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Stolperstein für Rosa Jelenkiewicz
© Johann-Hinrich Möller

Rosa Jelenkiewicz (geborene Rothschild) * 1866

Alte Rabenstraße 9 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ROSA JELENKIEWICZ
GEB. ROTHSCHILD
JG. 1866
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Alte Rabenstraße 9:
Karl Jelenkiewicz

Karl Jelenkiewicz, geb. am 27. 6. 1896 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Rosa Jelenkiewicz, geb. Rothschild, geb. 1866, deportiert nach Theresienstadt am 15.7.1942, weiterdeportiert nach Treblinka am 21.9.1942, ermordet

Stolperstein Hamburg-Rotherbaum, Alte Rabenstraße 9

Karl Jelenkiewicz wurde am 27. Juni 1896 in der Klosterallee 25 in Hamburg-Harvestehude geboren. Seine Eltern, der Kaufmann Max Jelenkiewicz und dessen Ehefrau Rosa, geborene Rothschild, bekannten sich zum jüdischen Glauben. Sie hatten außer Karl noch drei Kinder: Recha Lisbeth, geboren am 3. Oktober 1889, Gertrud, geboren am 15. November 1891, und Margot, geboren am 25. August 1899, alle geboren in Hamburg.

Karls Vater gehörte die Getränkefabrik J. G. Wright, die sich mit der Herstellung von Brauselimonade befasste und englische Biere anbot. Er hatte das Unternehmen von Karls Großvater Lemmel, genannt Kaskel, übernommen, der im Jahre 1884 gestorben war. Dieses Unternehmen bildete die Grundlage für ein materiell sehr gutes Leben der Familie. Nach den Eintragungen im Hamburger Adressbuch zog Karl Jelenkiecwicz’ Familie 1908 von der Klosterallee in die Parkallee 7.

Nach der Volksschule besuchte Karl Jelenkiewicz ab Oktober 1908 das Heinrich-Hertz-Realgymnasium und beendete den Schulbesuch 1916 mit der Mittleren Reife. Wenig später, am 4. November 1916, wurde Karl in der "Irrenanstalt Friedrichsberg” aufgenommen. Sein Vater hielt ihn für unfähig, die mit dessen Mitte 1918 eintretender Volljährigkeit verbundene vollständige Geschäftsfähigkeit eigenverantwortlich wahrzunehmen. Er beantragte am 8. Mai 1917 die Entmündigung seines Sohnes und die Einrichtung einer vorläufigen Vormundschaft wegen "geistiger Entartung und Minderwertigkeit". Zwar äußerte die "Irrenanstalt Friedrichsberg” gegenüber der Vormundschaftsbehörde am 18. Mai 1917, Karl Jelenkiewicz leide an einer "psychischen Degeneration", meinte aber wenige Tage später (am 4. Juni 1917), "daß der Zustand des Karl Jelenkiewicz nicht ein derartiger ist, dass er noch über seine Volljährigkeit hinaus gegen seinen Willen hier festgehalten werden muß".

Mit der Begründung, Karl neige infolge seiner Geistesschwäche zu Abenteuern, zu dummen Streichen und zum Schuldenmachen, leitete die Vormundschaftsbehörde "zur Abwendung einer erheblichen Gefährdung der Person und des Vermögens des Karl J." die Anordnung einer vorläufigen Vormundschaft ein. Am 1. August 1917 beschloss das Amtsgericht Hamburg Karl Jelenkiewicz’ Entmündigung "wegen Geistesschwäche". Karls Vater übernahm die Vormundschaft über seinen inzwischen volljährigen Sohn. Als Max Jelenkiewicz am 19. Dezember 1918 starb, lebte Karl noch in Friedrichsberg. Die Vormundschaft ging auf einen Großvetter aus Berlin über, mit dem Karl aus Kindertagen befreundet war.

Karls Mutter war nach dem Tod ihres Ehemannes in die Curschmannstraße 6 umgezogen. Dort nahm sie Karl bei dessen Entlassung aus der in "Staatskrankenanstalt" umbenannten ehemaligen "Irrenanstalt Friedrichsberg" am 7. Januar 1920 für einige Tage auf. Noch im Januar 1920 übersiedelte Karl Jelenkiewicz nach Hohenhorn im heutigen Kreis Herzogtum Lauenburg zu dem Hufner (Kleinbauer) Eggers. Er lebte sich dort nach dem Bericht seines Vormundes gut ein, so dass das Amtsgericht Hamburg Karls Entmündigung am 6. Mai 1922 aufhob. Ein halbes Jahr später, am 23. Dezember 1922, heiratete er die Christin Sophia Elisabeth Johanna Stemwede aus Hamburg. Das gefestigte Leben hielt jedoch nur kurze Zeit an. Karl erschoss Anfang des Jahres 1923 den Landmann Willms und beging zudem Brandstiftung. Es ist nicht überliefert, ob beide Taten miteinander in Verbindung standen und welche Motive ihnen zugrunde lagen. Die folgende im Februar 1923 begonnene Untersuchungshaft wurde Ende März durch einen Aufenthalt in Friedrichsberg wahrscheinlich zur Klärung seiner Schuldfähigkeit unterbrochen. Ende August 1923 setzte das Landgericht Altona Karl Jelenkiewicz wegen fehlender Zurechnungsfähigkeit "außer Verfolgung". Für Karl schloss sich beginnend mit dem 11. September 1923 ein bis zu seinem Lebensende andauernder Anstaltsaufenthalt an, bis zum 16. September 1940 in der Landesheilanstalt Neustadt (Holstein), danach wenige Tage in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn.

Karl war in Neustadt nicht völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Der Besuch seiner Ehefrau im März 1936 ist in seiner Neustädter Akte dokumentiert. Obwohl die Ehe zwischen Karl und Sophia Jelenkiewicz am 13. Januar 1940 rechtskräftig geschieden worden war, besuchte Sophia ihren früheren Ehemann mindestens noch einmal im Juni 1940 in Neustadt. Sie hatte inzwischen wieder ihren früheren Familiennamen "Stemwede" angenommen.

Wir kennen nur die für jedermann sichtbaren Ereignisse in Karl Jelenkiewicz’ Leben, wissen aber nicht, welche (Schuld-) Gefühle auf ihm lasteten. Einen Hinweis auf schwere innere Auseinandersetzungen mag Karl Jelenkiewicz’ Versuch vom 12. September 1940 geben, sich mit einer Rasierklinge die Pulsader der rechten Hand aufzuschneiden.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Karl Jelenkiewicz traf am 16. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September 1940 wurde er von dort mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Menschen umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Auf dem Geburtsregistereintrag von Karl Jelenkiewicz wurde notiert, dass das Standesamt Cholm II seinen Tod am 31. März 1941 unter der Nummer 110/1941 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten Auch gab es in Cholm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Rosa Jelenkiewicz, Karls Mutter, wohnte viele Jahre in einer Dreizimmer-Eigentumswohnung in der Lenhartzstraße 15. Sie sah sich 1936 oder 1937 aufgrund der Verfolgungsmaßnahmen gezwungen, die Wohnung und die darin enthaltenen Gegenstände weit unter ihrem Wert zu verkaufen und wohnte nun in der Unnastraße 14 in Hoheluft-West und zur Untermiete in der Alten Rabenstraße 9 bei Lippstadt in Rotherbaum. Im Juli 1942 musste sie in das jüdische Altersheim in der Schäferkampsallee 27, eine der Zwangsunterkünfte für Juden, umziehen. Noch in demselben Monat erhielt Rosa Jelenkiewicz den Deportationsbefehl. Sie wurde am 15. Juli 1942 mit 924 weiteren Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt deportiert. Am 21. September 1942 wurde sie von Theresienstadt nach Treblinka weiterdeportiert und ermordet. Das Amtsgericht Hamburg erklärte sie mit Beschluss vom 21. Dezember 1964 "auf das Ende des Jahres 1945" für tot.

Karl Jelenkiewicz’ drei Schwestern hatten geheiratet und auch Kinder bekommen. Zwei – Margot, verheiratete Kaiser, und Gertrud, verheiratete Selig – verließen Deutschland und emigrierten rechtzeitig mit ihren Familien in die USA.

Recha Lisbeth, verheiratete Borchardt, floh mit ihrem Ehemann Sigmund und ihrem Sohn Otto nach Belgien. Recha und Sigmund Borchardt versteckten sich in einem Hinterzimmer der Wohnung der nichtjüdischen belgischen Familie Joseph Pauwels, 121 Avenue des Statuaires, Uccle, in der Nähe von Brüssel. Sigmund Borchardt starb in dem Versteck, seine Ehefrau Recha Lisbeth überlebte. Ihr Sohn Otto berichtete später: "Bei mehrfachen Eindringen von Nazis (wahrscheinlich Gestapo) in die Wohnung von Herrn Pauwels, hatte dieser immer auf eigene Lebensgefahr erklaert, dass bei ihm keine Juden wohnen. Dafuer ist ihm von der Belgischen Regierung eine Auszeichnung, la medaille de la resistance, La Commemorative etc., verliehen worden. Die Furcht vor der Entdeckung, die Selbstinhaftierung in dem Hinterzimmer, das Fehlen von Arznei, ausreichender Lebensmittel und Kohle etc. etc. sind derartig ungeheuer und menschenunwuerdig fuer meine bis dahin sehr wohlhabenden Eltern gewesen, dass mein Vater im August 1944 in diesem Zimmer ohne Arznei oder Betreuung durch einen Arzt verkommen ist. Seine Leiche musste mehrere Tage im Zimmer mit meiner Mutter bleiben, bis man ihn in der Nacht mit falschen Papieren auf einen katholischen Friedhof bringen konnte; meine Mutter durfte wegen der Gefahr der Entdeckung die Leiche meines Vaters nicht begleiten." Wie es Otto Borchardt gelungen war, der Verfolgung zu entkommen, ist nicht überliefert.

Für Rosa Jelenkiewicz liegt ein Stolperstein in der Alten Rabenstraße 9 in Hamburg-Rotherbaum. Neben dem für seine Mutter liegt auch der Stolperstein für Karl Jelenkiewicz, obwohl er dort nie wohnte.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 7; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 314-15 Oberfinaneingefaüzpräsident R 1940_293 Jelenkiewiez; 332-03 Zivilstandsaufsicht A 4 Geburtsregister Nr. 1157/1866 Rosa Rothschild, A 177 Geburtsregister Nr. 3350/1874 Minna Philippine Jelenkiewicz; 332-5 Standesämter 2203 Nr. 4097/1889 (1) Geburtsregister Recha Lisbeth Jelenkiewicz; 980 Sterberegister Nr. 332/1931 Ivan Selig, 6332 Geburtsregister Nr. 2112/1893Sophia Elisabeth Stemwede, 8741 Heiratsregister Nr. 390/1920 Margot Jelenkiewicz, 9066 Geburtsregister Nr. 1625/1891 Gertrud Jelenkiewicz, 9121 Geburtsregister Nr. 1140/1896 Karl Jelenkiewicz, 9769 Sterberegister Nr. 4246/1918 Max Jelenkiewicz, 9939 Sterberegister Nr. 545/1943 Sophia Elisabeth Johanna Stemwede, 13089 Geburtsregister Nr. 1746/1899 Margot Jelenkiewicz. 351-11 Amt für Wiedergutmachung 1027 Jelenkiewicz, 351-11 Amt für Wiedergutmachung 13552 Gertrud Selig geb. Jelenkiewicz, 22705 Jelenkiewicz Margot verh. Kaiser; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; 522-1 Jüdische Gemeinden 922 e 2 Deportationslisten; Landesarchiv Schleswig LAS Abt. 377 Nr. 801 Neustadt; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Karl Jelenkiewicz der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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