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Albert Glaser * 1866

Grindelberg 77 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
ALBERT GLASER
JG. 1866
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Grindelberg 77:
Rebecka Glaser, Hanne Kahn, Hertha Kahn, Mirjam Kahn, Bernhard Kahn, Salomon Kahn, Hermann Kapost

Albert Glaser, geb. 8.11.1866 in Hamburg, deportiert nach Theresienstadt 9.6.1943, am 18. Dezember 1943 nach Auschwitz, ermordet
Rebecka Glaser, geb. Kapost, geb. 16.8.1879 in Schweich, deportiert nach Theresienstadt am 9.6.1943, Tod dort am 31.8.1943
Hermann Kapost, geb. 2.1.1887 in Esens, 10.11.–21.12.1938 KZ Sachsenhausen,
Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn 29.7.1941–17.11.1941, verlegt 17.11.1941 nach Bendorf-Sayn, deportiert 30. April 1942 nach Krasniczyn, ermordet

Grindelberg 77

Albert Glaser wurde in eine jüdische Familie hinein geboren. Er kam 1866 in der Hamburger Neustadt, neuer Steinweg 57, zur Welt und verbrachte dort auch seine Kindheit und Jugend. Er hatte einen älteren Bruder, Ludwig, geb. 12. August 1862, und zehn Jahre später gesellte sich die Schwester Julchen hinzu. Die Mutter, Adelheid, geb. Aron, war am 12. Dezember 1831 in Hamburg geboren worden, der Vater, Jacob Glaser, geb. 20. Juni 1832, stammte aus dem im Volksmund "Tischlerstadt" genannten Festenberg in Niederschlesien. Er war 1857 nach Hamburg gekommen, "weil er hier eine bessere Existenz habe". Diese fand er als Commis bei Peter Manns, der am Kehrwieder ein Lotteriekontor betrieb. Acht Tage nach seinem Eintritt in die Deutsch-Israelitische Gemeinde erhielt Jacob Glaser am 14. September 1860 die Hamburger Einbürgerungsurkunde. Er begann, mit Hausrat und Möbeln zu handeln, und die Söhne folgten ihm darin, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. Julchen erhielt offenbar keine Ausbildung.

Als Erster heiratete am 24. Mai 1888 Ludwig Glaser. Seine Ehefrau Bertha, geb. 4. November 1863, war die Tochter des Delikatessenhändlers Ephraim Bachrach, ebenfalls jüdischer Herkunft. Sie waren Nachbarn in der 2. Elbstraße gewesen und zogen nach der Heirat in die 3. Elbstraße 3, wo die beiden Söhne John (4. März 1889) und Siegmund (10. Dezember 1890) geboren wurden. Ihr dritter Sohn, Dalbert David, geb. 17. März 1894, kam in der 2. Elbstraße Nr. 36 zur Welt. (1., 2. und 3. Elbstraße, heute Neanderstraße, waren die Abschnitte zwischen den Nebenstraßen.)

Inzwischen hatte auch Albert Glaser eine Jüdin geheiratet, Emma Müller, geb. 19. Juli 1863 in Tessin in Mecklenburg-Schwerin. Ihre Eltern, der Produktenhändler Adolf Müller und seine Ehefrau Hanchen, geb. Heßlein, waren mit ihrer Familie nach Friedrichstadt an der Eider gezogen. Dort fand am 14. August 1891 die Hochzeit statt. Beider Eltern lebten noch, aber Alberts Familie wurde nicht durch seinen Vater oder Bruder, sondern durch den Friedrichstädter Manufakturwarenhändler Leser Masur vertreten. Nach ihrer Heirat zogen Albert und Emma Glaser nach Flensburg, wo sich Albert Glaser als Möbelhändler selbstständig machte. Als erstes ihrer Kinder kam dort am 21. September 1892 die Tochter Paula zur Welt. Auf ihrer Geburtskarte wurden beide Eltern als evangelisch eingetragen, bei dem zwei Jahre später, am 28. März 1894, geborenen Sohn Manfred hieß es richtig "mosaisch". Den Sohn Manfred schickten die Eltern in die Oberrealschule in Flensburg und nach dem Abschluss 1908 für ein Jahr auf eine private Handelsschule. Paula besuchte ebenfalls die Höhere Schule, blieb dann aber ohne weitere Ausbildung im Elternhaus.

Jacob und Adelheid Glaser wechselten mehrfach die Wohnung zwischen Elbstraße und Peterstraße in der Neustadt, bis sie 1902 in die Grabenstraße 31 auf St. Pauli zogen. Zwei Monate vor seinem 71. Geburtstag starb Jacob Glaser am 27. April 1903 im Israelitischen Krankenhaus an einer Lebererkrankung. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel in Ohlsdorf in einem Doppelgrab beerdigt. Seine Witwe Adelheid blieb mit ihrer Tochter Julchen bis zu deren Tod am 14. Oktober 1910 in der Grabenstraße wohnen. Im Januar 1910 hatte sich Julchen wegen eines Herzleidens in ärztliche Behandlung begeben, dem sie kurz vor ihrem 38. Geburtstag ebenfalls im Israelitischen Krankenhaus erlag. Sie wurde in einem Einzelgrab, fern von dem ihrer Eltern, auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt. Adelheid Glaser zog zu Salomon Levy, einem 1881 aus Friedrichstadt nach Hamburg verzogenen Schlachter, der mit seiner Familie in der Peterstraße 8 in der Neustadt wohnte. Sie machte auch dessen Umzüge nach Hütten 63 und 1915 einen weiteren ins Grindelviertel in die Beneckestraße 20 mit.

Ludwig Glaser blieb mit seiner Familie in der Neustadt, wo am 14. Februar 1897 Bertha in der Fuhlentwiete ihren jüngsten Sohn, Arthur, zur Welt brachte. 1904 zog die Familie ins Hertz Joseph Levy-Stift, Großneumarkt 56, eine Wohnanlage für Juden mit geringem Einkommen. Hier lebten sie bis zur Auswanderung in die USA und hier wurde 1909 als Nachkömmling ihre einzige Tochter, Rosie, geboren. Ludwig nahm die Pflichten als Erstgeborener wahr und meldete die Todesfälle seiner Eltern Jacob und Adelheid Glaser, der Schwester Julchen und später seiner Schwägerin Emma beim Standesamt. Sein Beruf lautete Händler oder Kaufmann, ohne eine genauere Bezeichnung.

Albert und Emma Glaser schickten ihren Sohn Manfred zum 1. September 1909 nach Hamburg in die Lehre bei der Im- und Exportfirma Paul W. Ornstein, Hohe Bleichen 20. Im Jahr davor war Emma Glaser schon einmal in Hamburg gewesen, zur Behandlung im Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf. Sie kehrte bis 1913 noch fünf Mal aus demselben Grund zurück. Nach ihrer Entlassung blieb sie einige Male bei einem Geschäftsfreund (S. Behrend in der Heinrich-Barth-Straße 6), wohnte aber nie bei ihren Verwandten. Wo Manfred unterkam, ist nicht bekannt.

1914 kehrte die Familie von Flensburg nach Hamburg zurück und ließ sich im Grindelviertel nieder. Im Dezember 1914 rückte Manfred Glaser zum Kaiserlichen Heer ein und erlitt 1915 bei einem Einsatz als Minenwerfer einen dauerhaften Ohrschaden, ohne deswegen als wehruntüchtig zu gelten. Nach Ende des Ersten Weltkriegs kehrte er nach Hamburg zurück und machte sich als Handelsvertreter und später als Möbelgroßhändler selbstständig. Die Großmutter Adelheid Glaser starb am 27. Februar 1916 in ihrer Wohnung Beneckestraße 20 und wurde neben ihrem Ehemann auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt.

Albert Glaser hatte zunächst eine Wohnung in der Dillstraße 21 gemietet und zog 1916 in den Grindelberg 77, was für die nächsten siebzehn Jahre sein Wohnsitz blieb. Als Möbelhändler war es ihm ein Leichtes, die große Wohnung mit wertvollem Mobiliar und Hausrat auszustatten, und das Einkommen reichte, um ein Hausmädchen zu beschäftigen. Am 17. Mai 1918 trat er auf Veranlassung von Rabbiner Wolf S. Jacobson als steuerpflichtiges Mitglied in die Deutsch-Israelitische Gemeinde ein und schloss sich dem Synagogenverband an.

Ausgestattet mit einer Aussteuer, heiratete Paula Glaser am 30. Dezember 1920 in Hamburg den Ingenieur Gustav Brockmann, geb. 8. Mai 1893 in Flensburg. Sein Vater war Beamter einer Krankenkasse und nicht jüdisch. Gustav Brockmann bis dahin als Untermieter in der Schäferkampsallee 24. Albert Glaser hatte seine Ingenieursausbildung finanziell unterstützt und fungierte nun bei der Trauung zusammen mit Gustavs Vater, der nach wie vor in Flensburg lebte, als Trauzeuge. Paula zog zu ihrem Ehemann, bis der sich mit einem eigenen Betrieb in der Grenzstraße 17 selbstständig machte. Als sie eine Wohnung in der Lohmühlenstraße 111 (1939 in Esmarchstraße umbenannt) in Altona nahmen, schloss sich Paula offenbar der dortigen jüdischen Gemeinde an.

Die Verbindung zu Friedrichstadt setzte sich in Manfred Glasers eigener Familie fort. Er heiratete am 22. Juni 1923 in Hamburg die gleichaltrige Minna Josias, geb. 23. Oktober 1894 in Friedrichstadt. Sie hatte zuvor in vielen Hamburger Haushalten als "Stütze" und als Köchin gearbeitet und führte sie den Haushalt ihrer eigenen Familie. Am 10. August 1924 wurde ihre Tochter Ilse geboren, 1925 traten sie und ihr Ehemann der jüdischen Gemeinde bei. Ihr einziger Sohn, Heinz, kam am 9. März 1927 zur Welt. Fünf Monate später, am 31. August 1927, starb Emma Glaser. Sie litt an Bronchialasthma und war deswegen seit 1919 in ärztlicher Behandlung. Nun erlag sie zuhause einer Herzinsuffizienz. Auch ihren Tod zeigte ihr Schwager Ludwig Glaser beim Standesamt an. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf in dem für sie und ihren Ehemann Albert vorgesehenen Doppelgrab beigesetzt

Albert Glaser heiratete ein zweites Mal. 1928 ging er die Ehe mit Rebecka Rieke, geb. Kapost, geb. 16. August 1879 in Schweich an der Mosel, ein. Wo sie sich kennen gelernt und geheiratet haben, ist nicht bekannt. Rebecka, genannt Becky, hatte eine jüngere Schwester, Sophie Louise, geb. 15. September 1880 in Schweich, die in Berlin lebte, und einen jüngeren Bruder, Hermann, geb. 2. Januar 1882 in Esens in Ostfriesland, der noch in Hannover wohnte, wohin die Familie nach der Pensionierung des Vaters gezogen war. Sie waren die einzigen Kinder einer großen Geschwisterschar, die die frühe Kindheit überlebt hatten. Ihr Vater, Joseph Kapost, stammte aus der Gegend von Vilnius, ihre Mutter Mathilde war eine geborene Grünspan. (Ob eine Verwandtschaft mit der Familie Herschel Grünspans/Grynszpans bestand, ließ sich nicht klären.)

Obwohl Gustav Brockmann kein Jude war, litt sein Geschäft durch die Boykottaufrufe, die von der NS-Regierung unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 ausgingen. Seine Ehefrau Paula wechselte zur Hamburger jüdischen Gemeinde, wo sie ab 1. April 1934 besteuert wurde. Die Quelle ihres Einkommens ist nicht bekannt. Post an sie verschickte die Gemeinde in neutralen Briefumschlägen.

Beckys Vater Joseph Kapost hatte das jüdische Lehrerseminar in Hannover absolviert und wurde als Elementarlehrer, Vorbeter und Schächter 1876 von der jüdischen Gemeinde Wittmund in Ostfriesland auf ein Jahr bei dreimonatiger Kündigung eingestellt. Die Stelle wurde um ein Jahr verlängert. Seine nächste Anstellung hatte er in Schweich, wo die Töchter Rebecka und Sophie geboren wurden. Er bewarb sich auf eine Ausschreibung in der Zeitung "Der Israelit" für eine entsprechende Stelle in Esens unweit von Wittmund und trat sie am 8. April 1881 an. Als er 1895 pensioniert wurde, hatten Rebecka und Sophie ihre Schulpflicht bereits erfüllt.

Hermann Kapost beendete seine Schulbildung auf der jüdischen Mittelschule in Hannover. Daran anschließend besuchte er eine Handelsschule. Von Kindheit an schwächlich und 149 cm groß, wurde er nicht zum Militärdienst herangezogen. Er wäre gern wie sein Vater Lehrer geworden, nahm zunächst aber eine Tätigkeit als Volontär in einem Handelsgeschäft an, bereitete sich daneben auf die Aufnahmeprüfung im Lehrerseminar vor, konnte dann aber die Ausbildung nicht fortsetzen, weil er lungenkrank wurde. Nach seiner Genesung suchte er in Hannover und andernorts Anstellungen im Kaufmännischen. Sie wurden mehrfach unter- oder abgebrochen durch Krankenhaus- und Kuraufenthalte, z.B. in Bad Soden, St. Blasien, Meran und in Hannover selbst. Nachdem er zuletzt als Buchhalter gearbeitet hatte und erwerbslos geworden war, machte er sich mit einer Schreibstube selbstständig und schlug sich mit Heimarbeit durch. Er schrieb Adressen, Werbematerial, gab Unterricht in Stenographie und in den Handelsfächern, kassierte gegen Provision Beiträge für verschiedene jüdische Vereine. Ob Rebecka und Sophie Kapost wie er eine Berufsausbildung erhielten, ließ sich nicht in Erfahrung bringen. Die Familie führte ein orthodoxes, rituelles Leben.

Joseph Kapost starb 71-jährig am 11. Juli 1921 im Israelitischen Krankenhaus in Hannover, seine Witwe Mathilde blieb mit ihrem Sohn Hermann in der elterlichen Wohnung Wiesenstraße 31 wohnen. Sie ergänzten ihr geringes Einkommen durch die Vermietung von Zimmern. Nachdem Hermann aus der Arbeitslosen- und Krankenversicherung ausgesteuert worden war, d.h. keine Leistungen mehr erhielt, bekam er ergänzende Fürsorgeunterstützung. Nach einem Nervenzusammenbruch wurde Mathilde Kapost der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim untergebracht, wo sie am 4. Mai 1930 im Alter von 75 Jahren starb.

Von Kindheit an magenleidend, fand es Hermann Kapost zunehmend schwierig, Diät und rituelle Regeln einzuhalten, weshalb er die Pessachfeiertage 1929 bei seiner Schwester Rebecka und seinem Schwager Albert Glaser in Hamburg verbrachte, die ihn gut versorgten. Gleichwohl erkrankte er an einer Angina und wurde im Israelitischen Krankenhaus aufgenommen. Die Kosten in Höhe von 201,60 RM konnten weder er noch sein Schwager begleichen. Er hatte den Aufenthalt auch benutzt, um sich nach einer Arbeitsstelle umzusehen, was erfolglos war, und er kehrte nach Hannover zurück. Da er dort seinen Wohnsitz hatte, war die Hamburger Fürsorge nicht bereit, die Kosten zu übernehmen.

Nach der "Machtergreifung" Hitlers im Januar 1933 sah Manfred Glaser keine Zukunft mehr in Deutschland und emigrierte mit seiner Familie noch im Herbst des Jahres nach Palästina. Ob er nach seiner Auswanderung Kontakt zu seiner Familie in Hamburg hielt und ob Vater und Schwester ebenfalls emigrieren wollten, ist nicht bekannt.

Albert Glasers Geschäfte waren schon seit der Weltwirtschaftskrise rückläufig und verschlechterten sich infolge des Boykottaufrufs der NS-Regierung weiter. Hatte er bis 1934 ein geregeltes, wenn auch sinkendes Einkommen erzielt, so war er 1935 und 1936 von Steuern und Gemeindebeiträgen freigestellt und zahlte nur noch 1937 einmalig einen Betrag an die jüdische Gemeinde von 3,36 Reichsmark. 1936 wurde ihm der Gewerbeschein entzogen, dennoch hoffte er, als Vertreter seinen Lebensunterhalt sichern zu können. Das gelang ihm nicht, weshalb er Zimmer vermietete, bis er mit seiner Frau in seiner 5 ½-Zimmerwohnung nur noch zwei Räume bewohnte und außerdem Möbel und Hausrat verkaufte.

Rebecka und Albert Glaser waren trotz beengter Verhältnisse bereit, dem Bruder und Schwager Hermann Kapost zu helfen, der sich weder gesundheitlich noch beruflich erholt hatte. Als er an der Jahreswende 1935/1936 schwer an einem Magengeschwür litt, reiste er aus Hannover an und kam für einige Tage bei ihnen unter, bis das Israelitische Krankenhaus ihn ab 28. Januar für zehn Tage aufnahm. Mit Datum vom 29. Januar 1935 wurde er als Mitglied der jüdischen Gemeinde geführt. Er meldete sich nun bei der Wohlfahrtsbehörde und beantragte laufende Unterstützung. In Hamburg galt wegen der großen Arbeitslosigkeit seit August 1934 eine Zuzugssperre für Arbeitsuchende. Da Hermann Kapost noch in Hannover gemeldet war, wurde er jedoch an die dortige Wohlfahrtsstelle verwiesen, weigerte sich aber, dorthin zurück zu kehren mit der Begründung, dass er bei seiner Schwester besser gepflegt werden könne. Er wurde als "planlos Zugezogener" angesehen, der den niedrigsten Unterhaltssatz erhielt. Obwohl er bei seiner Aufnahme nicht arbeitsfähig war, ging er zur Stempelkontrolle zum Arbeitsamt. Im Mai 1935 stattete ihm eine Fürsorgerin einen Hausbesuch ab. Sie stellte fest, dass er weder eine Rente noch Nebeneinnahmen erhielt und von den 5 RM wöchentlicher Unterhaltszahlung seitens der Fürsorge 4 RM für das möblierte Zimmer zahlte. Sie entschied, dass Hannover verpflichtet sei, für Hermann Kapost aufzukommen, und schloss ihren Bericht damit, "K." sei "als unerwünschte[r] Zuzug zu bezeichnen".

Nachdem Hermann Kapost fünf Monate bei seiner Schwester und seinem Schwager gewohnt hatte, benötigte er eine neue Bleibe. Damit begann eine Folge von mehr als einem Dutzend Umzügen. Es handelte sich durchweg um "Gefälligkeitsaufnahmen" bei einer wöchentlichen Miete von ca. 3 RM. Ihm blieb dabei dennoch nicht genug zum Leben. In der jüdischen Gemeinde konnte er für 15 Pfennig das notwendige Diätessen bekommen. Darüber hinaus lud ihn ab und an seine Schwester zum Essen ein, gab ihm auch gelegentlich Bargeld, ebenso wie ein nicht genannter Freund. Von der jüdischen Gemeinde erhielt er Winterhilfe. Er bemühte sich um Arbeit, auch bei der jüdischen Stellenvermittlung, wo er auf eine Chorsängerstelle hoffte, seine Stimme sich aber als zu schwach erwies, und für eine handwerkliche Ausbildung war er zu alt.

In regelmäßigen Abständen begutachteten ihn Vertrauensärzte und attestierten ihm Erwerbsunfähigkeit oder empfahlen leichte Arbeit. Im August 1935 machte er unter Hinweis darauf seine Rentenansprüche geltend, doch wurden zunächst der Antrag und dann im Mai 1936 der Einspruch abgelehnt, da seine Erwerbsminderung auf lediglich 40 % geschätzt worden war. Inzwischen hatte er ein weiteres Mal im Israelitischen Krankenhaus ein Magengeschwür auskuriert. Das Wohlfahrtsamt erwog seine Ausweisung nach Hannover. Unter Hinweis auf seine "erheblich engere Fühlung zur jüdischen Gemeinde in Hamburg" und auf die Nähe seiner Schwester wurde die Unterstützung fortgesetzt. Die Wohlfahrtsstelle Hannover erklärte sich zur Erstattung der Auslagen an die Hamburger Behörde bereit.

Im April 1936 gaben Albert und Rebecka Glaser ihre Wohnung auf und zogen in eine kleinere Bleibe in der Isestraße 94. Hermann Kapost hatte schon seit Ende 1935 in der Blücherstraße 15 bei Benjamin gewohnt, als er zum 3. Dezember 1936 zum Arbeitseinsatz ("Pflichtarbeit") an drei Tagen pro Woche am Köhlbrand in Waltershof einberufen wurde, die als die leichteste verfügbare Tätigkeit galt. Er musste sie mehrfach wegen Erkrankungen unterbrechen. Es gelang ihm, eine als Aushilfskantor, auch Tempelhelfer oder Tempelgeher genannte Stelle bei der orthodoxen Vereinigung "Kelilath Jofi und Agudath Jescharim" in der Hoheluftchaussee 25 a zu bekommen. Hermann Kapost war sozusagen der zehnte Mann, durch den sichergestellt wurde, dass das Morgen- und Abendgebet stattfinden konnte. Seine Entlohnung betrug 12 RM im Monat. Er bewies seinen Arbeitswillen, indem er eine Mitfahrgelegenheit nach Hannover nutzte, um sich dort bei der jüdischen Gemeinde nach Arbeit umzusehen, was sich als vergeblich erwies.

An der Jahreswende 1937/1938 erkrankte Rebecka Glaser schwer. Während ihres Krankenhausaufenthalts konnte ihr Bruder bei ihrem Mann wohnen. Hermann Kaposts nächster Arbeitseinsatz war in der Kruppstraße in Tiefstack, fünf Tage die Woche. Dadurch erhöhte sich sein Unterhalt auf monatlich 33 RM. Nach drei Wochen brach er unter der schweren Arbeit zusammen. Der Platzleiter beschimpfte ihn und machte ihn verächtlich, doch wurde er ermahnt, dass er Hermann Kapost hätte leichte Arbeit zuweisen sollen.

Am 21. November 1938 erschien Frau Blumann (Gärtnerstraße 33), Hermann Kaposts Wirtin, bei der Fürsorgestelle und teilte mit, dass sie ihn seit dem 10. November nicht mehr gesehen habe und vermute, dass er in Oranienburg in Haft sei. Tatsächlich kehrte er am 21. Dezember von dort zurück. Über etwaige Auflagen ist nichts bekannt. Seine Akte wurde am 18. Februar 1939 der für Juden zuständigen Sonderdienststelle B zur Weiterführung übergeben. Zunächst erhielt Hermann Kapost keinerlei Unterstützung mehr. Zu seinem Lebensunterhalt trug die Ablieferung seiner goldenen Uhr bei, für die er 40 RM erhielt, außerdem halfen ihm Bekannte.

Währenddessen bereiteten Ludwig und Bertha Glaser und ihre Söhne mit den Familien ihre Emigration in die USA vor, die ihnen noch vor dem Eintritt Großbritanniens in den Krieg gelang. Paula und Gustav Brockmann hatten Schikanen durch die Gestapo erlitten und unmittelbare Folgen des Novemberpogroms erlebt. Daraufhin entschied sich Paula Brockmann, mit Wirkung vom 17. April 1939 aus der jüdischen Gemeinde auszuscheiden, ein Versuch, weiteren Repressionen zu entgehen.

Inzwischen war Albert Glaser 70 Jahre alt geworden und ohne Einkommen. Er konnte die Wohnung in der Isestraße nicht mehr halten und zog im September 1939 in die Bornstraße 22, das Louis Levy-Stift, wo Hermann Kapost wieder mit ihnen zusammenwohnen konnte. Wiederum hatten Albert und Rebecka Glaser sich verkleinern müssen. Nach nur vier Monaten zogen sie in das Altenheim der jüdischen Gemeinde in der Blücherstraße 20 in Altona, wo sie eineinhalb Jahre in der Nähe der Tochter Paula lebten. Für nur eine Woche brachte die jüdische Gemeinde sie in dem ehemaligen Auswandererheim in der Westerstraße 27 unter, bevor sie im Mai 1941 ins Altenheim in der Sedanstraße 23 wechselten und so noch einmal ins Grindelviertel zurückkehrten.

Hermann Kapost hatte nun eine Unterkunft in der Opperheimers’s Stiftung in der Kielortallee 22-24 gefunden. Es fehlte die Fürsorge seiner Schwester, er war inzwischen unterernährt und spürte die alten Krankheitserscheinungen wieder, fühlte sich matt und hinfällig und taumelte manchmal auf der Straße, machte einen zerfahrenen und abweisenden Eindruck. Offenbar kehrte er besuchsweise in die Bornstraße 22 zurück, wo er am 28. Juli 1941 dem Gemeindepfleger Heinemann auffiel. Der sorgte dafür, dass er zur Feststellung seines Gesundheitszustandes in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn überwiesen wurde. Zu dem Zeitpunkt gab es nur einzelne jüdische Patienten und Patientinnen in der Anstalt. Zum 23. September 1940 waren aus Norddeutschland 136 jüdische Kranke dort zusammengezogen und zur Vergasung nach Brandenburg transportiert worden. Mit Runderlass des Reichsinnenministers vom 12. Dezember 1940 mussten "geisteskranke Juden" von da an in der Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn bei Koblenz untergebracht werden.

Bei der Aufnahme gab Hermann Kapost sachlich richtige Auskunft, erwähnte seine KZ-Haft in Sachsenhausen/Oranienburg "im Anschluss an den Fall Grünspan", und erst allmählich sprach er von Verleumdungen, mit denen ihm der Garaus gemacht werden solle: Er treibe "Rassenschande" und habe andere bestohlen. "An verschiedenen Straßenecken höre er einen Singsang, durch den er verspottet werde mit ‚der kleine Jude’, ‚Schnorrer’, usw. Von Personen werde er nicht beschimpft, das komme alles durch die Luft." Er beschuldigte seine Verwandten und Gemeindemitglieder und erklärte sich unschuldig gegenüber allen Anschuldigungen.

Zehn Tage hielten die Halluzinationen an, die ihm Angst vor der Staatsanwaltschaft, dem Zuchthaus, einer "Verschickung" machten, die ihn zum Weinen und um den Schlaf brachten. Dann wurde er ruhiger, verbrachte den Tag im Tagesraum, las Zeitung, unterhielt sich mit anderen Patienten und schlief gut. Das ging so zwei Monate lang. Währenddessen wurde eine Abwesenheitspflegschaft für ihn eingerichtet, die sich auf Personenrechtsangelegenheiten beschränkte.

Die Patientenakte endet mit dem Eintrag am 13. November 1941 "Steht weiter unter dem Einfluss lebhafter Sinnestäuschungen" und dem Vermerk vom 17. November "Ungeheilt verlegt nach Heilanstalt Sayn". Zusammen mit der Patientin Anna Cohn wurde er dorthin verlegt. Ob es danach noch Kontakte zu seinen Angehörigen in Hamburg oder zu seiner Schwester in Berlin gab, ist nicht bekannt.

Die Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn ging zurück auf die Jacoby’sche Anstalt, eine von vier Anstalten, die im 19. Jahrhundert als "Heil- und Pflegeanstalten für Nerven- und Gemütskranke" in Bendorf gegründet wurden und sich nach Sayn ausweiteten. Die Jacoby’sche Anstalt war um 1870 von Meier Jacoby für die Versorgung jüdischer Kranker unter Einhaltung orthodoxer Vorschriften gegründet worden, was in den drei anderen Anstalten nicht gewährleistet war. Sie überstand dank eines 1903 gegründeten Hilfsvereins als einzige die Inflationszeit. In ihr wurden nicht nur wohlhabende Privatpatienten und -patientinnen aufgenommen, sondern auch von der Fürsorge unterhaltene Kranke. Mit der Maßgabe einer Erweiterung wurde die Anstalt am 1. April 1940 an die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" übergeben, die Bettenzahl wurde von 190 auf 474 erhöht. Am 22. März 1942 begannen die Deportationen der Kranken aus Sayn, wie die Anstalt abgekürzt hieß, mit 93 Patienten und Patientinnen.

Der zweite Aachen-Koblenzer Transport mit 770 - 1000 Personen verließ Koblenz am 30. April 1942 und war bis zum 3. Mai unterwegs. Ihm waren auch Hermann Kapost, Anna Cohn, Jenny Reich (s. dieselbe) und drei weitere aus Hamburg nach Sayn verlegte Kranke zugewiesen worden. Ursprünglich sollte der Transport nach Trawniki gehen, wurde dann nach Isbicza umdirigiert und endete schließlich in Krasnikow/Krasniczyn bei Lublin, wo die Deportierten ins Getto geschafft wurden. Dort verlieren sich ihre Spuren. Nach drei weiteren Transporten wurde am 11. November 1942 die Heil- und Pflegeanstalt Sayn der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland aufgelöst und als Reservelazarett bereitgehalten.

Sophie Kaposts Leben endete im Vernichtungslager Sobibor, wohin sie am 13. Juni 1942 von Berlin deportiert worden war.

In Hamburg wurden Albert und Rebecka Glaser am 8. September 1942 wegen ihres schlechten Gesundheitszustands getrennt untergebracht. Rebecka kam in das Pflegeheim der jüdischen Gemeinde Grünestraße 5 in Altona, Albert blieb "am Grindel" in der Beneckestraße 6, der ehemaligen Gemeindeverwaltung. Sie wurden gemeinsam am 9. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert, wo der Transport drei Tage später eintraf. Rebecka litt an einer Altersdepression, wie es hieß, und starb am 31. August 1943 an einer Brustfellentzündung. Albert Glaser schrieb am 9. Oktober 1943 an seine Tochter und seinen Schwiegersohn: "Meine Lieben, leider hat meine liebe Becky am 31. August für immer ihre Augen geschlossen, wenn sie auch von ihrem langzeitigen Leiden erlöst ist, fehlt sie mir doch überall. … Schreibt doch bitte sofort. Merkwürdig ist, dass Becky am gleichen Tag und im gleichen Alter wie die liebe Mutter gestorben ist." Beide, Emma wie Rebecka Glaser, wurden 64 Jahre alt.

Albert Glaser wurde am 18. Dezember 1943 nach Auschwitz weiter deportiert. Der Transport umfasste 2503 Personen, von denen 488 überlebten. Albert Glaser gehörte zu den Ermordeten. Er wurde 77 Jahre alt.

Epilog

Paula und Gustav Brockmanns Mischehe war kinderlos geblieben, weshalb sie nicht als privilegiert galt. Paula Brockmann flüchtete gelegentlich aus Angst vor der Gestapo zu Bekannten in einem Unterstützerkreis. Während der Luftangriffe im Juli 1943 wurde die Wohnung in der Esmarchstraße zerstört. Brockmanns mieteten ein Zimmer in der Großen Brunnenstraße in Ottensen und ein weiteres bei einer Witwe in Tornesch, wo sie sich nicht anmeldeten. Dort übernachteten sie ab Mitte 1944, um sich dem Zugriff der Gestapo zu entziehen. Gustav Brockmann hatte inzwischen seinen Betrieb verloren und war dienstverpflichtet worden. Am 10. Februar 1945 erhielt Paula Brockmann die Aufforderung "zu einem besonderen Arbeitseinsatz" am 14. Februar, d.h. zur letzten Deportation, die nun die in Mischehen lebendenden Jüdinnen und Juden betraf. Sie entzog sich dieser Auffroderung. Ein Verwandter der Vermieterin in Tornesch, der in Heidgraben bei Uetersen lebte, nahm Paula auf und versteckte sie vor Nachbarn und Behörden. Nach fünf Wochen entschieden Gustav und Paula Glaser mit ihren Wirtsleuten, dass die Gestapo anderes zu tun habe, als nach Paula zu suchen, und sie siedelte nach Tornesch über. Dort erlebte sie die Befreiung.

Stand: August 2017
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 3; 4; 5; 7; 9; StaH 232-5, AG Hamburg - Vormundschaftswesen, 892; 332-5 Standesämter, 639-593/1910 StA 2a, 2727-624/1888 StA 2, 8743-909/1920 StA 3, 8779-363/1923 StA 3; 332-7 B I a Staatsangehörigkeitsaufsicht, 1860 Nr. 1023; 351-11 AfW, 14665, 15046, 15047; 351-14 Fürsorgeakten, 1358; 352-5 Todesbescheinigungen, 1903 StA 2 Nr. 690, 1910 StA 2a Nr. 593; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 1995/1, 28822; JFHH (A 10-506), (0 2 – 299), (ZZ 10-445); Stadtarchiv Friedrichstadt, Standesamt Friedrichstadt Nr. 13/1891; de/namelist.php?ofb=juden_nw&lang=de&modus=fabian&nachname=KAPOST;
http://www.alemannia-judaica.de/esens_synagoge.htm#Aus%20der%20Geschichte%20der%20j%C3%BCdischen%20Lehrer, Zugriff: 27.1.2017; freundliche Mitteilungen von Cornelia Bosler-Meister.
Zur Nummerierung häufig genutzter Qeullen siehe Link "Recherche und Quellen".

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