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Porträt Henry Fürst
Porträt Henry Fürst
© Peter Mansbacher/Sammlung Schreiber/Lübeck

Henry Fürst * 1856

Richardstraße 4 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)


HIER WOHNTE
HENRY FÜRST
JG. 1856
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 25.9.1942

Henry Fürst, geb. 20.5.1856 in Lübeck, am 15.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, dort am 25.9.1942 umgekommen

Henry Fürst stammte aus Lübeck. Seine Vorfahren lebten in Moisling bei Lübeck. Sein Großvater, Jacob Gumpel Fürst, geboren 1793, war verheiratet mit Anna Boldt, einer Christin, die zum Judentum konvertierte und den Namen Sara annahm. Im Gegensatz zur Hansestadt Lübeck durften sich in Moisling seit dem 17. Jahrhundert Juden niederlassen. Wann und woher die Familie Gumpel nach Moisling kam, wissen wir nicht. Jacob Gumpel war Schlachter. Er gehörte einer Minderheit an, die sich in der sehr konservativen jüdischen Gemeinde für Reformen einsetzte.

Sara brachte sechs Kinder zur Welt, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten. 1848, als die Juden endlich gleichberechtigte Bürger der Stadt Lübeck wurden, mussten sie einen festen, unverwechselbaren Familiennamen annehmen. Jacob entschied sich für den Familiennamen "Fürst". Sein zweitältester Sohn, Meyer Jacob hieß nun offiziell Meyer Jacob Gumpel Fürst. 1850 heiratete er in Lübeck mit 29 Jahren Hannah Bonn, genannt Hanchen, aus Hamburg. Sie war zehn Jahre jünger als er. Die beiden bekamen sechs Kinder. Julius, der zweitälteste kam bei einem Unfall ums Leben, als er acht Jahre alt war. Alle fünf überlebenden Geschwister, Mathilde (geb. 1851), Henry (geb. 1856), Isidor (geb. 1859), Clara (geb. 1860) und Recha (geb. 1863) fanden im Laufe ihres Lebens den Weg nach Hamburg.
Als sie, bis auf Mathilde, noch Kinder waren, starb ihr Vater im Jahr 1871 an der Pest.
Ein Jahr später heiratete Mathilde den Bruder ihrer Mutter, Nehemias Bonn, und zog nach Hamburg. Ihre beiden Brüder und die zwei Schwestern, 15, zwölf, elf und acht Jahre alt, gingen noch zur Schule. Leider konnten wir nicht herausfinden, welche Schulen sie besuchten.

Im April 1875 zog Henry, noch keine 19 Jahre alt, nach Hamburg. Als Beruf nannte er bei seiner Anmeldung "Commis". Er strebte also eine kaufmännische Laufbahn an. Man kann vermuten, dass er in der Firma seines Schwagers Nehemias Bonn beschäftigt war. Er wohnte aber nicht bei seiner Schwester, sondern als Untermieter bis 1881 an fünf verschiedenen Adressen. 1881 bezog er eine eigene Wohnung in der Gurlittstraße.
Zwei Jahre nach Henry kam sein Bruder Isidor nach Hamburg, auch mit 18 Jahren. Er wurde Gehilfe bei einem Zahntechniker, was man vielleicht mit heutigen Begriffen als eine Lehre bezeichnen kann. Er blieb zwei Jahre, kehrte dann im Januar 1879 zunächst nach Lübeck zurück.

Henry erwarb 1887 die Hamburger Staatsangehörigkeit. Er stieg in die Firma seines Schwagers Nehemias ein, der sich jetzt Emil Bonn nannte. Sie war als "Lager", später auch "Fabrikation von Garnen aus Wolle und Seide" im Adressbuch verzeichnet. 1898 war Henry Fürst als persönlich haftender Gesellschafter im Handelsregister eingetragen, 1899 dann als Eigentümer der Firma. Der Eintrag im Adressbuch lautete "Fürst, Henry, N. Bonn Nachfl., Wollgarnfabr., Dampffärberei, Lag. v. Twist u. Seide …"

Nehemias starb im Juli 1902 in Travemünde, seine Frau Mathilde überlebte ihn um 33 Jahre. Bis die Firma 1922 erlosch, blieb Henry ihr Eigentümer und Mitglied der Handelskammer.
Henry und seine Geschwister waren nicht die einzigen Mitglieder der großen Familie Gumpel Fürst, die in Hamburg lebten. 1879 war auch der jüngere Bruder seines Vaters, Samuel, Vater von sechs meist erwachsenen Kindern nach Hamburg gezogen. Zwei seiner Töchter waren hier, beziehungsweise in Altona, verheiratet. Während der nächst jüngere Bruder Anton, verheiratet mit Sophie Bonn, der Schwester von Hanchen und Nehemias, in Lübeck blieb und zunächst mit seiner Mutter, später allein, die Firma des Vaters weiter führte.

1891/92 wurde zum Schicksalsjahr der Familie. Im November 1891 heiratete Henrys Schwester Clara den Hamburger Kaufmann Nathan Nachum. Drei Monate später starb seine Mutter, die den Kindern nach Hamburg gefolgt war. Sie hatte ihren Mann um 21 Jahre überlebt. Dann musste die Familie im September desselben Jahres den Onkel Samuel begraben. Wieder einen Monat später heiratete die jüngste Schwester Rachel den Schlachter, später Pferdehändler, Moritz Oppenheim aus Elmshorn. Nach der Hochzeit in Hamburg zog Recha mit ihrem Mann dort hin. Bei beiden Trauungen fungierte Henry als einer der Trauzeugen. Er zeigte auch dem Standesamt den Tod seines Onkels Samuel an.

Man gewinnt den Eindruck, dass Henry derjenige war, bei dem das Familienleben zusammenlief. Den Tod der Mutter am 28. Februar 1892 teilte jedoch sein Bruder Isidor mit. Er hatte 1886 an der Harvard University in den USA ein Studium der Zahnmedizin mit dem Doktorgrad für Zahnmedizin abgeschlossen und war kurz vor dem Tod seiner Mutter nach Hamburg gekommen. Im folgenden Jahr eröffnete er in den Colonnaden eine Zahnarztpraxis. Auch für Isidor übernahm Henry Fürst wieder das Amt des Trauzeugen. Er heiratete 1897 Hedwig Zobel aus Dresden, die einzige in der großen Familie, die nicht aus Hamburg oder Lübeck kam.

Henry selbst ließ sich noch einmal sechs Jahre Zeit. Am 19. November 1903 heiratete er Gertrud Falck. Sie war 24 Jahre jünger als er und stammte aus einer alt eingesessen Lübecker Familie. Als Trauzeugen fungierten Abraham Samuel Falck, Gertruds Vater, und Isidor Fürst, Henrys Bruder. Als sie heirateten, wohnten Henry und Gertrud an der Verbindungsbahn. Später zogen sie mehrere Male innerhalb Hamburgs um. Am 17. Dezember 1904 kam ihr Sohn Manfred, genannt Noél, zur Welt, ein Jahr später seine Schwester Helga.

Über Henry und Gertrud Fürsts Leben in Hamburg weiß die Familie wenig zu berichten.
Nachdem die Firma "Nehemias Bonn Nfg." 1922 erlosch, musste Henry sich offenbar mit verschiedenen Anstellungen durchschlagen. Er ließ jetzt "Kaufmann" als Beruf im Adressbuch eintragen. Zeitweilig arbeitete er als "Stadtreisender" für die Firma J.G.Wright, Getränkehandel. Die Familie scheint langsam verarmt zu sein, seit 1933 musste sie gar mit Unterstützung der jüdischen Wohlfahrt leben.
Von 1930 bis 1939 wohnte die Familie in der Richardstraße. 1939 zog Henry Fürst mit seiner Frau in die Ottostraße 50, nicht weit von der alten Wohnung entfernt. Möglicherweise war die Aufhebung des Mieterschutzes für Juden der Grund für den Umzug.
Die Kinder hatten inzwischen das Elternhaus verlassen. Helga war nach England emigriert. Noel war seit 1934 verheiratet. Seine Frau, Gertrud Lackmann, gehörte der evangelischen Kirche an. Die beiden mussten 1939 zu ihren Eltern in die Ottostraße ziehen. Offenbar war der Mieterschutz auch für sie aufgehoben, obwohl sie in einer "Mischehe" lebten.

Im Januar 1940 kamen Gertrud und Henry Fürst dann in eine "Judenwohnung" in der Bundesstraße 43. Von dort wurden sie am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, gleichzeitig mit Henrys Bruder Isidor, dessen Frau Hedwig und der Tochter ihrer Schwester Mathilde, Regina Friedrichs. Henrys Schwestern Recha Oppenheim und Clara Nachum (s. www.stolpersteine-hamburg.de) ereilte dieses Schicksal vier Tage später, sie kamen mit dem Transport vom 19. Juli 1942 nach Theresienstadt.

Am 21. September 1942 wurde Clara weiter nach Treblinka deportiert und dort ermordet.
Ihre Söhne Alexander und Emil mit seiner Frau und zwei Kindern waren schon 1941 in Minsk umgebracht worden.
Recha Oppenheim wurde am 26. September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka in den Tod geschickt. Am selben Tag starb Henry in Theresienstadt. Auch sein Bruder Isidor Fürst und dessen Frau Hedwig (s. www.stolpersteine-hamburg.de) kamen in Theresienstadt ums Leben, ihr Sohn Rudolf (s. www.stolpersteine-hamburg.de) war schon 1941 in Minsk ermordet worden. Regina Friedrichs (s. www.stolpersteine-hamburg.de) wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Henrys Sohn Noel Fürst war zunächst durch seine "Mischehe" geschützt. Er konnte 1936 zwar noch sein Examen als Violinlehrer ablegen, unterlag dann aber praktisch dem Berufsverbot durch die Maßnahmen der Reichsmusikkammer und durfte nur noch jüdischen Schülern Musikunterricht erteilen. Vor allem hatte er bis zu ihrer endgültigen Schließung im Juni 1942 eine Lehrerstelle an der "Jüdischen Schule" in der Carolinenstraße und dann im jüdischen Waisenhaus, den beiden letzten Stationen des einst bedeutenden jüdischen Schulwesens in Hamburg. Er war einer der letzten Lehrer dort. Nach der Schließung der Schule musste er Zwangsarbeit leisten, unter anderem bei Aufräumungsarbeiten nach den Luftangriffen auf Hamburg.

Am 14. Februar 1945 wurde er mit dem letzten Transport aus Hamburg nach Theresienstadt gebracht. Bei seiner Ankunft fand er seine Mutter in völlig abgemagertem Zustand und voller Verzweiflung vor. Beide wurden am 8. Mai 1945 befreit und kehrten am 13. Juni 1945 nach Hamburg zurück.

Im Wiedergutmachungsverfahren wurden Gertrud Fürst 5.400 RM als Haftentschädigung zugesprochen. Sie hatte nichts mehr davon, denn sie starb am 4. März 1949, bevor das Verfahren beendet war.

Stand Februar 2016

© Christa Fladhammer

Quellen Hamburg: 1; 3; agora.sub.uni.hamburg./subhh-adress Hamburger Adressbücher Jg. 1872 bis 1909: StAH 231-3 Bd. 2 1836 bis 1904 (Handelsregister):StAH 231-7 A12 Bd.37 33621 (Handelsregister, Nehemias Bonn);StAH 231-7 A1 Bd.42 /10322 (Handelsregister, Henry Fürst); StAH 332-5/ 7874 1580/1892; (Tod Jacob Gumpel); StAH 332-5/ 2774 1057/1891; (Heirat Clara) StAH 332-5 8556 396/1892; (Heirat Recha); StAH 332-5 1896 (Heirat Isidor); StAH 332-5 8625 1903 (Heirat Henry); StAH 332-7 A I/ 13893 (1887); (Staatsangehörigkeit Henry); StAH 332-8 Meldewesen (Meldekartei für fremde Männer/Frauen); StAH 351-11 (AfW Henry Fürst; Manfred Fürst).

Quellen Lübeck: Archiv der Hansestadt Lübeck (AHL); Adressbücher 1850 bis 1887; 03.05-3 Stadt- und Landamt Nr.2781(Alphabetisches Verzeichnis der Bewohner Moislings und ihrer Familienglieder, 1847); 1.1.-1 (3) ASA Interna 17304 (Namensänderungen); 1.1.-1 (3) ASA Interna 17334 (Gesuch auf Ablösung des Rabbiners); Israelitische Gemeinde Nr. 4 864/1 Genealogisches Register; ASA 2602 HR 505 Firma M. J. Gumpelfürst.

Guttkuhn, Peter, Die Geschichte der Juden in Moisling und Lübeck, Lübeck 2007; Schreiber, Albrecht, Zwischen Davidstern und Doppeladler, Lübeck 1992; Winter, David Alexander, Geschichte der jüdischen Gemeinde in Moisling/Lübeck, Lübeck 1968; Thevs, Hildegard, Biografie Regina Friedrichs, www.stolpersteine-hamburg.de.

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