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Betty Gerisch (geborene Meyer) * 1873

Martin-Luther-Straße 8 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
BETTY GERISCH
GEB. MEYER
JG. 1873
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Betty Gerisch, geb. Meyer, verw. Jürgensen, geb. am 2.12.1873 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 15.5.1944 nach Auschwitz

Martin-Luther-Straße 8

Das Leben von Betty Gerisch war von Schicksalsschlägen und Verlusten geprägt. Sie war am 2.12.1873 in einer jüdischen Familie zur Welt gekommen. Ihre Eltern, der Kaufmann und Schneider Salomon Meyer (geb. 22.3.1847) und Henriette (Hanchen), geb. Kalkar (geb. 1.3.1847), wohnten in der Hamburger Neustadt, damals Hauptwohngebiet der Hamburger Juden. Ihren Vornamen Betty wird sie zur Erinnerung an ihre Großmutter Betty Kalkar, geb. Glogau erhalten haben, die Schwester des renommierten Hamburger Buchhändlers und Antiquars Lazarus Moses Glogau, (geb. 5.7.1805 in Hamburg, gest. 9.10.1887). Sie hatte 1842 in der Hansestadt den aus Kopenhagen stammenden "Handelsmann" Levin Kalkar (gest. 1863) geheiratet.

Bettys Vater Salomon Meyer stammte aus Dawillen, Kreis Memel (heute Litauen). Seine Eltern waren der "Handelsmann" Moses Meyer und Chai, geb. Cohn. (Nach standesamtlichen Unterlagen lebte Chai Meyer später verwitwet in Kaukehmen, Kreis Heinrichswalde, heute Russland und soll dann in "Amerika" verstorben sein.)

Schon ein Jahr nach Bettys Geburt kam ihr Bruder Louis 1874 zur Welt. Es folgten 1876 Minna und 1878 Adolph, die beide kurz nach der Geburt verstarben. Die Familie bewohnte in der 2. Marktstraße 20/21 (1900 umbenannt in Marcusstraße) eine Kellerwohnung, zunächst wahrscheinlich als Untermieter, da erst die Ausgabe "Neues Adreßbuch der freien und Hansestadt Hamburg für das Jahr 1877" Salomon Meyer verzeichnet. Als Berufsangabe wurde "Cassierer" (Kassierer) vermerkt. 1878 erfolgte ein Umzug in die Kurzestraße (heute Kurze Straße) Hof 28, Haus 12. Dort, in ihrer Wohnung, verstarb am 12. Oktober 1879 Henriette Meyer mit erst 32 Jahren.

Betty war beim Tod ihrer Mutter noch keine sechs Jahre alt, und zum Verlust kam erschwerend hinzu, dass sich ihr Vater zu diesem Zeitpunkt in Haft befand und noch zwei Jahre und sieben Monate zu verbüßen hatte.

Am 23. Oktober 1879 bevollmächtigte Salomon Meyer in einem Schreiben aus der Haftanstalt Fuhlsbüttel Lazarus Moses Glogau, die Erbschaftsangelegenheiten im Interesse seiner Kinder zu regeln. Warum oder wie Salomon Meyer mit dem Gesetzt in Konflikt geriet, geht aus dem erhalten gebliebenen Dokument nicht hervor.

Die Beerdigung von Henriette Meyer hatte bereits die Jüdische Gemeinde auf ihrem Begräbnisplatz in Ottensen veranlasst. Die Unterbringung ihrer Kinder übernahm die Allgemeine Armenanstalt, sie kamen zu dem Lotteriegeschäftsbetreiber Berend Levy im Kraienkamp Platz 22, Haus 6 (heute Krayenkamp). Dort verstarb nur wenige Monate später Bettys Bruder Louis am 12. Januar 1880. Seine Beerdigung erfolgte ebenfalls auf dem Jüdischen Friedhof in Ottensen.

Wie Bettys weitere Kindheit und Jugendzeit verlief, wissen wir ebenso wenig wie, ob ihr Vater sie nach seiner Haftentlassung wieder zu sich nahm. Salomon Meyer ging am 20. März 1883 eine zweite Ehe mit Johanna Arnheim (geb. 9.12.1855 in Jeßnitz, Sachsen-Anhalt) ein. Sie kam aus Leipzig, dort wohnten ihre Eltern der Kaufmann Aron Arnheim und Bertha geb. Meyerheim in der Berliner-Straße 109.

In dieser Ehe wurden drei weitere Kinder geboren: Arthur (geb. 12.12.1884), Dora (geb. 27.4.1886) und David (geb. 18.1.1895). Die Hamburger Adressbücher verzeichnen Salomon Meyer zunächst im Neuen Steinweg 25/26, dann 1887 in der Schlachterstraße 54 (die Straße existiert nicht mehr) und von 1889 bis 1902 in der Mühlenstraße 38 (heute ein Teil der Gerstäckerstraße), nun mit der Berufsangabe "Schneider".

Salomon Meyer fungierte als Trauzeuge, als seine Tochter Betty im Alter von 23 Jahren am 23. März 1897 heiratete. Ihr Ehemann wurde der nichtjüdische Arbeiter Johann Heinrich Adolph Jürgensen (geb. 3.1.1866), Sohn eines Lotsen (Steuermann) aus Altona. Das junge Paar wohnte zum Zeitpunkt der Eheschließung zur Untermiete in der Straße Bei den Mühren 48, bis sie eine preisgünstige Wohnung in der 1896 gegründeten Abraham Philipp-Schuldt-Stiftung in der Zeughausstraße 12, erste Etage, fanden. (Die Stiftung offierte kleine Wohnungen für unbescholtene Leute mit kleinem Einkommen.) Johann Jürgensen war zuletzt als Tallymann (Ladungskontrolleur im Hafen) beschäftigt. Er verstarb am 25. November 1908 im Alter von erst 42 Jahren. Der Ehe entstammten keine Kinder.

Am 20. März 1910 ging Betty Jürgensen eine zweite Ehe ein; Sie heiratete den ebenfalls nichtjüdischen und als Tallymann beschäftigten Robert Hugo Gerisch (geb. 11.4.1857 in Reichenbach/ Vogtland), der zur Untermiete in der Zeughausstraße 34 wohnte. Seine Eltern, der Bäcker Johann Friedrich Louis Gerisch und Christiane Friederike, geb. Preiss, hatten zuletzt im sächsischen Meerane gelebt.

Das Ehepaar Gerisch bezog eine gemeinsame Wohnung am Venusberg 35/36. 1915 wechselten sie in die Martin-Luther-Straße 8, zweite Etage. Dort wurde Betty Gerisch am 10. Februar 1922 zum zweiten Mal Witwe.
Im Sommer 1928 wandte sich Betty Gerisch mit der Bitte um eine Mietbeihilfe in Höhe von 33 RM (Reichsmark) an das Hamburgische Wohlfahrtsamt. In ihrem Antrag gab sie an, dass sie seit 19 Jahren als Garderobenfrau in der Musikhalle tätig sei und wegen Krankheit nur noch beschränkt für einige Tage in der Woche erwerbstätig sein könne. Ende 1931 hatten sich Mietschulden angehäuft und Betty Gerisch musste die Wohnung in der Martin-Luther-Straße verlassen. Sie fand eine günstigere Zwei-Zimmerwohnung, allerdings ohne Heizung, für 40 RM in der nahe gelegenen Pastorenstraße 9 (der Teilabschnitt dieser Straße wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört). Um die Kosten gering zu halten, nahm sie den geschiedenen Tischler Ferdinand Thies (geb. 19.9.1865) als Untermieter bei sich auf.

Im September 1933 verlor Betty Gerisch als Jüdin ihren Arbeitsplatz als Garderobenfrau, wie in ihrer Wohlfahrtsakte vermerkt wurde. Sie erhielt nur eine geringe Witwen- und Altersrente von insgesamt 26 RM im Monat, die die Miete, nach dem Tod ihres Untermieters Ferdinand Thies im Dezember 1938, nicht deckte. Mitarbeiter des Wohlfahrtsamtes legten Betty Gerisch nahe, sich um eine Stiftswohnung zu bemühen.

Am 29. November 1938 meldete Betty Gerisch fristgerecht beim zuständigen Standesamt an, dass sie nun den zusätzlichen Zwangsnamen Sara führen musste (Ab 1.1.1939 mussten Juden die Zwangsnamen "Israel" und "Sara" führen, wenn sie nicht einen der zugelassenen "jüdischen Namen" trugen). Durch den Tod ihrer "arischen" Ehemänner entfiel der Schutz, den ihr eine "Mischehe" geboten hätte.
Am 26. Juni 1939 wurde Betty Gerisch in das nahegelegene Lazarus-Gumpel-Stift in die Schlachterstraße 46/47, Haus 4, Wohnung 25 einquartiert. Das ehemalige Stiftsgebäude diente dann als sogenanntes Judenhaus, eine Sammelstelle für die bevorstehenden Deportationen. Mit ihrer Einweisung endete auch ihre Fürsorgeunterstützung. Die Akte wurde geschlossen, da die staatliche Wohlfahrtsbehörde die Unterstützung für Jüdinnen und Juden zu diesem Zeitpunkt einstellte.

Betty Gerisch erhielt ihren Deportationsbefehl für den 19. Juni 1942 im Altersheim Nordheim-Stift in der Schlachterstraße 40/42, ebenfalls nun ein "Judenhaus". Sie wurde mit 926 Hamburger Jüdinnen und Juden in das Getto Theresienstadt transportiert. Von dort kam sie am 15. Mai 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz, wo sie wahrscheinlich gleich nach ihrer Ankunft ermordet wurde.

Das Schicksal ihrer Halbgeschwister:
Arthur Meyer lebte als Kaufmann in Berlin. Am 9. Mai 1912 heiratete er im Stadtteil Charlottenburg die Verkäuferin Meta Lutterkort (geb. 29.3.1886 in Gerdauen/ Königsberg). Die Ehe wurde 1922 geschieden. Als er am 3. Januar 1924 beim zuständigen Standesamt in Hamburg den Tod seiner Mutter Johanna Meyer anzeigte, wohnte er in Berlin-Wilmersdorf, in der Uhlandstraße 143. (Sein Vater Salomon Meyer war bereits am 3. Juli 1917 in der "Irrenanstalt" Friedrichsberg verstorben.) Am 25. Juni 1925 ging er eine zweite Ehe mit der nichtjüdischen Schneiderin Frida Martha Gauer, (geb. 29.11.1897 in Insterburg/ Ostpreußen) ein. Arthur Meyer starb am 4. November 1940 in seiner Wohnung in der Pfalzburger Straße 34 an einer Zuckererkrankung.

Dora Meyer hatte am 31. Oktober 1909 in Hamburg die Ehe mit dem Maler und Lackierer Siegfried Emanuel, (geb. 11.12.1871) geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt lebte sie bei ihren Eltern in der Seilerstraße 39 im Stadtteil St. Pauli. Das Ehepaar Emanuel wohnte zunächst in der Hamburger-Neustadt im Thielbeck 2, dann im Grindelviertel im Laufgraben 10 und seit 1914 in der Grindelallee 9. Dora Emanuel starb am 20. Januar 1918 im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek. Siegfried Emanuel wurde mit seiner zweiten Ehefrau Clara, geb. Florsheim (geb. 31.8.1886 in Hünfeld), am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort starb Siegfried Emanuel am 5. Juli 1943. Seine Frau wurde am 12. Oktober 1944 nach Auschwitz weiterdeportiert und ermordet.

David Meyer hatte am 20. Juni 1922 in Bochum die nichtjüdische Ida Emma Rokos (geb. 1.10.1898 in Bochum) geheiratet. David Meyer war Möbellackierer und hatte im Ersten Weltkrieg gedient. Das Ehepaar wohnte in der Wittener Straße 86. Anfang 1943 erhielt David Meyer wie alle Juden in Westfalen Arbeitsverbot, er wurde stattdessen zum Arbeitseinsatz in Kamen herangezogen (wahrscheinlich im Straßenbahnbau) und im Juni 1944 in ein Arbeitslager nach Oestrich bei Letmathe verlegt. Am 10. August 1944 wurde David Meyer in Letmathe verhaftet. Vom Bochumer Polizei-Präsidium wurde er am 2. Dezember 1944 in das KZ Buchenwald gebracht. Als Einweisungsgrund wurde "Politischer Jude" angeführt. Für die Häftlings-Personal-Karte gab er die Religionszugehörigkeit mit "evangelisch" an. Nur wenig später wurde David Meyer in das Außenlager SIII Ohrdruf verlegt, wo er am 27. Januar 1945 zu Tode kam. Als mutmaßliche Todesursache wurde Herz- und Kreislaufschwäche bei Sepsis angegeben.

Stand: Oktober 2021
© Susanne Rosendahl

Quellen: 4; 5; 8; StaH 332-5 Standesämter 71 u 2998/1879; StaH 332-5 Standesämter 1928 u 569/1878; StaH 332-5 Standesämter 50 u 634/1878; StaH 332-5 Standesämter 1887 u 4742/1873; StaH 332-5 Standesämter 83 u 147/1880; StaH 332-5 Standesämter 2881 u 211/1897; StaH 332-5 Standesämter 605 u 1092/1908; StaH 332-5 Standesämter 3150 u 129/1910; StaH 332-5 Standesämter 853 u 93/1922; StaH 332-5_2369 u. 309/1895; StaH 332-5_2127 u. 2186/1886; StaH 332-5_2653 u. 227/1883; StaH 332-5_6962 u. 1252/1917; StaH 332-5_2943 u. 379/1900; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 1196; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 5; StaH 232-2_EI 9640; StaH 332-2 III A Band 63 Alphabetisches Gesamtregister der Sterbefälle, 1816-1866; ancestry.de: Heiratsregister Arthur Meyer und Meta Lutterkort am 9.5.1912 in Berlin (Zugriff 22.10.2021); ancestry.de: Heiratsregister Arthur Meyer und Frida Martha Gauer am 25.6.1925 in Berlin (Zugriff 22.10.2021); ancestry.de: Geburtsregister Frida Martha Gauer am 29.11.1897 in Insterburg (Zugriff 22.10.2021); ancestry.de: Sterberegister David Meyer in Weimar am 27.1.1945 (Zugriff 22.10.2021); ancestry.de: Sterberegister David Meyer in Weimar am 27.1.1945 (Zugriff 22.10.2021); ancestry.de Sterberegister Arthur Meyer in Berlin am 4.11.1940 (Zugriff 22.10.2021); https://de.wikipedia.org/wiki/Lazarus_Moses_Glogau (Zugriff 3.8.2021); https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Philipp_Schuldt-Stiftung; (Zugriff 3.8.2021); https://collections.arolsen-archives.org/archive/6618387/?p=3&s=david meyer&doc_id=6618398 (Zugriff 3.8.2021); https://jewsineastprussia.de/wp-content/uploads/2018/11/Heinrichswalde-district-Jews.pdf (Zugriff 22.10.2021); http://totenbuch.buchenwald.de/names/details/person/24133/ref/recherche (Zugriff 22.10.2021); Hubert Schneider: Leben nach dem Überleben, Juden in Bochum nach 1945; Renate Hauschild-Thiessen, Lazarus Moses Glogau, in Hamburgische Biografien Personenlexikon, Hrg. Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke, Wallstein S. 135-136.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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