 70 Frauen der Rotenburger Anstalten in die sogenannte Zwischenstation Weilmünster im Umkreis der Tötungsanstalt Hadamar abtransportiert. Dass ihnen der Weg in die Gaskammer dann letztlich erspart blieb, hatten sie nur dem Umstand zu verdanken, dass die `Aktion T 4´ im August 1941offiziell eingestellt wurde.

Die Tötung von Menschen mit Behinderungen war damit aber nicht beendet. Ihr folgte eine Ermordung der Betroffenen in den folgenden Monaten und Jahren durch Nahrungsmittelentzug, Pflegeverschlechterung und Medikamentenmissbrauch.

Im September 1941 begann die komplette Räumung der Rotenburger Anstalten, um die Einrichtung in ein Lazarett zu verwandeln. Mehr als 800 Rotenburger Patientinnen und Patienten wurden im Herbst 1941 in andere Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reiches verlegt.

Am 9. Oktober 1941 wurde Horst Aschoff zusammen mit 129 Kindern in die `Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg´ überführt.

Hier kam er in die kurz vorher eingerichtete sogenannte Kinderfachabteilung. Die Existenz der insgesamt 31 deutschen `Kinderfachabteilungen´ und ihre Funktion waren Geheime Reichssache. Leiter der Lüneburger `Kinderfachabteilung´ war Willi Baumert, Mitglied der NSDAP und der Waffen-SS. Er hatte die Aufgabe, die als "bildungsunfähig" eingestuften Kinder eine gewisse Zeit lang zu beobachten und dann zu begutachten. Die Gutachten wurden anschließend vom `Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erforschung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden´ in Berlin ausgewertet und danach mit einem Kreuz (+) oder Strich (-) versehen. Das Kreuzzeichen war für die Leiter der `Kinderfachabteilungen´ eine Aufforderung zur Tötung der Kinder.

Willi Baumert übertrug diese Aufgabe den Krankenschwestern. Nachdem er eine Entscheidung über den Zeitpunkt der Ermordung und die dafür erforderliche Dosis an Luminal getroffen hatte, erteilte er der jeweils diensthabenden Krankenschwester den Auftrag, das besagte Medikament einem bestimmten Kind zu verabreichen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterlagen der Schweigepflicht, wie eine der Krankenschwestern später zu Protokoll gab: "Dr. Bräuner […] eröffnete Fräulein Wolff und mir, dass auf Anweisung von oben in der Kinderabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg Kinder eingeschläfert werden sollten. Er hat uns gesagt, dass wir keine Angst zu haben bräuchten, uns würde deshalb nie etwas vor einem Gericht passieren."

Die Angehörigen wurden über die wahre Todesursache bewusst im Unklaren gelassen.

Am 12. Januar 1944 fand auch Horst Aschoffs Leben in dieser "Kinderfachabteilung" ein gewaltsames Ende.


Stand: April 2019
© Klaus Möller

Quellen: Niedersächsisches Landesarchiv, Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/82 Nr. 193; Harald Jenner,
Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie. Die Toten 1939–1945, Hamburg 2017; Archiv der Rotenburger Werke der Inneren Mission, Akte Nr. 222; Zuflucht unter dem Schatten deiner Flügel? Rotenburger Anstalten (Hrsg.), Rotenburg 1992, Raimond Reiter, Empirie und Methode in der Erforschung des `Dritten Reiches´, Fallstudien zur Inhaltsanalyse, Typusbildung, Statistik, zu Interviews und Selbstzeugnissen, Frankfurt M. 2000; Raimond Reiter, Psychiatrie im Nationalsozialismus und die Bildungs- und Gedenkstätte `Opfer der NS-Psychiatrie´ in Lüneburg, Marburg 2005; Raimond Reiter, Psychiatrie im Dritten Reich in Niedersachsen, Hannover 1997; 100 Jahre Niedersächsisches Landeskrankenhaus Lüneburg. Niedersächsisches Landeskrankenhaus Lüneburg (Hrsg.), Lüneburg 2001; Helmut Pless, Lüneburg 45, Nordost-Niedersachsen zwischen Krieg und Frieden, Lüneburg 1976; Heimat, Heide, Hakenkreuz. Lüneburgs Weg ins Dritte Reich, Geschichtswerkstatt Lüneburg (Hrsg.), Lüneburg 1995; Harburger Adressbücher.

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