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Marie und Paul Goldschmidt
© Privatbesitz

Paul Aron Goldschmidt * 1874

Fabriciusstraße 274 (Wandsbek, Bramfeld)

1943 Theresienstadt
tot 21.12.1943

Paul Goldschmidt, geb. 19.12.1874, deportiert am 24.2.1943 nach Theresienstadt, dort verstorben am 21.12.1943

Fabriciusstraße 274 (Am See 26) – Bramfeld

Paul Goldschmidt war ein kämpferischer Mann, der über ein ausgeprägtes Rechtsempfinden verfügte. Auch gegenüber dem NS-Staat forderte er den gesetzlichen Schutz seiner Bürgerrechte ein. Die erhaltenen Akten zeugen davon, wie mutig er sich gegen seine Diskriminierung als Jude wehrte, wie sich denken lässt, allerdings vergeblich. Aber er hatte sich wenigstens gewehrt.

Paul Aaron Philipp Goldschmidt wurde am 19. Dezember 1874 als Sohn von Adolf und Henny, geb. Neustadt, in Hamburg geboren. Um 1900 ging er die Ehe mit Betty Halberstadt (Jg. 1872) ein. Die Eheleute bekamen zwei Töchter: Hertha (Jg. 1901) und Käthe (Jg. 1906). Im selben Jahr machte er sich mit dem Handel von Perlmuttknöpfen und -schnallen selbstständig. Zu dieser Zeit wohnte die Familie Schaarsteinweg 22 in der Hamburger Neustadt. 1916 starb seine Ehefrau und Paul Goldschmidt hatte allein für seine Töchter zu sorgen.

Im Juli 1918 heiratete er ein zweites Mal, die 1889 geborene Marie Dörge. Sie war keine Jüdin, konvertierte jedoch und gehörte der jüdischen Gemeinde bis 1925 an. Die Ehe blieb kinderlos.

Paul Goldschmidt zahlte bis ca. 1930 nahezu konstante Steuern an die Jüdische Gemeinde, die ab 1933 sanken. Einem Vermerk zufolge handelte es sich auch um freiwillige Beiträge.

Goldschmidt, der sich durch die antisemitische Zeitstimmung bedroht fühlte, übertrug seiner Ehefrau im Oktober 1934 den Betrieb als Alleininhaberin. So wollte er seine Erwerbsgrundlage sichern und sein Vermögen dem absehbaren staatlichen Zugriff entziehen. Wie richtig er mit seinem Misstrauen lag, zeigten die gewaltsamen Übergriffe gegen ihn wenige Monate später. Im Vorwege war ihm vorgeworfen worden, nicht in ausreichendem Maße für das NS-Winterhilfswerk gespendet zu haben. Die Presse griff das Thema auf, so dass es schließlich zu einer Kampagne gegen Goldschmidt kam.

Der Abend des 25. Januar 1935 blieb den Eheleuten Goldschmidt noch lange im Gedächtnis. Sie erfuhren, dass ein Überfall auf sie geplant sei. Der herbeigerufene Polizeivorsteher sagte ihnen Polizeischutz zu, wenn Goldschmidt sich in Gestapo-Haft begebe. Offenbar erweckte dieser den Anschein, darauf eingehen zu wollen, woraufhin zwei Polizeiposten zum Schutz seines Grundstücks erschienen. Nachdem Goldschmidt aber untergetaucht war, wurden sie wieder abgezogen. Daraufhin musste seine Ehefrau zwei Stunden lang mit ansehen, wie das Gartenhaus (vermutlich von rechten Schlägertrupps) demoliert wurde, ohne dass die nochmals von ihr benachrichtigte Polizei sich wieder blicken ließ. Paul Goldschmidt hielt sich sechs Wochen lang verborgen, um der angedrohten "Schutzhaft" im KZ Fuhlsbüttel zu entgehen. Nach seiner Rückkehr strengte er eine Schadensersatzklage gegen den Preußischen Staat an und beantragte am 6. April 1935 Armenrecht. Zudem bat er darum, ihm den in Wandsbek praktizierenden Anwalt Walter Jacobson zur Seite zu stellen. In seinem Schreiben an das Landgericht Altona ging er auf die Vorfälle an jenem Abend noch einmal ein.

"Am 25. Jan. 35 bekam ich einen ... Anruf, dass meinem Leben und meinem Hause Gefahr drohe, es sei ein Überfall gegen mich geplant. Ich habe hierauf folgende Maßregel ergriffen:
1. Tel. Hilfe vom Polizeipräsidium in Altona wegen schwacher Besetzung der Br(amfelder) Wache erbeten. Dies wurde abgelehnt.
2. Hierauf sandte ich meine Frau zu dem Vorsteher der hiesigen Wache.
3. Der Polizeivorsteher Ruhbach kam persönlich in mein Haus und sprachen wir über die Lage. Er sagte mir Doppelposten den ganzen Abend zu, wenn ich in Schutzhaft ginge.
4. Abends 7 1/2 Uhr hat sich der Doppelposten, die Beamten Schütt und Goldberger, von dem Obertruppführer Eggers entfernen lassen. Bald hierauf begann eine allgemeine Demolierung.
5. Abends 9 1/2 Uhr, als die Demolierung noch immer nicht zu Ende war, hat meine Ehefrau eine Zeugin zur Polizeiwache gesandt und um nochmaliges Einschreiten ersucht. Es wurde hierauf nicht reagiert. ... Ferner hat die Geheime Staatspolizei unter Führung des Herrn Kommissar Wentziow, Altona, eine Akte mit vielen Photographien über diesen Vorfall aufgenommen. ... Ich selbst habe keinerlei Mittel zur Führung des Prozesses. Ich bin auch gezwungen, zwei Zeitungen wegen schwerer Beleidigung vor dem Amtsgericht in Wandsbek zu belangen. ... Schadensforderung in Höhe von M 1067,– anbei. Ich bitte höfl. sich meiner großen Lebensnöte als bedrängter Jude annehmen zu wollen und verbleibe
Mit aller Achtung Paul Goldschmidt Hamburg-Bramfeld."

Aus der Aufstellung der "Kosten des Landfriedensbruches", die er dem Gericht einreichte, geht hervor, dass allein fünf Handwerker verschiedener Branchen nötig waren, um die Schäden zu reparieren. Ferner setzte Goldschmidt Kosten für die 42 Tage auf die Rechnung, an denen er sich wegen Lebensgefahr hatte verbergen müssen. Dabei erwähnte er auch den Oldesloer Landboten, offenbar eine der beiden Zeitungen, die Hetze gegen ihn betrieben hatten. In einem Zusatz seiner Aufstellung führte Goldschmidt auch einen Aufenthalt im Wandsbeker Zellengefängnis sowie öffentliche Diffamierungen und gesundheitliche und geschäftliche Nachteile an. Trotz seiner detaillierten Schilderungen wurde die Klage abgewiesen, und Goldschmidt blieb auf den Gerichtskosten in Höhe von 175 RM sitzen. Anzumerken bleibt noch, dass sich die genannten Vorfälle ereigneten, bevor die "Nürnberger Rassegesetze" erlassen wurden, die die Bürgerrechte der jüdischen Bevölkerung gesetzlich einschränkten.

Im März 1939 wanderte Goldschmidts Tochter Käthe nach Brasilien aus. Sie hatte zehn Jahre lang eine höhere Mädchenschule in Hamburg besucht und nach der Schulentlassung als Sekretärin und Lohnbuchhalterin gearbeitet, zuletzt bei der jüdischen Firma Herrenkleiderfabrik Fortschritt in Hamburg. Als der Betrieb nach dem 9. November 1938 "arisiert" wurde, verlor sie ihre Stellung.

Einen Monat nach ihrer Emigration nahm die Devisenstelle Ermittlungen gegen Paul Goldschmidt auf, verzichtete jedoch auf den Erlass einer Sicherungsanordnung. Über die Vermögenswerte – es handelte sich um das Grundstück – konnte ohnehin nur mit Genehmigung verfügt werden. Paul Goldschmidt hatte zuvor erklärt, dass ihm außer einem Einfamilienhaus in Bramfeld, das er selbst bewohne, nur ein kleiner gewerblicher Betrieb (Knöpfe en gros) mit einem Kapital von 2000 RM gehöre, den er seiner "arischen" Ehefrau inzwischen übereignet habe.

Am 24. November 1938, also nach dem Novemberpogrom, hatte Marie Goldschmidt den Antrag gestellt, die Firma Paul Goldschmidt weiterzuführen. Ein halbes Jahr später erteilte ihr der Reichsstatthalter die Erlaubnis unter folgender Auflage: "Ihrem jüdischen Ehegatten ist jeglicher Einfluss auf den Geschäftsbetrieb untersagt. Bei der Namensführung der Firma haben Sie ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Sie Inhaberin sind." Zwar ließen die Goldschmidts nun Geschäftspapiere mit dem Zusatz "Arische Inhaberin Frau Marie Goldschmidt" drucken. Doch die Eheleute nahmen diese Auflage offenbar nicht so genau, anders als einige ihrer Geschäftspartner. Marie Goldschmidt erhielt nämlich Post von der Verwaltung für Handel, Schiffahrt und Gewerbe, der Klagen vorlagen, dass ihr Mann Ende Oktober bei der Firma E. Lau vorstellig geworden war, um Aufträge zu erhalten. In dem Schreiben hieß es ferner: "Sie werden letztmalig darauf aufmerksam gemacht, dass Ihr Unternehmen unweigerlich geschlossen wird, sofern die nächste diesbezügliche Klage bei der Verwaltung einläuft."

Der Druck auf die Eheleute, insbesondere auf den jüdischen Ehemann, ließ nicht nach. Noch gehörte ihm das Grundstück. Am 17. Juni 1942 teilte die Verwaltung für Handel, Schiffahrt und Gewerbe der Devisenstelle mit, "dass ein Antrag auf Verkauf des im Besitz des Juden Paul Aaron Philipp Israel Goldschmidt, wohnhaft Hamburg Bramfeld, Am See 26, befindlichen Grundstücks eingegangen ist." Käuferin des Grundstücks sollte seine Ehefrau Marie Goldschmidt sein.

Das Grundstück wurde auf Veranlassung der Gestapo mit sofortiger Wirkung von der Hamburgischen Grundstücksverwaltung in Verwaltung genommen und die Wohnräume beschlagnahmt. Wo die Eheleute stattdessen unterkamen, ist nicht bekannt. Ende Dezember 1942 genehmigte die Devisenstelle die Übereignung des Grundstücks an Marie Goldschmidt. Die Finanzverwaltung ging damit kein Risiko ein, da der bar zu zahlende Teil des Kaufpreises ohnehin auf ein Konto einzuzahlen war, über das Paul Goldschmidt nur mit Zustimmung der Devisenstelle verfügen konnte.

Kurz zuvor hatte Marie Goldschmidt die letzte Rate der sogen. Judenvermögensabgabe entrichtet, die vom Finanzamt Barmbek-Wandsbek erhoben wurde, insgesamt knapp 4000 RM. Damit hatten die staatlichen Stellen sich auch eines Großteils des Barvermögens der Eheleute bemächtigt. Blieb noch die Aufhebung der störenden "Mischehe" selbst.

Bis zu seiner Scheidung am 6. Oktober 1942 wohnte Goldschmidt zusammen mit seiner Ehefrau in seinem Bramfelder Haus. In dieser prekären Situation, ein ungewisses Schicksal vor Augen, wollte Paul Goldschmidt handlungsfähig bleiben. Er setzte auf die Zeit nach dem Krieg. In seinem Schriftstück heißt es:

"Für etwaige Schädensvergütungen nach dem Kriege erkenne ich meine Ehefrau Marie Goldschmidt ... als berechtigte Empfängerin an. Meine Frau ist durch die Gesetzgebung gezwungen gewesen, sich von mir scheiden zu lassen, damit sie nicht um alles kommt. Wir lebten fast 25 Jahre in glücklicher Ehe. Durch das antisemitische Treiben habe ich große Geldverluste erlitten.
Hamburg-Bramfeld Oktober 1942 Paul Goldschmidt".

Seine Frau ließ die Ehe aufheben, eine Möglichkeit, die die nationalsozialistischen Machthaber für solche Fälle vorgesehen hatten: Als sie ihn 1918 geheiratet habe, seien ihr die Umstände nicht bekannt gewesen, die "heute gegen eine derartige Ehe" sprächen. Sie nahm ihren Geburtsnamen wieder an. Paul Goldschmidt zog in das jüdische Altenheim Schäferskampsallee 25/27, dann zu seiner Tochter Hertha. Ab und zu besuchte er seine Frau in Bramfeld. Während dieser Zeit denunzierte ihn der Nachbar Clausen, so dass Goldschmidt im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert wurde und nach seiner Entlassung bis zu seiner Deportation im jüdischen Altenheim bleiben musste.

Die antijüdischen Maßnahmen hatten Paul Goldschmidt entrechtet und seiner Familie entfremdet. Mit der Scheidung den sogen. Volljuden gleichgestellt, hatte Paul Goldschmidt auch den Schutz vor einer Deportation verloren. Am 24. Februar 1943 musste er den Zug nach Theresienstadt besteigen, wo er zwei Tage später registriert wurde. Noch im Februar 1943 zog man sein Vermögen zu Gunsten des Reiches ein, womit auch Goldschmidts Enteignung abgeschlossen war. Sein Tod erfolgte am 21. Dezember 1943; er war 69 Jahre alt.

Die Ehescheidung wurde nach dem Krieg rückwirkend annulliert. Marie Goldschmidt betrieb den Knopfhandel bis September 1945 weiter. Paul Goldschmidts Todesdatum war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Er wurde erst einmal auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt. Spätere Nachforschungen ergaben, dass er 1 1/2 Jahre früher verstorben war.

Die ältere Tochter Hertha, Näherin von Beruf, und mit einem nichtjüdischen Ehemann verheiratet, musste von September 1942 bis Februar 1945 in verschiedenen Hamburger Firmen Zwangsarbeit leisten. Am 14. Februar 1945 wurde sie im Rahmen der letzten Deportation aus Hamburg, getarnt als "auswärtiger Arbeitseinsatz" nach Theresienstadt deportiert. Im Mai 1945 befreiten die Alliierten das Lager. Hertha Goldschmidt kehrte nach Hamburg zurück.

© Astrid Louven

Quellen: 2 R 1939/2363; AfW 160389, 151101, 050806; 7; Landgericht Hamburg, Urteil 4 R 256/42; Astrid Louven, Juden, S. 220f; Beate Meyer, Fragwürdiger Schutz in: dies. (Hrsg.), Verfolgung, S. 79–88, hier: S. 82.


Paul Aron Philipp Goldschmidt, geb. 19.12.1874, deportiert am 24.2.1943 nach Theresienstadt, dort verstorben am 21.12.1943

Fabriciusstraße 274 (Am See 26)

Vor dem Grundstück in der heutigen Fabriciusstraße 274 liegt der Stolperstein für Paul Aron Philipp Goldschmidt. Zu Lebzeiten des jüdischen Knopfhändlers lautete die Anschrift noch "Am See 26". Das Haus der Familie Goldschmidt befand sich bis Mitte der 1980er Jahre im Familienbesitz. Nach dem Verkauf wurde es abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Das Schicksal von Paul Goldschmidt hat Astrid Louven bereits 2008 im Wandsbeker Stolpersteinbuch ausführlich beschrieben. Auch die Bramfelderin Ingrid Seeler hat ihm in ihrem Buch "Bramfeld, Hellbrook, Steilshoop" einen ganzen Abschnitt gewidmet. Basierend auf diesen Aufzeichnungen hat die Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine für Bramfeld weitere Recherchen angestellt und dabei einige Details über die Familie Goldschmidt in Erfahrung bringen können, die hier nun erstmals veröffentlicht werden.

Paul Aron Philipp Goldschmidt wurde am 19. Dezember 1874 in Hamburg geboren. Wenige Wochen vor der Machtübernahme Hitlers hatte er seinen 59. Geburtstag gefeiert. Seit dem 3. Juli 1918 war er mit der 15 Jahre jüngeren Marie Louise Dörge verheiratet. Aus seiner ersten Ehe mit Betty Halberstadt (1872–1916) hatte er die zwei Töchter Hertha (geb. 1901) und Käthe (geb. 1906). Seit 1923 war er Großvater.

Marie Goldschmidt konvertierte nach ihrer Hochzeit zum Judentum und gehörte der Jüdischen Gemeinde bis zum 19. September 1925 an. Der Kultussteuerkarte von Paul Goldschmidt ist zu entnehmen, dass er bis ca. 1930 Steuern an die Jüdische Gemeinde abführte.

Seit 1906 betrieb Goldschmidt eine Knopffabrikation. Der Firmensitz war zunächst im Schaarsteinweg 11 in der Hamburger Neustadt, wo er mit seiner ersten Frau und den gemeinsamen Kindern auch wohnte. Aus den Antragsformularen in der Wiedergutmachungsakte von Marie Goldschmidt lässt sich indirekt entnehmen, dass Marie und Paul Goldschmidt 1925 nach Bramfeld zogen, was sich auch mit den Angaben von Ingrid Seeler deckt.

Das Bild, das sich auf Grundlage der Wiedergutmachungsakten von Paul Aron Goldschmidt ergibt, zeigt einen aktiven Kaufmann, der bereit war, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen und Ideen initiativ umzusetzen. So wandte er sich im Februar 1927 mit dem Anliegen an die Gemeindeverwaltung Bramfelds, in den Sommermonaten eine Pension einzurichten. Um seinen Sommergästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, bat er die Verwaltung, am Bramfelder See ein paar Bänke aufzustellen und für die Sauberkeit des Sees Sorge zu tragen. Einer handschriftlichen Aktennotiz ist zu entnehmen, dass es zu diesem Thema weitere Gespräche gegeben hat.

Mit der Machtübernahme Hitlers verlor das Leben der Familie Goldschmidt seine Stabilität. Bereits lange vor dem Novemberpogrom wurde das Haus der Goldschmidts zum Ziel gewalttätiger Übergriffe. In einem Schreiben an das Landgericht Altona protokollierte Gold­schmidt einen dieser Vorfälle wie folgt:

"Am 25. Jan. 35 bekam ich einen [...] Anruf, dass meinem Leben und meinem Hause Gefahr drohe, es sei ein Überfall gegen mich geplant. Ich habe hierauf folgende Maßregel ergriffen:
1. Tel. Hilfe vom Polizeipräsidium in Altona wegen schwacher Besetzung der Bramfelder Wache erbeten. Dies wurde abgelehnt.
2. Hierauf sandte ich meine Frau zu dem Vorsteher der hiesigen Wache.
3. Der Polizeivorsteher Ruhbach kam persönlich in mein Haus und wir sprachen über die Lage. Er sagte mir Doppelposten den ganzen Abend zu, wenn ich in Schutzhaft ginge.
4. Abends 7 1⁄2 hat sich der Doppelposten, die Beamten Schütt und Goldberger, von dem Obertruppenführer Eggers entfernen lassen. Bald hierauf begann eine allgemeine Demolierung.
5. Abends 9 1⁄2, als die Demolierung noch immer nicht zu Ende war, hat meine Ehefrau eine Zeugin zur Polizeiwache gesandt und um nochmaliges Einschreiten ersucht. Es wurde hierauf nicht reagiert [...]
Ferner hat die Geheime Staatspolizei unter Führung des Herrn Kommissar Wentziow, Altona, eine Akte mit vielen Photographien über diesen Vorfall aufgenommen. [...] Ich selbst habe keinerlei Mittel zur Führung des Prozesses. Ich bin auch gezwungen zwei Zeitungen wegen schwerer Beleidigung vor dem Amtsgericht Wandsbek zu belangen. [...] Schadensforderung in Höhe von M 1067,– anbei. Ich bitte höflich, sich meiner großen Lebensnöte als bedrängter Jude annehmen zu wollen und verbleibe
Mit aller Achtung Paul Goldschmidt Hamburg-Bramfeld."

Dem Stadtteilarchiv Bramfeld liegen Fotos vor, die die nationalsozialistische Zerstörungswut dokumentieren. Fensterscheiben wurden zerschlagen, Dachziegel gingen zu Bruch und Farbe hinterließ sichtbare Spuren an der Hausfassade.

In seiner Kostenaufstellung kam Goldschmidt auf einen Sachschaden in Höhe von 1067 RM. Darin enthalten sind die Kosten für Glaser, Maler, Tischler, Elektriker und Dachdecker. Aus seiner Liste geht außerdem hervor, dass Marie Goldschmidt die Übergriffe aus dem Nachbarhaus verfolgte. Goldschmidt war offenbar im "Wandsbeker Zellengefängnis" inhaftiert. Außerdem sprach er davon, 42 Tage verborgen gewesen zu sein. Über die näheren Umstände dieser Zeit ist uns nichts bekannt.
Den Überfall nahm er trotzdem nicht widerspruchslos hin. Im März 1935 verklagte er den preußischen Staat beim Landgericht Altona auf Schadensersatz. Seine Klage wurde abgewiesen.

Auf den tätlichen Angriff folgte der Rufmord. In verschiedenen Zeitungen wurde der Überfall wenige Tage später als Reaktion auf ein Paket mit Knopfmustern dargestellt, das Goldschmidt dem Winterhilfswerk gespendet hatte und das von der NS-Einrichtung als Provokation gedeutet wurde. Ingrid Seeler zitiert das "Hamburger Tageblatt" vom 29. Januar 1935 wie folgt: "Als dann die Geschäftsstelle geöffnet wurde, um die darin erwarteten Lebensmittel an die Bedürftigen zu verteilen, wurden die Gesichter der Anwesenden lang und länger. Denn aus dem Paket kamen lauter Musterkarten, wie sie Geschäftsreisende mit sich zu führen pflegen, mit Knöpfen besetzt, heraus. Und wie gesagt, nicht zwei der Knöpfe glichen einander. Die abgedankten Muster mögen Museumswert haben, aber für die allerbedürftigsten Volksgenossen als Weihnachtsspende? [...] Die Ortsgruppe der NSDAP hat die von dem Juden Goldschmidt gespendeten Musterkarten mit den Knöpfen öffentlich ausgestellt, um die sich in der Spende offenbarende Gesinnung vor aller Mitbürger Augen ins rechte Licht zu stellen."

Auch der "Oldesloer Landbote" befasste sich am 28. Januar 1935 mit dem Thema. Zitat nach Ingrid Seeler: "Eine ungeheure Erregung hatte unter der versammelten Menge, die das Plakat umsäumten, Platz gegriffen, so dass ernstlich zu befürchten war, dass die Menge gegen Goldschmidt vorgehen würde. Deshalb wurde nochmals telefonisch bei der Stapo angefragt, ob nicht doch eine Inschutzhaftnahme des G. zu veranlassen wäre. Um von Vorneherein jede Demonstration der Menge zu vermeiden, wurde der Obertruppenführer Eggers beauftragt, eventuell erscheinende Demonstranten zu beruhigen. Dieses ist durch Eggers geschehen. An dieser Stelle muß darauf hingewiesen werden, daß die Inschutznahme des Goldschmidts ein Akt der unbedingten Notwendigkeit war. Nach dem gemachten Bericht des Pg. Eggers wäre G. nicht mit seinem Leben davon gekommen, hätte die erregte Menge ihn erwischt."

Die Knopfspende hat es tatsächlich gegeben. Die Zeitungen verschweigen in ihrer Berichterstattung allerdings, dass Goldschmidt zuvor in der Kleiderkammer der Winterhilfe angefragt hatte, ob Knöpfe gebraucht würden. Diese Frage war – so berichtet es Ingrid Seeler – ausdrücklich bejaht worden. Außerdem gehen die Zeitungen über die Tatsache hinweg, dass er die Hilfsorganisation über mehrere Jahre mit Lebensmittelspenden bedacht hatte und das Knopfpaket somit nur eine zusätzliche Gabe darstellte.

Dem Stadtteilarchiv Bramfeld liegen Berichte von Zeitzeugen vor, die besagen, dass der Antisemitismus in Bramfeld bereits in den 1930er Jahren deutlich spürbar war. Die Bramfelderin Irma Kruse schilderte in einem Interview mit dem Stadtteilarchiv Bramfeld 2009 folgenden Vorfall: "Aber ich weiß, mein Vater, der wollte mal mit dem Bus fahren [...] und dann stand da [der Goldschmidt] und dann hat er zu meinem Vater gesagt, der Busfahrer hält nicht, wenn ich hier alleine stehe, bleiben Sie doch bitte bei mir stehen. Da ist mein Vater stehen geblieben [...]."

Auch Ingrid Seeler berichtet von ähnlichen Vorfällen: "Erzählt wird immer wieder, daß es mindestens einmal geschehen ist, dass Paul Goldschmidt am Barmbeker Bahnhof von einem SA-Mann aus einem überfüllten Bus nach Bramfeld herausgeholt worden ist, um ,Platz für Arier‘ zu schaffen [...]."

Im Oktober 1938 machte Paul Goldschmidt seine Frau zur Alleininhaberin seiner Firma, um der Familie die Erwerbsgrundlage zu sichern und den Besitz vor staatlichem Zugriff zu schützen. Astrid Louven hat den behördlichen Weg bis zur vollkommenen Enteignung Goldschmidts detailliert beschrieben.

Im Juni 1942 ging bei der Verwaltung für Handel, Schifffahrt und Gewerbe ein Antrag auf den Verkauf des Grundstücks an Marie Goldschmidt ein. Daraufhin beschlagnahmte die Gestapo Grundstück und Wohnhaus und überließ es der Hamburger Grundstücksverwaltung. Erst Ende Dezember 1942 – also nach der Eheauflösung – erteilte die Devisenstelle die Ge­nehmigung für die Übereignung des Grundstücks an Marie Goldschmidt. Astrid Louven weist darauf hin, dass die Finanzverwaltung mit der Verkaufsgenehmigung kein Risiko einging: Der Kaufpreis wurde auf ein Konto überwiesen, über das Paul Goldschmidt nur mit Erlaubnis der Devisenstelle verfügen durfte.

Am 8. Oktober 1942 verkündete das Landgericht Hamburg die Aufhebung der Ehe zwischen Paul und Marie Goldschmidt. Ein Vermerk in der Urteilsbegründung deutet darauf hin, dass Paul Goldschmidt es sich auch in diesem Verfahren nicht hat nehmen lassen, seine Meinung zu äußern. "Mit dem [...] Antrag begehrt die Klägerin Aufhebung der Ehe, weil der Beklagte Jude sei. Dies hat der Beklagte, der in diesem Verfahren nicht vertreten ist, glaubwürdig zugegeben und erklärt, dass er gegen die Aufhebung der Ehe nichts einwenden wolle; die Klägerin sei den Umständen nach gezwungen, die Aufhebungsklage gegen ihn einzureichen. [...]."

Wie vorausschauend er handelte, zeigt eine Vollmacht, die er im Oktober 1942 für seine Frau ausstellte. Darin hieß es: "Für etwaige Schädensvergütungen nach dem Kriege erkenne ich meine Ehefrau Marie Goldschmidt [...] als berechtigte Empfängerin an. Meine Frau ist durch die Gesetzgebung gezwungen gewesen, sich von mir scheiden zu lassen, damit sie nicht um alles kommt. Wir lebten fast 25 Jahre in glücklicher Ehe. Durch das antisemitische Treiben habe ich große Geldverluste erlitten."

Aus den Aufzeichnungen, die Marie Goldschmidt in den Nachkriegsjahren ihrem Wiedergutmachungsantrag beifügte, wird ebenfalls deutlich, dass die Drangsalierung der jüdischen Bevölkerung durch die Staatsgewalt auch einen finanziellen Aspekt hatte, der in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Allein für die staatlich erzwungene Eheaufhebung und die Überschreibung des Hauses musste Marie Goldschmidt im Jahr 1942 1541,16 RM zahlen. 1939 war dem Paar bereits eine "Judenbuße" in Höhe von 3851,80 RM abverlangt worden. 1944 wurden durch das Finanzamt Wertpapiere im Wert von 9400 RM eingezogen.
Nach seiner Scheidung zog Paul Goldschmidt in das Jüdische Altenheim in der Schäferkampsallee 25/27. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, zu seiner Frau nach Bramfeld zu fahren. Bei einem dieser Besuche wurde er von seinem Nachbarn Clausen denunziert, im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert und nach seiner Entlassung gezwungen, im jüdischen Altenheim zu bleiben. Am 24. Februar 1943 wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er am 21. Dezember 1943 im Alter von 69 Jahren starb. Sein Vermögen wurde zugunsten des Reiches eingezogen.

Auch die Töchter Hertha und Käthe sowie Enkelsohn Edwin hatten unter der antisemitischen Politik der Nationalsozialisten zu leiden.

Käthe hatte zehn Jahre lang die höhere Mädchenschule in Hamburg besucht und arbeitete bis 1938 als Sekretärin und Lohnbuchhalterin bei der "jüdischen" Herrenkleiderfabrik Fortschritt. Nach dem 9. November 1938 wurde die Firma "arisiert" und Käthe verlor ihren Arbeitsplatz. Im März 1939 wanderte sie nach Brasilien aus.

Tochter Hertha war mit dem nichtjüdischen Schneider Otto Christian Beeck (geb. 8.9.1897) verheiratet. Vor dem Krieg arbeitete sie als Gemeindesekretärin. Von 1941 bis 1945 wurde sie zur Zwangsarbeit verpflichtet. Ihrer Wiedergutmachungsakte liegen folgende Bescheinigungen bei:
Max Ludwig, Chemische Fabrik, Wexstraße 35, Hamburg 36: "Hierdurch bescheinige ich, dass Frau Hertha Beeck, geb. Goldschmidt, geb. 15.11.1901 zu Hamburg bei mir vom 18.3.41 bis 29.2.1944 als Packerin beschäftigt war. Hamburg, den 20.9.1948" Unterschrift: i.A. W. Langfelde (oder ähnlich).
Egmont Gross, Ferdinandstraße 6/10, HH 1/ Neue und gebrauchte Säcke, Jutegewebe, Baumwollsäcke, Handtuchbeutel, Papiersäcke: "Hiermit bescheinige ich, dass Frau Hertha Beeck, wohnhaft Hamburg 13, Bornstraße 22, vom 2. März 1944 bis 11. April 1944 in meinem Betriebe als Stopferin beschäftigt war. (d. 24.9.1948 / Unterschrift nicht lesbar -> Hempe."
Schneidermeister Max Scheelcke, Maß- und Uniformschneiderei am 29.9.48: "Frau Hertha Beeck geb. Goldschmidt war vom 8.5.1944–9.2.1945 bei mir als Näherin beschäftigt."

Am 14. Februar 1945 wurde Hertha Beeck nach Theresienstadt deportiert. Nach der Befreiung des Lagers im Mai 1945 kehrte sie nach Hamburg zurück.

Ihr Sohn Edwin besuchte bis Ostern 1937 die Volksschule. Eine Lehrstelle wurde ihm aufgrund seiner "halbjüdischen" Abstammung verweigert. Paul Goldschmidt beschäftigte seinen Enkelsohn daraufhin für etwa ein Jahr als Bote in seinem Knopfgeschäft. Am 17. Juli 1943 wurde Edwin als "Volksschädling" in Strafhaft genommen und erst am 25. Mai 1945 aus der Haft entlassen.

Am 1. Januar 1952 erbten Marie Goldschmidt, Hertha Beeck, geb. Goldschmidt, und ihre Schwester Käthe Katzenstein das Haus in der Fabriciusstraße im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens. Die Immobilie war total sanierungsbedürftig. Das Haus wurde zunächst vermietet. 1961 zog Hertha Beeck ins Haus ihres Vaters. Nach ihrem Tod 1976 bewohnte Edwin Beeck das Einfamilienhaus mit seiner Frau. Nach seinem Tod in den 1980er Jahren wurde es verkauft und abgerissen.

© Ulrike Hoppe, Britta Burmeister

Quellen: StaH 351-11 (AfW) 11411, Abl. 2008/16.03.89; StaH, 351-11 (AfW) Abl. 2008/1, 07.04.23; StaH, 351-11 (AfW) Abl. 2008/1, 15.11.01; StaH 423-3/3, III70-2/3; Astrid Louven/Ursula Pietsch, Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern, Hamburg 2008; Ingrid Seeler, Bramfeld, Hellbrook, Steilshoop, Hamburg 1988; Interview mit Irma Kruse von Ulrike Hoppe, Stadtteilarchiv Bramfeld, 21.10.2009

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