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Camilla Gembicki, Brustbild
Camilla Gembicki
© Privat

Camilla Gembicki (geborene Kemlinski) * 1878

Mundsburger Damm 1 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)

1941 Riga

Weitere Stolpersteine in Mundsburger Damm 1:
Toni Kemlinski, Heinrich Kemlinski, Gerd Hermann Schwab, Herma Schwab, Kurt Schwab

Camilla Gembicki, geb. Kemlinski, geb. am 21.6.1878 Straßburg, deportiert am 6.12.1941 in das Getto Riga, dort umgekommen
Toni Kemlinski, geb. am 2.5.1876 in Straßburg, deportiert am 6.12.1941 in das Getto Riga, dort umgekommen
Heinrich Max Kemlinski, geb. am 8.8.1904 Hamburg, deportiert am 1.9.1941 in das KZ Flossenbürg, dort am 9.4.1942 umgekommen
Gerd Hermann Schwab, geb. am 22.2.1929 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 in das Getto Riga, dort umgekommen
Herma Schwab, geb. am 30.1.1927 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 in das Getto Riga, dort umgekommen
Kurt Schwab, geb. am 8.3.1892 in Meiningen, 1939 Flucht in die Schweiz, von dort nach Belgien, interniert in Mecheln, deportiert am 18.8.1942 in das KZ und Vernichtungslager Auschwitz, dort ermordet

Mundsburger Damm 1

Camilla und Toni Kemlinski waren zwei von sieben Töchtern des Maier Kemlinski und seiner Ehefrau Hermine. Maier Kemlinski (geboren 1843) stammte aus einem kleinen Ort in der Nähe von Lodz und war der früh verwaiste Sohn eines jüdischen Religionslehrers. Er hatte sich als Kaufmann in Straßburg im Elsass niedergelassen und die dortige orthodoxe Synagoge mit gegründet. Seine Braut Hermine Kemlinski, geborene Strauß (geboren 1854) kam aus dem Großherzogtum Baden und war bei der Heirat 19 Jahre alt. Noch im selben Jahr wurde Jenny geboren (1873), vermutlich im Jahr darauf Leonore (ca. 1874). Es folgten Toni (1876) und Camilla (1878), danach Mindel Meta (1882), Hilda (1886) und Berthe (1889).

Camilla war 20 Jahre alt, als sie am 24. November 1898 in Straßburg Ludwig Gembicki heiratete. Ludwig Gembicki war am 9. November 1877 in Strelno, Landkreis Bromberg, als Sohn des Bankiers Simon Gembicki und Henriette, geborene Ries, zur Welt gekommen. Er hatte drei jüngere Brüder, Wilhelm (geboren 1879), Martin, der als Kleinkind starb, und Erich (geboren 1886). Kurz nach Erichs Geburt starb die Mutter. Simon Gembicki gehörte dem Vorstand der Strelnoer jüdischen Gemeinde an. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Dresden von 1888 bis 1894 studierte Ludwig Gembicki Naturwissenschaften in Breslau, Lausanne und Straßburg und wurde am Chemischen Institut der Universität in Lausanne promoviert. In Straßburg haben Camilla und er sich wahrscheinlich auch kennengelernt. Seine erste Anstellung fand er in Halle/Saale, wechselte aber bald als Mitinhaber der HBS-Farbwerke C. H. Faaß & Dr. Ludwig Gembicki nach Halberstadt. So zogen er und Camilla dorthin. Sie besaß durch ihre Heirat nun die preußische Staatsangehörigkeit ihres Ehemanns.

In Halberstadt lebte inzwischen auch Camillas Schwester Toni. Sie hatte vier Wochen nach ihrer Schwester ebenfalls in Straßburg geheiratet – den aus Memel gebürtigen Bankier Lewin/Leo Feinberg, der als Bankangestellter in Halberstadt arbeitete. In der damals sächsischen Stadt lebten die beiden Schwestern mit ihren Ehemännern bis 1902 und blieben auch danach so gut wie unzertrennlich.

Am 14. September 1899 brachte Camilla Gembicki in Halberstadt ihr erstes Kind zur Welt, den Sohn Siegfried. 1902 zog die Familie nach Hamburg, genauer, nach Eppendorf in den Abendrothsweg 75. In der Hansestadt wollte sich Ludwig Gembicki zusammen mit seinen Brüdern Wilhelm und Erich eine selbstständige Existenz aufbauen.

Am 19. August 1903 wurde in Hamburg Camilla und Ludwig Gembickis zweites Kind geboren, die Tochter Lizzi Harriet Hildegard. Ludwig Gembicki hatte zu der Zeit eine technische und operative Ausbildung bei einem Zahnarzt absolviert und ein halbes Jahr lang bei einem Dentisten gearbeitet. Sein Wunsch, an einer deutschen Universität Zahnmedizin unter Anrechnung seines Chemiestudiums studieren zu können, erfüllte sich jedoch zunächst nicht. Parallel zu seiner praktischen Ausbildung hatte er zudem einen Arzneimittelhandel für Ärzte und Zahnärzte aufgebaut. Als Chemiker entwickelte er Zahnheilpräparate und produzierte zahnärztliche Instrumente, um sie zusammen mit Markenfabrikaten zu vertreiben. Zum 1. Oktober 1903 meldete er ein Gewerbe als Zahnbehandler an. Die Geschäftsräume, als "Dental-Depot" bezeichnet, lagen in der Kaiser-Wilhelm-Straße 3 und wurden durch Schilder wie "Dr. Ludwig Gembicki, Künstliche Zähne. Gaumenloser Zahnersatz" "Plombieren, Zahnoperationen schmerzlos", "Poli-Klinik für Zahnleidende" sowie "P. Vorpahl. American Dentist" angezeigt. Alleiniger Inhaber der im Handelsregister unter dem Namen Ludwig Gembicki eingetragenen Firma war Wilhelm Gembicki. Er beteiligte sich jedoch nicht an geschäftlichen Abläufen, im Unterschied zu dem dritten Bruder, Emil Gembicki.

Schon im Dezember 1903 wurde die Polizei auf Ludwig Gembickis Firma aufmerksam. Sein Doktortitel im Zusammenhang mit "Zahnpraxis" sei irreführend, da man einen approbierten Zahnarzt erwarte. Außerdem habe es Hinweise gegeben, dass er selbst Behandlungen durchführe. Das trug ihm im Mai 1904 wegen Vergehens gegen die Gewerbeordnung eine Verurteilung zu einer Strafe von 50 Reichsmark ein, ersatzweise 5 Tagen Haft.

Wahrscheinlich ebenfalls 1902 war Camillas Schwester Toni nach Hamburg gekommen. Ihr Mann Leo Feinberg und sie hatten sich nach knapp vier Jahren Ehe getrennt. 1903 wurde Leo Feinberg unter anderem wegen "der Verleitung zum Börsenspiel unter Ausnutzung der Unerfahrenheit von Leuten (Landwirten), bei denen Börsengeschäfte nicht zum Betrieb gehörten" sowie wegen "betrügerischen Bankrotts" in Halberstadt zu fünf Jahren Zuchthaus unter Anrechnung von sechs Monaten Untersuchungshaft, 3000 Mark Geldstrafe und 10 Jahre Ehrverlust verurteilt. Toni Kemlinski hatte zunächst in Hamburg eine zahnpraktische Ausbildung absolviert und arbeitete inzwischen als Assistentin in der Firma ihrer Schwäger. Am 1. April 1904 zog sie zu Camilla, die inzwischen mit ihrer Familie in St. Georg wohnte, am Steintorweg 6. Leo Feinberg siedelte später nach Stuttgart um, wo er auch noch nach dem Ersten Weltkrieg als Bankvertreter tätig war. Am 8. August 1904 brachte Toni Feinberg in der Wohnung der Hebamme Feustel in der Hammerbrookstraße ihren einzigen Sohn zur Welt, Heinrich Max. Nach zehn Tagen kehrte sie zu Camilla und deren Familie an den Steintorweg zurück. Heinrich war ein uneheliches Kind und Toni gab ihn zu Pflegeeltern, einer Anstreicherfamilie. Er selbst nahm an, dass sein Onkel Ludwig Gembicki sein Vater war – dass diese Annahme stimmte, geht aus späteren Gerichtsakten hervor. Im Jahr darauf starb in Straßburg Camillas und Tonis Vater Maier Kemlinski.

Ludwig Gembicki stand wegen möglicher Verstöße gegen die Gewerbeordnung ständig unter Beobachtung und gab seine Behandlungstätigkeit schließlich am 11. April 1906 auf. Er zog mit Camilla, den beiden Kindern und seiner Schwägerin Toni auf die Uhlenhorst in eine Parterrewohnung am Mundsburger Damm 23. Am 1. Oktober 1907 meldete er unter dieser Adresse erneut ein Gewerbe an. Zusammen mit seiner Schwägerin Toni Feinberg baute er eine gemeinsame Praxis auf. Während sie die Zahnbehandlungen übernahm, oblag ihm das Kaufmännische.

Tonis Ehe wurde am 9. April 1909 in Naumburg an der Saale geschieden, 1914 nahm sie ihren Mädchennamen wieder an. Mit der Scheidung verbunden war die Feststellung von Heinrichs unehelicher Geburt. Im April 1911 wurde er eingeschult und wechselte 1915 auf die Realschule, die er fünf Jahre später erfolgreich beendete. Danach begann er eine dreijährige Schneiderlehre in Hannover.

Ludwig Gembicki konnte schließlich doch noch ein Studium der Zahnmedizin absolvieren. Am 2. August 1910 erhielt er von der Universität Rostock die Approbationsurkunde, eine Woche später wurde er in die Matrikel der in Hamburg zugelassenen Zahnärzte aufgenommen. Damit begann seine Karriere als anerkannten Zahnarzt, Krankenkassen boten ihm Verträge an.

Etwa um diese Zeit zogen Ludwig und Camilla Gembicki mit ihren Kindern um, in den Graumannsweg 21 in Hohenfelde. Weiterhin praktizierte Ludwig Gembicki in der Wohnung, und wieder zog Toni mit. Gleiches galt für den nächsten Umzug um 1912, zurück auf die Uhlenhorst, in die Birkenau 2. Hier vermietete Ludwig Gembicki einen Raum zu Praxiszwecken an einen approbierten Zahnarzt. Es wiederholten sich die Prüfungen durch die Gewerbeaufsicht, bei denen er jedoch nie angetroffen wurde, da er sich stets auf Geschäftsreise befand. Camilla Gembickis Erklärungen, dass sich ihr Mann auf den Handel mit Instrumenten und Zahnzement beschränke, stellten die Kontrolleure zufrieden.

Camilla Gembicki widmete sich derweilen ihrer Familie und dem Haushalt. Siegfried besuchte die Oberrealschule am Holstentor, war aber ein aufmüpfiger Schüler, der, wie ein Cousin berichtete, den Besuch von Pferderennen dem Unterricht vorzog. Unzugänglich für die Ermahnungen seines Vaters, warf dieser ihn aus dem Haus, doch Camilla hielt den Kontakt zu ihm aufrecht. Der Beginn des Ersten Weltkriegs im Juli 1914 stellte erhebliche Anforderungen an sie. Siegfried, obwohl gerade erst 16 Jahre alt, wurde im Herbst 1915 als Musketier zum Ersatzbataillon Infanterieregiment Hessen-Hamburg eingezogen. Etwa zur gleichen Zeit, am 25. November 1915, brachte sie ihr drittes Kind zur Welt, den Nachkömmling Werner. Sie erhielt Unterstützung von ihrer Mutter Hermine, die noch vor Jahresende 1915 aus Straßburg anreiste und bis April 1918 blieb. Ihre Schwester Toni Kemlinski hatte inzwischen eine Wohnung am Neuen Wall 5 bezogen, in der sie eine zweite gemeinsame Praxis mit Ludwig Gembicki eröffnete. Mit der ersten Praxis zog er 1916 auch noch einmal um: an den Mundsburger Damm 42. Am 12. Februar 1916 war er zudem mit seiner Familie in Hamburg eingebürgert worden.

Lange konnte Ludwig Gembicki am Mundsburger Damm aber nicht praktizieren. Auch er wurde eingezogen, als Militärzahnarzt in Merseburg. Als zudem die bei ihm angestellten Zahntechniker Heeresdienst leisten mussten, stellte sich das Problem, wer die vertraglichen Verpflichtungen mit den sechs Krankenkassen erfüllen würde. Camilla Gembicki, bis dahin kaum im Geschäft tätig, stellte Anträge auf Freistellung, Versetzung, Zurückstellung von möglichen neuen Mitarbeitern, auch für ihren Sohn Siegfried. Doch ohne Erfolg. Toni Kemlinski, ein Assistent und zwei Lehrlinge hielten den Betrieb am Laufen, so lange es ging. Im Juli 1918 erkrankten sowohl Toni als auch der Assistent. Ludwig Gembicki führte in seinem dreiwöchigen Urlaub die Praxis weiter und bemühte sich um Ersatz. Während alle Gesuche auf Überlassung geeigneter Mitarbeiter von den Militärs genehmigt wurden, erkannte das Hamburger Medizinalamt keinen Bedarf. Nur weil der Krieg endete, blieb die Praxis erhalten.

Siegfried Gembicki hatte während des Kriegs ein Notabitur abgelegt. Nach einem Sanatoriumsaufenthalt aufgrund einer schweren Verwundung und einer Tuberkuloseerkrankung kehrte er nach Hamburg zurück, studierte zwei Semester und sammelte praktische Erfahrungen im Bankwesen. Er verließ Hamburg, ohne weiterhin engen Kontakt zu seiner Familie zu pflegen. Sein Leben verlief unstet.

1920 erhielt Toni Kemlinski die Zulassung für alle Krankenkassen, die Zahnarztpraxis am Neuen Wall lief von nun an unter ihrem Namen. Gemessen an dem Einkommen ihres Schwagers, verdiente sie wenig. Als Altersvorsorge erwarb sie ausländische Wertpapiere, vergab Hypotheken und ein privates Darlehen.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 war die seit 1871 zum deutschen Kaiserreich gehörende Region Elsaß-Lothringen kurz unabhängig und fiel dann 1919 an Frankreich. Umgehend wies Frankreich alle Deutschen, die nach 1870 eingewandert waren, sowie deren Nachkommen aus. Dazu gehörte auch Hermine Strauß. Daraufhin zog sie zu ihren Töchtern nach Hamburg. Zu der Zeit waren Ludwig und Camilla Gembicki gerade mit ihren Kindern in die Villa am Mundsburger Damm 1, Ecke Schwanenwik, übergesiedelt. Das Grundstück war 1904 erstmals bebaut und das Gebäude später aufgestockt worden, ab 1926 wurde das zweite Stockwerk vermietet.

Die Villa wurde großbürgerlich ausgestattet, davon vermitteln noch heute der Eingangsbereich und das Treppenhaus einen Eindruck. Der Salon mit einem Bechstein-Flügel, das Herrenzimmer im Florentiner Stil mit Bibliothek und Kunstgegenständen, angefertigt Mitte der 1920er-Jahre bei der Berliner Firma Hess & Rom, das Esszimmer in dunkler Eiche, das Wohnzimmer in heller Eiche mit einer weiteren Bibliothek und die Garderobe nahmen das Parterre ein. Im Souterrain lagen die Küche mit Eisschrank und Waschmaschine sowie das Mädchenzimmer, im 1. Stock das im Rokokostil eingerichtete Schlafzimmer und das Bad, außerdem ein Wohn-Schlafzimmer, im 2. Stock schließlich befand sich ein weiterer Wohnraum. Sitzecken, Schreib-, Spiel- und andere Tische gliederten die großen Räume. Vor den Fenstern hingen schwere Stores und Vorhänge, vor den Türen schwere Portieren, auf den Fußböden lagen Orientteppiche. Personal entlastete die Hausfrau. Eine der Frauen, die das "Mädchenzimmer" bewohnten, war die Köchin Henriette Voss. Sie wurde später Wirtschaftsleiterin des Israelitischen Krankenhauses und Siechenheims in der Johnsallee 68. Dort erinnert ein Stolperstein an sie (s. www.stolpersteine-hamburg.de). Seinem Lebensstandard entsprechend, reiste das Ehepaar Gembicki auch.

In den Inflationsjahren 1922 und 1923 erwarb Ludwig Gembicki eine Reihe von Grundstücken, vor allem in der Neustadt. Der jüngste Sohn Werner ging inzwischen zur Schule. 1922 verließ Camillas und Tonis Mutter Hermine Kemlinski Hamburg wieder und zog nach Frankfurt. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie bei ihren drei jüngeren Töchtern Mindel Meta, Hilda und Berthe in Lausanne. Sie starb 1930 und wurde bei ihrem Ehemann in Straßburg beigesetzt.

Die Brüder Gembicki und Toni Kemlinski betrachteten sich zwar als "Dissidenten", die keiner Religionsgemeinschaft angehörten, traten aber dennoch in den 1920er-Jahren der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg bei: Toni Kemlinski 1924, Ludwig Gembicki mit seiner Familie 1927.

Am 7. März 1926 heiratete Camilla und Ludwig Gembickis Tochter Lizzi den ebenfalls jüdischen kaufmännischen Angestellten Kurt Schwab. Die Hochzeit wurde im Hotel Tannenhof in Baden-Baden gefeiert, damit die Verwandten aus der Schweiz daran teilnehmen konnten.

Kurt Schwab, geboren am 8.3.1892, stammte aus einer Familie von Viehhändlern in Berkach/Thüringen. Er war der zweite Sohn von Hermann Schwab und dessen Ehefrau Emma, geborene Holländer, und kam wie schon sein älterer Bruder Fritz (geboren 1891) in Meiningen zur Welt. Noch im Jahr von Kurts Geburt zog Familie Schwab nach Halle an der Saale um, wo als Nachkömmling 1897 Ilse-Bella geboren wurde. Hermann Schwab gründete in Halle zusammen mit seinem Bruder Max und dem Schwager Adolf Holländer die Gebrüder Schwab OHG. Sie handelten vor allem mit Pferden und Ochsen und belieferten unter anderem im Ersten Weltkrieg das kaiserliche Heer mit Pferden. Die Erträge aus diesem Geschäft gestatteten ihnen den Erwerb von landwirtschaftlichem Grundbesitz in Halle, Berlin und Hartenholm bei Bad Segeberg. Kurt und Fritz Schwab besuchten bis zur mittleren Reife das Stadtgymnasium in Halle. Sie nahmen als Offiziere am Ersten Weltkrieg teil und dienten im Thüringischen Husarenregiment 12. Später wurde Kurt im Feldartillerie-Regiment 36 eingesetzt und mit dem Ehrenkreuz für Frontkämpfer 2. Klasse sowie dem Meininger Verdienstkreuz ausgezeichnet. Bei einem Artillerieeinsatz erlitt er einen lebenslang andauernden Gehörschaden. Ihm gefiel es, bei Familienfesten in der Husaren-Paradeuniform aufzutreten.

1919 beteiligte sich Kurt Schwab an einer Demonstration gegen Kommunisten in Halle, bei der einer seiner Cousins erschossen wurde. Als Mitglied eines Zeitfreiwilligen-Regiments nahm er im folgenden Jahr am Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik im Braunkohlegebiet Eisleben teil. Danach betreute er den Landbesitz der Firma Gebrüder Schwab OHG in Berlin und Hartenholm. 1922 zog er zu seinen Eltern, die ihren Wohnsitz nach Hamburg verlegt hatten. Sie wohnten in der ehemaligen Stadtvilla der Ballins in der Heilwigstraße 45 in Eppendorf. Marianne Ballin, die Witwe des Reeders Albert Ballin, hatte ihnen das imposante Gebäude verkauft. Sie blieb in der ersten Etage wohnen, während die neuen Besitzer im Erdgeschoss in den Möbeln der früheren Eigentümer lebten. In Hamburg lernte Kurt Schwab wahrscheinlich auch seine künftige Frau Lizzy kennen. Nach der Hochzeit lebten beide bei Lizzis Eltern Camilla und Ludwig Gembicki am Mundsburger Damm 1. Am 30. Januar 1927 wurde ihre Tochter Herma Schwab geboren, sie hieß nach Kurts Vater Hermann. Drei Tage später starb dieser im Alter von 64 Jahren. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf in einem Doppelgrab beerdigt.

Hermann Schwab hinterließ ein großes Vermögen unter Verwaltung eines Testamentsvollstreckers. So wollte er den Pflichtteil des ältesten Sohnes Fritz sichern, der sich hoch verschuldet hatte. Kurts und Fritz’ Mutter Emma konnte über ihren Anteil am Erbe frei verfügen. Sie quartierte sich 1930 in Hamburg im Hotel Esplanade am Stephansplatz ein und blieb dort die nächsten Jahre wohnen. Am 22. Februar 1929 wurde Lizzi und Kurt Schwabs zweites Kind geboren, Gerd Hermann Schwab. Nun hatten Camilla und Ludwig Gembicki ein weiteres Enkelkind. Beruflich trat Kurt erst als Aquisiteur, dann als Prokurist in das Bankhaus List & Co. ein, ein Zwei-Mann-Betrieb mit Ernst List als Geschäftsführer.

In dem Jahr, in dem Lizzi Schwab ihr zweites Kind zur Welt brachte, machte sich ihr Halbbruder Heinrich Kemlinski als Schneider selbstständig. Er hatte in Hannover die Lehre durchlaufen, als Geselle gearbeitet und 1925 die Zuschneiderschule in Hellenthal in der Eifel besucht. Dort meldete er sich am 17. Juli 1926 ab und kehrte als Geselle nach Hannover zurück. Zwei Jahre später, am 3. August 1928, zog er nach Ludweiler im Saarland, wo er sich im Jahr darauf beruflich auf eigene Füße stellte.

Am 12. Juli 1929 erfolgte der bis dahin stärkste Einschnitt im Leben der Familien Gembicki, Kemlinski und Schwab. Ludwig Gembicki starb im Alter von nur 52 Jahren in seiner Wohnung am Mundsburger Damm 1 an einem Herzinfarkt. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt, seine Familie wählte für ihn ein repräsentatives Grabmal. Seiner Frau Camilla hinterließ er Wertpapiere und Grundstücke, von deren Belastungen sie nichts wusste. Der gemeinsame Sohn Werner, der beim Tod seines Vaters erst 13 Jahre alt war, erhielt einen Vormund. Toni Kemlinski gab ihre Wohnung im Neuen Wall auf und kehrte zu ihrer Schwester an den Mundsburger Damm zurück.

Tonis eigener Sohn Heinrich Kemlinski war im November 1932 von Ludweiler nach Geislautern, heute Völklingen, gezogen und hatte dort am 25. März 1933 geheiratet. Seine Ehefrau war die sieben Jahre jüngere, nichtjüdische Anna Katharina Hecktor, geboren am 14. Juni 1912 in Geislautern. Als Heinrichs Schneidergeschäft immer schlechter lief und er sich verschuldete, beging er mehrere kleine Delikte. Angesichts der drohenden polizeilichen Verfolgung erwog er, sich über die Grenze nach Frankreich abzusetzen. Stattdessen reiste er aber zu seiner Mutter nach Hamburg, um sie um 200 bis 300 Reichsmark zur Begleichung der Schulden zu bitten. Sie wies ihn ab, gab ihm jedoch das Geld für die Rückfahrt und verleugnete ihn gegenüber der Polizei, die ihm auf der Spur war. Anstatt zurückzufahren, ging Heinrich zu seinen Pflegeeltern in Hamburg, die ihn aufnahmen und versorgten. 1937 wurde er wegen Betrugs, Diebstahls und Unterschlagung zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren und acht Wochen verurteilt, die er zunächst in Saarbrücken und ab August 1937 in Frankfurt-Preungesheim verbüßte. In seiner Häftlingsakte wurde am 4. Mai 1938 seine Führung als gut bezeichnet.

Sein Cousin, Camillas jüngster Sohn Werner, besuchte noch das Johanneum, als sein Vater Ludwig Gembicki starb. Dort legte er auch das Abitur ab. Er wollte Jurist werden, doch nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 erschwerten die Einschränkungen, denen jüdische Studentinnen und Studenten ausgesetzt waren, die Ausführung dieses Vorhabens zunehmend. So entschied er sich stattdessen für den Kaufmannsberuf und trat als Angestellter in eine Ledergroßhandlung ein. Am 14. Juni 1935 ließ er sich als eigenständiges Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg registrieren. Der Zeitpunkt seines Eintritts fiel ungefähr mit seiner Heirat mit der gleichaltrigen Vera Cohn, geboren am 15.6.1915 in Frankfurt/Main, zusammen. Sie hatten sich im jüdischen Tennisclub in Hamburg kennen gelernt. Zeitweilig wohnten sie ebenfalls in der Villa Mundsburger Damm 1, wo am 8. August 1937 auch ihr Sohn Peter Ludwig geboren wurde.

Kurt und Lizzi Schwab waren mit ihren Kindern nach Berlin gezogen, kehrten aber 1931 wieder in den Mundsburger Damm 1 zurück. Ihre Tochter Herma besuchte 1934/35 die Mädchenschule Averhoffstraße auf der Uhlenhorst, ihr Sohn Gerd wurde 1935 in die private Bertram-Schule eingeschult.

Kurt Schwab und sein Kompagnon Ernst List hatten in der Weltwirtschaftskrise Verluste erlitten und suchten nach neuen Geschäftsmöglichkeiten. Dabei verfielen sie gemeinsam mit einem Mitarbeiter der niederländischen Großbank M. van Embden auf illegale Wertpapiergeschäfte. Sobald ihre Verluste und Verpflichtungen aus den früheren Börsenengagements gedeckt wären, wollten sie aus diesen Geschäften wieder aussteigen. Doch die Zollfahndungsstelle Hamburg kam ihnen auf die Spur und inhaftierte sie sowie zwei Mittelsmänner am 21. November 1935. Fünf Wochen später verurteilte ein Schnellgericht sie wegen Devisenvergehens zu je drei Jahren Zuchthaus plus einer Geldstrafe von 300.000 Reichsmark, ersatzweise zusätzlich fünf Monate Gefängnis. Außerdem wurde ihnen die Ausübung des Bankgewerbes für fünf Jahre verboten. Unter Anrechnung der Untersuchungshaft wurde der Entlassungstermin auf den 9. November 1938, 16.55 Uhr, festgesetzt.

Kurt Schwab trat seine Haft am 6. März 1936 im Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel an und wurde am 9. Juli 1937 in das Zuchthaus Bremen-Oslebshausen überstellt. Lizzi Schwab mietete noch 1936 am Pferdemarkt eine Zwei-Zimmer-Wohnung für 45 Reichsmark im Monat. Im selben Jahr wurden die beiden Kinder Herma und Gerd auf jüdische Schulen umgeschult. Herma kam auf die Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in der Karolinenstraße, Gerd auf die Talmud Tora Schule am Grindelhof.

Am 16. Oktober 1937 wandte sich Kurt Schwabs Mutter Emma an die Anstaltsleitung mit der Bitte, ihn für die Teilnahme an der Beerdigung seiner Frau zu beurlauben. Lizzi Schwab war am Tag zuvor an einer Lungenembolie gestorben, im Alter von nur 34 Jahren. Die Bitte wurde abgelehnt. Lizzi Schwab wurde an der Seite ihres Schwiegervaters Hermann auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt.

Lizzi und Kurt Schwabs Kinder Herma und Gerd blieben in der Obhut ihrer Großmutter Camilla Gembicki und erhielten einen Amtsvormund. Im April 1939 wurde die jüdische Mädchenschule mit der Talmud Tora Schule zusammen gelegt. Letztere war bereits im November 1939 in die Karolinenstraße 35 verlegt worden, nachdem die Gebäude im Grindelhof auf Befehl von Reichsstatthalter Karl Kaufmann geräumt werden mussten. Herma und Gerd hatten keine Chance mehr auf einen höheren Schulabschluss – ihre Schule durfte nur noch als Volksschule geführt werden.

Nach mehr als drei Jahren sahen die Kinder ihren Vater im November 1938 wieder; sie waren nun neun und elf Jahre alt. Das Wiedersehen dauerte jedoch nicht lange. Da Kurt Schwab die Geldstrafe nicht zahlen konnte, musste er die Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Er beantragte deren Nichtvollstreckung, was jedoch abgelehnt wurde. Am 19. Dezember 1938 wurde ihm Folgendes unterbreitet: Die Ersatzfreiheitsstrafe werde unter der Bedingung ausgesetzt, dass er das Reichsgebiet innerhalb von drei Monaten verlasse und 7000 Niederländische Gulden zahle. Das entsprach rund 55.000 Euro (Stand 2015).

Diese Summe erhielt Kurt Schwab von seinem Schwager, dem niederländischen Viehhändler Eliazar Pinto. Dieser hatte Kurts ehemalige Viehhandelsfirma Gebrüder Schwab OHG in Halle zusammen mit Kurts Neffen Julius weitergeführt und war mit Kurts Schwester Ilse-Bella verheiratet. Das Ehepaar Pinto hatte dem Verfolgungsdruck des NS-Regimes nachgegeben und plante, in die Niederlande auszuwandern. Kurz vor Kurts Entlassung kamen sie nach Hamburg und wohnten dort zusammen mit Kurt und Ilse-Bellas Mutter Emma Schwab in einer Pension am Schulterblatt 26. Eliazar Pinto stellte seinem Schwager aber nicht nur den erforderlichen Betrag zur Verfügung. Er organisierte auch zusammen mit Emma Schwab die Auswanderung von Kurt und dessen Kindern Herma und Gerd. Die Aufstellung des Umzugsguts zeigt, dass Kurt Schwab erwartete, das gutbürgerliche Leben in der Fremde fortsetzen zu können – mit Tennis und Reiten, dem Ziehharmonikaspielen der Tochter und dem Trix-Baukasten des Sohnes. Sie erhielten Wartenummern für die Erteilung von Visa für die USA und bemühten sich gleichzeitig um Auswanderungsmöglichkeiten nach Panama und Kuba. Panama war bereit, Kurt Schwab aufzunehmen, da er sich einst als Landwirt mit der Verwaltung des Gutes in Hartenholm qualifiziert hatte. Er erhielt die Unbedenklichkeitsbescheinigung für seine Emigration über die Niederlande nach Panama am 30. Dezember 1938 und wurde an die Adresse Schulterblatt 26 entlassen. Das Visum für Panama galt auch für "Frau Schwab". Die Kinder mitzunehmen, wurde ihm jedoch als "Kriminellem" verwehrt. Sie blieben weiter in der Obhut ihrer Großmutter Emma Schwab.

Nachdem seine Schwester Ilse-Bella und ihr Mann Eliazar im Januar 1939 in die Niederlande abgereist waren, zog Kurt Schwab als Untermieter zu Rosenstein in die Haynstraße 8. Aufgrund der Unbedenklichkeitsbescheinigung und durch Hinterlegung einer Kaution von 5000 Schweizer Franken erhielt er eine dreimonatige Aufenthaltsgenehmigung für die Schweiz. Ende März 1939 war er deshalb in der Lage, seinen Bruder Fritz, der aus Prag geflohen war, und dessen Familie in Genf zu treffen. Zwei von Fritz’ drei Kinder konnten durch Vermittlung Eliazar Pintos in die Niederlande ausreisen. Am 26. April 1939 verließen die beiden Brüder Genf – Kurt mit dem Ziel Lyon, Fritz und seine Familie mit dem Ziel Paris. Im September 1939 trafen sich alle jedoch wieder, nun aber in Brüssel.

Kurt Schwab versuchte, seine Kinder nach Belgien zu holen, doch es gelang ihm nicht. Dabei konnte er nachweisen, dass aufgrund der Unterstützung durch die Amsterdamer Verwandten weder sie noch er dem belgischen Staat zur Last fallen würden. Im Mai 1940 wurden Belgien, die Niederlande und Luxemburg von der deutschen Wehrmacht besetzt. Die Gestapo verhaftete Kurt Schwab und verbrachte ihn in die Dossin-Kaserne in Mechelen, die als Sammellager diente. Von dort wurde er mit einem der ersten Transporte am 18. August 1942 nach Auschwitz deportiert. Hier verliert sich seine Lebensspur.

In Hamburg hatte Camilla Gembicki die Villa am Mundsburger Damm 1 aufgeben müssen. Ihr Sohn Werner Gembicki war mit seiner Frau Vera und dem kleinen Peter zu den Schwiegereltern Raphael und Erna Cohn in die Eppendorfer Landstraße 48 gezogen. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde er im KZ Sachsenhausen inhaftiert und mit der Auflage entlassen, innerhalb kurzer Zeit zu emigrieren. Die jüdische Gemeinde sorgte dafür, dass er im Juli 1939 im Kitchener Camp in Kent/Südengland aufgenommen wurde.

Werners letzter Brief, der seine Mutter erreichte, datiert vom Tag vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, also vom 31. August 1939. Seine Schwiegereltern, seine Ehefrau Vera und der Sohn Peter erreichten auf dem Weg über Rotterdam im Dezember 1939 New York, wo er im Mai 1940 zu ihnen stieß. Völlig mittellos, teilten sie das mühevolle Schicksal vieler Emigrantinnen und Emigranten. Nach dem Krieg änderten sie ihren Namen in Gamby.

Nach dem Auszug aus der Villa wohnten Camilla und Toni zunächst in Tonis Praxisräumen am Neuen Wall 101. Von dort zogen sie im April 1938 nach Eppendorf in die Oderfelder Straße 25. Am 11. Oktober 1938 wurde Toni Kemlinski aus dem Dentistenregister gestrichen. Ihre materielle Situation verschlechterte sich zunächst nur wenig, da sie "zugelassen für die Behandlung jüdischer Zahnkranker" blieb. Genau wie ihre Schwester entrichtete sie bis 1939 nennenswerte Kultussteuern. Camilla bezog außer den Erträgen aus ihrem Erbe eine Witwenrente von 72 Reichsmark monatlich von der Versorgungskasse der Zahnärzte. Als Toni Kemlinski und ihre Schwester 1938 dem Oberfinanzpräsidenten ihre Vermögensverhältnisse darlegten, zeigte sich jedoch, dass die "dem Reich geschuldete Judenvermögensabgabe" Tonis Vermögen überstieg. Daraufhin verzichtete der Oberfinanzpräsident auf eine "Sicherungsanordnung". Über Camillas Vermögen, das durch die Zwangsabgaben stark geschwunden war, verhängte der Oberfinanzpräsident eine "Sicherungsanordnung" bei einem monatlichen Freibetrag von 190 Reichsmark.

Am 14. März 1939 beantragte Camilla Gembicki eine Kennkarte, eine Art polizeilichen Inlandsausweis. Damit begann eine jahrelange Suche nach Dokumenten ihrer Vorfahren, weil ihre deutsche Staatsangehörigkeit in Zweifel gezogen wurde. In Straßburg geboren, hätte sie trotz ihrer früheren Einbürgerung aus dem Deutschen Reich ausgebürgert werden können. Die Beschaffung der Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden ihrer Eltern zog sich bis zum Verbot der Auswanderung für Jüdinnen und Juden im Oktober 1941 hin.

Im Mai 1939 zogen Camilla Gembicki und Toni Kemlinski innerhalb der Oderfelder Straße um, nach nur drei Monaten mieteten sie sich bei Levy in der Isestraße 96 ein. Mit jedem Umzug verkleinerte sich ihr Haushalt, bis am Ende vor allem Kunstgegenstände und Teppiche ihre beiden Zimmer füllten. Silber und Schmuck waren längst abgeliefert, ein Teil der früheren Wohnungseinrichtung war verkauft, die Wohn-, Ess- und Schlafzimmereinrichtung im April 1939 eingelagert worden (sie verbrannte bei einem Luftangriff im Juli 1943).

Nachdem Kurt Schwabs Bemühungen gescheitert waren, seine Kinder Herma und Gerd 1939 nach Belgien ausreisen zu lassen, blieben sie weiter in der Obhut seiner Mutter Emma, bis diese sie dem Kaufmann Josef Grossmann in der Andreasstraße 16 in Winterhude in Pension gab. Er war zugleich Helfer für jüdische Auswanderung. Aus ihrem Vermögen, das ebenfalls einer "Sicherungsanordnung" unterworfen war, bestritt Emma Schwab das Schulgeld und die Unterhaltskosten für die beiden Enkel. Sie selbst betrieb ihre Auswanderung zu ihrer Tochter Ilse-Bella in den Niederlanden und verließ Hamburg am 14. April 1940. Ein letztes Lebenszeichen von ihr stammt aus dem Oktober 1941.

Herma und Gerd Schwab wurden nach der Emigration ihrer Großmutter offenbar in die Obhut der Familie Fritz Rosenberg in der Hansastraße 40 gegeben. Herma besuchte von dort aus die inzwischen "Volksschule und Höhere Schule für Juden" genannte Schule in der Karolinenstraße. Sie war 1941 von der siebten in die achte Klasse versetzt worden und hatte sich, so ihr Zeugnis, sowohl in der "Haltung" als auch leistungsmäßig verbessert. Am 8. November 1941 wurde Fritz Rosenberg nach Minsk deportiert. Spätestens dann übernahmen Gesine und Elsa Feilmann die Kinder. Gesine Feilmann war die "arische" Ehefrau von Elsas Bruder Julius und betrieb in der Hansastraße 35 eine Pension. Dabei ging ihr die Schwägerin Elsa zur Hand. Gesine und Julius Feilmann hatten eine Tochter in Hermas Alter, Giesela.

Nachdem Camilla Gembickis Bemühungen um die Anerkennung ihrer deutschen Staats-angehörigkeit vergeblich gewesen waren, kümmerte sie sich im Herbst 1941 – nach Beginn der Deportationen – um einen Nachweis ihrer französischen Staatsangehörigkeit. Damit hätte sie zu ihren Schwestern in der Schweiz ausreisen können, die bereits die notwendigen materi-ellen Sicherheiten zur Verfügung gestellt hatten. Am 11. November 1941 schloss sich Toni Kemlinski dem Antrag ihrer Schwester Camilla an.

Doch während beide noch auf eine möglichst positive Nachricht in dieser Angelegenheit warteten, ließ die Gestapo sie "mit dem binnen kurzer Frist heranstehenden letzten Transport" in den Osten "abschieben" – obwohl sie die vorgesehene Altersgrenze von 60 Jahren überschritten hatten. Camilla Gembicki war 63 Jahre alt, Toni Kemlinski 65 Jahre. Das Ziel des Transports sollte das Getto von Minsk sein, wurde aber in Riga geändert. Unter Zurücklassung ihrer Wohnungseinrichtung mussten sich Camilla Gembicki und Toni Kemlinski zur "Evakuierung" am 6. Dezember 1941 im Logenhaus an der Moorweide einfinden.

Diesem Transport wurden außerdem Elsa Feilmann sowie Camilla und Tonis Enkel zugewiesen, die inzwischen vierzehnjährige Herma und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Gerd. Beide wurden in die Kategorie "Freiwillige" eingereiht. Die Deportation erfolgte in einem Personenzug mit angehängten Gepäckwagen. Da noch lettische Juden im Getto von Riga interniert waren, wurden die 753 Deportierten von der Bahnstation Skirotava auf ein heruntergekommenes Gut in Marsch gesetzt, den Jungfernhof. Innerhalb weniger Wochen trafen dort ungefähr 4000 Menschen aus dem Deutschen Reich ein, von denen mehrere Hundert den Winter nicht überlebten. Die Arbeitsfähigen mussten die unbewohnbaren Gebäude bewohnbar machen und beim Aufbau des Lagers Salaspils mitarbeiten. Die Todesumstände und -daten von Camilla Gembicki, Toni Kemlinski, Herma und Gerd Hermann Schwab und Elsa Feilmann sind nicht bekannt.

Am 2. Januar 1942 fasste der Polizeipräsident das Ergebnis der Ermittlungen in Sachen Staatsangehörigkeit dahingehend zusammen, dass an Camilla Gembickis deutscher Staatsangehörigkeit keinerlei Zweifel bestehe. Was Toni Kemlinski angehe, sei sie "am 4.12.1941 nach Minsk evakuiert worden. Eine Erledigung ihres Antrages vom 11.11.1941 erscheint daher nicht erforderlich."

Tonis Sohn Heinrich Kemlinski war seit 1937 im Zuchthaus Frankfurt-Preungesheim inhaftiert. Nach Verbüßung seiner vierjährigen Gefängnisstrafe wurde er der Polizei überstellt und in "Vorbeugehaft" genommen. Er selbst führte seine weitere Inhaftierung auf sein Jüdischsein zurück und schrieb dazu am 6. April 1941 seinen Pflegeeltern in Hamburg und deren Kindern: Dass er nicht in die Freiheit entlassen werde, habe ihn erstmals spüren lassen, was es bedeute, "Nichtarier" zu sein. Die Arbeit im Gefängnis habe ihn sein Schicksal vergessen und die Jahre wie nie zuvor verfließen lassen, die Zellenhaft habe ihn sein Leben bedenken lassen, das er als einen Machtkampf mit den Angehörigen erlebte, in dem er immer das Opfer blieb, auf dem "die Schmach, Schande u. Sünde [s]einer Eltern ruhe". Jahre lang hätten sie ihn verleugnet und verleumdet, nur unter fremdem Namen und nur unter Voranmeldung habe er bei seinem Vater und seiner Mutter erscheinen dürfen, obwohl sie sich seiner nie hätten zu schämen brauchen, auch nicht seiner Armut, denn er und seine Frau, die er "aus wahrster Zuneigung geheiratet" habe und nicht um materieller Vorteile willen, hätten ja stets gearbeitet. Er bedaure sie, dass sie nun weiter auf ihn warten müsse, doch müsse auch sie sich fügen. Mit der Bitte um Verzeihung, Wünschen für angenehme Feiertage und in der Hoffnung auf eine baldige Nachricht, die ihm gut tue, schloss er den Brief. Dieser wurde jedoch nie zugestellt.

Am 1. September 1941 wurde Heinrich Kemlinski auf Veranlassung der Kriminalpolizei Frankfurt in das KZ Flossenbürg eingeliefert. Am 17. September brachte der Effektenverwalter, SS-Oberscharführer S., ein Paket an Heinrichs Mutter Toni Kemlinski zum Versand. Sie wohnte zu dem Zeitpunkt in der Isestraße 96. Das Paket enthielt Heinrichs sämtliche Kleidungsstücke, Wäsche und dergleichen, ausgenommen ein Pullover. Die Sendung ging nicht an seine Frau Anna, weil er auf die Frage, wer ihn nach seiner Entlassung unterstützen würde, seine Mutter angegeben hatte. Auch die Umstände von Heinrich Kemlinskis Tod sind nicht gesichert, obwohl es eine Todesbescheinigung des SS-Standortarztes im KZ Flossenbürg gibt. Sie lautet: "Am 9. April 1942 um 7,28 Uhr wurde der vom 1. Schutzhaftlagerführer des K.L. Flossenbürg anerkennte Aso-Häftling-Jude-Nr. 3020 - K e m l i n s k i Heinrich, geb. am 8.8.1904 zu H a m b u r g bei einem Fluchtversuch in seinem Arbeitskommando ‚Steinbruch‘ erschossen." Als Todesursache wird genannt: Zerreißung der rechten Lunge und des Herzens, innere Verblutung. Der restliche Nachlass – Pullover und Rasierzeug – war bereits mit dem Datum des Vortages, 8. April 1942, an die Kripoleitstelle Frankfurt/M. gesandt worden. Heinrich Kemlinskis Ehefrau Anna überlebte den Krieg und verstarb an ihrem 50. Geburtstag am 14. Juni 1962 in Walpershofen/Riegelsberg.

Stand: Mai 2016
© Hildegard Thevs mit Sabine Schwab und Gabriele Winter, geb. Gembicki

Quellen: 1; 2; 4; 5; 6; 9; Hamburger Adressbücher; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 7798/37; StaH 314-15 OFP F 668, F 669, R 1940/627, R 1941/18; StaH 351-11 AfW 2886, 3959, 28269, 40975; StaH 332-5 Standesämter 7096 u. 750/1929; 9607 u. 88/1926; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht B III 131269; StaH 332-8 Meldewesen, A 24, Passprotokolle, Band 170; StaH Meldekartei 1892-1925, K 6061, 7113; StaH 352-3 Medizinalkollegium, IV D 20; StaH 352-5 Todesbescheinigungen StA 21/750/1929; StaH 362-6/10 Talmud Tora Schule; StaH 741-4 Sa 1245, Sa 1246, Sa 1247; StaH 552-1 Jüdische Gemeinden 992 e Bd. 3; Hessisches Hauptstaatsarchiv, Strafgefängnis Frankfurt-Preungesheim, Abt. 409/4 Nr. 3165; Stadtarchiv Völklingen, Heirats- und Sterberegister 1933 bzw. 1962; KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Schreiben vom 16.12.2008 mit Zugangsliste, Effektenkarte und Sterbebescheinigung; Janina Hochland, The Kem(b)linski Saga, o. O., o. D.; Auszug aus: Sabine Schwab, Lebenslinien. Erinnerungen an die Familien Gembicki/Kemlinski und Schwab, Dezember 2011 ff., online unter: www.zeit-geschichten.de/th_01_v_71.html (letzter Zugriff 15.3.2015); Ursula Randt, Carolinenstrasse 35, Hamburg, 1996; dies., Die Talmud Tora Schule in Hamburg, 1805 bis 1942, München, Hamburg 2005; Heinz Rosenberg, Jahre des Schreckens, Göttingen, 1985, S. 12; Mitteilungen von Werner Gamby, 2010 bis 2012; Neue Hamburger Zeitung, 29.11.1902 u. 15.12.1902; Altonaer Nachrichten, 11.12.1902 u. 13.12.1902.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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