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Waldemar Freundlich, 1938
Waldemar Freundlich, 1938
© Privatbesitz

Waldemar Freundlich * 1879

Blankeneser Landstraße 90 (Altona, Blankenese)


HIER WOHNTE
WALDEMAR
FREUNDLICH
JG. 1879
FLUCHT 1938 HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 30.9.1942

Waldemar Freundlich, geb. am 6.8.1879 in Stolp/Pommern, am 22.12.1938 in die Niederlande emigriert, im Juni 1942 in Westerbork interniert, am 16.7.1942 nach Auschwitz deportiert, dort ermordet am 30.9.1942

Blankeneser Landstraße 90 (Hamburg-Altona, Blankenese)

Waldemar Freundlich lebte mit seiner Frau Ilse (geb. 12.11.1889) und seinen beiden Kindern Elfriede (geb. 1927) und Jürgen (geb.1928) seit 1930 an der Blankeneser Landstraße 90.

Er hatte zuvor insgesamt über 10 Jahre auf Java gelebt und einen besonderen feuerfesten Ton gefunden, mit dem sich Backsteine brennen lassen. Auf Niederländisch veröffentlichte er dort eine entwicklungspolitische Studie. In Hamburg betrieb er eine Firma für Im- und Export von Tee, Kaffee, Kakao, Gewürzen und Chemikalien am Rödingsmarkt 19 (1933), später im Zippelhaus und in der Gröningerstraße 14 (1937). Sein Stand an der Hamburger Börse war an Pfeiler 8.

Bis auf einen Einbruch in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise gingen die Geschäfte gut. Die Familie war sehr wohlhabend und verkehrte in den besseren Kreisen. Sie liebte das Reisen und Wandern. An der Alster lag ein Boot, mit dem Waldemar Freundlich gerne segelte.

Waldemar Freundlich war ein sehr gebildeter Mann und vielseitig interessiert, zum Beispiel an Geschichte, Kunstgeschichte und Botanik. Ilse Freundlich sprach Französisch und lernte in Oxford Englisch. Beide waren große Musikliebhaber und liebten Wagneropern.

Die Freundlichs legten Wert darauf, ihre Kenntnisse den Kindern weiterzugeben und so kam es vor, dass bei Tisch Englisch und Französisch gesprochen wurde. Mit Liebe und Sorgfalt suchte Waldemar Freundlich die Kinderbücher aus, die er von überall her beschaffte, und die Reise dieser Bücher nach Blankenese wurde selbst zu einem spannenden Märchen, das er den Kindern erzählte. Die besondere Atmosphäre des Hauses beschrieb eine Freundin der Tochter: "In dem Haus Freundlich habe ich unendlich viel Gutes und Schönes erlebt. Herr Freundlich war ein zauberhafter Mensch und er hat sich so gut mit meinen Eltern verstanden."

Die Freundlichs erlebten in ihrem Haus an der Blankeneser Landstraße das Aufkommen des Nationalsozialismus hautnah, denn gleich gegenüber befand sich eine Kneipe "mit Ausspann" (d.h. Pferd und Wagen konnten dort untergestellt werden), die ein Treffpunkt der SA war. Der Sohn eines SA-Mannes war einmal auf dem Grundstück von Eric M. Warburg am Kösterberg von Warburgs Hund gebissen worden. Der SA-Mann hatte daraufhin eine so großzügige Entschädigung erhalten, dass er die Kneipe übernehmen konnte. Diese sicher wenig anheimelnde Nachbarschaft wusste Waldemar Freundlich mit Humor zu ertragen. Als eines Tages der Nachbar Herr B. dort wieder zu ausgiebig getrunken hatte, sang Waldemar Freundlich spontan in Abänderung eines bekannten Studentenliedes:
"Im Gasthaus zum nichtarischen Hundebiss
da soff Herr B. drei Tage lang
bis dass er steif wie´n Besenstiel
am Marmortische lag."

Eric M. Warburg meinte damals, drei Dinge könnten ihn jederzeit ins KZ bringen: Die Tatsache, dass er Jude sei, seine das Nazi-Regime ablehnende Haushälterin und sein Neufundländer Teddy, der nach allem biss, was Uniform trug.

Bald schon hatte Waldemar Freundlich keine Gelegenheit mehr, über die Nationalsozialisten zu lachen. 1937 musste er sein Geschäft aufgeben und hatte von da an kein Einkommen mehr. Ende 1938 entschloss er sich, möglicherweise auch auf Anraten und mit Unterstützung Hjalmar Schachts, mit dem er befreundet war, nach Holland zu emigrieren. Ein holländischer Freund hatte ihn eingeladen, dessen auf Englisch erschienenes Lehrbuch über tropische Bodenkunde mit ihm ins Holländische zu übersetzen. Seine Absicht, dort wieder im Im- und Export tätig zu sein, erwies sich als schwierig.

Ilse Freundlich und die Kinder blieben in Blankenese und erfuhren in jener Zeit auch Unterstützung von Nachbarn und Freunden. Sie gab Nachhilfestunden, um sich und ihre Kinder durchzubringen, und es ist gut möglich, dass damals auch manches Kind zu ihr geschickt wurde, das gar keine Nachhilfe brauchte. Ilse Freundlich wurde von Polizisten aus der Sibbertstraße gewarnt, als diese nach der Abreise ihres Mannes Beamte eine Hausdurchsuchung durchführen sollten, um eventuell noch vorhandenes Vermögen zu beschlagnahmen.

Eines Tages in den 1940er Jahren rissen die Briefe ab, die Waldemar Freundlich bis dahin regelmäßig nach Hause geschickt hatte. Erst nach dem Ende des Krieges erfuhr seine Familie, dass er nach Auschwitz deportiert wurde.

Das Gedenkbuch für die aus Holland deportierten und ermordeten Juden gibt sein Todesdatum mit 30.9.1942 an, jedoch mit einem Sternchen, das auf die Unsicherheit des Datums verweist.

Stand: April 2022
© Sabine Boehlich, 2004; geringfügig redigiert durch Rolf Starck zusammen mit Waldemar Freundlichs Sohn Jürgen, 2021

Quellen: 2; StaH 332-8 Hausmeldekartei Blankenese 1927–1938 (1943); StaH 332-7 Meldewesen A34/2; In Memoriam, Den Haag 1995; Interview Friedel Rosenstock, geb. Freundlich, 25.11.2003; Interview Wiebke Nett-Küster, 12.012004; Interview Gode Strelow, 19.02.2004; siehe auch https://www. joodsmonument.nl/nl/page/573280/brief-biography-of-waldemar-freundlich (Zugriff 5.4.2022).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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