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Martha Friedländer (geborene Jacobi) * 1865

Blumenau 63 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
MARTHA FRIEDLÄNDER
GEB. JACOBI
JG. 1865
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 1.9.1943

Martha Friedländer, geb. Jacobi, geb. 13.9.1865 in Hamburg, deportiert am 5.5.1943 nach Theresienstadt, Tod dort am 1.9.1943

Blumenau 63

1940 besaß die Witwe Martha Friedländer, geborene Jacobi, ein sechsstelliges Vermögen, lebte aber "außerordentlich bescheiden in einem Zimmer bei Frau E. Külper, Blumenau 63", wie Kurt Sieveking von der Bank M. M. Warburg & Co. dem Oberfinanzpräsidenten mitteilte. Die Gründe dafür waren familiäre wie politische. Ihr standen als liquide Mittel die Zinsen aus den ererbten Vermögen von ihrem Vater Leopold Jacobi/Jacoby und ihrem Ehemann Adolf Arthur Friedländer zur Verfügung, aus denen sie aber auch den Lebensunterhalt ihrer Tochter Gertrud zu finanzieren hatte. 1939 sperrte der Oberfinanzpräsident mit einer "Sicherungsanordnung" das Gesamtvermögen sowie alle Einkünfte mit Ausnahme eines geringen Freibetrags.

Als Martha Jacobi 1865 als Tochter eines Bankiers geboren wurde, schien der Weg zu einem bürgerlichen Leben und einem materiell gesicherten Alter vorgezeichnet.

Ihre Eltern, Leopold Jacobi und Clara, geborene Katz, waren beide keine gebürtigen Hamburger, hatten sich aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirtschaftlich erfolgreich in Hamburg etabliert. Ihre Großeltern väterlicherseits, Behrend Jacobi und Täubchen, geborene Isaak, lebten in Beelitz bei Potsdam, wo Täubchen Jacobi am 31. März 1831 den Sohn Leopold zur Welt gebracht hatte. Martha Jacobis Großeltern mütterlicherseits, Meyer Jonas Katz und Philippine, geborene Mond, hatten ihren Wohnsitz in Paderborn, wo am 1. April 1841 ihre Tochter Clara geboren wurde. Einzelheiten des Zuzugs von Leopold Jacobi nach Hamburg sind nicht bekannt.

Leopold Jacobi, Martha Friedländers Vater, erwarb als 25-jähriger Commis (Kaufmannsgehilfe) das hamburgische Bürgerrecht. Er hatte seinen Militärdienst bei der preußischen Kavallerie geleistet und war 1851 als Commis in das Bank-Geschäft von Elias Warburg eingetreten. Am 10. Ok­tober 1856 legte er den Bürgereid ab, nachdem er kurz zuvor in die Deutsch-Israelitische Gemeinde in Hamburg aufgenommen worden war. Er gehörte ihr bis zu seinem Tode an.

Im Jahr seiner Einbürgerung hatte er die Firma "Leopold Jacobi & Co." mit Gustav Warburg als Prokuristen handelsrechtlich eintragen lassen, woraus sich ein sehr erfolgreiches Bank-, Wechsel- und Kommissionsgeschäft entwickelte. Geschäftsräume und Wohnung befanden sich bis 1890 in der Hermannstraße 18, danach in der Ferdinandstraße 26 in der Hamburger Altstadt. Die Firma hatte (als GmbH) zehn Jahre über den Tod Leopold Jacobis hinaus Bestand.

1862 heiratete Leopold Jacobi die zehn Jahre jüngere Clara Katz in Berlin, wo sie seinerzeit lebte. Sie zog zu ihrem Ehemann nach Hamburg. Ihr erstes Kind war ein Sohn, Berthold, der 1863, dem Jahr seiner Geburt, starb. Am 13. September 1865 kam die Tochter Martha zur Welt, ihr folgte als letztes Kind am 21. März 1869 die Schwester Flora. Vermutlich wuchsen die beiden Töchter auf, wie seinerzeit "Höhere Töchter" erzogen und ausgebildet wurden.

Martha Jacobi war 24 Jahre alt, als sie am 29. Dezember 1889 die Ehe mit dem elf Jahre älteren Adolf Friedländer, genannt Arthur, einem Kaufmannssohn aus Marienwerder, einging. Er war ebenfalls Kaufmann und wurde Direktor der "Maklerbank in Hamburg", deren Zweck u. a. Garantien für Termingeschäfte von Baumwolle, Zucker, Kaffee, Zinn, Kupfer waren. Sein Geschäft betrieb er von der Wohnung in der Ferdinandstraße 26, dem Elternhaus seiner Ehefrau, aus. Zusätzlich besaßen Adolf/Arthur und Martha Friedländer einen Sommersitz in der Hoheluftchaussee 99. Sein Einkommen erlaubte der Familie ein gutbürgerliches Leben.

Als erstes Kind brachte Martha Friedländer am 14. Januar 1891 die Tochter Gertrud Franziska zur Welt, am 15. Mai 1895 folgte ein Sohn. Er erhielt die Namen Edgar Julius Jacobi.

Wenige Wochen später, am 2. Juni 1895, fand in Hamburg die Heirat von Marthas Schwester Flora mit dem Londoner Architekten Edwin Sachs statt, zu der auch dessen Eltern aus England anreisten. Flora zog nach London. Edwin Sachs hatte u. a. an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg studiert und sich auf Theaterarchitektur und Brandschutz spezialisiert, in welcher Eigenschaft er auch in Wien und Paris tätig war.

Drei Monate nach dieser Hochzeit, am 15. September 1895, starb Marthas Vater Leopold Jacobi (im Sterberegister Jacoby) in seiner Sommerwohnung in der Hoheluftchaussee 99. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. Den ersten Jahreswechsel als Witwe verbrachte Clara Jacobi, nicht bei ihrer Familie in Hamburg, sondern in der Gesellschaft von Clara Friedländer aus Berlin, einer ledigen Verwandten ihres Schwiegersohns.

Leopold Jacobi hinterließ seiner Witwe Clara, seinen Töchtern Martha Friedländer und Flora Sachs sowie den Enkelkindern ein großes Vermögen unter der Verwaltung dreier Treuhänder, von denen einer sein Schwiegersohn Adolf/Arthur Friedländer war. Der Nachlass wurde von der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg wie ein Mitglied besteuert. Adolf/Arthur und Martha Friedländer gehörten der Deutsch-Israelitischen Gemeinde als regelmäßige Beitragszahler an, von irgendwelchen Funktionen ist nichts bekannt.

1898 brachte Flora Sachs, Martha Friedländers Schwester, in London ihr einziges Kind zur Welt, Eric, der am Ersten Weltkrieg auf alliierter Seite teilnahm. Belege für Kontakte zwischen den beiden Schwestern und der Mutter Clara Jacobi gibt es nicht, doch lassen es die zwischen 1904 und 1920 für das Ausland ausgestellten Reisepässe als möglich erscheinen, dass Clara Jacobi sowie Tochter und Schwiegersohn Martha und Adolf/Arthur Friedländer ihre Verwandten in London besuchten. Es existiert aber kein Hinweis auf Bemühungen Martha Friedländers oder ihrer Nachkommen, vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach England zu entkommen.

Aus dem Reisepass von 1918 geht hervor, dass Martha Friedländer mittelgroß war, graublaue Augen, ein ovales Gesicht und ihrem Alter von 53 Jahren entsprechend grau meliertes Haar hatte.

1900 ließen sich Martha und Adolf/Arthur Friedländer mit ihren Kindern außerhalb der Hamburger Innenstadt an der Moorweide nieder und bezogen die Parterrewohnung in der Tesdorpfstraße 8 in Rotherbaum.

Martha Friedländers Mutter, Clara Jacobi, gab 1911 ihre beiden Wohnungen zugunsten einer Mietwohnung in der Nähe ihrer Tochter auf und zog in die Schlüterstraße 4. Sie ging auf Reisen, 1912 ins nicht näher benannte Ausland und kurz vor ihrem Tod im Sommer 1916, inzwischen ca. 75 Jahre alt, in Begleitung ihres Dienstmädchens Helene Kahn innerhalb des Deutschen Reiches. Sie starb am 5. April 1917 in ihrer Wohnung in der Schlüterstraße und wurde neben ihrem Mann Leopold auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt.
Adolf/Arthur und Martha Friedländers Sohn Edgar war offenbar krank, eine Diagnose ist nicht bekannt. Im Herbst 1915, 20 Jahre alt, reiste er nach Huchting bei Bremen, um dort Adalbert Wintermanns Schule für "geistig schwach Begabte" zu besuchen. Er kehrte schon nach einem Monat nach Hamburg zurück und wurde im Iatro-Pädagogium in der Bornstraße 12 untergebracht, einer ärztlichen Einrichtung für Jugendliche mit Lernschwierigkeiten (Iatrologie = Lehre von der ärztlichen Heilkunst). Nach nur zehn Tagen nahm ihn der Facharzt für Nerven- und Gemütskrankheiten, Arnold Lienau, der eine Klinik in der Eichenstraße in Eimsbüttel betrieb, unter seiner Privatadresse, Am Weiher 7, als Patienten auf. Bereits eine Woche später, am 4. Dezember 1915, wurde Edgar Friedländer in die damalige "Irrenanstalt Friedrichsberg" eingewiesen, wo er am 27. Oktober 1917 starb. Seine Eltern ließen ihm ein liebevolles, repräsentatives Grabmal auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf errichten, mit einer Notenzeile im Architrav und folgender Inschrift im Mittelfeld:
DIE DIR IM LEBEN STETS
DIE LIEBSTEN WAREN
SIND HIER IM TODE
DIR AUCH NAH

Über den Werdegang von Gertrud Friedländer, Martha Friedländers Tochter, sind keine Einzelheiten bekannt. Mitten im Ersten Weltkrieg, am 30. September 1916, heiratete sie den fast 16 Jahre älteren Adolf Moll, der später zum Dr. phil. promoviert wurde. Er war Lutheraner, geboren 1874 in Neuvorwerk, damals Mecklenburg. Im nahe gelegenen Zarpen (heute: Kreis Stormarn) betrieben seine Eltern eine Ziegelei. Adolf Moll war musikwissenschaftlicher Lehrer, Komponist, Stimm- und Sprachforscher. Gertrud Moll konvertierte und ließ auch ihre 1918 und 1920 geborenen Kinder Siegfried und Agathe taufen.

1920 wurde die Maklerbank von der "WaarenLiquidations-Casse" übernommen und unter dem Namen "Liquidations-Casse" weiter geführt. Adolf/Arthur Friedländer, inzwischen über 60 Jahre alt, übernahm den Direktorenposten und behielt ihn offenbar bis an sein Lebensende inne. Er entschied, mit seiner Tochter Gertrud eine Gütergemeinschaft einzugehen und legte in dem gemeinsamen Testament mit seiner Frau fest, dass sie im Falle seines Todes die Gütergemeinschaft mit der Tochter fortsetzen solle, um so die familiäre Kontrolle über das Vermögen zu erhalten. Weiterhin verfügte er, dass seine "Ehefrau der mit der Verwaltung des Gesamtguts verbundenen Mühe enthoben sein und deswegen nur den Zinsgenuss an demselben haben soll, während das Kapital unter der Verwaltung von Gesamtgutsverwaltern" stehen soll. Auf diesem Wege würde das Erbe von Martha Friedländers Vater Leopold Jacobi sowie das von ihrem Mann schließlich ihren Enkelkindern zufallen.

In der Inflationszeit 1922/1923 geriet Adolf/Arthur Friedländer in finanzielle Schwierigkeiten, zumal er seine Tochter Gertrud Moll und die Enkelkinder Agathe und Siegfried Moll unterhalten musste.

Noch vor Beginn der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise hatte sich die Liquidations-Casse erholt und brach danach zwar ein, aber nicht zusammen. Am 31. Dezember 1933 trat Adolf/Arthur Friedländer in den Ruhestand bei einer Pension von netto ca. 690 RM monatlich. Hinzu kamen Einkünfte aus seiner Aufsichtsratstätigkeit bei der Eutin-Lübecker Eisenbahn und Zinsen. Da seine Steuern auf der Basis der höheren Einkünfte des Jahres 1932 berechnet wurden, sah er sich 1933 außer Stande, den Beitrag zur Jüdischen Gemeinde in voller Höhe zu entrichten und beantragte einen Nachlass. Er deutete seinen Austritt aus der Gemeinde unter Verzicht auf die Grabstätte auf dem Jüdischen Friedhof für sich und seine Frau an, sollte die Gemeinde ihm nicht entgegenkommen. Der Gemeindevorstand gewährte ihm auf der Grundlage seiner schwierigen Einkommenssituation eine Ermäßigung.

Als Adolf/Arthur Friedländer am 5. April 1935 starb, wurde er im Familiengrab neben seinem Sohn Edgar beigesetzt. "Seine größte Freude im Leben war Arbeit", ist noch heute auf der rechten Monumentseite zu lesen. Er hinterließ seiner Witwe ein beträchtliches Vermögen und für die nächsten zehn Jahre eine jährliche Pension der Liquidations-Casse in Höhe von 5000 RM. Martha Friedländer zog aus der Tesdorpfstraße aus und wechselte mehrfach die Unterkunft, bevor sie sich bei der Witwe Külper in der Blumenau 63 in Eilbek einquartierte.

Die Ehe von Martha Friedländers Tochter, Gertrud, und deren Ehemann Adolf Moll wurde im April 1932 durch das Landgericht Altona geschieden, etwa zur gleichen Zeit wurde Adolf Moll pensioniert. Sein Ruhegehalt reichte nicht für die Finanzierung des Unterhalts und der Ausbildung der Kinder aus, doch nahm er sich insbesondere seiner Tochter Agathe an. Sie sollte wegen einer geistigen Schwäche sterilisiert werden, wogegen ihr Vater mit Erfolg kämpfte.

Gertrud Moll ging 1939 eine zweite Ehe ein, und zwar mit dem Zahnarzt Percival Sidney Windmüller (s. Stolpersteine in Hamburg-Hamm). Sie wohnten in Hamm in der Jordanstraße 53 nahe der Grenze zu Eilbek. Percival Windmüller war mittellos und wurde von seiner Frau unterhalten. Martha Friedländer kam weiterhin für ihre Tochter Gertrud und auch für den Enkelsohn Siegfried auf, als der zum Ingenieursstudium an die Technische Hochschule in Berlin ging.

Altes Recht und neue Verordnungen beschäftigten die nun als "Konsulenten" bezeichneten jüdischen Rechtsanwälte als Testamentsvollstrecker, das Nachlassgericht und den Vorsitzenden der Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Max Plaut, längere Zeit, wodurch sich die Deportation der inzwischen 77-jährigen Martha Friedländer nach Theresienstadt verzögerte. Inzwischen war sie am 30. Mai 1941 als Untermieterin bei Bruno Seelig, Grindelhof 2, eingezogen. Nachdem er zusammen mit seiner Familie am 8. November 1941 nach Minsk deportiert worden war, brachte die Jüdische Gemeinde Martha Friedländer im Paulinenstift, Laufgraben 37, unter.

Am 20. Januar 1942 erließ der Oberfinanzpräsident eine "Sicherungsanordnung" für "Arthur Friedländer Gesamtgut und Leopold Jacobi Testament" und gestattete Martha Friedländer, über 240 RM monatlich zu verfügen. Auf Antrag wurde die Unterstützung für Gertrud Windmüller in der bisherigen Höhe von 390 RM für sechs weitere Monate und für ihren Sohn in der Höhe von 200 RM unbefristet genehmigt. Diese Sechsmonatsfrist endete exakt mit der Deportation Gertrud Windmüllers am 15. Juli 1942.

Kurt Sieveking und Felix Epstein hatten bis dahin gemeinsam als Testamentsvollstrecker und Vermögensverwalter gewirkt. Nun musste Kurt Sieveking als "Arier" seine Tätigkeit beenden und sie an einen jüdischen "Konsulenten" übergeben. An seine Stelle trat der promovierte Jurist Morris Samson. Gemeinsam mit Felix Epstein focht er für die Rechte Martha Friedländers, ihrer Tochter und der Enkel, jedoch vergebens. Das Deutsche Reich zog das Vermögen ein.

Neue rechtliche Probleme entstanden Mitte 1942 mit der Deportation Gertrud und Percival Windmüllers in das "Altersgetto" von Theresienstadt. Sie zahlten gemeinsam 3731,75 RM für den "Heimeinkauf" an den Jüdischen Religionsverband; mit ihrem "Verzug ins Ausland" verfiel ihr Vermögen dem Reich. Die Zulässigkeit der Entnahme des Geldes für den "Heimeinkaufsvertrag" aus dem Vermögen und dessen Einzug zugunsten des Reiches blieben rechtlich umstritten, weil es sich bei dem Vermögen um das Gesamtgut der Gütergemeinschaft von Gertrud Windmüller und ihrer Mutter Martha Friedländer handelte.

Offenbar nahm Martha Friedländer bis Mitte September 1942 noch ihre finanziellen Verpflichtungen dem Jüdischen Religionsverband gegenüber selbst wahr und überließ dann aus gesundheitlichen Gründen auch diese Aufgabe ihrem Konsulenten Morris Samson, wie aus folgendem Schreiben an Leo Lippmann, stellvertretender Vorsitzender des Jüdischen Religionsverbandes in Hamburg, hervorgeht:
Friedlaender, Marta an Dr. L. Lippmann, p. Adr. Religionsverband, 13 Hamburg, Benekestr. 2
Eingegangen 23. Sept. 1942 22.9.42
"13 Hamburg
Laufgraben 37
Sehr geehrter Herr Dr.!
Ersuche Sie höfl., alle für mich in Betracht kommenden Geldforderungen für den Religionsverband meinem Testamentsvollstrecker Dr. M. Israel Samson, Hbg. 1, Ferdinandstr. 75 direct zukommen zu lassen. In Folge meines Leidens bin ich außer Stande gesetzt, mich ernstlich damit zu befassen.
Hochachtungsvoll
Ihre Marta Sara Friedlaender"

Drei Monate später beantragte "Konsulent" Morris Samson beim Oberfinanzpräsidenten die Freigabe einer monatlichen Zahlung von 200 RM an Gertrud Windmüllers Tochter Agathe aus ihrer Ehe mit Adolf Moll, die bei ihrem Vater wohnte. Agathe Moll hatte aufgrund von Lernschwierigkeiten noch keine angemessene Ausbildung erhalten und wollte nun den Besuch einer Frauenschule abschließen, um Schneidern, Weißnähen und allgemeine Haushaltsführung zu lernen. Bis dato hatte ihre Mutter ihr die nötigen Mittel zukommen lassen. Um einen einmaligen größeren Betrag ging es bei dem Promotionsvorhaben des Enkelsohnes Siegfried in Berlin, der am 7. April 1943 bewilligt wurde.

Martha Friedländers Tochter Gertrud und deren Ehemann, Sidney Percival Windmüller, wurden am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Welchen Verlust der Abschied von ihrer Tochter für Martha Friedländer bedeutet haben mag, lässt sich nur aufgrund der lebenslangen engen Verbundenheit mit und Verpflichtung für einander erahnen. Percival Windmüller starb bereits am 5. November 1942 im Getto von Theresienstadt, wovon seine Witwe der Familie über das Rote Kreuz Mitteilung machte. Die Mitteilung erreichte den in Finnland lebenden Sohn Henning Windmüller jedoch erst Jahre später.

Martha Friedländer sollte am 24. März 1943 in das "Altersgetto" von Theresienstadt deportiert werden, wurde aber zurückgestellt, weil immer noch nicht geklärt war, ob die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" insoweit Zugriff auf das Vermögen habe, dass ein "Heimeinkaufsvertrag" abgeschlossen werden könne. Das Amtsgericht Hamburg bemühte sich, Martha Friedländer entgegen den zuvor getroffenen testamentarischen Verfügungen zur Aufhebung der Gütergemeinschaft zu bewegen. In dem Fall hätte sie aus ihrem Vermögensanteil den "Heimeinkauf" bezahlen können und der Anteil ihrer Tochter fiele dem Reich zu. Die Gesamtgutsverwalter waren aber bestrebt, das Vermögen für die Enkelkinder zu erhalten. Am 29. April 1943 wurde die Gütergemeinschaft von Amts wegen aufgehoben, wovon die Reichsvereinigung erst am 7. Mai 1943, zwei Tage nach der Deportation Martha Friedländers, schriftlich unterrichtet wurde. Inzwischen hatte Max Plaut die Frage der Zahlung der Reichsfluchtsteuer über den Konsulenten und die Staatspolizei geklärt. Es blieb noch ein Restvermögen von 112000 RM, das in den "Heimeinkaufsvertrag" für das "Altersgetto" Theresienstadt einging, obwohl der Betrag Martha Friedländers die je zu erwartenden Pflegekosten weit überstieg. Mit ihm "müssen nicht nur die Kosten für die Gemeinschaftsunterbringung von Frau Friedländer in Theresienstadt gedeckt werden, sondern darüber hinus auch die verfügbaren Vermögenswerte dem allgemeinen Fonds zugeführt werden", beschied Max Plaut die Testamentsvollstrecker. Sie hatten zugestimmt, dass auf den Kapitalanteil des Vermögens statt nur auf die Zinsen zugegriffen wurde, um das Eintrittsgeld und laufende Pflegegeld für die Unterbringung in dem Heim Laufgraben 37 zu entrichten und andere Verpflichtungen zu erfüllen. Seither galten die Bestimmungen der Erblasser über die Verwendung des Kapitals, "die unter völlig anderen Verhältnissen getroffen worden waren", nicht mehr. Mit der Finanzierung des "Heimeinkaufsvertrages" waren Martha Friedländer, ihre Tochter Gertrud und die Enkelkinder ihres gesamten Vermögens beraubt worden.

Am 5. Mai 1943 wurde Martha Friedländer, die inzwischen in der Beneckestraße 6, einem "Judenhaus", einquartiert worden war, nachträglich einem Transport von 50 Personen nach Theresienstadt zugewiesen, wo ihre Tochter Gertrud noch lebte. Vermutlich hat sie sich ihrer Mutter so angenommen, wie sie sich einige Monate zuvor um ihren Mann gesorgt hatte. Martha Friedländer starb am 1. September 1943 kurz vor ihrem 78. Geburtstag in Theresienstadt, Gertrud Windmüller ebenfalls dort, im Alter von 53 Jahren am 11. Juli 1944. Für sie liegt ein Stolperstein in der Straße Hirschgraben 58.

Die für Martha Friedländer vorgesehene linke Seite des Familiengrabs blieb leer.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; 7; 8; 9; StaH 314-15 OFP Oberfinanzpräsident R 1940/216; 332-5 Standesämter 2739-1365/1889, 2842-464/1895, 7894-1678/1895, 8039-254/1917, 8710-169/1916; 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht B I 1 1856 Nr. 1287; 332-8 Meldewesen K 6094, K 6297; A 24 Band 107, 1910; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 47009, 130965; 522-1 Jüdische Gemeinden Abl. 1993, 7; 992 d Band 9 Steuerakten; Günther, Barbara, Hsg., Stormarn-Lexikon, S. 248f.; Jüdischer Friedhof Ilandkoppel (C 9-113/114); Lehrerverzeichnis 1927; http://www.rohcollections.org.uk/CollectionPhotSachs.aspx (Zugriff 27.3.2012); Wilmore, David, ed., Edwin Sachs: Architect, stagehand, engineer & fireman, Summerbridge, North Yorks: Theatreresearch, 1998, durch freundliche Vermittlung von Julia Creed, Archivarin des Royal Opera House, London, E-Mail 19.4.2012; http://www.rohcollections.org.uk/CollectionPhotSachs.aspx (Zugriff 27.3.2012); Mitteilungen zur Genealogie Jacobi von Sabine Paap, E-Mail 19.3.2012; mündliche Mitteilungen von Jan P. Windmüller, 24.4.2012.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link Recherche und Quellen.

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