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Fritz Goldmann * 1906

Axel-Springer-Platz 2 (Hamburg-Mitte, Neustadt)

1944 KZ Buchenwald ermordet

Weitere Stolpersteine in Axel-Springer-Platz 2:
Gustav Goldmann

Fritz Goldmann, geb. am 16.4.1906 in Hamburg, inhaftiert 1944 KZ Buchenwald, gestorben Anfang April 1945 im Außenlager Espenfeld bei Gotha
Gustav Goldmann, geb. am 5.9.1904 in Hamburg, inhaftiert 1944 KZ Buchenwald, auf einem der Evakuierungsmärsche 1945 ums Leben gekommen

Axel-Springer-Platz 2 (Fuhlentwiete 28)

Nach den Bombenangriffen der amerikanischen und englischen Luftwaffe auf Hamburg, Ende Juli/Anfang August 1943, der "Operation Gomorrha", waren große Teile der Stadt zerstört, auch die Fuhlentwiete lag in Schutt und Asche. Die Witwe Amanda Goldmann und ihre Söhne Fritz und Gustav verloren ihr Heim in der zweiten Etage der Fuhlentwiete 28. Sie gelangten als "Bombenflüchtlinge" nach Bendestorf in den Landkreis Harburg nach Niedersachsen. Dort wurden die Brüder als "Politische Mischlinge I Grades" verhaftet.

Fritz und Gustav Goldmann waren die jüngsten Kinder des Rechtsanwalts Ernst Goldmann (geb. 31.8.1872) und Amanda Sophie, geb. Wülffcken (geb. 14.11.1874), die am 6. Oktober 1904 in Hamburg standesamtlich geheiratet hatten. Der Vater Ernst Goldmann war in einer jüdischen Familie zur Welt gekommen. Dessen Vater Gedallje Goldmann (geb. 25.1.1839), Gustav genannt, stammte aus Gostyn, aus dem preußischen Posen (heute Polen). Der Lehrer und Doktor der Philosophie gehörte in Hamburg einer Freimaurerloge an und gründete 1870 am Neuen Wall 50 ein "Unterrichts-Institut" zur Vorbereitung auf das Einjährigen Examen. Junge Männer, die ihren Militärdienst verkürzen wollten, konnten sich zu einem einjährigen Dienst melden als "Einjährig-Freiwilliger". Wenn kein gehobener Schulabschluss nachgewiesen werden konnte, musste zur Zulassung eine Prüfung bestanden werden. Nach der Verlegung der "Lehranstalt" an den Großen Burstah 34 wurde sie dort als "Militair-Vorbereitungs-Anstalt" bezeichnet.

Die Schule bestand auch noch nach dem Tod ihres Gründers, am 24. April 1912, viele Jahre unter der Leitung des Nachfolgers Waldemar Brechtefeldt als "Institut Dr. Gustav Goldmann" am Holzdamm 38 weiter.

Ernst und Amanda Goldmann bekamen zwischen 1897 und 1906 sechs Kinder. Sie gehörten der evangelisch-lutherischen Kirche an. Ernst Goldmann praktizierte seit 1898 als Rechtsanwalt in Hamburg. Seine erste juristische Prüfung hatte er am 3. Februar 1894 in Celle abgelegt. Nach seiner Referendarzeit und bestandener zweiter Prüfung eröffnete er eine Kanzlei in der Kaiser-Wilhelm-Straße 47 im Kontorhaus "Sternenhof". Sein ältester Sohn Hans Goldmann (geb. 26.8.1900) folgte in der Berufswahl seinem Vater. Nach Abitur und Studium gründeten sie gemeinsam eine Sozietät und führten eine Rechtsanwaltskanzlei in der Hamburger Innenstadt im "Adolphshof", Hohe Bleichen 5/7.

Am 25. April 1933 verlor Hans Goldmann seine Approbation wegen "nicht arischer Abstammung". Sein Vater Ernst Goldmann konnte zunächst weiter praktizieren, er besaß das Privileg einer frühen Zulassung zum Rechtsanwalt. Denn ausgenommen von dem Berufsverbot waren diejenigen, die vor 1914 zugelassen worden waren und im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten. 1934 gab er die Kanzlei auf. Die Wohnung wurde aus dem Krohnskamp 73 in Winterhude in die Colonnaden 36 verlegt. Vielleicht übte Ernst Goldmann seinen Beruf noch in der Privatwohnung aus. Er verstarb am 11. September 1937 im Alter von 65 Jahren.

Am 28. Januar 1938 traf Familie Goldmann ein weiterer Schicksalsschlag. Sohn Kurt (geb. 1901) fuhr als Zimmermann auf dem Dampfer der Fairplay-Reederei "Richard Borchard" zur See. Sein Schiff geriet auf dem Weg von Nordenham/England nach Pasajes/Nordspanien in einen schweren Sturm. Als es in der Nordsee unterging, konnte sich keiner der achtzehn Mann starken Besatzung retten. Die Eignerin des Dampfers, Lucy Borchard (geb. 1877, gest. 1969), ermöglichte jüdischen Jugendlichen auf ihren Schiffen eine seemännische Ausbildung, eine Hachschara, die Vorbereitung und Voraussetzung für eine Einwanderung nach Palästina. Sie wurde nach dem Unglück von einem ehemaligen Angestellten beschuldigt, die Besatzung hätte nur aus ungeschulten Seeleuten bestanden, deshalb hätten sie dem Sturm nicht standhalten können, "da Frau Borchard, immer bemüht war, unausgebildete jüdische Jungen einzustellen, die natürlich keine Seeleute sind und nie welche werden". Das Hamburger Seeamt widerlegte diese Anschuldigung jedoch.

Amanda Goldmann zog mit ihren Söhnen Fritz und Gustav in die Fuhlentwiete 28. Ihre älteren Kinder waren verheiratet und lebten in eigenen Haushalten. Fritz und Gustav hatten kaufmännische Ausbildungen erhalten. Fritz hatte bis zur mittleren Reife die private Wahnschaff-Schule in der Neuen Rabenstraße 14–15 besucht und als kaufmännischer Angestellter gearbeitet. Zudem machte er sich als Handelsvertreter selbstständig. Beide Brüder waren ledig. Gustav konnte seine nichtjüdische Verlobte Gertrud Ilse Schlatter (geb. 22.5.1913) nach dem "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre", einem der Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935, nicht mehr heiraten. Ihre gemeinsame Tochter Vera kam am 10. Mai 1938 unehelich zur Welt.

Gustav und Fritz Goldmann gehörten vor 1933 der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (SPD) an. Ob sie sich auch noch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme politisch betätigten, ist nicht bekannt. Am 1. August 1944 wurden sie in Bendestorf durch die Gestapo verhaftet und in das Landesgerichtsgefängnis nach Lüneburg überstellt. Die Gründe sind uns nicht bekannt. Ob sie sich politisch geäußert hatten oder denunziert wurden, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Aber wenn "Mischlinge" ins Visier von Polizei oder Gestapo gerieten, führte die jüdische Abstammung meist zur Einlieferung in ein Konzentrationslager, wie auch hier nach vier Monaten Gefängnis.

Zwei Briefe an ihre Mutter sind erhalten:
"6.8.1944: Liebe Mama, von Fritz und mir die besten Grüße. Es geht uns gut. Wir leiden [unleserlich] natürlich sehr darunter, hier zu sitzen. Wenn wir nur erst Klarheit hätten warum? Ihr könnt uns ebenfalls schreiben. Ich hoffe jedoch, dass alles nur ein Irrtum ist und wir uns bald wiedersehen werden. Ich weiß im Moment auch nichts mehr zu berichten. Da ich alle 14 Tage schreiben darf, wird Fritz nächste Woche berichten. Hoffentlich sind wir dann jedoch schon wieder heraus. Es grüßt alle bestens Dein Sohn Gustav. Fritz braucht eine Zahnbürste und einen Rasierapparat Pinsel und Seife. Schickt es bitte zu per Päckchen oder falls jemand in Lüneburg zu tun hat kann es auch hier abgegeben werden."

"13.8.1944: Liebe Mama, nun bin ich 14 Tage von Dir fort und noch nicht vernommen worden. Wir müssen eben abwarten. Denke den ganzen Tag nur an Dich. Ich habe eine große Bitte, liebe Mama, bleibe gesund und mache Dir keine großen Sorgen und Gedanken – denn wenn wir entlassen werden, wollen wir dich gesund vorfinden. Mir geht es gut. Habe sofort um Arbeit gebeten und auch sofort erhalten. Man ist mit meiner Arbeit auch zufrieden, das merkt man. Waren Ilse und Max bei Dir? [gemeint sind Schwester und Schwager] Hoffentlich haben unsere anderen Geschwister keinen Bombenschaden. Gehe auch mal zu Frau Löhner, es ist für Dich eine Abwechslung. Löhners sind doch nette Menschen. Grüße bitte von mir. Wenn Du Lust hast gehst du auch mal zu Frau Pauken. Falls Du Geschäftspost für mich erledigst, denke dann an Kopien zu machen, für die Ablage. Am 10. September ist Einkommensteuer fällig. Ich habe RM 180,- zu zahlen. Meine Steuernummer lt. 43/188 und das Finanzamt ist Hamburg Neustadt. Schreibe mir doch auch mal. Ich darf nur alle 4 Wochen schreiben, denke aber auch, bis dahin wieder bei Dir zu sein. Gustav lässt auch Grüßen. Die Wäsche habe ich dankend erhalten, war sehr nett von Dir. Nun Liebe Mama will ich schließen und hoffe sehr bald von Dir zu hören. Grüße die Geschwister alle und sei selber herzlichst gegrüßt von Deinem stets an Dich denkenden Sohn Fritz."

Am 7. Dezember 1944 wurden die Brüder ins KZ Buchenwald überstellt. Sie kamen in den Block 58 des "Kleinen Lagers", ein sogenanntes Durchgangslager oder auch Quarantänestation. Fritz wurde dort mit der Häftlings-Nr. 47614 und Gustav mit der Häftlings-Nr. 47616 registriert. Am 8. Januar 1945 wurden beide in das Arbeitslager Ohrdruf (S III) etwa 13 km südlich von Gotha verlegt. Da der tägliche Marschweg der Häftlinge zu den Arbeitsplätzen im Jonastal zu weit vom Lager Ohrdruf entfernt lagen, wurden zwei neue Nebenlager errichtet, Crawinkel und Espenfeld. Das Lager Espenfeld bestand erst seit Januar 1945. Die meisten der etwa 1500 Häftlinge wurden in großen Mannschaftszelten untergebracht. Sie wurden für den Bau von unterirdischen Tunnel- und Bunkeranlagen eingesetzt.

Der Buchdrucker und Mithäftling Egon Strauss (geb. 1917) beglaubigte nach dem Krieg: "Die beiden Brüder befanden sich nach der Verlegung von Buchenwald im Lager Espenfeld im Block V für Juden und Ausländer. Nach 3–4 Wochen erkrankte Fritz an Fieber [Fleckentyphus] und kam ins Krankenrevier. Sein Bruder Gustav unterrichtete mich von Zeit zu Zeit über den immer schlechter werdenden Gesundheitszustand seines Bruders. Mir war es möglich, ihn noch einmal zu besuchen, jedoch erkannte mich Fritz nicht mehr, da er sehr hohes Fieber hatte und durch die schlechte Verpflegung im Revier ziemlich entkräftet war. Eines Tages kam Gustav weinend zu mir und sagte, dass sein Bruder seiner Krankheit erlegen sei und in einem Papiersack in die sogenannte Totenkuhle gebracht wurde. Dies geschah am selben Tag, als das Lager Espenfeld vor den anrückenden Amerikanern geräumt wurde [zwischen dem 1. und 4. April 1945]. Auf dem Rückmarsch nach Buchenwald hatten ich und Gustav Gelegenheit mit dem ersten Revierarzt, einem ungarischen Juden zu sprechen. Dieser sagte, dass es ein Glück sei, dass Fritz so schmerzlos eingeschlafen sei, denn der Lagerführer Hauptscharführer Stolten habe sämtliche nicht marschfähige Häftlinge erschießen lassen beziehungsweise selbst erschossen."

Der Fußmarsch zurück ins Stammlager Buchenwald dauerte drei Tage. Wer geschwächt das geforderte Tempo nicht halten konnte, wurde unterwegs von der begleitenden SS-Wachmannschaft am Wegesrand erschossen. Ob Gustav Goldmann zu den Häftlingen gehörte, die das Lager erreichten oder während der Evakuierungstransporte kurz vor der Befreiung am 11. April 1945 durch die Amerikaner, von Buchenwald nach Leitmeritz in Nordböhmen, nahe Theresienstadt ums Leben kam, ist unbekannt. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, auf dem Grabfeld der Geschwister-Scholl-Stiftung erinnert eine Stelle an verfolgte und ermordete Sozialdemokraten. Fritz und Gustav Goldmann sind auf dem Gedenkstein mit dem Todesdatum 1945 aufgeführt.

Die Geschwister Ilse Erna Hüttmann (geb. 7.5.1897), Lotte Viola Hoyer (geb. 17.11.1898), Grete Siemer (geb. 31.5.1903) und Hans Goldmann haben die Zeit des Nationalsozialismus überlebt. Hans Goldmann erhielt am 13. August 1945 seine Zulassung als Rechtsanwalt zurück. Amanda Goldmann starb am 4. Juni 1953 in Hamburg.


Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 9; StaH 351-11 AfW 19373 (Hüttmann, Ilse); StaH 315-11 AfW 30755 (Goldmann, Fritz); StaH 351-11 AfW 2370 (Goldmann, Amanda); StaH 351-11 AfW 38947 (Schlatter, Gertrud Else); StaH 373-5 I Seeamt I B9012 Richard Borchardt Dampfer; StaH 332-5 Standesämter 3024 u 1017/1904; StaH 332-5 Standesämter 1069 u 281/1937; StaH 332-5 Standesämter 8011 u 213/1912; StaH 332-5 Standesämter 9153 u 2681/1898; StaH 241-2 Personalbogen P 1703; StaH 361-2V Oberschulbehörde 712 b3; VVN-Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Auskunft von Anne Harden; Archiv der Gedenkstätte Buchenwald Auskunft von Sabine Stein, E-Mail vom 7.4.2008; Hackett (Hrsg.): Buchenwald-Report, S. 369f.; Morisse: Jüdische Rechtsanwälte, S. 130f.; http://www.jonastal.de/index.php/jonastal-und-siii/konzentrationslager/zeltlager-espenfeld (Zugriff 20.8.2016); diverse Hamburger Adressbücher; Sielemann: Quellen, S. 196, http://hup.sub.uni-hamburg.de (Zugriff 21.1.2017).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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