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Ernst Goldschmidt * 1875

Hegestraße 39 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Riga

Weitere Stolpersteine in Hegestraße 39:
Henriette Meidner, Gertrud Ruppin, Julia Alice (Egele) Windmüller, Franz Wolff, Luise Wolff

Ernst Goldschmidt, geb. am 3.10.1875 in Dortmund, am 6.12.1941 nach Riga
deportiert

Hegestraße 39

"Jamaica, New York 26. Juni 1941
Lieber Cousin Ernst Goldschmidt,
mir liegen alle deine Briefe und auch dein Kabel vor. Ich habe mich sofort damit beschäftigt alle notwendigen Papiere und Dokumente fertig zu machen und jetzt habe ich sie. Ich nehme an du weißt, dass beide Konsuln von Deutschland und Amerika angewiesen wurden [die Grenzen] dicht zu machen. Ich füge einen Ausschnitt aus der Zeitung von gestern bei. Was soll ich also jetzt machen? Nützt es etwas, wenn ich das Affidavit mit allen notwendigen Papieren zu dir schicke? Ich fürchte du hast meinen letzten Luftpostbrief nicht erhalten. In ihm schrieb ich, dass das home [office] dich akzeptieren wird, es aber nicht schriftlich geben will. Du musst dir darüber keine Sorgen machen, weil ich mir sicher bin, dass mein Affidavit zeigt, dass ich in einer finanziellen Position bin um dir ein Dach über dem Kopf und Essen zu bieten, so dass du leben könntest. Ich schickte dir auch eine Telegramm Adresse ,DASANN’. Jetzt diesen Brief. Man hat die meisten der übriggebliebenen Schiffe, die noch von Lissabon fuhren abgezogen, und nach USA zu reisen wird jeden Tag schwieriger. Lass es mich wissen, wenn es etwas gibt, was ich tun könnte.
In der Zwischenzeit verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
dein Cousin David E. Cole"

Diesen hilfsbereiten, aber wenig Hoffnung versprechenden Brief seines Großcousins erhielt Ernst Goldschmidt im Sommer 1941. David E. Cole hatte ihm schon 1938 ein gültiges Affidavit für die Einreise in die USA besorgt. Weshalb seine Emigration dennoch scheiterte, wissen wir nicht.

Ernst Goldschmidt, Sohn von Isidor und Fanny Goldschmidt, geborene Katzenstein, wurde in Dortmund geboren. Sein Vater betrieb zusammen mit seinem Onkel Adolf ein "Agenturgeschäft in Landesprodukten". Ernst, der Selmar genannt wurde, wuchs in den Betrieb hinein und wurde 1899, im Alter von 24 Jahren, als Prokurist der Firma im Dortmunder Adressbuch eingetragen. In den folgenden Jahren war er in leitender Position für die Firma hauptsächlich im norddeutschen Raum tätig, während sein Bruder Hermann Goldschmidt für den Osnabrücker Bereich zuständig war.

Vor dem Ersten Weltkrieg wohnte und arbeitete er in Bremen und Hamburg. Wie im Hausstandsbuch der elterlichen Wohnung in Dortmund zu lesen ist, kam er im August 1911 von Bremen zurück nach Dortmund und zog im Oktober 1912 nach Hamburg. Während des Ersten Weltkrieges war er vermutlich nicht Soldat, sondern organisierte den Versorgungsnachschub für das Heer. Nach Kriegsende zog er im März 1919 erneut nach Hamburg. Er war fünfzig Jahre alt und unverheiratet, als er 1925 der Jüdischen Gemeinde in Hamburg beitrat. In der Brandstwiete 2/4 richtete er sich zusammen mit Georg Jacoby ein Büro ein und arbeitete dort als selbstständiger Getreidehändler in der Firma Gold­schmidt Ernst G. & Jacoby HR. Ihre Geschäfte gingen gut, sodass sich Ernst Goldschmidt Wohnungen in der Magdalenenstraße und später im Jungfrauenthal 28 mieten konnte.

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde eine Berufsausübung für Jüdinnen und Juden immer schwieriger. Ernst Goldschmidt versuchte den antisemitischen Gesetzen und zu­nehmenden Verfolgungen zu entkommen. Er bemühte sich, inzwischen 62 Jahre alt, erfolglos um eine Auswanderung in die USA. Auch seine finanzielle Situation verschlechterte sich zusehends. Im August 1941 musste er zur Untermiete in den ersten Stock der Hegestraße 39 ziehen, was zur Trennung von Marie Arlt führte, die ihm beinahe zwanzig Jahre lang den Haushalt geführt hatte. Ihr vermachte er im November 1941 "im Falle seiner Aus­wanderung oder Evakuierung" seine Ansprüche an die Alte Leipziger Lebensversicherung, die vierteljährlich 776,50 Reichsmark betrugen. In derselben Wohnung, der Hegestraße 39, lebten auch die ehemaligen Lehrerinnen Pauline Sternberg und Henriette Meidner (s. dort) zur Untermiete. Sie waren ebenfalls erst im Sommer und Herbst 1941 eingezogen. Am 28. November, acht Tage vor seiner Deportation nach Riga, schickte Ernst Goldschmidt seinem Rechtsanwalt, dem "Konsulenten" Ernst Kaufmann, eine Notiz mit Fragen zur Regelung seines Vermögens und erwähnte darin, dass sein Affidavit zwar abgelaufen sei, aber jederzeit verlängert werden könne, da er einen fest zugesicherten Platz im B’nai Brith home in Yon­kers, New York, habe. Bis zuletzt hatte er also die Hoffnung, doch noch in die USA gelangen zu können, nicht aufgegeben.

© Maria Koser

Quellen: 1; 5; 6; 8; StaH 621-1/84 Firma Ernst Kaufmann 22; Recherche und Auskunft Dieter Knippschild, Stadtarchiv Dortmund vom 12.7.2010.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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