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Inge Hardekop * 1925

Harders Kamp 1 (Bergedorf, Lohbrügge)


HIER WOHNTE
INGE HARDEKOP
JG. 1925
EINGEWIESEN 1940
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 29.11.1944

Inge Hardekop, geb. 13.5.1925 in Sande/Lohbrügge, Aufnahme Alsterdorfer Anstalten am 21.11.1940, verlegt 16.8.1943 Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, Tod am 29.11.1944

Harders Kamp 1 (früher: Kampstraße 5)

Unter dem Aktenzeichen "Jug./H.10961" schrieb am 14. September 1940 eine Fürsorgerin einen Bericht über Inge Hardekop, um die Notwendigkeit ihrer Unterbringung in einer Anstalt zu begründen, wobei das Gesundheitsamt Hamburg-Bergedorf und die Allgemeine Fürsorge Hamburg gleichzeitig informiert wurden. Der Bericht beginnt: "Die Jugendliche Inge Hardekop ist mir seit Jahren bekannt durch Betreuung betr.[effs] Krüppel- und Psychopathenfürsorge. Sie ist seit ihrer frühsten Jugend bei ihren Großeltern, Karl Ohle, geb. 17.6.82 in Güstrow, Landarbeiter, und dessen Ehefrau Bertha Ohle, geb. Fischer, geb. 15.8.79 in Gumbinnen/Ostpr., beide wohnhaft Hbg.-Lohbrügge, erzogen. Inge, die an einem hochgradigen Schwachsinn leidet und auch stark verkrüppelte Füße hat, auch die Hände sind etwas verkrüppelt, wurde von der Großmutter tadellos erhalten und gepflegt. … Inge ist in der Erziehung nie schwierig gewesen." Dass Inge mehr bei ihren Großeltern als bei ihren Eltern lebte, lag am frühen Tod ihres Vaters und vielleicht auch an ihren Behinderungen.

Noch vor dem Ende der Inflationszeit hatten Emil Hardekop, geb. 10.8.1903 in Koburg/Kreis Lauenburg, und Erna Mahncke, geb. 15.10.1901 in Sande, dem heutigen Lohbrügge, geheiratet. Erna Hardekop brachte am 10.11.1923 ihr erstes Kind zur Welt, Mimi. Mimi starb im Alter von nur acht Wochen an einer Lungenentzündung. Eineinhalb Jahre später, am 13.5.1925, wurde Inge geboren. Bei ihrer Geburt waren die Füßchen und eine Hand nicht vollständig ausgebildet. Später wurde der linke Fuß zu einem Klumpfuß, und das linke Auge öffnete sich nicht. Inge lernte, wenn auch später als andere Kinder, mit ihren deformierten Füßen zu laufen. Sie lernte auch, sich zu verständigen, obwohl ihre Sprache sich nicht über unartikulierte Laute hinaus entwickelte.

Als Inge vier Jahre alt war, starb der Vater mit nur 25 Jahren an einer Lungen- und Nierenentzündung. Zwar erhielt Inge eine Waisenrente, aber allein davon konnten Mutter und Tochter nicht leben, weshalb Erna Hardekop weiter einer Erwerbsarbeit nachgehen musste. Sie kannte Witwen- und Waisenschaft aus eigener Erfahrung. Ihr leiblicher Vater, Johannes Mahnke, war 1915 im Alter von 36 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben. Ihre Mutter Bertha hinterblieb mit zwei unversorgten Töchtern, der vierzehnjährigen Erna und der zehnjährigen Else. Sie ging eine zweite Ehe ein und heiratete Karl Ohle, einen drei Jahre jüngeren Landarbeiter. Diese Ehe blieb kinderlos. Karl Ohle wurde später Inges Vormund und sorgte zusammen mit seiner Frau Bertha sehr fürsorglich für sie.
Auch Erna Hardekop ging eine zweite Ehe ein. Sie heiratete einen Verwandten ihres verstorbenen Mannes, Franz Rösler, Arbeiter bei der Glasgespinstfabrik Goslar in Bergedorf. Zwischen Inge und ihm entwickelte sich eine gute Beziehung.

Inge Hardekop war selten krank und leicht zu erziehen. Mit ihrem sechsten Lebensjahr begann sie, ihre Großmutter bei den Hausarbeiten nachzuahmen. Sie lernte in Laufe der folgenden Jahre, das Geschirr selbstständig abzuwaschen, es wegzustellen, aufzuräumen und den Fußboden zu wischen, und sie machte diese Arbeiten gern. Sie liebte Hund, Katze und Vögel und versorgte sie gewissenhaft.
Inges Pubertät fiel mit einer nervlichen Erkrankung ihrer Großmutter zusammen. Sie, die bis dahin gut mit Inge umgegangen war, begann, sie grundlos zu schlagen, woraufhin Inge weglief. Erna Rösler konnte nicht zuhause bleiben, um sich selbst um ihre Tochter zu kümmern, weil es für sie als Reinmachefrau in einer Drogerie und bei einem Zahnarzt keine Ersatzkraft gab. Da sie keine andere Unterbringungsmöglichkeit für Inge fand, hielt sie unter diesen Umständen Anstaltserziehung für das Beste für ihre Tochter, "da sie Inge nicht immer bewachen" könne und "das Kind nicht zum Gespött der Öffentlichkeit" werden solle. Zu den Kosten würde sie zusätzlich zur monatlichen Waisenrente von 10,60 RM weitere 15 RM beitragen. Durch eigene Forschungen habe sie schon ermittelt, dass Inge nicht erbbiologisch belastet sei. Im September 1940 befürwortete das Jugendamt Erna Röslers Antrag, zwei Monate später wurde Inge in den damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Das dort erstellte Erbgesundheitsgutachten bestätigte Erna Röslers Angaben. Sie hatte ihrerseits als mögliche Ursache für Inges Behinderungen einen Unfall im vierten Monat der Schwangerschaft angegeben.
Nach vier Wochen hatte sich Inge in Alsterdorf eingewöhnt, weinte zwar noch manchmal, beschäftigte sich aber selbst mit Bilderbüchern und machte kleine Handreichungen, war insgesamt ruhig und zufrieden. Auch zwei Verlegungen auf andere Abteilungen in kurzer Zeit änderten nichts daran.
Der Zustand der Großmutter (Bertha Ohle, verw. Mahnke, geb. Fischer) verschlimmerte sich. Mit der Diagnose "senile Demenz-Aphasie" wurde sie am 7. März 1941 in "Alsterdorf" aufgenommen, wo sich Inge schon dreieinhalb Monate lang eingelebt hatte. Sie konnte ihrer Großmutter bei deren Eingewöhnung nur kurze Zeit helfen, weil sie selbst schwer an einer Lungenentzündung erkrankte und bald darauf eine Furunkulose bekam. Nach ihrer Genesung war Inge unselbstständiger als zuvor, reagierte bockig, wenn etwas gegen ihren Willen ging, und wurde tätlich gegen Mitpatientinnen, doch sorgte sie sich sehr um ihre Großmutter.
Inge litt unter der Trennung von Zuhause, was sich besonders nach einem Urlaub oder nach den Besuchen der Mutter zeigte. Dann weinte sie, wurde störrisch und handgreiflich gegen Mitpatientinnen. Die Mutter versuchte vergeblich, über die regulären fünf Urlaubstage pro Monat hinaus Urlaub für ihre Tochter zu erwirken, besuchte sie aber regelmäßig. Inge war Anfang 1942 16 Jahre alt. Seit Oktober des Vorjahres hatte sie sechs Kilogramm an Gewicht verloren, nahm aber bis April wieder acht Kilogramm zu. In diese Zeit fiel der Tod ihrer Großmutter. Bertha Ohle starb am 27. Januar 1942 an einer Lungenentzündung.

Äußerlich verlief das Jahr 1942 ruhiger als die früheren für Inge, sie machte nur einen weiteren schweren Infekt durch. Im Januar 1943 hieß es in ihrer Krankenakte zusammenfassend: " Die Patientin kann sich allein anziehen, langsam, aber ordentlich. Alles andere muss gemacht werden. Sie hat ein freundliches Wesen, tut gern kleine Hilfeleistungen. Sie ist sehr empfänglich für ein gutes Wort oder ein Lächeln. Sprechen kann Inge nicht viel, auch nicht deutlich, aber sie versteht fast alles. Sie beschäftigt sich gern und ruhig mit ihren Spielsachen, auch versucht sie zu stricken. Die Patientin ist ganz sauber, erledigt ihre Bedürfnisse allein." Der nächste Eintrag lautet kurz und knapp: "Die Patientin ist am zufriedensten, wenn sie kleine Hilfeleistungen tun darf, wie Kessel oder Wäsche holen, Staubwischen usw. Es ist ein freundliches Kind." Der letzte Eintrag vom 7. Juni 1943 zeugt von ihrem Heimweh nach zwei Tagen Urlaub bei der Mutter.

Nach den Bombenangriffen auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943, bei denen auch ein Teil der Gebäude in Alsterdorf zerstört wurde, ersuchte die damalige Anstaltsleitung die Gesundheitsbehörde um Entlastung. Einmal veranlasst, schickte die "Gemeinnützige Krankentransport GmbH" aus Berlin, die auch die "Euthanasietransporte" in den Jahren 1940/1941 organisiert hatte, die Ankündigung für einen Transport am 16. August 1943 in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", den früheren Steinhof. Die Anstaltsleitung stellte eine Liste von 228 Frauen und Mädchen aller Altersstufen zusammen, darunter Inge Hardekop. Der Transport traf am folgenden Tag in Wien ein.
Inge verhielt sich in der Wiener Anstalt nicht anders als zuvor, nachdem sie sich mit der neuen Umgebung vertraut gemacht hatte. Sie war anhänglich und tierlieb, half bei der Hausarbeit und machte einfache Strickarbeiten, doch litt sie unter den Versorgungsmängeln.

Erna Rösler plante, ihre Tochter im September 1944 zu besuchen, jedoch kam der Besuch nicht zustande. Zwei Monate später erhielt sie die Nachricht, Inge sei am 29. November 1944 an einer Thrombophlebitis (Venenentzündung mit Thrombose) und Bronchopneumonie gestorben. Der Sektionsbefund hingegen ergab, dass Inge an Lungentuberkulose gelitten hatte, einer meldepflichtigen Krankheit, die übersehen worden war.

Erna Rösler wollte ihre Tochter wenigstens in ihrer Nähe beerdigt wissen und überwies 250 RM für ihre Einäscherung und die Zusendung der Urne. Inge Hardekop wurde auf dem Lohbrügger Friedhof beigesetzt. Sie wurde 19 Jahre alt.

© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 238; Wunder, Michael, Ingrid Genkel, Harald Jenner: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Hamburg, 2. Aufl. 1988; Kultur- und Geschichtskontor Bergedorf.

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