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Bereits verlegte Stolpersteine



Henriette und Philipp Lehmann
© Marianne Wilke

Henriette Lehmann (geborene Samuel) * 1880

Hellkamp 31 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1941 Riga
ermordet

Weitere Stolpersteine in Hellkamp 31:
Philipp Lehmann

Philipp Lehmann, geb. am 19.9.1876 in Wiesbaden, deportiert am 6.12.1941 nach Riga
Henriette Lehmann, geb. Samuel, geb. am 7.9.1880 in Teterow, deportiert am 6.12.1941 nach Riga

Hellkamp 31

Hermann Lehmann, geb. am 17.7.1903 in Bremen, nach der Pogromnacht bis 12.12.1938 inhaftiert im KZ Sachsenhausen, am 8.11.1941 deportiert nach Minsk
Regina Lehmann, geb. Salomon, geb. am 11.5.1902 in Treis, am 8.11.1941 deportiert nach Minsk

Durchschnitt 25, Rotherbaum

Am 23. Juli 2008 fand vor dem Haus Hellkamp 31 die Enthüllung zweier Stolpersteine für Philipp und Henriette Lehmann statt. Organisiert hatte dies eine Enkelin von Philipp Lehmann mit ihrer Familie zum Gedenken an ihre Großeltern.

Philipp Lehmann wurde 1876 in Wiesbaden geboren. Er hatte zwei Brüder und drei Schwestern: Leopold, Georg, Rosa, Bertha und Tilly. Die Familie lebte in Bad Ems in der Nähe von Koblenz. Die drei Schwestern blieben unverheiratet. Sie unterhielten ein Gasthaus mit koscheren Speisen für jüdische Gäste. Bad Ems war um die Jahrhundertwende ein beliebter Kurort für jüdische Urlauber.

Philipp Lehmann lebte mit seiner ersten Ehefrau Bertha, geb. Kriegsmann (geb. 1873), die auch seine Cousine war und aus Wiesbaden stammte, zunächst in Bremen, später in Hamburg. Das Ehepaar hatte drei Söhne: Adolf (geb. 1900) und Hermann (geb. 1903), beide in Bremen gebürtig, und Karl (geb. 1913), der in Hamburg zur Welt kam. Bertha starb 1917 im Israelitischen Krankenhaus an Krebs, als Karl noch klein war. 1918 heiratete Philipp in zweiter Ehe Henriette (Henny), geb. Samuel. Im August 1919 wurde die gemeinsame Tochter Hedwig (Hedi) geboren.

Im ersten Weltkrieg war Philipp Lehmann Soldat. Er hatte sich freiwillig gemeldet und fühlte sich als guter Deutscher. Nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" wollte er nicht wahrhaben, dass sein Leben in Gefahr war. Warnungen und den Vorschlag, eine Auswanderung ins Auge zu fassen, wies er empört zurück, obwohl er erleben musste, dass seine Söhne Hermann und Karl nach der Pogromnacht 1938 für mehrere Wochen ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurden.

Philipp Lehmann wohnte mit der Familie seit 1912 im ersten Stock des Hauses Hellkamp 31. Von 1903 bis in die 1920er Jahre arbeitete er als Versicherungskaufmann bei der Norddeutschen Versicherungsgesellschaft, die letzten Jahre als Abteilungsleiter. Danach machte er sich selbstständig, musste seine Firma aber aufgeben und arbeitete dann von 1926 bis zum 23. November 1935 als Staatsarbeiter bei der Behörde für Technik und Ingenieurwesen. Wegen seiner "nichtarischen" Abstammung wurde er entlassen. Ein Ruhelohn stand ihm nicht zu. Laut Senatsbeschluss wurde ihm vom 1. Juni 1936 bis zum 31. März 1939 ein "widerruflicher Unterhaltszuschuss" von 742,07 Reichsmark (RM) gewährt. Im Mai 1939 wurde dieser gestrichen. Außerdem bezog er ab 10. Dezember 1935 eine Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 12,30 RM wöchentlich.

Er nahm jede Arbeit an, die zu bekommen war: Vom Mai 1938 bis Ende Mai 1939 war er bei Frau Fanny Fraenkel im Haushalt beschäftigt, vom Juli 1939 bis Juli 1940 als Arbeiter bei Karl Vogt und von Juli 1940 bis Januar 1941 bei Johs. Petersen als Kabelleger, machte Erdarbeiten und verdiente wöchentlich 40 RM.

Die gesamte Familie war Mitglied bei den Guttemplern. Philipp war aufgrund von Alkoholproblemen mit seiner Frau Bertha Ende 1910 oder Anfang 1911, 35-jährig, Mitglied in der Loge Friedensstern im Guttemplerhaus Eimsbüttel, Moorkamp 5, geworden. Sohn Adolf trat im Januar 1911 einer Guttempler-Kindergruppe bei, ebenso sein 1913 geborener Bruder Karl, als er neun Jahre alt war. Beide Kinder engagierten sich in dieser Organisation und fanden hier ihre Ehepartner. Die Familie wurde am 10. September 1935 aus dem Guttempler-Orden ausgeschlossen, kurz vor Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze. Das war eine bittere Erfahrung. Der Guttempler-Orden, 1851 in den USA gegründet, war nicht nur ein Abstinenzverband, sondern hatte weitreichende soziale Ziele. Die Gründungsväter gingen davon aus, dass alle Menschen Kinder eines Gottes seien und dass somit jeder Mensch einzigartig sei und keiner wegen seines Glaubens, seiner Abstammung und seines Geschlechts benachteiligt werden dürfe. Die Zahl der jüdischen Mitglieder war vor 1933 sehr gering. Anderthalb Jahre nach Verabschiedung der Nürnberger Gesetze wurde auf der Reichstagung der deutschen Guttempler in Hamburg die Satzung geändert und der Passus aufgenommen "Guttempler müssen arischer Abstammung im Sinne der Nürnberger Gesetze sein". In dem Tagungsbericht hieß es lapidar: Beschluss wurde einstimmig gefasst. Da war Familie Lehmann aber schon längst aus der Hamburger Loge ausgeschlossen worden. Lilly, Adolfs Frau, als Nichtjüdin von dem Ausschluss nicht betroffen, verließ aus Solidarität den Orden. Lediglich vier Guttempler hielten in den folgenden Jahren Kontakt zur Familie.

1936 waren Philipp und Henny gezwungen, ihre Wohnung zu verlassen, in der sie so lange gelebt hatten. Sie mussten in ein "Judenhaus" in der Schlachterstraße 42 (heute Großneumarkt) ziehen. Später wurden sie ins "Judenhaus" Dillstraße 15 III eingewiesen. Dort erreichte sie im Dezember 1941 der "Evakuierungsbefehl", in dem es hieß: "… Sie haben sich am 6. Dezember auf dem Sammelplatz Moorweide einzufinden. Sie können je Person mitbringen: einen Koffer bis zu 50 kg, Bettzeug mit Decke, Verpflegung für 3 Tage, Zahlungsmittel bis 100 RM."

In einem Güterwagen wurden sie mit mehr als 750 Hamburger Jüdinnen und Juden und 135 weiteren, die aus Lübeck, Kiel und kleinen schleswig-holsteinischen Orten stammten, ins KZ Jungfernhof bei Riga verfrachtet. Im Getto von Riga war die SS noch dabei, 27.500 einheimische Juden zu erschießen. Philipp und Henny Lehmann waren damals 65 und 61 Jahre alt, sie hatten keine Chance zu überleben. Ihre Namen stehen auf dem Grabstein der Familie Lehmann in Oxford.

Von ihren vier Kindern überlebten drei. Der Sohn Karl und die Tochter Hedwig emigrierten nach England. Der Sohn Adolf war mit einer Nichtjüdin verheiratet und hatte zwei Kinder, Marianne und Helmut. Adolf war durch seine "privilegierte Mischehe" vor der Deportation zunächst geschützt.

Dem Sohn Hermann (geb. 1903), der Drogist war, und seiner Frau Regina, geb. Marcus (geb. 1902) gelang die Emigration nicht. Beide wurden am 8. November 1941 nach Minsk deportiert. Zuletzt hatten sie zur Untermiete am Grindelberg 9 (bei Seidel) gewohnt.

Nach dem Krieg gaben Lilly und Adolf dem Drängen von Guttemplerfreunden nach und wurden erneut Mitglied. Lilly fiel es besonders schwer zurückzukehren. Zu groß war die Enttäuschung gewesen.

© Susanne Lohmeyer

Quellen: 4; 5; StaH 332-5 Standesämter, 771 + 553/1917; StaH 351-11 AfW 3043; StaH 522-1, Jüdische Gemeinden, 992e2 Bd 3, Deportationsliste; Rede von Hans-Günther Schmidt bei der Enthüllung der Stolpersteine; Interview mit Marianne Wilke am 11.7.1990; "Wo Wurzeln waren …", S. 152ff.; Gesche-M. Cordes, Stolpersteine …, S. 94.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".


Rede von Marianne Wilke anlässlich der Verlegung der Stolpersteine für Henny und Philipp Lehmann

Philipp und Henny Lehmann, zu deren Gedenken hier Stolpersteine verlegt wurden, sind meine Großeltern. Sie haben hier, Hellkamp 31, im ersten Stock gewohnt, und zwar seit 1912.

Mein Großvater wurde 1876 in Wiesbaden geboren, er arbeitete bis 1920 als Versicherungskaufmann bei der Norddeutschen Versicherungsgesellschaft, später bei der Behörde für Strom- und Hafenbau. Die Großmutter, vier Jahre jünger als ihr Mann, war Hausfrau, wie es damals für Frauen üblich war. Beide waren Mitglieder der jüdischen Gemeinde.

In diesem Haus sind auch ihre Kinder, Hermann, Adolf (unser Vater), Karl und ihre Halbschwester Hedy aufgewachsen.

Es ist ein Gedicht von Philipp erhalten geblieben, das er als Soldat im 1. Weltkrieg 1914 – 1918 an unseren Vater geschrieben hat, in dem er sich als guter Deutscher beschreibt, der sein Vaterland verteidigen müsse.

Nachdem 1933 Hitler die Macht übertragen wurde, begann die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Sie sollten offiziell als "Sündenböcke" für alle Übel der Welt verantwortlich sein. Schon 1935 wurde ein Gesetz erlassen, in dem es hieß:" Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes…" Durch dieses Gesetz wurden alle Deutschen, die der jüdischen Religion angehörten, damit zu "Nicht-Deutschen", ja, zu Feinden erklärt.

Philipp Lehmann konnte und wollte das nicht verstehen. Er war und fühlte sich als Deutscher, alle Warnungen, vielleicht doch an eine Auswanderung zu denken, wies er empört zurück.
1936 wurden er und Henny gezwungen, ihre Wohnung zu verlassen, in der sie fast 30 Jahre gelebt hatten, um in ein so genanntes "Judenhaus" in der Schlachterstraße 42, (dem späteren Großneumarkt) , später in die Dillstraße 15 eingewiesen zu werden. Erst jetzt nahm Philipp die Wirklichkeit wahr.

Nach der Reichspogromnacht 1938, in der alle Synagogen im Reich zerstört oder niedergebrannt und seine Söhne Hermann und Karl für mehrere Wochen ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurden, drängten ihn die Söhne, an eine Auswanderung zu denken.

Karl und seine Frau Else sowie Hedy flüchteten nach England. Hermann und seine Frau Regina wurden am 8. November 1941 nach Minsk deportiert, Philipp und Henny erhielten den Evakuierungsbefehl im Dezember 1941, in dem es hieß:" …Sie haben sich am 6.Dezember auf dem Sammelplatz Moorweide einzufinden. Sie können je Person mitbringen: Einen Koffer bis zu 50 Kg, Bettzeug mit Decke, Verpflegung für 3 Tage, Zahlungsmittel bis 100 RM."

Am 6. Dezember 1941 wurden sie mit über 700 Hamburger und 90 Lübecker Juden ins KZ Jungfernhof bei Riga (Lettland) verfrachtet. Dort hatte die SS bereits am 30.11. ca. 4.000 Juden und am 8. Dezember mehr als 27.000 lettische Juden erschossen, um "Platz" für die deutschen Juden zu schaffen.

Philipp und Henny Lehmann waren damals 65 und 61 Jahre alt, sie hatten keine Chance, zu überleben, sie waren zu alt, um zur Arbeit eingesetzt zu werden. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört.

Ihre Namen stehen – ebenso wie die von Hermann und Regina – auf dem Grabstein der Familie Lehmann auf dem Friedhof in Oxford. Wir sind froh, dass jetzt auch hier in Hamburg Stolpersteine an sie erinnern.

© Marianne Wilke

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