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Herbert Kurt Friede * 1902

Eppendorfer Landstraße 6 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

KZ Fuhlsbüttel
ermordet am 5.12.1938 KZ Fuhlsbüttel

Herbert Kurt Friede, geb. 20.3.1902 in Hamburg, gestorben am 5.12.1938 im KZ Fuhlsbüttel

Eppendorfer Landstraße 6

Im September und Oktober 1920 befand sich der damals 18-jährige Herbert Friede auf richterliche Anordnung "zur Beobachtung auf seinen Geisteszustand" in der "Staatskrankenanstalt Langenhorn", einem psychiatrischen Krankenhaus. Er war zu dieser Zeit Handelsschüler und bereitete seinen Eltern erhebliche Sorgen: Wiederholt hatte er sie bestohlen und auch der Vermieterin mit Hilfe eines Nachschlüssels Gegenstände entwendet. Diese hatte er dann verkauft. Er beging Urkundenfälschung, unterschlug Geld und stahl immer wieder. Während seines Aufenthaltes in Langenhorn befolgte er die Regeln nicht und provozierte. In der Krankenakte hieß es: "Friede ist auf der ganzen Abteilung seiner Verlogenheit wegen geradezu berüchtigt.... [Er habe] eine geradezu krankhafte Sucht, sich [bei den Mitpatienten] so unbeliebt wie möglich zu machen."

Warum Herbert Friede ein so schwieriger junger Mann war, wissen wir nicht. Sein Vater war der 1860 in Helmstedt geborene Rechtsanwalt Dr. Hugo Friede. Seine Mutter Margarethe, geborene Marcuse, war dessen zweite Ehefrau und 15 Jahre jünger als ihr Mann. Hugo Friede hatte einen Sohn – Edgar, Jahrgang 1892 – mit in die Ehe gebracht. Vier Jahre nach Herbert kam die Tochter Gerda zur Welt. Herbert konnte Edgar nach eigenen Angaben nicht leiden, während er "in rührender Liebe an seiner Mutter ... hängt", wie es in der Krankenhausakte hieß.

In der Akte sind einige Angaben über seine Kindheit zu finden: Im Alter von vier Wochen war Herbert schwer erkrankt. "Fast durch ein Wunder" habe eine Tante ihn durch gute Pflege gerettet, so die Aussage der Eltern. Anschließend habe er eine "sehr gute Entwicklung gemacht". Er hatte die Thomsen-Vorschule besucht und war in die Sexta des traditionsreichen Wilhelm-Gymnasiums aufgenommen worden. Da seine Tuberkulose wieder aufflackerte, musste er einige Zeit in einem Sanatorium für Lungenkranke in Wyk auf Föhr verbringen. Nachdem er in der Obertertia zum zweiten Mal nicht versetzt worden war, wurde er im Sommerhalbjahr auf die Wahnschaffsche Realschule umgeschult. Hier fiel er durch Täuschungsversuche bei Klassenarbeiten und häufiges Fehlen mit gefälschten Entschuldigungen auf. Nach eigenen Angaben hätte Herbert gern einen Beruf erlernt, aber sein Vater habe andere Pläne mit ihm gehabt. Er nahm ihn von der Schule und ließ ihm zu Hause Privatunterricht erteilen. Wahrscheinlich erhoffte er sich auch für seinen zweiten Sohn eine akademische Karriere.

Edgar war damals schon Referendar und wurde später Rechtsanwalt. Dem Gutachter gegenüber beklagte Herbert die Uneinsichtigkeit seines Vaters, der ihn zwei Jahre zu Hause behalten habe, ohne "was zu machen". Hugo Friede, so stellte ihn sein Sohn dar, muss ein strenger und standesbewusster Mann gewesen sein. Er wollte sicher das Beste für seinen Sohn, war aber mit Herberts Eskapaden völlig überfordert.

Nach der Zeit im Krankenhaus kam Herbert für einige Wochen in Untersuchungshaft. Ob er für seine Taten verurteilt wurde, ist nicht bekannt. Auch sein privater Umgang sorgte für Aufregung. Als 17-Jähriger hatte Herbert auf der Eisbahn ein zwei Jahre älteres Mädchen – Paula - kennengelernt, mit dem er sich "herumtrieb". Manchmal kam er tagelang nicht nach Hause. Sein Vater nannte sie eine "Dirne". Bei der "Sittenpolizei" solle es eine Akte über sie geben, so gab er in Langenhorn zu Protokoll. Im Januar 1920 bekamen Herbert und sie einen Sohn – für Herberts Familie zweifellos ein Skandal. 2 ½ Jahre später wurde ein weiterer Sohn geboren. Irgendwann haben Herbert und Paula geheiratet, der Zeitpunkt ist nicht bekannt. Laut Kultussteuerkartei waren die Kinder wie Paula evangelisch getauft. Ob es für die vier ein bürgerliches Familienleben gegeben hat? Im Adressbuch von 1933 ist Herbert unter der Adresse Abendrothsweg 38 als Kaufmann verzeichnet.

Herberts Eltern und seine Schwester Gerda schieden laut Kultussteuerkartei im Jahr 1924 "durch Fortzug" aus der Jüdischen Gemeinde aus. Über ihr weiteres Leben ist nichts bekannt.

Herberts Halbbruder Edgar betrieb ab 1924 eine Rechtsanwaltskanzlei mit seinem Onkel Max Friede in Sozietät. Beide wurden 1938 im Zuge der Pogromnacht verhaftet, Edgar ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Da er sich schon vorher um seine Auswanderung bemüht hatte, konnte er sofort nach seiner Entlassung aus Deutschland flüchten. Max Friede starb an den Spätfolgen seiner Verhaftung.

Am 16. November 1938 flohen Edgar und seine nichtjüdische Ehefrau – die beiden hatten keine Kinder – nach Holland und reisten von dort mit einem Schiff nach Batavia, Niederländisch Indien (heute Indonesien), wo sie Freunde von Edgar erwarteten. Die Behörden verweigerten ihnen jedoch die Einreise, sodass die beiden mit demselben Schiff nach England zurückkehrten. Von dort gelangten sie in die USA, wo Edgar sich als Hausierer, Fahrstuhlführer und Hafenarbeiter durchschlug. An den Folgen der KZ-Haft, so schilderte er es dem Amt für Wiedergutmachung nach dem Krieg, litt er für den Rest seines Lebens. Edgar starb 1984 92-jährig in Kalifornien.

Über Herbert Friedes berufliche Situation äußerte sich sein älterer Sohn in den 1950er Jahren folgendermaßen: "Ich erinnere lediglich, daß mein Vater in irgendeiner kaufmännischen Branche gelernt hat. Soweit ich mich entsinne, hat er in den Jahren ab 1933 immer mit großen Unterbrechungen in verschiedenen kaufmännischen Firmen gearbeitet. Er hat auch eine Zeit ... in einem in einer Anschlagsäule untergebrachten Zeitungskiosk als Zeitungsverkäufer gesessen."

Im September 1936 hatte sich Herberts finanzielle Situation derart verschlechtert, dass er laut einer Notiz auf der Kultussteuerkartei seine Wiederaufnahme in die Jüdische Gemeinde beantragte, "weil er Unterstützung in Anspruch nehmen will. Mit Rücksicht darauf, dass Frau und Kinder Nichtjuden sind und er diese keinen Unannehmlichkeiten aussetzen möchte, habe ich ihm empfohlen, von seinem Wiedereintritt in die Gemeinde zunächst abzusehen und sich wieder zu melden, wenn seine finanziellen Verhältnisse besser geworden sind", hieß es da als Antwort auf sein Gesuch. Ob Herbert später noch einmal um finanzielle Hilfe gebeten hat, wissen wir nicht.

In den Jahren 1937 und 1938 musste er, so ein Leidensgenosse, "in einer Judenkolonne in Waltershof Zwangsarbeit leisten", vermutlich Pflichtarbeit für arbeitslose Fürsorgeempfänger. Was er dort tun musste, ist unbekannt. Seine letzten beiden Lebensjahre geben einige Rätsel auf. Irgendwann wurde auf der Kultussteuerkartei hinter den Namen seiner Frau der Vermerk "getrennt" eingefügt. Ob die beiden sich auf Druck der herrschenden Gesetze getrennt hatten oder weil ihre Ehe am Ende war? Seit wann lebte Herbert in der Eppendorfer Landstraße, und wohnte er dort allein, oder mit Familie? Warum wurde er ins KZ Fuhlsbüttel eingeliefert?

Nachdem man ihn spätestens im Oktober 1938 verhaftet hatte, wurde er am 5. Dezember 1938 tot in seiner Zelle im Gefängnis Fuhlsbüttel aufgefunden. Auf der Sterbeurkunde war "Selbstmord durch Erhängen" angegeben. Ob er ermordet oder in den Tod getrieben wurde, ließ sich nicht klären. Ein Jahr später, am 6. Dezember 1939, starb Herbert Friedes Frau. Seine Söhne wurden als "Mischlinge ersten Grades" Soldaten. Der Jüngere fiel 1942 in der Nähe von Leningrad.

© Sabine Brunotte

Quellen: 1; 2; 4; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2/1995; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/01 130120 Friede, Rolf; StaH 351-11 AfW, 14506 Friede Edgar; StaH 314-15 OFP, F 608; AB 1933; Morisse, Jüdische Rechtsanwälte, 2003, S.52 f, S. 129.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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