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Jacob "James" Gärtner * 1879

Brahmsallee 62 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
JACOB GÄRTNER
JG. 1879
POLENAKTION 1938
ZBASZYN
FLUCHT HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
SOBIBOR
ERMORDET 2.4.1943

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 62:
Friederike Gärtner, Bertha Haas, Saly Ernst Haas, Dr. Edgar Haas, Moses Oskar Herz, Maria Muskat

Jacob, genannt James Gärtner, geb. am 30.1.1879 in Drohobycz, ausgewiesen 1938 nach Zbaszyn, Flucht nach Holland, deportiert am 31.3.1943 nach Sobibor, ermordet am 2.4.1943
Friederike Gärtner, geb. Oberschitzky, geb. am 6.4.1897 in Altona, ausgewiesen 1938 nach Zbaszyn, Flucht nach Holland, deportiert am 31.3.1943 nach Sobibor, ermordet 2.4.1943

Brahmsallee 62

Der 28. Oktober 1938 war ein Schreckenstag für Jacob, genannt James und Friederike Gärtner. An diesem Tag wurden sie, ohne Begründung und ohne Möglichkeit, auch nur das Nötigste zu packen oder persönliche Angelegenheiten zu ordnen, verhaftet und mit einem Massentransport nach Bentschen (Zbaszyn) an die polnische Grenze "abgeschoben". Sie gehörten zu den etwa 17.000 Juden aus Deutschland – darunter etwa 1000 aus Hamburg – deren "polnische Herkunft" dem NS-Regime den Vorwand lieferte sie am 28./29. Oktober 1938 aus Deutschland auszuweisen und gewaltsam an die polnische Grenze zu transportieren. Sie strandeten im "Niemandsland" zwischen Deutschland und Polen, da die polnische Regierung ihnen die Einreise verwehrte. Ihrer "Abschiebung" war eine Ankündigung der polnischen Regierung vorausgegangen, Polen – primär: polnischen Juden –, die bereits länger als fünf Jahre im Ausland lebten, nach dem 1. November 1938 die polnische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Diese Ankündigung diente dem NS-Regime als Rechtfertigung für ihre "Polenaktion", der ersten groß angelegten "Abschiebung" von Juden aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Sie war eine "Probe" für die Organisation späterer Deportationen und mittelbar der Auslöser der Novemberpogrome in Deutschland: Der 17-jährige Herschel Grynszpan in Paris reagierte auf die Nachricht von der "Abschiebung" seiner Eltern mit einem Attentat auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath, an dessen Folgen dieser starb. Diese Verzweiflungstat eines Jugendlichen diente den Nationalsozialisten als Vorwand für die Auslösung der Novemberpogrome in Deutschland.

Jacob, genannt James Gärtners "polnische Herkunft" scheint aus heutiger Sicht nicht eindeutig. Er wurde am 30.1.1879 in Drohobycz geboren, als Sohn von Juda und Breine Gärtner, geb. Tellermann. Drohobycz im früheren Galizien gehörte damals zur k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn. Demnach war er Österreicher. Erst nach dem Ersten Weltkrieg – da lebte er bereits in Hamburg – wurde Drohobycz "polnisch". Schon zwanzig Jahre später wurde es – infolge des Hitler-Stalin-Pakts – 1939 von der Sowjetunion annektiert. Heute liegt Drohobycz in der Ukraine. Als James Gärtner dort geboren wurde, war es eine aufstrebende Stadt, hatte etwa 19.000 Einwohner, von denen etwa 45 Prozent Juden waren.

Wir wissen nicht, wann genau James Gärtner nach Hamburg kam. Am 1. November 1918 – da gehörte Drohobycz noch zu Österreich – heiratete er dort Friederike Oberschitzky. Der Jüdischen Gemeinde in Hamburg trat er am 29. April 1920 bei. Er besaß ein Schuhhaus am Alten Steinweg 12–13. Bereits 1933 zwang ihn der nationalsozialistische Boykott jüdischer Geschäfte zur Aufgabe seines Geschäfts. Den Handel mit Schuhwaren setzte er auch nach 1933 fort, in seiner Wohnung in der Isestraße 57.

Friederike Gärtner, geb. Oberschitzky, wurde am 6.4.1897 in Altona geboren. Sie war die Tochter von Levy, genannt Louis, und Zerline Oberschitzky, geb. David. Seit 1900 lebte die Familie in Hamburg, seit 1907 in einer der großen, vornehmen Wohnungen an der Hallerstraße, in der zweiten Etage des Hauses Nr. 8. Ihr Vater war selbstständiger Kaufmann in Hamburg. Als älteste von drei Geschwistern wuchs Friederike hier auf.

James und Friederike Gärtner hatten keine Kinder. Sie wohnten in der Isestraße 57 und zuletzt, vor ihrer "Abschiebung", in der Brahmsallee 62 bei Braun.

Nach ihrer "Abschiebung" gelang es ihnen, dem "Niemandsland" an der polnischen Grenze nach Warschau zu entkommen. Von dort flohen sie in die – neutralen – Niederlande. Ihre Flucht unterbrachen sie in Hamburg. Zum Zeitpunkt der Volkszählung im Mai 1939 hielten sich vermutlich beide noch einmal in Hamburg auf. Friederike Gärtner wurde in der Haynstraße 7 gezählt, zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder. Den Aufenthaltsort ihres Mannes in diesen Wochen kennen wir nicht. Am 6. Juni 1939 emigrierten sie in die Niederlande, ein knappes Jahr vor dem deutschen Überfall auf die neutralen Niederlande am 10.Mai 1940. Erst nach der deutschen Besetzung der Niederlande wurden sie am 26. Juni 1940 in Amsterdam registriert. Die jetzt auch in den Niederlanden einsetzende Judenverfolgung zerstörte ihre Hoffnungen auf Schutz im – vorher neutralen – Holland. Eine weitere Flucht war ihnen nicht mehr möglich. Drei Jahre lebten sie noch in Amsterdam. Am 23. März 1943 wurden sie in das Internierungslager Westerbork verbracht. Nur eine Woche später, am 30. März 1943, wurden Jacob und Friederike (Fryderyke) Gärtner von Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und nach ihrer Ankunft am 2. April 1943 ermordet.

Wenige Tage vor Friederikes "Abschiebung" verließ ihre Schwester Paula Hamburg – unter völlig anderen Bedingungen. Sie emigrierte mit ihrem Mann und ihrer Tochter in die USA und überlebte als einzige ihrer Familie den Holocaust. Friederikes Eltern Levy, gen. Louis und Zerline Oberschitzky und ihr Bruder Herbert Oberschitzky wurden am 15. Juli 1942 von Hamburg nach Theresienstadt deportiert. Herbert Oberschitzky starb in Theresienstadt am 27. Juli 1942, zwölf Tage nach seiner Ankunft. Ihre Eltern wurden am 21. September 1942 von Theresienstadt nach Treblinka deportiert und ermordet. An sie erinnern Stolpersteine in der Hallerstraße vor dem Haus Nr. 8.

Stand: September 2016
© Jost von Maydell

Quellen: 1; 3; 4; 5; 8; 9; "Drohobycz", Wikipedia vom 27.5.2013; Enzyklopädie des Holocaust, Bd. III, Sp.1333 und 1577ff.; Hamburger Adressbücher, versch. Jahrgänge; Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Bd. 1 u. 2, hrsg. von Alicke; Meyer (Hrsg.), Verfolgung; Auskünfte: Jose Martin vom 3.9.2012; Nico Nicolai M. Zimmermann, Bundesarchiv vom 4.3.2013.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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