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Hermann Glass
© Foto aus Martha Glass, Jeder Tag in Theresin ist ein Geschenk

Hermann Glass * 1863

Abteistraße 35 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1942 Theresienstadt
ermordet am 19.1.1943

Weitere Stolpersteine in Abteistraße 35:
Minna Aron, Edith Cahn

Hermann Glass, geb. 10.11.1863 in Stanowitz/ Standorf (Schlesien), deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, gestorben 19.1.1943 in Theresienstadt

Abteistraße 35 (Harvestehude)

An Hermann Glass erinnert vor seinem Wohnhaus in der Abteistraße 35 (Harvestehude) ein Stolperstein. Das 1876 erbaute Haus hatte er 1931 erworben und 1933 bis 1937 mit seiner Familie bewohnt. Auch vor seinem Geschäftshaus in der Hamburger Innenstadt wird für ihn (voraussichtlich 2020) ein Stolperstein verlegt.

Hermann Glass – noch wurde sein Name mit einem "s" geschrieben - war am 10. November 1863 in Standorf/ Kreis Schweidnitz in Schlesien geboren worden (der Ortsname wurde im Februar 1937 von Stanowitz in Standorf geändert). Er hatte zehn Jahre lang eine Lateinschule (d.h. eine Schule, die auf ein späteres Studium vorbereitete) besucht, dann eine kaufmännische Lehre absolviert und seinen Militärdienst als Infanterist beim 2. Schlesischen Jäger Bataillon Nr. 6, vermutlich in Oels/ Niederschlesien, abgeleistet.

Im Januar 1890 war Hermann Glass nach Hamburg gezogen, hatte dort im Februar 1892 ein Gewerbe angemeldet und 1899 ein Geschäft für Damenkonfektion an der Stadthausbrücke 5/9 (Neustadt) eröffnet. 1910/1911 ließ er nach einem Entwurf des Architekten Fritz Höger ein Geschäftshaus in der neu angelegten Mönckebergstraße 25, Ecke Bergmannstraße 7 (gegenüber der Petrikirche) errichten, das nach dem Bauherrn und Eigentümer den Namen "Haus Glass" erhielt. Das Gebäude nahm in Formensprache (Erker, Giebel eines Bürgerhauses) und Materialwahl (Backstein) auf historische hanseatische Vorbilder Bezug. In das Erdgeschoss zog das "Modehaus Hermann Glass", das aber bereits im Jahr 1913 in Konkurs ging. Hermann Glass betätigte sich fortan als Hausmakler, mit Büroräumen in seinem Geschäftshaus Mönckebergstraße und beschäftigte ein bis zwei Bürokräfte, einen Buchhalter und einen Lehrling.

Er hatte im August 1903 Martha, geb. Stern (geb. 31.1.1878 in Mönchengladbach, Vater: Kaufmann Michael Stern, Mutter: Thekla geb. Ransohoff, Albertusstr. 23) geheiratet, die wie er jüdisch war. Die Braut hatte nach der Mittleren Reife auf dem Städtischen Lyzeum Mönchengladbach eine Ausbildung als Sängerin und Pianistin in Düsseldorf absolviert. Im August 1904 nahm er die Hamburgische Staatsangehörigkeit an und legte dafür die Preußische ab. Seinen Familiennamen Glas ließ er im Frühjahr 1904 in Glass ändern. Zu diesem Zeitpunkt belief sich sein zu versteuerndes Jahreseinkommen auf 20.000 Mark.

Hermann und Martha Glass bekamen zwei Töchter: Edith (geb. 11.9.1904 in Hamburg) und Ingeborg "Inge" (geb. 3.1.1912 in Hamburg). Die Familie wohnte in der Hansastraße 74 III. Stock/ Harvestehude (1904-1913), Isestraße 6/ Harvestehude (1914-1917), Beim Andreasbrunnen 5 II. Stock/ Eppendorf (1918-1932) und in einer 3 ½-Zimmer-Wohnung im Zweifamilienhaus Abteistraße 35/ Harvestehude (1933-1942).

Martha Glass arbeitete zeitweilig im Steinway-Musikhaus am Jungfernstieg 34 (Heine-Haus) als Pianistin, um Kaufinteressenten die Flügel vorzuspielen. Sie gehörte der Singakademie an, die als Chor des Philharmonischen Orchesters in Hamburg im Konzerthaus sowie der Michaeliskirche auftrat. Martha und Hermann Glass besaßen ein Abonnement für zwei Logenplätze im Hamburger Stadttheater (mit den Sparten Oper, Operette, Schauspiel und Ballett). Zu Kuren nach Karlsbad in die Tschechoslowakei fuhr Martha Glass regelmäßig (zuletzt 1938).

Seit mindestens 1913 war Hermann Glass Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg und des liberalen Israelitischen Tempelverbandes (T.V.). Martha und ihre beiden Töchter sangen im gemischten Chor des Tempelverbandes, der seinen Tempel in der Poolstraße 11/14 (Neustadt) hatte und 1931 einen neuen Tempel in der Oberstraße 116/120 (Harvestehude) einweihte. Der Tempelchor wurde vom 1913 eingestellten Oberkantor Leo Kornitzer (1875-1947) geleitet und trat regelmäßig in den Gottesdiensten (auf der Empore neben der Orgel) sowie zu besonderen Anlässen auf. Als solcher galten beispielsweise am 6. Januar 1919 die Eröffnungsfeier der "Religionsschule des Jüdischen Schulvereins in Hamburg", am 13. September 1925 die Gedächtnisfeier für die im Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten und am 8. Januar 1928 die Amtseinführung des liberalen Rabbiners Bruno Italiener.

Zudem war Hermann Glass Mitglied im "Verein eines ehrbaren Kaufmanns" sowie im "Verein Deutscher Jäger Hamburg" (Böckmannstraße 1a).

1904 hatte Hermann Glass – wie oben erwähnt - das Hamburger Bürgerrecht erworben. Damit war auch das Wahlrecht verbunden. Bei Wahlen entschied sich Hermann Glass für die SPD, während seine Ehefrau seit 1919 (seitdem Frauen in Deutschland wählen durften) für die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) votierte – beide Parteien hatten sich von 1919 bis 1923 zusammen mit dem katholischen Zentrum auf Reichsebene in der "Weimarer Koalition" zusammengeschlossen.

Nachdem die NSDAP im Januar 1933 zusammen mit der rechtskonservativen DNVP eine Minderheitsregierung Hitler/vonPapen/Hugenberg unter Duldung des Reichspräsidenten Hindenburg bilden konnte, begann der systematische Terror in Deutschland. Die Reichstagswahl vom März 1933 brachte für NSDAP und DNVP eine 53%ige Mehrheit, dies ebnete den Weg in die Diktatur. Gleich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ergingen die ersten Verordnungen und Gesetze gegen die politische Opposition, aber auch gegen Juden.

Hermann Glass wurde 1933 aus dem "Reichsbund deutscher Makler" ausgeschlossen, was indirekt auf ein Berufsverbot hinauslief. Seine Zulassung als Hypotheken-Makler wurde durch das "Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich" vom 6. Juli 1938 aufgehoben ("Juden und jüdischen Unternehmungen mit eigener Rechtspersönlichkeit ist der Betrieb nachfolgender Gewerbe untersagt: … c) des Handels mit Grundstücken, d) der Geschäfte gewerbsmäßiger Vermittlungsagenten für Immobilienverträge und Darlehen, sowie des Gewerbes der Haus- und Grundstücksverwaltung…").

Ebenso wie Ehepaar Glass war auch ein Großteil seines Freundeskreises von den Verfolgungsmaßnahmen betroffen, dazu gehörten der Designer und seit 1907 als Professor an der Kunstgewerbeschule in Hamburg lehrende Friedrich Adler (1878-1942?) und dessen Familie. Ebenso bestand zu den Besitzern der renommierten Hamburger Modehäuser Robinsohn und Hirschfeld (Benno Hirschfeld siehe www.stolpersteine-hamburg.de) sowie zu Max Samson und Ehefrau Rose und zu dem Kaufmann Arthur Martienssen (1867-1942) und dessen Ehefrau Hedwig Martienssen, geb. Treumann (1879-1944) ein freundschaftlicher Kontakt. Zum Freundeskreis gehörte auch Felix Wolff (1874-1944), der Hamburger Generalvertreter des Berliner Ullstein-Verlags (Speersort 6) und 1934 Vorstandsmitglied des Jüdischen Kulturbundes in Hamburg sowie Moritz (Moses) Karlsberg (1865-1943) (siehe www.stolpersteine-hamburg.de), Generalvertreter der britischen Cunard-Linie in Deutschland und Mitglied im Repräsentanten-Kollegium der Neuen Dammtor-Synagoge (NDS). Der Hausarzt der Familie Glass war der durch seine Mischehe geschützte Berthold Hannes (1882-1955).

Die Tochter Ingeborg Glass hatte an der Helene-Lange-Oberrealschule ihr Abitur abgelegt und an den Universitäten in Hamburg, Berlin und München studiert. Ihr Studium der Romanistik, Theater- und Zeitungswissenschaften musste sie wegen ihrer jüdischen Herkunft abbrechen. 1935 schickten ihre Eltern sie für ein halbes Jahr zu einem Studienaufenthalt nach Paris. Danach arbeitete sie in Hamburg als Kontoristin und zuletzt beim Jüdischen Kulturbund Hamburg, deren Veranstaltungen auch Hermann und Martha Glass besuchten. Im Dezember 1937 heiratete sie Edgar Tuteur (geb. 9.4.1905 in Hamburg) und zog im Januar 1938 zu ihm nach Neapel.

Hermann und Martha Glass kauften, mit behördlicher Genehmigung, ihrer Tochter eine komplette Einrichtung für deren 4-Zimmer-Wohnung in Neapel, inklusive Klavier, Bildern, Siemens-Heißwasser-Therme, elektrischem Kühlschrank und Hausrat. Eine Spedition transportierte die Gegenstände von Hamburg nach Neapel.

Auf Druck der deutschen Behörden (die von der Gestapo entsprechende Anweisungen erhielten) wurde Edgar Tuteur Ende 1939/ Anfang 1940 bei der italienischen Warenkontrollgesellschaft "Sorveglianza" S.A.I. entlassen. Im August 1940 stellte der deutsche Generalkonsul in Neapel, Siegfried Mey (1891-1954), der am 1. August 1939 in die NSDAP eingetreten war, einen Auslieferungsantrag für ihn. Ingeborg Tuteur, die Generalkonsul Mey (in Neapel 22.2.1938 – 23.5.1943 tätig) trotzdem zusammen mit einem befreundeten Österreicher um Hilfe bat, wies Mey mit den Worten ab: "Es ist mir nach den deutschen Gesetzen verboten, Amtshandlungen im Interesse deutscher Juden zu unternehmen."

Ingeborg Tuteur gelang es durch Kontaktaufnahme mit behördlichen Stellen in Neapel und Rom sowie Freunden und Anwälten und sogar dem Lagerleiter des Internierungslagers Teramo (Isola del Gran Sasso), in dem Edgar Tuteur seit Juli 1940 gefangen gehalten wurde, die Abschiebung zu verhindern. Dadurch geriet sie aber selbst in den Focus der Questura von Neapel, die einen Haftbefehlt und Lagereinweisung gegen sie erließ. Gemeinsam mit ihrem Ehemann konnte sie untertauchen und mit Hilfe eines deutschen katholischen Ordens im Vatikan über Barcelona nach Lissabon fliehen. Im Juni 1941 emigrierten beide von Lissabon nach New York an Bord des portugiesischen Dampfers "Nyassa".

Die Tochter Edith Glass hatte in Hamburg das Staatliche Lyzeum in der Hansastraße besucht und anschließend eine kaufmännische Ausbildung erhalten. Sie heiratete 1925 den Kaufmann Rudolph Moritz Eichholz (1897-1929) und zog zusammen mit ihrem Ehemann in das neu erbaute Haus Enzianstraße 16 (Alsterdorf), das Hermann Glass 1927 für sie gekauft hatte. Nach dem frühen Tod ihres Ehemannes heiratete sie in zweiter Ehe 1935 Reinhard Benecke, mit dem sie in Berlin-Charlottenburg in der Kastanienallee 34 wohnte. Reinhard Benecke übernahm auch die Aufgabe eines bevollmächtigten Vertreters und Vermögensverwalters für Hermann Glass.

Nach einem Erlass des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in Berlin vom 8. Dezember 1938 wurde vom Sicherheitsdienst (SD) der SS eine "Liste einflußreicher und vermögender Juden" erstellt, deren Aktivitäten der SD besonders überwachen wollte; in der Teilliste des SD-Oberabschnitts Nordost vom 12. Dezember 1938 wurde unter Punkt 17 "Glass, Hermann, geb. 8.11.63 Stanwitz, wohnhaft Abteistr. 35, Kaufmann, sehr vermögend, über 500.000 RM" aufgeführt. Im Februar 1939 wurden aufgrund einer Verfügung des Hamburger NS-Reichsstatthalters Karl Kaufmann sämtliche Immobilien von Hermann Glass unter Zwangsverwaltung gestellt und Konten- und Wertpapierdepot mittels einer "Sicherungsanordnung" der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg gesperrt – Verfügungen waren nur noch mit behördlicher Zustimmung möglich. Im März 1939 wurde die Hausmaklerfirma von Hermann Glass im Handelsregister gelöscht; sein Büro musste er im Juni 1941 aufgeben.

Im August 1939 musste Hermann Glass eine Immobilie in prominenter Lage (Mönckebergstraße 25/ Bergstraße 7) an den Kaufmann Max Adolf Bischoff (Hamburg-Harburg, Eissendorfer Pferdeweg 17), Inhaber der Firma "Johannes Bischoff Harburger Kraftfutterfabrik und Mahlwerke GmbH", zu einem Bruchteil des Marktwertes verkaufen. Rechtsanwalt und Notar Ernst Nesemann (geb. 1900, seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SS) beurkundete am 22. August 1939 in seiner Kanzlei in Hamburg-Harburg den Kaufvertrag mit einem Kaufpreis von 635.000 Reichsmark; für die zwangsweise mit der Verwaltung beauftragte Grundstücksverwaltungs-Gesellschaft von 1938 mbH war "als Untertreuhänder und Bevollmächtigter" der Prokurist Adolf Reiff (geb. 1884, bereits seit 1931 Mitglied der NSDAP) anwesend, der den Vertrag ebenfalls unterzeichnete. Grundstückskaufverträge mussten dem Gauwirtschaftsberater zur Begutachtung und Preisbestimmung vorgelegt werden, als oberste Genehmigungsinstanz entschied der NSDAP-Gauleiter. Vom Käufer wurde eine Spende erwartet, über die ausschließlich der Gauleiter die Verfügungsgewalt besaß. Zum Zeitpunkt des Verkaufs waren drei Ladengeschäfte vermietet (an Lichthaus Mösch & Co., Juwelier Gustav Benecke und eine Filiale des Füllfederhalter-Geschäfts von Franz Kosmale) sowie sieben Kontore, die zusammen monatliche Mieteinnahmen von 6.000 RM ergaben. "Der Reichsstatthalter in Hamburg" (Stadthausbrücke 22) genehmigte den Kaufvertrag am 10. Oktober 1939 mit der Auflage, "dass der in bar zu zahlende Teil des Kaufpreises (…) auf ein Konto eingezahlt wird, über das nur mit Zustimmung des zuständigen Oberfinanzpräsidenten (Devisenstelle) verfügt werden kann" – dies betraf rund 520.000 RM. Der Name des Hauses ("Haus Glass") wurde nun in den Hamburger Adressbüchern nicht mehr angegeben und später (nach 1943) durch "Haus Prediger" ersetzt. Das Geschäft für "Beleuchtungskörper" von Carl Prediger logierte seit 1939 im Erdgeschoss mit seiner Verkaufsabteilung. Im Juni 1941 musste Hermann Glass auch seine seit dem Hausverkauf dort angemieteten Büroräume aufgeben.

Im August 1941 verkaufte Hermann Glass auch seinen 50%-Anteil an dem Haus Steindamm 54/56 und Kleiner Pulverteich 22 (erbaut und erworben 1901) an einen Schlachtermeister, der seit 1927 ein eigenes Geschäft in Hamburg besaß. Der Immobilienbesitz von Hermann Glass (6 Immobilien im Wert von rund 220.000 RM) wurde aber bereits komplett zwangsverwaltet von der Hamburgischen Grundstücksverwaltungsgesellschaft von 1938 (Börsenbrücke 8), die als "Treuhänder" darüber zu entscheiden hatte, ob die Immobilie überhaupt verkauft werden sollte.

Weitere Vermögenswerte musste Hermann Glass ausführlich darlegen, darunter 112.000 RM Bankguthaben und 252.000 RM in Wertpapieren. Das Wertpapierdepot war bereits zugunsten der im Ausreisefall zu zahlenden Reichsfluchtsteuer verpfändet und auch das Girokonto war gesperrt. So kam es, dass Hermann Glass seinen auf 8.400 Reichsmark heraufgesetzten Beitrag bei der Jüdischen Gemeinde für das Jahr 1941 nicht bezahlen konnte. Langwierige Verhandlungen mit der Gemeinde und eine umfangreiche Korrespondenz mit deren Angestellter Ida Hagenow (1880-1944) von der Beitragsabteilung (Büro Beneckestr. 2) führten schließlich zu einer Vereinbarung mit dem Zuständigen für die Finanzen der Jüdischen Gemeinde, Leo Lippmann (1881-1943) (siehe www.stolpersteine-hamburg.de), dass für 1941 nur 4.000 RM zu zahlen seien, Spenden für die "Jüdische Winterhilfe 1940/41" und die Sammlung "Jüdische Pflicht" wurden ihm erlassen. Die zu zahlende Geldsumme lieh er sich von seinem Schwiegersohn aus Berlin, dessen Konten nicht gesperrt waren, weil er kein Jude war.

Im Oktober 1940 übernahmen Hermann und Martha Glass die Beerdigungskosten für Ernst Simon Stern (geb. 1.6.1870 in Mönchengladbach), einen der beiden Brüder von Martha Glass, der auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt wurde. Ernst Stern hatte als Hauptmieter ab 1939/1940 in der Ostmarkstraße 6 (bis Oktober 1938 Hallerstraße) gewohnt und wurde zuletzt monatlich mit 55 RM von Schwager und Schwester unterstützt, "da er ohne jedes Einkommen und gänzlich vermögenslos war", wie Hermann Glass im Oktober 1940 an die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten schrieb.

Die Ausgrenzung und ökonomische Zerstörung des Hausmaklers Hermann Glass zeitigten auch gesundheitliche Folgen. Sein Hausarzt Berthold Hannes diagnostizierte im Dezember 1939 einen Darmkatarrh, was in der Akte des Oberfinanzpräsidenten vermerkt wurde. Im September 1941 hielt er sich zwei Wochen im Erholungsheim der Jüdischen Gemeinde in Hamburg-Blankenese (Steubenstr. 36) auf.

Seit ungefähr Anfang 1940 bemühte sich Hermann Glass um eine Emigration aus Deutschland. In einem Brief an seine Tochter Inge vom 13. Mai 1941 merkte er dies verklausuliert an, ohne auf das Land, die Visa oder die geplante Abreise einzugehen. Da auch bei der für Emigrationen hauptverantwortlichen Devisenstelle keine Akte dazu erhalten ist, dürfte es sich wohl um erste Überlegungen gehandelt haben, die nicht mehr konkretisiert bzw. realisiert werden konnten. Im Oktober 1941 wurden im NS-Staat Emigrationen von Juden generell untersagt und die Deportationen in die eroberten Länder Osteuropas begannen.

Das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939 raubte diesen die Rechte als Mieter und Hauseigentümer. Wohnungsamt und Gestapo befahlen der Jüdischen Gemeinde, die sich nun Jüdischer Religionsverband nennen musste, die geforderten Zwangseinquartierungen und Wohnungsräumungen umzusetzen. Ende Oktober 1941 wurden die Schwestern Marianne Cahn (geb. 11.9.1924) und Edith Cahn (geb. 31.12.1922 in Ottweiler) (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) im Haus Abteistraße 35 beim Ehepaar Glass einquartiert. Auch der verwitweten Minna Aron, geb. Levy (geb. 3.9.1879 in Altona) (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) wurde dieses Haus als Unterkunft zugewiesen.

Eine Verfügung des Hamburger NSDAP-Gauleiters und Reichsstatthalters Karl Kaufmann vom 16. Juli 1942 übereignete auch die restlichen fünf Immobilien, die sich noch im Besitz der Eheleute Glass befanden, an den NS-Staat. Es handelte sich dabei um die Häuser Abteistraße 35/ Harvestehude; Enzianstraße 16/ Alsterdorf (erbaut 1926, erworben 1927); Görnestraße 11/ Eppendorf (erbaut 1860, erworben 1922); Große Theaterstraße 10/12/ Neustadt (erbaut 1860, erworben 1927) sowie Große Theaterstraße 41/ Neustadt (erbaut 1860, erworben 1901). Auch Bankguthaben und Wertpapiere zog die Vermögensverwaltungsstelle des Oberfinanzpräsidenten zugunsten des Deutschen Reichs ein.

Der 89jährige Hermann Glass wurde am 19. Juli 1942 zusammen mit seiner Ehefrau Martha Glass ins Getto Theresienstadt deportiert. Im Lagersystem des Nationalsozialismus war das Getto Theresienstadt nur Zwischenstation auf dem Weg zu den Vernichtungslagern. Dies blieb Hermann und Martha Glass erspart: Martha Glass wurde in Theresienstadt in ein Zimmer in der Kurzen Straße (L1A), Haus 4 zusammen mit neun weiteren Frauen eingewiesen, davon drei aus Hamburg (Frau Heß, Wilhelmine Friedheim geb. Jacobsen geb. 22.1.1872 in Altona und ihre Tochter Herta Friedheim geb. 17.6.1894 in Hamburg).

Hermann Glass war in Gebäudekomplex L 104 (= Seestraße Haus 04), Zimmer 15 untergebracht, ebenfalls in einem mit rund 10 Männern überbelegtes Zimmer, darunter die Herren Hoch, Pollack und Seligmann.

Hermann Glass starb dort am 19. Januar 1943. Martha Glass notierte in ihrem Getto-Tagebuch: "Am 19. Januar ging Hermann heim, an schwerem Durchfall, Herzschwäche infolge Hungers, an dem wir alle furchtbar leiden. Das Leben in Theresienstadt geht weiter und man kommt vor lauter Arbeit und Dienst am Nächsten nicht mal zum Bewußtstein des schweren Verlusts."

Die offizielle Todesursache auf der "Todesfallanzeige Ghetto Theresienstadt" lautete "Darmkatarrh und Altersschwäche". Die Überbelegung des Gettos in Verbindung mit der katastrophalen sanitären Situation und der massiven Unterversorgung mit Lebensmitteln führten zu einer großen Anzahl an Todesfällen.

Martha Glass (1878-1959) überlebte den Holocaust und emigrierte 1947 zur Tochter und Schwiegersohn in die USA, dorthin nahm sie auch ihr Tagebuch aus dem Getto Theresienstadt mit, das inzwischen veröffentlicht ist. Als Folge der zweieinhalbjährigen Gettohaft war sie in den USA dauerhaft auf die Pflege einer Krankenschwester angewiesen.

Stand: Juli 2020
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 3050 (Hermann Glass); StaH 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 3051 (Martha Glass, Wertpapiere); StaH 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 3052 (Martha Glass, Grundstück); StaH 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 3053 (Martha Glass, Schmuck/ Silbersachen); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), 29465 (Dr. Ernst Nesemann); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), 68814 (Adolf Reiff); StaH 231-7 (Handelsregister), A 1 Band 80 (A 19630, Hermann Glass); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1938/3149 (Sicherungsanordnung gegen Hermann Glass); StaH 332-5 (Standesämter), 9131 u. 908/1897 (Geburtsregister 1897, Rudolph Moritz Eichholz, Eltern: Kaufmann Alfred Eichholz u. Adele Eichholz geb. Delbanco); StaH 332-5 (Standesämter), 9843 u. 2486/1929 (Sterberegister 1929, Rudolph Eichholz); StaH 332-5 (Standesämter), 8168 u. 466/1940 (Sterberegister 1940, Ernst Stern); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A III 21 Band 10 (Aufnahme-Register 1897-1905 G-K), Hermann Glass (geb. 10.11.1863 Stanowitz, Aufnahme 20.8.1904 Nr. 77374); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), B III 77374 (Hermann Glass, mit Abschrift Geburtsurkunden 1863 und 1878 sowie preußischen Staatsangehörigkeitsausweis); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 3922 (Hermann u. Martha Glass); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 29902 (Edgar Tuteur); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 1131 (Arthur Martienssen); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg) Hermann Glass (geb. 8.11.1863 in Stanowitz), Ingeborg Glass; StaH 621-1/84, 20 (Rechtsanwalt Dr. Ernst Kaufmann, Vermögensverwaltung Hermann Glass 1938-42); Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) Berlin, Akte 58.057 (Martha Glass); Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) Berlin, Akte 58.058 (Hermann Glass); Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Gräberverzeichnis im Internet (Ernst Simon Stern, Grablage P1-231); Ludwig-Maximilians-Universität München, Universitätsarchiv, Verzeichnis der Studierenden (Ingeborg Glass Wintersemester 1931/32, wohnhaft Alexanderstr. 1/4; Sommersemester 1932, wohnhaft Glückstr. 10/2), Karteikarte der Studentenkartei (Ingeborg Glass, mit Passbild); Sonderarchiv Moskau, Signatur 500-1-659, SD-Oberabschnitt Nordwest, Liste einflussreicher und vermögender Juden, 12.12.1938, Blatt 56–58 (Nr. 17 Hermann Glass); Nationalarchiv Prag, Todesfallanzeige Ghetto Theresienstadt (Hermann Glass); Staatsarchiv Hamburg, Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus – Gedenkbuch, Hamburg 1995 (Friedrich Adler, Hermann Glass, Moses Karlsberg, Arthur Martienssen, Hedwig Martienssen, Felix Wolff); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Hermann Glass, HR A 19630); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 334 (B. Karlsberg, gegr. 1868, Inhaber Moritz Karlsberg, Reisebureau, Bank und Geldwechsel, Gen.Ag. der Cunard Linie, Spedition, Ferdinandstr. 57); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 327 (Herrmann Glass, Haus- u. Gütermakler, in amtl. Firmenregister 1917 eingetragen, Bergstr. 7, Börse Bank 9); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 266 (Herrmann Glass, Haus- u. Gütermakler, Bergstr. 7, Börse Bank 9); Auswärtiges Amt (Hrsg.), Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871-1945, Paderborn 2008, Band 3 (Siegfried Mey); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945, Hamburg 1998, S. 290-293 (Hamburgische Grundstücksverwaltungsgesellschaft von 1938 mbH); Martha Glass, "Jeder Tag in Theresin ist ein Geschenk". Die Theresienstädter Tagebücher einer Hamburger Jüdin 1943–1945, Hamburg 1996, S. 9, 11, 14, 16, 18, 19, 24, 63, 84, 92; Franklin Kopitzsch/ Daniel Tilgner (Hrsg.), Hamburg Lexikon, Hamburg 2010, S. 538/539 (Philharmonische Gesellschaft); Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.), Das Jüdische Hamburg, Göttingen 2006, S. 165/166 (Leon Kornitzer); Ina Lorenz, Die Juden in Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik, 2 Bände, Hamburg 1987, S. 841 (Frauenwahlrecht), S. 663, 670, 690, 735, 1149 (Tempelchor), S. 729 (Moritz Karlsberg); Claudia Turtenwald (Hrsg.), Fritz Höger (1877-1949). Moderne Monumente, München/ Hamburg 2003, S. 138 (Werkverzeichnis Nr. 41, Bauherr Glass); Adressbuch Hamburg (Hermann Glass) 1900, 1904, 1908, 1912-1914, 1916-1918, 1923, 1928, 1932-1934, 1936, 1938, 1941; Adressbuch Hamburg (E. Stern, Ostmarkstrasse 6) 1940; Adressbuch Hamburg (Mönckebergstraße 25) 1938, 1939 (Mösch & Co, Gustav Benecke, Franz Kosmale); Telefonbuch Hamburg (Carl Prediger) 1939; Einwohnerbuch für Harburg-Wilhelmsburg 1937 (Max-Adolf Bischoff); www.ancestry.de (Heiratsregister Mönchengladbach 295/1903, Hermann Glass geb. 10.11.1863 u. Martha Stern geb. 31.1.1878); www.ancestry.de (Edgar Tuteur: US-Einbürgerung 13.6.1941); www.ancestry.de (Ingeborg Tuteur: US-Einbürgerung 13.6.1941); www.stolpersteine-hamburg.de (Friedrich Adler, Minna Aron, Auguste Bendheim, Edith Cahn, Alfred Friedensohn, Benno Hirschfeld, Moses Karlsberg, Rudolf Samson); http://www.harbuch.de/frische-themen-artikel/auf-dem-olymp-der-reichen-und-maechtigen.html (Max Adolf Bischoff, Eissendorfer Pferdeweg); http://genwiki.genealogy.net/Standorf_(Kreis_Schweidnitz), eingesehen 17.12.2019.

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