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Minna Lazarus * 1878

Rappstraße 13 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
MINNA LAZARUS
JG. 1878
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 13.3.1943

Weitere Stolpersteine in Rappstraße 13:
Ruth Bieber, Hans-Adolf Frankenthal, Siegfried Frankenthal, Hans Hoffmann, Frieda Hoffmann, Walter Hoffmann, Heimann Horwitz, Hanna Offenburg, Nathan Hirsch Offenburg, Irmgard Posner, Karl Posner

Minna Lazarus, geb. am 15.11.1878, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort verstorben am 13.3.1943

Rappstraße 13 (Rotherbaum)

Minna Lazarus kam als Tochter des jüdischen Schneidermeisters Moses Behrend (Berman) Lazarus und seiner Ehefrau Susette, geb. Wolff Elias, in der elterlichen Wohnung in Hamburg, Marktstraße, Platz 16, Haus 4, zur Welt. Der Vater stammte aus Friedrichstadt/Eider, die Mutter − Sette genannt − aus Rendsburg. Nach ihrer Heirat in Rendsburg am 3. Januar 1866 zogen die Eltern nach Altona, wo am 27. Juli 1871 Minnas Bruder Leopold geboren wurde. Am 11. Juli 1880 kam die jüngere Schwester Rosalie zur Welt, ebenfalls in der Marktstraße. Über ihre Kindheit und Jugendzeit ist uns nichts bekannt.

Minnas Bruder Leopold gründete 1902 ein Handelsgewerbe ("Agentur und Commission") und baute es bis in die 19-dreißiger Jahre zu einem erfolgreichen Geschäft in der Textil- und Bettwäschebranche aus. Am 7. Mai 1898 heiratete Leopold die evangelisch getaufte, aus Krummendeich bei Stade stammende, Anna Catharina Margaretha Meier. Offenbar spielte der jüdische Glaube für Leopold Lazarus keine große Rolle. Am 13. April 1916 trat er aus der Israelitischen Synagogen-Gemeinde in Wandsbek aus.

Schwester Rosalie Lazarus heiratete am 8. Juli 1911 in Hamburg den nichtjüdischen Zollassistenten Anton Julius Henry Köhn.

Minna Lazarus hingegen blieb unverheiratet. Informationen über ihr Leben sind rar. Auf ihrer Kultussteuerkarteikarte der Jüdischen Gemeinde sind einige Wohnanschriften vermerkt, die darauf schließen lassen, dass für sie - im Gegensatz zu ihrem Bruder – der jüdische Glaube wichtiger Bestandteil ihrer Lebensführung war. Offenbar fühlte sich Minna Lazarus in der jüdischen Gemeinschaft gut aufgehoben. So wohnte sie im Heim für Jüdische Mädchen und Frauen am Grindelberg 42 B/Rotherbaum und später, nach Umzug des Heims, in der Innocentiastraße 21/Harvestehude. Diese Einrichtung hatte sich zu einer Unterkunft für ältere, erwerbslose und invalide Frauen entwickelt.

Wohl zwischenzeitlich lebte die alleinstehende Minna zur Untermiete in der Rappstraße 13 im Stadtteil Rotherbaum in der Wohnung des Heimann Horwitz, der eine koschere Schlachterei berieb. (Vor dem Hauseingang befindet sich ein Stolperstein in Gedenken an Heimann Horwitz).

Zur Familie Horwitz hatte Minna offenbar eine besondere und enge Bindung. Horwitz‘ Enkel, Mark Lissauer (geboren am 18.3.1923 als Hermann Lissauer), der Bergen-Belsen überlebte und später australischer Staatsbürger wurde, gibt in seinen englischsprachigen Lebenserinnerungen "A 20th Century Jewish Life. A Survivor from Hamburg" einen ersten Hinweis auf ein besonderes Talent von Minna Lazarus. Er berichtet in seinem Buch: "Koscheres Schlachten wurde um 1935 verboten. Deswegen musste er (Großvater Heimann Horwitz) sein Schlachtergeschäft (in der Rappstraße 13) schließen. Opa Heimann Horwitz und Oma Johanna Horwitz zogen in die Schlüterstraße, wo sie eine Wohnung mieteten, in der sie ein Zimmer für die Dichterin ("poetess") Minna Lazarus bereitstellten. Minna komponierte festliche Lieder für zahlreiche Familienfeiern, so auch zum 70. Geburtstag im Jahre 1936. Es war eine wunderbare Veranstaltung bei meinen Großeltern zu Hause in der Schlüterstraße."

Welchen Beruf Minna ausübte, ist nicht bekannt. Dem Eintrag auf der Kultussteuerkarteikarte zufolge, war sie Pensionärin. Laut Schreiben des Jüdischen Religionsverbands Hamburg vom 9.2.1940 bezog Minna von der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel, der Reichsunfallversicherung in Berlin, eine monatliche Unfallrente in Höhe von 104 Reichsmark. Der Versicherungsträger lässt vermuten, dass Minna zuvor als Verkäuferin gearbeitet hatte.

In den letzten Lebensjahren fast völlig erblindet, wurde Minna im Alter von 63 Jahren am 15. Juli 1942 zusammen mit 925 weiteren Leidtragenden nach Theresienstadt deportiert. Das Lager in der besetzten Tschechoslowakei war im November 1941 im Protektorat Böhmen und Mähren, in der ehemaligen österreichischen Garnisonsstadt Theresienstadt (tschechischer Name Terezín) eingerichtet worden.

Bevor Minna deportiert wurde, lebte sie in dem Doppelhaus Schäferkampsallee 25/27. In den Räumen dieses Gebäudekomplexes wurden seit Ende der dreißiger Jahre immer häufiger alte und gebrechliche Mitglieder der Jüdischen Gemeinde untergebracht. Die Unterkunft in Eimsbüttel gilt als Minnas letzte Hamburger Adresse. Auf der Kultussteuerkarteikarte findet sich der zynisch wirkende Vermerk: "Ausgeschieden, den 15.7.42 durch: Abwanderung".

Die Stadt "judenfrei" zu machen - das war das Ziel der Hamburger NS-Machthaber. Juden im Alter von über 65 Jahren (und Gebrechliche über 55 Jahren), sowie dekorierte Weltkriegsteilnehmer, waren zunächst von den Transporten in die Konzentrationslager zurückgestellt. Doch im Juli 1942 erhielt auch dieser Personenkreis, zu dem Minna zählte, die Aufforderung zu einer "Wohnsitzverlegung". Vorher wurde den Betroffenen weisgemacht, in Theresienstadt sei eine Art humanes "Altersgetto" für Betagte und Invalide geschaffen worden.

Der Himmel war verhangen am Tag des Abtransports. Lastkraftwagen hielten vor der Deportationssammelstätte der Schule Schanzenstraße, um die zumeist älteren Menschen aufzunehmen. Vermutlich am Hannoverschen Bahnhof wurden sie in Waggons der Deutschen Reichsbahn gepfercht.

Nach langer Fahrt sei man, einen Tag später, am 16. Juli 1942, vor Theresienstadt ausgeladen worden, erinnert sich eine Betroffene. Die letzten drei Kilometer hätten sie mit ihrem Gepäck nach Theresienstadt zu Fuß laufen müssen, weil das Lager noch keinen Bahnanschluss hatte. Wer war der sehbehinderten Minna auf ihrem Weg behilflich?

Knapp acht Monate überlebte Minna das Lager Theresienstadt. Überraschend findet sich aus dieser Zeit ein weiterer Beleg für Minnas poetisch-musikalische Ader und ebenso ein Hinweis auf ihren lang währenden Lebensmut. So berichtet die Theresienstadt-Überlebende Dora Lehmann in ihrem Büchlein "Erinnerungen einer Altonaerin 1866-1946" in einer kurzen Passage:

"Frl. Minna Lazarus hatte eine Violine, sie hatte eine liebliche Stimme und sang zur Begleitung der Violine reizende Schnaderhüpfel (kurzes, meist vierzeiliges Lied mit lustigem Inhalt) und jeder der Gäste bekam von ihr einen scherzhaften Gruß, neckisch und launisch. Sie war seit vielen Jahren erblindet. Erblindet und doch nicht vom Schicksal gebeugt. Sie war eine Nichte meines Vaters, Jakob Philipp Oppenheimer und sie fühlte sich innig mit mir verbunden."

Leider sind keine Lieder oder Gedichte von Minna Lazarus überliefert.

Sie verstarb am 13. März 1943 im Getto.

Zum Schicksal der Geschwister von Minna Lazarus:
Leopold Lazarus (geb. 27.7.1871) heiratete am 7. Mai 1898 Anna Catharina Margaretha Meier. Er verstarb am 21. Dezember 1939 in Hamburg.

Rosalie Lazarus (geb. 11.7.1880) heiratete am 8. Juli 1911 Anton Julius Henry Köhn. Sie verstarb am 2. Juni 1927 und wurde auf dem jüdischen Friedhof Ohlsdorf beigesetzt.

Stand: Dezember 2020
© Carsten Voigt

Quellen: StaH, 1; 2; 3; 4, 5; 7; 8; 332-5_1937/1878; 332-5_5161/1878; 332-5_1884/1880; 332-5_3278/1880; 332-5 _3172/1911; 332-5_413/1911; 332-5_926/1927; 332-5_238/1927; 332-5_6412/1898; 332-5_241/1898; 332-5_722571939; 332-5_1399/1939; Sterbeurkunde Sonderstandesamt Arolsen I, Nr. 921/1956; Gestapo-Transportliste Hamburg - Theresienstadt, Transport VI/1, ITS Archives, Bad Arolsen; Einträge im "Ahnenpaß" Familie Lazarus; Hamburger Adressbücher; Mark Lissauer: "A 20th Century Jewish Life. A Survivor from Hamburg. Makor at Lamm Jewish Library of Australia, Caulfield South, Victoria, Australia 2013, Seite 43; Dora Lehmann: Erinnerungen einer Altonaerin 1866-1946, Hrsg. vom Joseph Carlebach Institut, Hamburg 1998, S. 118; Beate Meyer (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945. Geschichte. Zeugnis. Erinnerung, Hamburg 2006; Anna Hajkovà: Ältere Deutsche Jüdinnen und Juden im Ghetto Theresienstadt, in: Beate Meyer (Hrsg.): Deutsche Jüdinnen und Juden in Ghettos und Lagern (1941-1945). Lodz. Chelmo. Minsk. Riga. Auschwitz. Theresienstadt, Hamburg/Berlin 2017; Wilhelm Mosel: Wegweiser zu den ehemaligen jüdischen Stätten in den Stadtteilen Eimsbüttel / Rotherbaum (I), Deutsch-Jüdische Gesellschaft Hamburg (Hrsg.) Hamburg 1985. Hamburger Morgenpost Online: https://www.mopo.de/hamburg/historisch/von-altona-nach-theresienstadt-auf-diesem-schulhof-begann-die-reise-ohne-wiederkehr-32854538; https://de.wikipedia.org; https://www.ancestry.de.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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