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Sitzende Margarete Heinsen
Margarete Heinsen
© Privatbesitz

Margarete Heinsen (geborene Lampert) * 1903

Rönneburger Straße 32 (Harburg, Wilstorf)


HIER WOHNTE
MARGARETE HEINSEN
GEB. LAMPERT
JG. 1903
EINGEWIESEN 1938
STAATSKRANKENHAUS
LANGENHORN
"VERLEGT" 1943
HADAMAR
ERMORDET 19.7.1943

Margarete Rosa Heinsen, geb. Lampert, geb. am 30.7.1903 in Harburg, eingewiesen in das Staatskrankenhaus Langenhorn am 6.1.1938, "verlegt" in die "Landesheilanstalt" Hadamar am 29.6.1943, ermordet am 19.7.1943

Rönneburger Straße 32

Margarete Heinsen wurde am 30. Juli 1903 in Harburg in einem evangelischen Elternhaus geboren. Als Kind ging sie oft ihre eigenen Wege ohne intensive Kontakte zu Gleichaltrigen. Sie war einerseits sehr empfindlich und leicht reizbar, andererseits aber auch durchaus zugänglich und geradezu fürsorglich. Mit bemerkenswertem Eifer kümmerte sie sich um das Wohl ihrer jüngeren Geschwister. In den Augen ihrer Eltern und vieler Bekannter war sie ein fleißiges, sparsames und strebsames Mädchen.

Sie beendete ihre Schulzeit ohne Besuch der Abschlussklasse. Danach verdiente sie sich ihr Geld als Fabrikarbeiterin in Harburg und heiratete am 5. Juni 1926 ihren Mann Heinrich Heinsen. Aus der Ehe gingen die drei Kinder Irmgard (geb. 24.6.1927), Helmut (geb. 16.4.1929) und Walter (geb. 29.6.1937) hervor.

Vier Wochen nach der Geburt ihres jüngsten Kindes traten bei der Mutter ernsthafte psychische Probleme auf. Nach einem kurzen Aufenthalt im Harburger Krankenhaus, der zu keiner Verbesserung führte, begab Margarete Heinsen sich zur weiteren Behandlung am 10. September 1937 in die Psychiatrische Abteilung des Krankenhauses Friedrichsberg. Doch auch hier änderte sich an ihren gesundheitlichen Problemen nichts. Die Ärzte stellten die Diagnose "abartiger Charakter" und überwiesen sie am 6. Januar 1938 zur weiteren Behandlung in das Staatskrankenhaus Langenhorn. Die Eingangsuntersuchung der Ärzte ergab die Diagnose: Schizophrenie.

Das Staatskrankenhaus Langenhorn hatte nach 1933 tiefgreifende Veränderungen zu verzeichnen. Im Sinne der neuen Machthaber wurden die Anstaltskosten: Pro Tag und Patient von 4,53 RM im Jahre 1933 bis auf 3,75 RM im Jahre 1938. Etwa mit denselben prozentualen Anteilen verringerten sich die Ausgaben für Nahrungsmittel von knapp 0,60 RM 1933 auf 0,49 RM 1938. Die Kürzungen liefen auch danach – und vor allem in den Kriegsjahren – weiter. Friedrich Ofterdinger, der Präsident der Hamburger Gesundheits- und Fürsorgebehörde, rechtfertigte diese Politik mit den Worten:

"Mit dem unmöglichen Zustand, dass die Erhaltung oder Bewahrung eines unheilbaren Geisteskranken teurer sei für den Staat als die Erhaltung oder Ertüchtigung eines gesunden, vollwertigen erwerbslosen Volksgenossen werde man aufräumen. Man werde nur das Notwendige erhalten, den Luxus aber beseitigen."

Eine andere Maßnahme zur Senkung der Kosten war die Erhöhung der Belegzahlen. Als Ende 1935 die Psychiatrische Klinik Friedrichsberg aufgelöst wurde, kamen 696 ihrer bisherigen Patientinnen und Patienten im Staatskrankenhaus Langenhorn unter, ohne dass dort neue Gebäude errichtet oder in nennenswertem Umfang weitere Schwestern und Pfleger eingestellt wurden. Die Gesamtbettenzahl stieg von 2.328 im Jahre 1934 auf 2.748 im Jahre 1939, wohingegen selbst dringende Instandsetzungsarbeiten immer wieder auf die lange Bank geschoben wurden.

Nicht weniger gravierend waren für viele Patientinnen und Patienten die Folgen des im Juli 1933 beschlossenen "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Prof. Gerhard Schäfer, der ärztliche Direktor Langenhorns, pries das Gesetz in den höchsten Tönen:

"[…] es gibt für unser Volk keinen Weg zur Höhe, der nicht über die Ausmerze ginge; dass er vorsichtig beschritten werden muss und dass er allein noch nicht weit genug den Anstieg hinaufführt, ist selbstverständlich."

Margarete Heinsen gehörte zu den mindestens 445 Patientinnen und Patienten des Staatskrankenhauses Langenhorn, die auf der Grundlage dieses Gesetzes zwangssterilisiert wurden. Die Operation wurde bei ihr am 14. Juni 1939 in der Frauenklinik Finkenau vorgenommen.

Obwohl die Zeit der Trennung von der Familie immer länger wurde, gab Margarete Heinsen die Hoffnung auf ein freudiges Wiedersehen mit ihrem Mann und den Kindern in all diesen Jahren nicht auf. Davon musste sie sich erst verabschieden, als ihre Ehe am 18. August 1941 vom Landgericht Hamburg geschieden wurde.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs und dem zunehmendem Bedarf an Krankenbetten für Verwundete und Verletzte beschleunigte sich die Langenhorner Praxis, "unbrauchbare" Kranke in umliegende Anstalten abzuschieben. Dieses Verfahren setzte keine großen Umstellungen voraus, als ein Jahr später die erste Phase des nationalsozialistischen Programms der Ermordung geisteskranker Menschen begann. Mehr als 70.000 Männer und Frauen – darunter 226 Patientinnen und Patienten des Staatskrankenhauses Langenhorn - wurden von Januar 1940 bis August 1941 – und vereinzelt auch noch danach – in sechs Tötungsanstalten innerhalb Deutschlands mit Giftgas ermordet. In der letzten Augustwoche 1941 endete diese Phase des nationalsozialistischen "Euthanasie"-Programms.

Doch auch nach Abbruch dieser so genannten Aktion-T4 wurde die nationalsozialistische Politik der Ermordung von Menschen mit Behinderungen auf andere Weise fortgeführt. Jetzt wurden die Opfer durch Nahrungsmittelentzug, Medikamentenmissbrauch, unzureichende medizinische Versorgung und mangelhafte Betreuung getötet. Der kriegsbedingte Ausbau des Langenhorner Hilfskrankenhauses wurde durch eine Reduzierung der Psychiatriebetten realisiert. Für die Aufrechterhaltung des gesamten Krankenhausbetriebs wurden somit die arbeitsfähigen und leicht anzuleitenden Patientinnen und Patienten immer wichtiger. Dies wiederum führte zu einer verstärkten Selektion der anderen und ihrem Abtransport in nahe gelegene und auch weiter entfernte Anstalten. Das häufigste Selektionsmuster basierte auf schlechter oder nicht verwertbarer Arbeitsleistung bei mittlerem oder hohem Pflegebedarf, einem als schwierig oder gewalttätig eingestuften Verhalten sowie fehlenden Angehörigenkontakten. Die weitaus meisten der insgesamt über 4.000 Patientinnen und Patienten, die im Zweiten Weltkrieg von Langenhorn nach auswärts verlegt wurden, verließen Hamburg nach dem Stopp der Gasmorde. Bis Ende 1945 kamen nachweislich 2.668 dieser Abtransportierten um, während nur 488 überlebten. Von 599 Betroffenen konnte das weitere Schicksal bisher nicht aufgeklärt werden.

Margarete Heinsen wurde zusammen mit 49 weiteren Frauen am 29. Juni 1943 in die "Landesheilanstalt" Hadamar abtransportiert. Diese Einrichtung hatte zuvor nach dem Einbau einer Gaskammer vorübergehend als Tötungsanstalt gedient. Nach dem teilweisen Rückbau der Todesanlagen wurde das nationalsozialistische "Euthanasie"-Programm aber auch in Hadamar nach einer kurzen Unterbrechung wieder fortgeführt.

Unter den Langenhorner Patientinnen litten besonders viele wie Margarete Heinsen an Schizophrenie. Außerdem waren sie zumeist älter und nicht ohne psychische Auffälligkeiten. Ihre Arbeitsleistung war im Allgemeinen unterdurchschnittlich, während für ihren Pflegeaufwand das Umgekehrte galt.

Die "Landesheilanstalt" Hadamar war von ihrer Kapazität für ca. 250 Pfleglinge angelegt. Nachdem der Rückbau der Vergasungsanlagen Mitte 1942 abgeschlossen war, trafen mit Sammeltransporten aus allen Teilen des Deutschen Reiches vom 13. August 1942 bis zum 24. März 1945 nacheinander 4.817 neue Patientinnen und Patienten – in der Mehrzahl psychisch Kranke und geistig Behinderte – in dieser Einrichtung ein. Die arbeitsfähigen Kranken arbeiteten in allen Bereichen der Anstalt – in den Werkstätten, dem Wirtschaftsbereich, dem Hofgut und sogar in der Telefonzentrale. Die nicht arbeitsfähigen Kranken, die entweder schon ausgemergelt und geschwächt in Hadamar ankamen oder durch ihren Arbeitseinsatz schnell an Kräften verloren, wurden vom Pflegepersonal mit Medikamenten getötet. Verantwortlich für dieses Mordprogramm war der Verwaltungsleiter Alfons Klein, der bestimmte, wie viele Betten für Neubelegungen geräumt werden mussten. Der leitende Oberarzt Dr. Adolf Wahlmann entschied dann nach seinen täglichen Visiten, welchen Patientinnen und Patienten die Stationsschwestern und Stationspfleger eine tödliche Dosis an Medikamenten zu verabreichen hatten. Verstarben die Kranken nicht in der Nacht, erhielten sie morgens eine letale Injektion.

Sofort nach der Wiederbelegung der Anstalt stiegen die gemeldeten Sterbefälle im örtlichen Standesamt signifikant an. Bis Ende August 1942 wurden diese Toten noch auf dem städtischen Friedhof bestattet. Ab September nutzte die Anstalt ein Grundstück auf dem Berg hinter dem Hauptgebäude als neuen Friedhof. Von da an mussten die Särge mit den Leichen nicht mehr durch weite Teile der Stadt transportiert werden, sondern konnten unauffälliger auf dem Anstaltsgelände bestattet werden. Auf dem neuen Anstaltsfriedhof wurden die Ermordeten in Massengräbern beerdigt. Für 4.422 Kranke war Hadamar Endstation ihres Leidensweges. Zu ihnen gehörte auch Margarete Rosa Heinsen. Am 19. Juli 1943 – nicht einmal einen Monat nach ihrem Abtransport aus Langenhorn – schloss sie im Alter von knapp vierzig Jahren für immer die Augen. Als fingierte Todesursache wurde Grippe in ihre Sterbeurkunde eingetragen.

Stand Dezember 2014

© Klaus Möller

Quellen: Staatsarchiv Hamburg, Staatskrankenhaus Langenhorn, Aufnahmeakte Margarete Rosa Heinsens, Nr. 24593; Gespräch mit Marlis Stresow, geb. Heinsen, und Ulrich Heinsen am 4. 12. 2012; schriftliche Aufzeichnungen Ulrich Heinsens; Michael Wunder, Von der Anstaltsfürsorge zu den Anstaltstötungen, in: Angelika Ebbinghaus /Karsten Linne (Hg.): Kein abgeschlossenes Kapitel. Hamburg im "Dritten Reich", Hamburg 1997; Peter von Rönn, Regina Marien-Lunderup, Michael Wunder, Eveline Sonn, Renate Otto, Marc Billhardt, Georg Dahmen: Wege in den Tod. Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Klaus Böhme/Uwe Lohalm (Hg.), Hamburg 1993; Angelika Ebbinghaus, Heidrun Kaupen-Haas, Karl-Heinz Roth (Hg.): Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg. Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik im Dritten Reich, Hamburg 1984; Bettina Winter: "Verlegt nach Hadamar". Die Geschichte einer NS-"Euthanasie"-Anstalt, Landeswohlfahrtsverband Hessen (Hg.), Kassel 2002.

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