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Hermann Goldschmidt als Soldat im Ersten Weltkrieg
© Kurt Goldschmidt

Hermann Goldschmidt * 1880

Marienthaler Straße vor Spielplatz (vormals Nr. 57) (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
HERMANN GOLDSCHMIDT
JG. 1880
VERHAFTET
ZWANGSARBEIT
IM HAMBURGER HAFEN
TOT AN HAFTFOLGEN
JUNI 1943

Hermann Goldschmidt geb. 29.11.1880 Bebra, Tod an Haftfolgen 2.6.1943

Hermann Goldschmidt stammte aus einer jüdischen Pferdehändlerfamilie in Bebra, obwohl schon damals ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt, ein kleinen Ort mit ca. 1400 Einwohnern an der Fulda im Kreis Rotenburg/Nordhessen. Familie Goldschmidt hatte ihren Sitz in einem geräumigen Fachwerkhaus in der Mühlenstraße 4 hatte. Sie war nicht die einzige jüdische Familie am Ort. Außer ihr gab es weitere jüdische Pferdehändler- sowie Textil- und Getreidehändlerfamilien in Bebra. Hermann Goldschmidt und seine eigene Familie pflegten zeitlebens enge Beziehungen zu seinen Bebraer Verwandten.

Die Großeltern, Honas Goldschmidt und Breinchen, geb. Katz, hatten elf Kinder, von denen zwei den elterlichen Pferdehandel fortführten, Joseph, geboren 1838, und der fünfzehn Jahre jüngere Salomon. Joseph heiratete am 17. Januar 1866 die Lehrerstochter Amalie Grünthal, genannt Malchen, aus Morschen, einem kleinen Ort weiter nordwestlich an der Fulda gelegen. Aus ihrer Ehe gingen vier Kinder hervor: Louis, geboren am 21. März 1867, Caroline Clara, geboren am 25. August 1870, Hermann, geboren am 29. November 1880, und Frieda, geboren am 7. Oktober 1883.

Honas Goldschmidt starb 1869, war also bereits verstorben, als die drei jüngeren Enkelkinder zur Welt kamen. Sie wuchsen mit ihrer Großmutter Breinchen, die 1898 im Alter von 83 Jahren starb, und mit der Familie ihres Onkels Salomon auf. 1897 heiratete als erste der vier Geschwister Caroline und zog nach Hamburg. Ihr Ehemann, der 17 Jahre ältere, in Groningen geborene niederländische Kaufmann Gompel Aron van Dam, führte in Hamburg-St. Pauli ein "Ausrüstungsgeschäft", und sie wohnten Schlump 52. Caroline wurde Mutter von drei Kindern.

Als ältester Sohn trat Louis in den elterlichen Betrieb ein und übernahm ihn schließlich. Kurz vor der Jahrhundertwende hatte er Hilda Werner aus Klein Eibstadt geheiratet. Als erstes Kind kam Herbert 1899 zur Welt, gefolgt von den vier Schwestern Helma, Bertha, Hanna und Edith.

Hermann Goldschmidt besuchte die Höhere Schule in Kassel und absolvierte eine Ausbildung zum Kaufmann. Er folgte seiner Schwester Caroline Ende Juli 1909 nach Hamburg und wohnte als Untermieter bei den van Dams am Schlump. Am 27. August 1909 meldete er bei der Gewerbepolizei einen Handel mit Manufaktur-, Weiß- und Kurzwaren in der Silbersackstraße 26 in St. Pauli an. Als Verkäuferin stellte er die Schneiderin Helene Nagel, eine Arbeitertochter aus Altona, ein. Sie übernahm die Geschäftsführung, als er am 5. August 1914 zum Heeresdienst beim Landesschützenregiment 75 eingezogen wurde.

1914 heiratete die jüngste der vier Geschwister Frieda Dr. Vilmos Stadler und zog nach Wien.
1915 starb die Mutter Amalie Goldschmidt, und im selben Jahr stürzte sich Helma, die älteste Tochter von Hilda und Louis, im Alter von 17 Jahren von einer Brücke vor einen fahrenden Zug, eine Trotzhandlung, weil ihre Familie ihren Umgang mit einer christlichen Freundin nicht gern sahen und ihr den, Wunsch Schauspielerin zu werden, verwehrten. Caroline van Dams einziger Sohn fiel im Ersten Weltkrieg.

Hermann Goldschmidt kämpfte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs an der Ostfront und wurde noch im November 1918 in den Lazaretten Charkow und Brest-Litowsk wegen eines Wadenbeinbruchs behandelt. Er kehrte, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Hanseatenkreuz, nach Hamburg zurück. Am 15. August 1919 heiratete er seine Geschäftsführerin Helene Nagel. Sie war am 21. Mai 1892 in Altona, Fischmarkt 20, als Tochter Arbeiters Hans Hinrich Nagel und seiner Ehefrau Margaretha, geb. Loop, geboren worden und gehörte der evangelischen Kirche an. Ihre Eltern waren bei ihrer Heirat bereits verstorben. Sie wohnte in der Breitestraße 68 bei ihrem Bruder, dem Schiffbauer Heinrich Nagel.

Das junge Ehepaar zog in die Thalstraße 21, unweit von ihrem Geschäft. Dort kam am 17. Oktober 1919 die Tochter Edith zur Welt. 1922 konvertierte Helene Goldschmidt ihrem Mann und seiner Familie zuliebe zum Judentum und wurde Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg. Am 30. März 1923 wurde der Sohn Kurt geboren, die Eltern ließen ihn gemäß der jüdischen Tradition beschneiden, folgten sonst aber christlichem Brauchtum.

1921 starb der Vater Joseph. Während die Familie in Bebra dank Louis’ Tüchtigkeit und guter Einbindung in die Geschäftswelt Bebras in der Inflationszeit keine existenzbedrohenden finanziellen Einbußen erlitt, gingen Gompel Arons Einkünfte aus seinem Ausrüstungsgeschäft stark zurück, und 1924 blieb er ganz ohne Einkommen. Er starb 1927 im Alter von 74 Jahren. Seine Witwe Caroline zog drei Jahre später vorübergehend nach Amsterdam zu ihrer Tochter Gertrud.

Hermann und Helene Goldschmidt verkauften 1929 ihr gut gehendes Geschäft und zogen vom ärmlichen St. Pauli zum feineren Rothenbaum in die Hochallee. Wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg gingen Hand in Hand. Sie eröffneten zunächst zwei neue Geschäfte für Damenunterwäsche und –strümpfe; eines in der Eppendorfer Landstraße, das andere in der Fuhlsbütteler Straße 120. In den Haushalt zogen ein Kindermädchen und eine Haushälterin ein. Zu ihrem Kundenkreis gehörte auch Dr. Alberto Jonas, der Direktor der jüdischen Mädchenschule in der Karolinenstraße. Später kam ein drittes Geschäft an der Wandsbeker Chaussee in der Nähe der Ritterstraße hinzu, was der Anlass für den Umzug in die Marienthaler Straße 57 im Jahr 1934 war.

Als assimilierte liberale Juden schickten Hermann und Helene Goldschmidt ihre Kinder zunächst in private Grundschulen, Edith in die Ria-Wirth-Schule am Mittelweg, Kurt auf die exklusive Privatvorschule Bertram in der Esplanade, die später an den Harvestehuder Weg verlegt wurde. Obwohl diese Schulen nicht jüdisch waren, waren die Schüler und Schülerinnen in ihnen weitgehend vor antisemitischen Angriffen geschützt. Mit ihrem Umzug nach Hamm wechselten die Kinder auf staatliche Schulen, Edith in die Mädchenschule Burgstraße, Kurt in die Oberrealschule für Jungen am Brekelbaumspark. "Wir lebten recht zufrieden, bis Hitler an die Macht kam und die antijüdischen Maßnahmen eine nach der anderen das Geschäftsleben beeinträchtigten", fasst Kurt Goldschmidt diese Jahre zusammen. Besondere Interessen wie Sport oder Musik wurden in der Kaufmannsfamilie nicht verfolgt, und Hermann machte davon keine Ausnahme. Vielmehr ging er gern mit der Familie Essen oder besah mit Kurt in der Innenstadt Schaufenster, obwohl es diesen langweilte.

Edith litt unter vereinzelt auftretenden epileptischen Anfällen. Dennoch konnte sie nach dem Schulabschluss eine Ausbildung als Kontoristin absolvieren und trotz ihrer Jugend eine verantwortliche Stellung in ihrer Firma übernehmen. Als der Betrieb arisiert wurde, wurde sie von dem neuen Inhaber übernommen. Dieser ungewöhnliche Vorgang war durch die Intervention eines hochrangigen Parteigenossen, mit dem der neue Inhaber befreundet war, möglich geworden. Edith hatte vor der DAF, der Deutschen Arbeitsfront, erklären und von Dr. Nathan, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde bestätigen lassen sollen, dass sie am 15. September 1935, dem Tag der Verabschiedung der Nürnberger Rassegesetze, nicht dem jüdischen Bekenntnis angehört habe. Hermann Goldschmidt richtete eine diesbezügliche Anfrage an Dr. Nathan, der darauf verwies, dass "die Beschneidung seines nach Edith geborenen Sohnes beweise, dass er seine Kinder im Judentum habe erziehen wollen". Offenbar wog der Hinweis auf die nichtjüdische Erziehung der Kinder, die keine jüdischen Schulen besucht und keinen Religionsunterricht erhalten hatten, stärker, und Edith konnte ihre Stellung beibehalten.

Die Situation der Familie in Bebra veränderte sich einerseits durch den Tod Salomon Goldschmidts im Jahr 1934, die Louis als einzigen Betreiber des Pferdehandelgeschäfts zurück ließ, und andererseits durch die zunehmenden Repressionen, die im Novemberpogrom 1938 kulminierten, der in Nordhessen bereits am 7. November stattfand. Louis stellte den Betrieb ein, womit nach über hundert Jahren der Pferdehandel der Familie Goldschmidt in Bebra endete. 1938 zogen Louis und Hilda Goldschmidt, unterhalten von ihrem Sohn Herbert, vorübergehend zu ihren Verwandten nach Hamburg und wohnten bei ihnen in der Marienthaler Straße 57, bevor sie im August 1939 über Großbritannien in die USA emigrierten.

Durch den Boykott jüdischer Geschäfte erlitten auch Helene und Hermann Goldschmidt finanzielle Einbußen, die Hermann Goldschmidt durch die Übernahme einer Untervertretung für "Goldfisch Badeanzüge" und "FTO-Strümpfe" auszugleichen versuchte, doch blieben die Einkünfte sehr gering und endeten ganz, als dem ebenfalls jüdischen Vertreter der Vertrag entzogen wurde. 1937 begannen Hermann und Helene Goldschmidt Schürzen und Kittel in Heimarbeit fertigen zu lassen, was zunächst recht erfolgreich war, aber wegen Mangels an Stoffen wieder eingestellt werden musste.

Nach dem Novemberpogrom 1938 gaben die Eheleute Goldschmidt nacheinander die drei Geschäfte und die Kittelproduktion auf, als letztes am 31. März 1939 das Geschäft in der Fuhlsbütteler Straße. Sie hatten es Caroline von Dam, die die niederländische Staatsangehörigkeit besaß, 1932 überschrieben, weshalb es als holländisches Geschäft galt. Die Kundschaft blieb dennoch aus. Caroline war inzwischen noch einmal nach Hamburg zurück gekehrt, hatte bei ihrem Bruder Hermann gewohnt, und war 1936 nach Brüssel verzogen.

Helene und Hermann Goldschmidt planten, ebenfalls in die USA auszuwandern, wo seit dem Ersten Weltkrieg eine Schwester von Helene lebte, aber dafür war es zu spät. Sie untervermieteten einen Teil der Wohnung und schränkten sich in ihrer Lebensführung ein.

Sohn Kurt begann nach dem erfolgreichen Abschluss der Realschule eine Lehre als Im- und Exportkaufmann, die nach einem Jahr durch die Arisierung der Firma beendet wurde. Als Vorbereitung für eine mögliche Auswanderung besuchte er die Lehrwerkstätten der jüdischen Gemeinde für Schlosserei und Zimmerei in der Weidestraße. Helene Goldschmidt nahm Teilbeschäftigungen an, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Die finanzielle Situation war prekär. Hermann Goldschmidt konnte seinen steuerlichen Verpflichtungen, die zuletzt nur das von der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" festgelegte "Kopfgeld" in Höhe von 12 RM im Jahr ausmachten, gegenüber dem Jüdischen Religionsverband Hamburg nicht nachkommen. Sein inzwischen von Wien nach Großbritannien emigrierter Schwager Vilmos Stadler hatte ihm aus seinem Sperrkonto einen monatlichen Betrag von 100 RM zugesagt, dessen Überweisung sich jedoch verzögerte und schließlich vom Treuhänder ganz abgesagt wurde, weil das Guthaben des Schwagers nicht ausreichte. Der Schriftwechsel, der sich daraus ergab, zeigt die Zwangslagen beider Seiten in bedrückender Weise.

Edith verlobte sich mit einem "Arier". Sie verzichteten darauf, eine Sondergenehmigung für eine Heirat zu beantragen und lebten in einer kleinen Wohnung in der Landwehr zusammen, bis der Verlobte zur Wehrmacht eingezogen wurde. Eine Woche später brachte Edith Goldschmidt ihren ersten Sohn, Hans, zur Welt und zog wieder ins Elternhaus. Hermann Goldschmidt hatte damit eine neue Aufgabe, sich um "Hänschen" zu kümmern.

Obwohl Sohn aus einer "privilegierten Mischehe", wurde Kurt, anders als seine Schwester, als "Geltungsjude" behandelt und bereits im Herbst 1941 zur "Aussiedlung" in den Osten aufgerufen. Er sollte am 8. November mit dem zweiten Transport Hamburger Juden in das Getto von Minsk deportiert werden. Es gelang seiner Mutter, ihn bis zur Klärung seines Status zurückstellen zu lassen.

Ende Mai 1943 wurde Hermann Goldschmidt, inzwischen 63 Jahre alt, vom Arbeitsamt für Juden als Lagerarbeiter eingesetzt. Bei der Arbeit in der Zugluft an offenen Ladeluken zog er sich eine schwere Erkältung zu und wurde in das Behelfskrankenhaus der jüdischen Gemeinde in der Schäferkampsallee 29 gebracht, wo er bereits am folgenden Tag, dem 2. Juni 1943, an einer Lungenentzündung starb. Hermann Goldschmidt wurde im Familiengrab der Familie Nagel auf dem Friedhof Diebsteich in Altona beigesetzt.

Bei dem Großangriff der britischen Luftwaffe am 27./28. Juli 1943 wurde die Wohnung in der Marienthaler Straße zerstört. Helene Goldschmidt und ihre Kinder fanden außerhalb Hamburgs Unterkunft. Zwei Jahre nach Beginn der Klärung von Kurts Status erklärte ihn das Reichssicherheitshauptamt schließlich zum "Volljuden", was er jedoch ignorierte. Der Gestapo gelang es zunächst nicht, ihm auf den Fersen zu bleiben, doch wurde er schließlich in der Wohlersallee 24 in Altona aufgespürt, wo er bei Verwandten seiner Mutter Unterschlupf gefunden hatte, und am 30. Januar 1945 einem kleinen Transport von 20 "Mischlingen" angeschlossen, der über Berlin nach Theresienstadt führte. Dort wurde er von der Roten Armee befreit und kehrte nach Hamburg zurück.

Epilog

1949 heiratete Kurt Goldschmidt Sonja Schäfer und wanderte im Dezember des Jahres mit seiner Frau und seiner Mutter Helene in die USA aus. Helene Goldschmidt starb 1958, als sie von einem Stadtbus erfasst wurde. Ihre Asche wurde im Familiengrab auf dem Friedhof Diebsteich in Altona bestattet.

Ediths Verlobter kehrte 1950 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück. Ihre Ehe galt als am 21. Februar 1940 geschlossen, und der Sohn Hans erhielt den Familiennamen seines Vaters.

Kurt und Sonja Goldschmidt suchten im Laufe der Jahrzehnte ihre über verschiedene Teile der Welt verstreuten Verwandten auf und kehrten mehrfach nach Bebra und Hamburg zurück.

© Hildegard Thevs

Quellen: StaH, 332-5 Standesämter, 3343-626/1919; 6275-1743/1892; 8185-325/1943; 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 5081, 42988; 376-3 Gewerbepolizei Spezialakten, Spz VIII C 77 4338; 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 b, 992 d Band 10, 992 e 2 Bde 2 und 5; div. Adressbücher; Hans Möller, Stadtarchiv Bebra; Heinrich Nuhn, Jüdisches Museum Rotenburg a.d.Fulda, unveröffentlichte Word-Datei "Goldschmidt.Stand 2011"; Mitteilungen von Angehörigen; Deutsche Dienststelle, schriftliche Mitteilung 24.1.2012.

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