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Gabriel Jacob Lehr * 1861

Barmbeker Markt 37 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
DR. GABRIEL JAKOB
LEHR
JG. 1861
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 6.9.1942

Gabriel Jakob (Georg) Lehr, geb. 11.10.1861 in Posen, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort am 6.9.1942 verstorben

Barmbeker Markt 37 (Am Markt 37)

Gabriel Jakob – genannt Georg – Lehr kam am 11. Oktober 1861 als Sohn der jüdischen Eheleute Abra­ham und Bertha Lehr in Posen zur Welt. Nach einem Medizinstudium erlangte er 1888 die Approbation und ließ sich im gleichen Jahr, zu­nächst als praktischer Arzt, in Ham­burg nieder. Seine Ehefrau war Hed­wig, geboren am 31. März 1875 als Tochter von Simon Kaufmann und Paula, geb. Gumpertz. Georg und Hedwig Lehr bekamen zwei Söhne, Hans Walter wurde am 31. August 1895 geboren und Fritz Herbert am 6. Juni 1900.

Die Zulassung für Georg Lehr zu allen Kassen erfolgte 1909. Etwa zu dieser Zeit verlegte er seine Praxis von den Colonnaden an den Markt in Barmbek, die Familie lebte in einer großen Wohnung mit 6½ Zimmern am Immenhof 16.

Georg Lehr war inzwischen ein in Hamburg anerkannter HNO-Spezialist. Sein großer Erfolg mehrte das Vermögen, später erinnerten sich Zeitzeugen an eine kostbare, mit erlesenen Din­gen ausgestattete Wohnungseinrichtung.

Die Söhne des Ehepaars Lehr ergriffen andere Berufe. Hans Walter studierte Jura und war für die Hamburgische Gesandtschaft in Berlin tätig. Er kam im Alter von 30 Jahren bei einem Lawinenunglück in der Schweiz ums Leben. Der jüngere Bruder Fritz Her­bert, Doktor der Kunst­geschichte, leb­te ebenfalls in Berlin und litt sehr unter den Verfolgungen. Als er seine Tätig­keit als Redakteur 1936 aus "rassischen" Gründen verlor, entschied er sich für den Freitod.

Die Eltern in Hamburg waren nun allein, sie hatten keine Enkel. Hedwig Lehr wurde bald sehr krank. Ihr Mann Georg Lehr verlor am 1. Januar 1938 die Kassenzulassung, am 30. Septem­ber wurde ihm wie allen anderen jüdischen Ärzten in Hamburg die Approbation entzogen. Kurz darauf – am 13. Oktober, zwei Tage nach seinem 77. Geburtstag – starb seine Frau. Ein ehemaliger Nachbar schrieb später, sie habe Brustkrebs gehabt.

Das Ehepaar war etwa zwei Jahre zuvor in eine 3½-Zimmer-Wohnung in der Eppendorfer Landstraße 30 gezogen, die Georg Lehr bis 1941 weiter bewohnte.

Im Juni 1939 legte ein Mitarbeiter des Oberfinanzdirektion, Devisenstelle, eine Akte zu Georg Lehr an mit dem Vermerk "Es erschien der obengenannte Dr. Lehr und überreichte anliegendes Vermögensverzeichnis, wonach außer einer Leibrente nur geringe Vermögenswerte vorhanden sind. Daher keine Sicherheitsanordnung erforderlich."

Das handschriftlich gefertigte Verzeichnis vom 1. Juni 1939 listete Werte in erstaunlich geringer Höhe auf: RM 600 Goldpfandbriefe der Hamburgischen Hypothekenbank, 200 £ Ham­bur­gische Staatsanleihe, 300 £ Brasilianische Staatsanleihe. Auf dem Girokonto bei der Deut­schen Bank, Filiale Hamburg, waren 233,14 RM und beim Postscheckamt Hamburg 1 147,89RM. Hinzu kamen die Leibrente von 3614 RM per Anno und die Kassen­ver­eini­gungs­rente in Höhe von 95 RM, unterzeichnet von Dr. med. Gabriel Jacob Israel Lehr, Eppendorfer Landstraße 30 in Hamburg 20.

Ein weiteres Schreiben vom Nordischen Assekuranzcontor an den Oberfinanzpräsidenten vom 20. Mai 1942 teilte mit: "Herr Dr. ... Lehr, wohnhaft in Hamburg 13, Beneckestraße 4, unterhält seit dem 9. Dezember 1938 durch uns bei der Baseler Lebensversiche­rungs­ge­sellschaft eine Rentenversicherung, worauf er vierteljährlich eine Rente von RM 903,65 ausbezahlt be­kommt."

Nachgefragt wurden die Zahlungsmodalitäten, da nach einer neuen Information Baraus­zahlungen an Juden nicht mehr vorgenommen werden durften.

"Der Rentner verlangt das Geld auf das Konto des Altersheims Dr. Simon, wo er wohnt. (...) Welche Zahlungsmöglichkeiten liegen für uns noch vor?" Die Antwort lautete unter anderem: "Gegen Herrn Dr. Lehr habe ich eine S.A. nicht erlassen. Es bestehen da­her devisenrechtlich keine Be­denken, dass Sie die Ren­te an ihn in bar oder an das Alters­­heim zahlen."

Der Vorgang wirft die Frage auf, was aus Georg Lehrs Vermögen geworden sein mag, von dem angenommen wer­den kann, dass es nicht un­be­trächt­lich gewesen und nicht allein durch Zwangsabgaben so stark reduziert worden ist. Die Leibrente könnte eine Erklärung sein, denn eine der we­nigen Möglichkeiten, dem Un­rechts­staat Zu­griff auf jüdische Ersparnisse zu entziehen, bestand bis 1941 darin, sie als einmalige Kapital­einzahlung einer Le­bensversiche­rungs­­gesellschaft zu über­schreiben gegen lebenslängliche, un­veräußerliche Leibrenten. Den Vertrag mit der Schwei­zer Versicherung hatte er im Dezember 1938 abgeschlossen.

Ab September 1941 musste auch Georg Lehr den "Judenstern" tragen. Er zog in diesem Jahr von der Eppendorfer Landstraße vorübergehend in die Hallerstraße 72 und 1942 für kurze Zeit ins Jüdische Altenheim Beneckestraße 4. Hier erreichte ihn der Deportationsbefehl. Der Transport nach Theresienstadt fand für den fast 81-Jährigen am 15. Juli 1942 statt, wo er am 6. September des gleichen Jahres starb.

© Erika Draeger

Quellen: 1; 2; 3; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, R 1941/223a; StaHH 314-15, OFP, 9 UA 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 731, Lehr, Georg; von Viliez: Mit aller Kraft verdrängt, S. 329; Bajohr: "Arisierung in Hamburg", S. 153ff., S. 369.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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