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Lilli Freimann * 1886

Brahmsallee 12 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
LILLI FREIMANN
JG. 1886
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 12:
Benjamin Perlmann, Elsa Perlmann, Karin Wolff, Thekla Wolff, Uri Wolff, Willi Wolff, Johanna Wolff, Ludwig Wolff, Max Wolfsohn, Margarethe Wolfsohn

Lilli Freimann, geb. 8.9.1886 in Berlin, am 11.7.1942 deportiert nach Auschwitz

Brahmsallee 12

In Hamburg wirkte Lilli Freimann seit 1926 als Lehrerin an jüdischen Schulen. Ihre Tätigkeit endete am 30. Juni 1942, als im ganzen Reich jeder Unterricht für jüdische Kinder verboten wurde. Kurz danach wurden die zuletzt noch verbliebenen jüdischen Lehrkräfte, darunter auch Lilli Freimann, deportiert und ermordet.

Lilli Freimann wuchs in Berlin auf. Dort begann sie ihr Studium, das sie an verschiedenen Universitäten fortsetzte, in Leipzig, Würzburg und Marburg. Die Prüfung für das Lehramt an Höheren Schulen bestand sie 1920 "mit Auszeichnung" und war seither befähigt, in den Fächern Philosophie, Englisch und Deutsch zu unterrichten. Sie vertrat eine bewusst jüdische Erziehung und trat 1924 auf einer Erziehungskonferenz in Berlin entschieden dafür ein. 1921 bis 1926 unterrichtete sie am Jüdischen Gymnasium "Jawne" in Köln. Zur gleichen Zeit lehrte dort auch Naftali Eldod, der wie sie im Frühjahr 1926 an die Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße nach Hamburg wechselte. Lilli Freimann sollte dort den Ausbau der Mädchenvolksschule zur Realschule vorbereiten. Dieser Status als "Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde (Volks- und Realschule)" wurde 1930 erreicht und behördlich anerkannt. Weil unter der Herrschaft der Nationalsozialisten jüdische Schüler und Schülerinnen an staatlichen Schulen oft unerträglich diskriminiert wurden, schickten viele Eltern ihre Kinder lieber an die jüdischen Gemeindeschulen. So wuchs die Zahl der Schülerinnen in der Carolinenstraße 35 zunächst stark an, obwohl viele jüdische Familien emigrierten, sank aber bis 1938 wieder weit unter den früheren Stand. Auch die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer verringerte sich. Lilli Freimann gehörte zu denen, die mit großem Einsatz versuchten, den Kindern immer noch ein gewisses Gefühl der Ordnung und Geborgenheit zu vermitteln. Im Lehrplan der Schule Carolinenstraße wurde statt einer "Durchdringung im Geist des Nationalsozialismus" explizit formuliert: "Das heranwachsende Kind soll seines Judeseins in gesundem Bewusstsein sicher werden." Jedoch wurden nach wie vor im Unterricht die deutschen Kulturwerte hochgehalten. Daneben trat nun die Vorbereitung auf ein Leben im Ausland durch Sprachelernen und Ausbildung in technischen und landwirtschaftlichen Fähigkeiten, durch Sport und Handarbeit. 1939 wurde die Mädchenschule der Carolinenstraße mit der Talmud Tora Schule für Jungen zusammengelegt unter der Bezeichnung "Volks- und Oberschule für Juden". 1941 hieß der verbliebene Rest nur noch "Jüdische Schule in Hamburg". Lilli Freimann schied 1941 altersbedingt aus dem Kollegium aus. Der Lehrermangel war nun aber so groß, dass sie noch einmal zurückkehrte, um an Stelle deportierter Kollegen eine aus Sextanern, Quintanern und Volksschülern zusammengestellte Klasse zu übernehmen. Die früheren Schulgebäude waren konfisziert. Nach Wegzug der meisten Kinder zogen die letzten mit ihren Lehrern in das Waisenhaus am Papendamm, wo Lilli Freimann bis zuletzt lehrte.

Ihre beruflichen Aufgaben erfüllten Lilli Freimanns Leben. Außer mit den Kollegen und mit Schülerinnen fand sie auch Kontakt in der Gemeinde. Ein fast familiäres Verhältnis hatte sie zu ihren Wohnungsvermietern, dem Ehepaar Perlmann. Mit ihnen verband sie eine orthodox gläubige Lebensauffassung. Die Perlmanns wie auch Lilli Freimann und ihre Mutter wohnten zunächst in der Grindelallee 44, dann 1927 bis 1935 in der Brahmsallee 12 und danach in der Brahmsallee 25. Seit dem Tod ihrer Mutter war Lilli Freimann Pensionärin von Elsa Perlmann. Weil deren Ehemann, Benjamin Perlmann, nur noch sehr wenig verdiente, war die Familie auf das Wohn- und Kostgeld der von Frau Perlmann betreuten Personen angewiesen. Außer Lilli Freimann war eine andere Lehrerin, "Fräulein Herz", Pensionärin bei Perlmanns, kurzfristig auch noch die eine oder andere Dame, manchmal bis zu vier Personen. Wenn Lilli Freimann während der Schulferien wochenlang verreist war, konnte Frau Perlmann im Brief an ihren Sohn Michael zufrieden berichten, dass sie einen Gast für zwei Tage hatte: "Man muss alles annehmen, auch wenn es nur wenig einbringt." In einem anderen Brief mahnte Elsa Perlmann ihren Sohn, den Geburtstag von "Frl. Freimann", wie die alleinstehende Frau damals nach allgemeinem Sprachgebrauch genannt wurde, nicht zu vergessen. Umgekehrt beachtete diese die Geburtstage der Familie Perlmann. Dem Hausherrn schenkte sie bei dieser Gelegenheit ein Fläschchen Goldwasser. Der Umgang von Vermietern und Pensionärinnen war von freundlicher Höflichkeit bestimmt. Herr Perlmann selbst beschrieb seinem Sohn, wie aufmerksam und besorgt ihn die beiden Damen empfingen, wenn er einmal später nach Hause kam und wie rücksichtsvoll sie auch sonst waren: "Die beiden Damen gehen zusammen aus und bedienen sich selbst mit dem Fahrstuhl, so dass wir davon entlastet sind." Die Hausfrau stöhnte wohl auch einmal, wie schwer es sei, koscheres Fleisch und andere Nahrungsmittel zu bekommen, weil Juden nicht mehr in "arischen" Geschäften kaufen dürften. "Die alten Damen werden ohne Fleisch auch ungeduldig. O, ich kann Dir sagen, es ist schon schwer", bekannte sie dem Sohn. Für den Pensionsbetrieb benötigte sie Hilfe, die nicht immer zur Hand war. Gelegentlich halfen die Pensionärinnen selbst mit, wenn Frau Elsa die Arbeit über den Kopf wuchs. Gemeinsam bereiteten sie zum Beispiel das Pessachfest 1939 vor. Jeden Abend versammelten sich Perlmanns und alle Pensionäre zum Gedankenaustausch, um Grammophonplatten zu hören oder Schach oder Mühle zu spielen. Lilli Freimann arrangierte Schreibspiele und andere Unterhaltung. Man versuchte sich gegenseitig zu stützen. Aber die Abschiede von guten Freunden mehrten sich. Auch die drei Kinder der Perlmanns emigrierten. Elsa und Benjamin Perlmann vermuteten, auch ihre Pensionärinnen würden bald emigrieren. Seit Herbst 1939 wohnte "Fräulein Herz" nicht mehr bei Perlmanns. Würde auch Lilli Freimann "wegziehen?" Sie bemühte sich ebenso wie Benjamin und Elsa Perlmann vergeblich um eine Möglichkeit der Ausreise. Schließlich lief der für sie so existentiell wichtige Postverkehr nur noch sporadisch übers Rote Kreuz. Eine 1942 an die Kinder der Perlmanns gerichtete letzte Nachricht besagt: "Mit Lilli alleinige Wohngemeinschaft." Die letzte gemeinsame Adresse war Rutschbahn 25, das Kalker-Stift, eines der von der Gestapo für Juden bestimmten Massenquartiere. Gleichzeitig erhielten das Ehepaar Perlmann und Lilli Freimann den Befehl zur Abreise an einen unbekannten Ort. Am 11. Juli 1942 ging in Hamburg der Transportzug ab, wurde in Ludwigslust und Berlin mit den von dort abgehenden Transporten vereinigt und erreichte über die Stationen Breslau und Oppeln die Endstation Auschwitz. Dort wurden die Ankommenden nach der Selektion in der Gaskammer ermordet.

Stand: September 2016
© Inge Grolle/Sonja Zoder

Quellen: 1; 4; Recherche Johann-Hinrich Möller v. 5.7.2007; Randt, Carolinenstraße 35, S. 63–79; dies., Talmud Tora Schule, S. 179, 183, 243; Lorenz, Briefe passim; Sielemann, Zielort, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Bd. 95, S. 91–111; ders., "Aber seid alle beruhigt", S. 183f., Anm. 191.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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