Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Siegmund Glück * 1909

Rutschbahn 5 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
SIEGMUND GLÜCK
JG. 1909
"POLENAKTION" 1938
BENTSCHEN / ZBASZYN
"SCHUTZHAFT" 1940
SACHSENHAUSEN
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 10.12.1942

Weitere Stolpersteine in Rutschbahn 5:
Bernhard Glück, Hildegard Glück, Albert Rosenstein

Siegmund Glück, geb. am 15.8.1909 in Altona, inhaftiert 1939/40 in den KZs Fuhlsbüttel und Sachsenhausen, deportiert nach Auschwitz, dort ermordet am 10.12.1942
Hildegard Glück, geb. Oppenheim, geb. am 26.3.1912 in Kassel-Rothenditmold, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, ermordet in Chelmno am 12.5.1942
Bernhard Glück, geb. am 5.8.1938 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, ermordet in Chelmno am 12.5.1942

Rutschbahn 5

Das Ehepaar Siegmund und Hildegard Glück, geb. Oppenheim, lebte mit seinem Sohn Bernhard in Hamburg. Sie waren drei von ca. 1000 in Hamburg lebenden polnisch stämmigen Juden, die im Rahmen der "Polenaktion" nach Bentschen/Zbaszyn zwangsausgewiesen wurden. Zwar kehrten sie anschließend nach Hamburg zurück, doch bedeutete dies für Siegmund KZ-Haft mit anschließender Deportation nach Auschwitz und für Hildegard und Bernhard die Deportation ins Getto "Litzmannstadt"/Lodz und die Ermordung in Kulmhof/Chełmno.

Amalie Hildegard Glück, geb. Oppenheim, war als Tochter des jüdischen Kaufmanns Salomon Oppenheim und seiner Frau Selma Oppenheim, geb. Katz, am 26. März 1912 in Kassel-Rothenditmold geboren worden. Ihr Vater Salomon, geb. am 2. November 1881 in Kassel, überlebte den Holocaust. Ihre Mutter Selma, geb. am 21. Oktober 1882 in Guxhagen, südlich von Kassel, wurde am 9. Dezember 1941 von Kassel nach Riga deportiert und kehrte nicht zurück.

Hildegard kam einige Jahre vor Beginn des Krieges nach Hamburg und lernte vermutlich hier ihren zukünftigen Ehemann Siegmund Glück kennen. Er war am 15. August 1909 in Altona geboren worden, aber seine Eltern hatten die polnische Staatsangehörigkeit besessen. Als er im Januar 1935 von Altona in das Hamburger Stadtgebiet gezogen war, trat er am 16. Februar 1935 in die Hamburger Jüdische Gemeinde ein. Er wohnte in der Folgezeit zur Untermiete in der Heinrich-Barth-Straße 6 und 8 und arbeitete als Bote. Aufgrund seiner schwierigen finanziellen Lage wurde er ab 1935 von der Wohlfahrt unterstützt. Am 6. Juni 1936 verlobte er sich mit Hildegard und heiratete sie ein gutes Jahr später, am 15. August 1937, seinem 28. Geburtstag. Gemeinsam zogen sie in die Rutschbahn 22. Ein knappes Jahr später, am 5. August 1938, kam ihr Sohn Bernhard zur Welt.

In der Rutschbahn 22 wohnte die junge Familie bis zum 28. Oktober 1938, dem Tag der sogenannten Polenaktion, im Zuge derer sie mit rund 17.000 in Deutschland lebenden, polnisch stämmigen Juden zwangsausgewiesen wurden. Die Familie Glück kam nur bis zur Grenze nach Bentschen/Zbaszyn. Polen hatte diese geschlossen, und so mussten Tausende dort Wochen, manchmal Monate ausharren. In einem Brief, den Hildegard im Mai 1942 im Getto "Litzmannstadt" schrieb, schilderte sie, sie habe in der Zeit in Zbaszyn zusammen mit ihrem nur wenige Wochen alten Sohn "viel durchgemacht". Wer kein Geld hatte, musste in notdürftig hergerichteten Viehställen Unterkunft nehmen. Über Siegmund ist bekannt, dass er bis Sommer 1939 und somit bis zur allmählichen Auflösung des provisorischen Internierungslagers blieb.
Nach Hamburg zurückgekehrt, konnten die Glücks keinen Fuß mehr fassen. Sie zogen in die Rutschbahn 5 – ihr letzter bekannter Wohnort in Hamburg – und kamen zur Untermiete bei Albert und Henriette Rosenstein im zweiten Stock des Gebäudes unter. Henriette Rosenstein, geb. Oppenheim, war Hildegards Tante.

Direkt nach der Rückkehr begann Siegmund, sich um eine Auswanderung seiner Familie nach Polen zu bemühen. Der Antrag auf Auswanderung ging am 3. August 1939 beim Amt ein. Die Vermögenserklärung zeigte, wie mittellos die Familie inzwischen war. Das Gesamteinkommen belief sich im Jahre 1938 auf 1000 RM. Sie besaßen weder Bargeld, noch Guthaben, Wertpapiere, Grundvermögen oder sonstige Vermögenswerte, wie Lebens-, Kapital- und Rentenversicherungen. Ihr Vermögen bestand einzig und allein aus etwas Gold- und Silberschmuck, wie Ringe und eine Taschenuhr. So erhielten sie am 11. August 1939 eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zum Zwecke der Auswanderung, in der bescheinigt wurde: "Der Bote Siegmund Glück […] und seine Ehefrau Hildegard […] und ein minderjähriges Kind, Anschrift: HH, Rutschbahn 5, beabsichtigen nach Polen auszuwandern. Reste an Steuern, Zuschlägen, Strafen, Gebühren und Kosten sind gegenwärtig nicht vorhanden. Es bestehen folgende Rückstände: keine."

Ihr Eigentum wurde auf einen Wert von RM 208,90 geschätzt. Darunter befand sich einiges Silberbesteck, welches ihnen von Freunden und Verwandten, darunter die Tante Henriette Rosenstein und ihre Tochter Grete Kohlstädt, geb. Rosenstein, als Geschenke zur Verlobung und Hochzeit überreicht worden war. Um eine sofortige Ausreise zu ermöglichen, die für den 21. August 1939 angesetzt wurde, packte die Familie lediglich Handgepäck. Doch die Familie konnte nie abreisen, und ihre Pässe wurden zum 23. August 1939 gesperrt. Sie blieben als "Staatenlose" im Deutschen Reich. Der Grund für die gescheiterte Abreise mag die Inhaftierung Siegmunds als jüdischer "Schutzhäftling" in das KZ Fuhlsbüttel gewesen sein. Tausende polnisch-jüdischer Männer wurden als "Angehörige eines Feindstaates" inhaftiert. Am 4. September 1939 erklärte Hildegard "in Abwesenheit ihres Mannes", dass sie "unter den obwaltenden Umständen auf eine weitere Bearbeitung ihrer Auswanderungsangelegenheit" verzichte.
Doch ein halbes Jahr später, am 5. Februar 1940, unternahm sie einen zweiten Versuch, das Deutsche Reich zu verlassen. Sie beabsichtigte mit ihrer Familie in die USA auszuwandern. Aus den Unterlagen, die Hildegard im Namen ihres Mannes ausgefüllt hatte, geht hervor, dass Siegmund noch nicht aus der Haft entlassen worden war. Zwei Monate später, am 3. April 1940, wurde die Auswanderungsabsicht vom Amt ohne Angabe von Gründen zu den Akten gelegt. Der Grund dafür mag gewesen sein, dass Siegmund am 30. März des Jahres aus Fuhlsbüttel in das KZ Sachsenhausen verlegt worden war, und nicht, wie erhofft, zu seiner Familie zurückkehren konnte. Er wurde dort als Häftling Nr. 17.943 registriert. Nachdem Hildegard im Februar 1940 die Unterstützung der Wohlfahrt gestrichen wurde und sie somit über kein Einkommen mehr verfügte, blieb sie gemeinsam mit dem damals knapp zwei Jahre alten Sohn Bernhard bei ihrer Tante in der Rutschbahn 5. Ab dem 19. September 1941 musste sie als "Volljüdin" den sogenannten "Judenstern" tragen.

Als im Oktober 1941 die Deportationen der Hamburger Juden begannen, erhielt Hildegard den Deportationsbefehl für den 25. Oktober 1941. Sie wurde gemeinsam mit ihrem Sohn und 1032 weiteren Hamburger Juden in das Getto "Litzmannstadt" /Lodz deportiert. Unter den Deportierten befand sich auch Augusta Szpigiel (siehe dieselbe), eine enge Freundin Hildegards aus Hamburg. Nach der Ankunft im Getto am 26. Oktober 1941 wurden sie zunächst mit rund 500 weiteren Deportierten in einer Schule untergebracht. Später bezogen sie gemeinsam die zweite Wohnung in der Sulzfelder Straße Nr. 17, wo sie von Augustas Tante aufgenommen wurden. Sie lebten in sehr beengten Verhältnissen und teilten sich zu dritt ein Bett. Doch durch die gute Anstellung Augustas im Getto und dem damit verbundenen Verdienst konnten Hildegard und Bernhard trotz der menschenunwürdigen Bedingungen einige Zeit überleben. Hildegard selbst war zwar als Arbeiterin und Verkäuferin im Getto registriert, konnte die Arbeit jedoch nie aufnehmen, da niemand während der Arbeitszeit ihren kleinen Sohn beaufsichtigen konnte. Deshalb erhielt sie für sich und Bernhard im Mai 1942 – zusammen mit weiteren reichsdeutschen Juden, die als nicht arbeitsfähig galten – den Befehl zur "Aussiedelung" aus dem Getto, d.h. zum Transport ins nahegelegene Vernichtungslager Chełmno. Um dem zu entgehen, schrieb Hildegard am 2. Mai 1942 einen Brief an die Ausweisungskommission, in dem sie um einen Aufschub ihrer Angelegenheit bat: "In Anbetracht meiner besonders traurigen Lage und in Anbetracht dessen, dass ich ein kleines Kind habe, bitte ich die verehrliche Ausweisungs-Kommission gütigst von einer Ausweisung meinerseits abzusehen, zumal ich dabei in der Hauptsache das junge Leben meines Kindes vor Augen habe, das ich unter allen Umständen erhalten möchte, um es meinem Manne nach seiner hoffentlich baldigen Entlassung nach meinem schweren Kampfe wohl übergeben zu können."

Augusta Szpigiel, die das Getto überlebte, gab später an, dass sie von den Nationalsozialisten getäuscht worden seien. Sie hätten darauf vertraut, dass Hildegard als die Mutter eines kleinen Kindes im Getto geschützt gewesen sei. Ungeachtet ihres Gesuchs, das die sogenannte Ausweisungskommission noch am selben Tag ablehnte, wurde Hildegard zusammen mit ihrem Sohn für den Transport III – einer von zwölf Transporten mit nicht-arbeitsfähigen Juden, die zwischen dem 4. und dem 15. Mai 1942 das Getto verließen – als Nummern III-439 und III-445 für die "Aussiedelung" vorgesehen. Diese endete für Hildegard und Bernhard am 12. Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno, nordwestlich von Lodz, wo sie, wie 10.000 weitere nicht-arbeitsfähige Juden, direkt nach ihrer Ankunft ermordet wurden.

Siegmund erfuhr nie, was seiner Frau und seinem Sohn widerfahren war. Er wurde im Rahmen eines Erlasses von Oktober/November 1942, alle Gefängnisse und Konzentrationslager im Deutschen Reich "judenfrei" zu machen, aus Sachsenhausen in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort wurde er am 10. Dezember 1942 nach jahrelanger KZ-Haft ermordet.

Einziger Überlebender der Familie war Salomon Oppenheim, Hildegards Vater. Ende der 1950er Jahre lebte er im städtischen Altersheim Schocketal in Kassel. Selbst "aus Gründen der Rasse" verfolgt und nach dem Krieg ohne Beschäftigung, beantragte er Entschädigung für sich und seine Tochter, vor allem aber strebte er nach Gewissheit, was seinen Familienangehörigen, allen voran seiner Tochter Hildegard, wirklich widerfahren war.

Für Hildegard, Bernhard, Siegmund und Selma wurden 1983 in Yad Vashem Gedenkblätter hinterlegt.
In der Rutschbahn 5 befindet sich neben den Stolpersteinen von Hildegard und Bernhard auch der von Albert Rosenstein, dem Onkel von Hildegard.

Stand Oktober 2014

© Zsuzsa Becker

Quellen: StaHH, 522-1, Jüdische Gemeinden, 992b, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg, Kultussteuerkarte Siegmund Glück u. Hildegard Glück; StaHH, 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 5247 Oppenheim, Salomon; StaHH, 314-15 Oberfinanzpräsident, FVg 5443 Glück, Siegmund; www.yadvashem.org (Zugriff 08.04.2014); Germans Town Project auf www.jewishgen.org (Zugriff 12.05.2014); Anmeldekartei, Lodz Ghetto List auf www.jewishgen.org (Zugriff 12.05.2014); www.statistik-des-holocaust.de (Zugriff 12.05.2014); www.bundesarchiv.de/gedenkbuch (Zugriff 02.06.2014); Auskunft Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen; Archiwum Lodzi, div. Dokumente; USHMM, Lodz, 299/911-912 u. Auskunft von Fritz Neubauer v. 26.5.2014; Brown, Gusta, Interview 3538, Visual History Archive. USC Shoah Foundation. The Institute for Visual History and Education © (1995), Internet: http://www.vha.fu-berlin.de (Abrufdatum: 16.07.2014); Meyer, Beate (Hg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945. Geschichte. Zeugnis. Erinnerung, Hamburg 2007.

druckansicht  / Seitenanfang