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Susanne Friedländer (geborene Cohen) * 1868

Mühlendamm 72 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
SUSANNE FRIEDLÄNDER
GEB. COHEN
JG. 1868
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 11.3.1944

Susanne Friedländer, geb. Cohen, geb. am 5.4.1868 in Loppersum, Kreis Emden, deportiert am 5.5.1943 in das Getto Theresienstadt, dort umgekommen am 11.3.1944

Mühlendamm 72

"Seit ihrer Verheiratung 1901 lebten meine Mutter, deren einziges Kind ich bin, Frau Marie Friedländer geb. Cohen und deren Schwester, Frau Susanne Friedländer geb. Cohen mit ihren Ehemännern (Brüder) Robert bzw. Joseph Friedländer in Wohn- und Geschäftsgemeinschaft, Hamburg, Burggarten 8.

Die Ehe meiner Tante Susanne blieb kinderlos. Ihr Ehemann Joseph Friedländer starb 1916. Da es sich um eine Geschäftsgemeinschaft gehandelt hatte, erhielt meine Tante weiterhin ihren Unterhalt in der fortbestehenden Lebens- und Wohngemeinschaft. Mein Vater, Robert Friedländer, verstarb 1922. Durch seinen Tod hörte unser Geschäft auf und die rapide fortschreitende Inflation verschlang den ganzen Geldbesitz von meiner Mutter und Tante Susanne."

So begann das Schreiben, das Wilhelmine Mittendorf, geborene Friedländer, ihrem Wiedergutmachungsantrag beifügte, den sie 1953 stellte. Die wenigen nüchternen Sätze, mit denen sie einen Großteil des Lebens ihrer ermordeten Tante Susanne "dem Amt" gegenüber umreißt, lassen Bilder entstehen: Zwei Schwestern heirateten zwei Brüder, leben gemeinsam in einem Haushalt und führen gemeinsam ein Geschäft. Die so engen Verbindungen in wichtigen Lebensbereichen lassen darauf schließen, dass sowohl das Verhältnis zwischen den Schwestern als auch das zwischen den Brüdern grundsätzlich sehr gut war.

Susanne Friedländer und ihre zweieinhalb Jahre ältere Schwester Marie stammten aus der Nähe von Leer, aus dem kleinen Ort Oldersum, wo seit dem 17. Jahrhundert Jüdinnen und Juden lebten. Ihre Eltern waren Levi Moses "Jehuda" Cohen und seine Ehefrau Wilhelmine "Makel", geborene Leers, sie hatten noch sechs ältere Geschwister: Moses (geboren 1856), Amalia (geboren 1857), Henriette (geboren 1859), Aron (später Adolf, geboren 1861), Elise (geboren 1862) und Rosa (geboren 1864). Der Vater Levi Cohen, der sich später Leo nannte, arbeitete als Viehhändler und Kaufmann. Ab 1858 war er Pächter der Burg des Marktfleckens. 1866 zog die Familie nach Harsweg, nördlich von Emden. Dort pachtete Levi Cohen ein Landgut und stand zudem der jüdischen Gemeinde des kleinen Ortes vor. Susannes Bruder Aron blieb in Harsweg, heiratete Minnie Levy und wurde später Harsweger Bürgermeister. Ihre Schwester Esther Elise lebte nach der Hochzeit mit Jacob Weiss, der aus dem damaligen Oberschlesien stammte (heute Polen) in Berlin. Rosa Cohen schloss 1894 die Ehe mit Lazarus Sekkel aus Groningen. Dort lebten beide anschließend und dort wurde auch im Februar 1896 ihr Sohn Levi geboren.

Susannes Schwester Marie Cohen heiratete am 15. März 1901 in Hinte bei Aurich Robert Friedländer, sie selbst feierte Hochzeit mit dessen Bruder Joseph. Die beiden Brüder leiteten in Hamburg gemeinsam die Firma Joseph Friedländer & Co., "Export-Agentur sowie Engros-Lager in Eisen- u. Kurzwaaren, Haus- und Küchengeräthen und Korbwaaren". Ihr Vater Adolph hatte den Grundstein dafür gelegt und ab etwa 1876 im Krayenkamp in der Neustadt mit Eisen- und Kurzwaren gehandelt. Zu den Eisenwaren zählten dabei unter anderem "Kochgeschirre, Oesen und eiserne Bettgestelle". 1883 nahm er seine beiden Söhne Robert und Joseph in die Firma auf, die diese nach seinem Ausstieg ganz übernahmen. Ab 1888 hatten sie auch einen Börsensitz, erst vor dem Pfeiler 24a, später vor dem Pfeiler 22. Zunächst blieben die beiden Brüder mit der Firma in den bisherigen Räumen am Krayenkamp, um 1889 zogen sie in die 2. Erichstraße 23 auf St. Pauli.

Im November 1901 starb Susanne und Marie Friedländers Vater Levi Cohen. Er wurde auf dem Emdener Friedhof in der Bollwerkstraße beerdigt, weil die Oldersumer Juden zur Emdener Synagogengemeinde gehörten. Die Übersetzung der hebräischen Inschrift auf seinem Grabstein lautet:
PN
der rechtschaffende Mann Jehuda Sohn von Mozes
de kohen er starb in den Tagen seines Alters
fünfundneunzig [falsch: 75] Jahre alt
am Tag des Vorabends von rosh
chodesh [Neumondstag] Kislew und er wurde begraben
am zweiten Tag ervan
662
TNSBH

1902 zogen die Brüder Joseph und Robert Friedländer mit ihrer Firma in den Hopfenhof am Kleinen Burstah. Im selben Jahr, am 22. April, wurde Marie und Robert Friedländers Tochter Wilhelmine geboren, Susanne Friedländers Nichte. Zwei Jahre später, am 15. Juni 1904, starb Maries und Susannes Mutter Wilhelmine, auch Minna genannt. Sie wurde wie ihr Ehemann auf dem jüdischen Friedhof Emden-Bollwerkstraße beigesetzt. In Hebräisch steht auf ihrem Grabstein:
PN
die geehrte Frau gnädige Frau
Makel Tochter von dem geehrten Herrn Aaron
(die Frau von) dem geehrten Herrn Yehuda Sohn von
hak(ohen) (sie starb)
in einem guten Namen

In Hamburg liefen die Geschäfte von Marie und Susanne Friedländers Ehemännern gut. 1905 zogen beide Ehepaare zusammen mit der inzwischen dreijährigen Wilhelmine in ein gemeinsames Haus im Burggarten 8 in Borgfelde. Doch 1916 starb Susanne Friedländers Mann Joseph. Sie war bei seinem Tod gerade 48 Jahre alt. Sechs Jahre später folgte ihm sein Bruder Robert. Damit waren beide Schwestern Witwen und Maries nunmehr 14-jährige Tochter Halbwaise. Die gemeinsame Firma wurde geschlossen, die Frauen waren allerdings durch Rücklagen abgesichert. Diese Sicherheit erwies sich jedoch als trügerisch. Schon im Jahr darauf, 1923, wurden die Ersparnisse durch die Hyperinflation fast ganz zunichte gemacht. Das bedeutet von nun an ein Leben in Armut. Susanne Friedländer wurde Kleinrentnerin und erhielt monatlich per Post eine geringfügige Rente von der Hamburger Wohlfahrtsbehörde. Für den Lebensunterhalt von Marie Friedländer musste ihre Tochter Wilhelmine sorgen. Diese heiratete im Sommer 1928 den nichtjüdischen Justizangestellten Friedrich Erich Mittendorf. Beide zogen nach Hohenfelde, in die Elisenstraße 5, und nahmen Marie und Susanne Friedländer bei sich auf. Wilhelmine Mittendorf selbst hatte eine Ausbildung zur Bankangestellten absolviert. Ab 1930 arbeitete sie bei der christlich-jüdischen Privatbank Robert Götz am Alsterthor.

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wurde die finanzielle Situation für Susanne Friedländer noch schwieriger. Sie war 71 Jahre alt, als ihr auch die geringfügige staatliche Unterstützung von der Wohlfahrtsbehörde gestrichen wurde, die sie bis dahin erhalten hatte: Die 10. Verordnung des Reichsbürgergesetzes vom 4. Juli 1939 schloss mittellose Jüdinnen und Juden von der öffentlichen Fürsorge aus. Von nun an musste die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland sie unterstützen. Wenige Monate später, zum 31. Dezember 1939, endete darüber hinaus Wilhelmine Mittendorfs Beschäftigung bei dem Bankhaus Robert Götz, das der nichtjüdische Mitinhaber K. J. H. Sundquist seit Robert Götz’ Tod 1931 allein führte. Zudem verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Erich Mittendorf derart, dass er nicht mehr arbeiten konnte und seine Stelle in der Hamburger Stadtkämmerei, die er mittlerweile innehatte, zum 31. Dezember 1940 kündigte. Dadurch wurde die finanzielle Situation des Ehepaars noch schwieriger, zumal es weiterhin auch Marie und Susanne Friedländer versorgte. Auch Marie war mittlerweile über 70 Jahre alt und sicher wird der gemeinsame Alltag und das Zusammenleben zu Viert in der Wohnung in der Elisenstraße unter diesen Umständen auch für sie nicht einfach gewesen sein.

Durch Intervention beim Leiter der "Sonderdienststelle J" des Hamburger Arbeitsamtes, Willibald Schallert, erreichte Wilhelmine Mittendorfs früherer Arbeitgeber, dass sie ab dem 15. Januar 1942 wieder für das Bankhaus Robert Götz tätig sein konnte und nicht woanders zum Arbeitseinsatz gezwungen wurde. Bereits 1940 war der nichtjüdische Kaufmann Gustav Jantzen als persönlich haftender Gesellschafter in das Bankhaus eingetreten. Laut Anordnung des Arbeitsamtes musste Wilhelmine Mittendorf als Jüdin allerdings "isoliert" arbeiten, konnte daher ihre frühere Tätigkeit nicht wieder aufnehmen und wurde nun zu einem deutlich niedrigeren Gehalt als vorher beschäftigt. Da Erich Mittendorf nichtjüdisch war und sie keine Kinder hatten, führten beide für die Nationalsozialisten eine "privilegierte Mischehe". Diese schützte Wilhelmine Mittendorf zum damaligen Zeitpunkt vor der Deportation, außerdem musste sie keinen "Judenstern" tragen.

Am 2. Oktober 1942 starb Marie Friedländer im Alter von 77 Jahren im jüdischen Alten- und Siechenheim an der Schäferkampsallee 29 an den Folgen einer Magenkrebserkrankung. Die vielen Verordnungen gegen Jüdinnen und Juden, die über Jahre hinweg ihr Leben immer weiter einschränkt hatten, und dann ab Oktober 1941 die dauernde Angst, deportiert zu werden, hatten sie psychisch und körperlich immer stärker mitgenommen. Ein halbes Jahr später, am 5. Mai 1943, wurde Susanne Friedländer in das "Altersgetto" Theresienstadt verbracht, einen Monat nach ihrem 75. Geburtstag. Dort starb sie unter den entsetzlichen Bedingungen von Hunger, Krankheiten, Seuchen, Kälte und permanenter Todesangst am 11. März 1944.

Auch Susanne Friedländers Schwestern Esther Elise und Rosa wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Esther Elise Weiss war am 8. Juli 1942 von Berlin aus in das Getto Theresienstadt und zwei Monate später in das Vernichtungslager Treblinka verbracht worden, wo auch ihr Ehemann Jacob Weiss ums Leben gebracht wurde. Rosa Sekkels Ehemann Lazarus war 1941 in Amsterdam gestorben. Von dort aus wurde sie deportiert und am 23. April 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Ihr Sohn Levi wurde am 24. September 1943 in Auschwitz im Gas erstickt.

Wilhelmine Mittendorf wurde am 8. August 1956 tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Sie hatte sich mit einer Überdosis Tabletten im Alter von 54 Jahren das Leben genommen. Zwei Tage vorher war ihr Ehemann Erich gestorben.

Stand: Mai 2016
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 332-5 Standesämter 1345 u. 160/1956; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 26259 (Wilhelmine Mittendorf, Susanne Friedländer); StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 390 Wählerliste 1930; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 922 d Steuerakten Bd. 9; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden Nr. 992 e 2 Bd. 5, Transport nach Theresienstadt am 05.Mai 1943; Hamburger Adressbücher; Klaus Euhausen, Oldersum, in: Historische Ortsdatenbank Ostfriesland, PDF-Download von http://kurzurl.net/CRH0R (letzter Zugriff 19.3.2015); Klaus Euhausen, Die juedischen ehemaligen Familien in Oldersum, http://euhausen-klaus.de/oldersumerjuden.htm (letzter Zugriff 19.3.2015); "Susanne Cohen", in: genealogienetz.de, Ortsfamilienbücher, Juden im nördlichen Teil des ehemaligen Deutschen Reiches, www.online-ofb.de/famreport.php?ofb=juden_nw&ID=I13785&nachname=COHEN&lang=no (letzter Zugriff 19.3.2015); Institut Theresienstädter Initiative/Nationalarchiv Prag, Datenbank der digitalisierten Dokumente, Susanna Friedländer, www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/11245-susanna-friedl-nder/ (letzter Zugriff 19.3.2015); Gewerbeverein Oldersum und Umgebung e.V., Alte Burg am Dock um 1910, online unter: http://362.oolbank2.de/index.spm?sid=24 (letzter Zugriff 19.3.2015); "Adolf Cohen wurde in Kloster-Harsweg zum Ortsvorsteher wiedergewählt (1913)", in: Allgemeine Zeitung des Judentums, 28. März 1913, online auf: http://www.alemannia-judaica.de/emden_personen.htm#Adolf%20Cohen%20wurde%20in%20Kloster-Harsweg%20zum%20Ortsvorsteher%20wiedergew%C3%A4hlt%20%281913%29%C2%A0 (letzter Zugriff am 19.3.2015); "Rosa Sekkel-Cohen", in: Joods Monument, www.joodsmonument.nl/person/512619/nl (letzter Zugriff 19.3.2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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