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Johanna Rappolt (rechts) und ihre Schwestern Alice Oppenheimer (links), Weihnachten 1927
© Privatbesitz

Johanna Rappolt (geborene Oppenheim) * 1870

Rondeel 37 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
JOHANNA RAPPOLT
GEB. OPPENHEIM
JG. 1870
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 15.11.1942

Johanna Rappolt, geb. Oppenheim, geb. 23.12.1870 in Hamburg, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort am 15.11.1942 gestorben

Johanna Rappolt wurde 1870 in Hamburg-Pöseldorf als Tochter des Kaufmanns Albert Süskind Oppenheim (1838–1911) und Lucia Oppenheim, geb. Cohen (1846–1906) geboren. Die Eltern hatten im April 1866 am Geburts- und Wohnort der Braut in Stuttgart geheiratet; drei Jahre vor Johanna war die Schwester Alice geboren worden. Der Vater, Sohn des Hamburger Kaufmanns David Berend Oppenheim (1802–1890) und Charlotte, geb. Mendel aus Schwerin (1815–1901), besaß seit 1865 das Hamburger Bürgerrecht, war in den 1870er Jahren Mitinhaber der väterlichen Im- und Exportfirma David & Ferdinand Oppenheim (gegr. 1827) und in den 1880er-Jahren Mitinhaber bei Carl Cohen & Co. (Rohtabak). Die gutsituierte Familie wohnte in der Esplanade 15 (1867–1870), Magdalenenstraße 61 (1871–1885) und Heimhuderstraße 58 (1886–1900).

Johanna Oppenheim lebte bis zu ihrer Heirat im März 1898 bei ihren Eltern. Ihr Ehemann Paul Rappolt (geb. 6.8.1863 Hamburg) war nach Abschluss des Realgymnasiums (1881), einer kaufmännischen Ausbildung und einem längeren Aufenthalt in London (1883), zusammen mit seinem Bruder Arthur Rappolt erst als Prokurist (1889) und ab dem 1. Januar 1892 als Mitinhaber in die von ihrem Vater 1862 mitgegründete Firma Oppenheim & Rappolt eingetreten. 1897 wurde die Textilfirma in Rappolt & Söhne umbenannt; Paul Rappolt war dort für den Bereich Webmuster und Stoffe zuständig.

Nach der Heirat bezogen die Eheleute eine geräumige Wohnung im Mittelweg 31 (Rotherbaum). Hier wurden die Kinder Lilly (1899) und Erich (1902) geboren. 1907/1908 ließ Paul Rappolt für die vierköpfige Familie eine repräsentative Villa am Rondeel 37 (Winterhude) erbauen, die mit achtstufiger Freitreppe zum vorgewölbtem Gebäudemittelteil sowie Gesimsen und schmiedeeisernen Brüstungsgittern unter den Fenstern "in Anlehnung an ein französisches Stadtpalais aus dem achtzehnten Jahrhundert" gestaltet war. Als Architekt verpflichtete er Ernst Dorn (1857–1913), der bereits einige Jahre vorher für den Bruder Arthur Rappolt das Haus Rondeel 33 gebaut hatte. Im Erdgeschoss lagen die Halle, ausgestattet mit vier Kristallleuchtern, der Salon mit Kamin, das Esszimmer mit eingebautem Buffet, das Herrenzimmer mit Kamin, flämischer Deckenlampe und eingebauten Bücherschränken sowie das Treppenhaus mit zwei Palmen in chinesischen Porzellankübeln. Auch die wenigen, 1948 nachträglich aufgelisteten Einrichtungsgegenstände, zeugen von Stil und Wohlstand der Familie: Korbsessel, Perserteppich (6x8 m), Terrakotta-Gruppe "Le Printemps", Delfter Vasen sowie ein großer Spiegel in goldenem Barockrahmen.

Paul "Teddy" Rappolt sammelte neben der Arbeit als Modechef einer renommierten Marke für einkommensstarke Käuferschichten (Verkauf u.a. in den gehobenen Hamburger Geschäften Robinsohn, Hirschfeld, Staben, Unger) Hamburgensien. Er inserierte u.a. 1915 eine Kaufannonce in einer Antiquitäten-Zeitung für Hamburgensien und Kostümbilder. In einem Verzeichnis von Sammlern und ihren Sammlungsschwerpunkten aus dem Jahre 1930 wurde Paul Rappolt mit "Hamburger Trachtenbilder" vermerkt. Auch in seinem Privatkontor im neu erbauten Rappolt-Haus in der Mönckebergstraße 11–13 scheinen Hamburgensien gehangen zu haben, wie eine Fotografie in einer Architekturzeitung belegt. Seine private Sammlung war vermutlich die größte ihrer Art. Passend zu dieser Sammelleidenschaft war er seit 1913 bis zu seinem Austritt 1938 (der seinem Ausschluss zuvorkam) im Verein für Hamburgische Geschichte Mitglied.

Im Gegensatz zu ihm sind von Johanna Rappolt, die vom Schwager Franz Rappolt (siehe dort) und dessen Familie "Tütchen" und "Tante Hans" genannt wurde, fast keine biographischen Angaben überliefert.

Die Rappolts hatten sich im Laufe der Generationen vom jüdischen Glauben entfernt. Arthur Rappolt (1864–1918) und sein Bruder Paul Rappolt waren in den Jahren 1890 und 1891 in die Hamburger Freimaurerloge Absalon (Logenhaus Welckerstraße 8) eingetreten, der damals der Altonaer Arzt Heinrich Goldstücker (geb. 1833) und später Cäsar Wolf (siehe dort) als Meister vom Stuhl vorstand. Auf ihrer Heiratsurkunde war 1898 für Paul Rappolt und Johanna Oppenheim die jüdische Religionszugehörigkeit vermerkt. Im Jahr 1900 ließen sie ihre Tochter evangelisch taufen. Im Februar 1901 trat Paul Rappolt aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde aus – im Juni 1904 folgte sein Bruder Arthur diesem Schritt. 1906 erwarben der Vater von Paul Rappolt als auch der Vater von Johanna Rappolt, geb. Oppenheim, eine Grabstelle auf dem evangelischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs für die gesamte Familie. Während Paul Rappolt 1929 wieder in die Jüdische Gemeinde eintrat, nachdem sich einige Jahre vorher bereits seine Brüder Franz und Otto Rappolt zu diesem Schritt entschlossen hatten, blieb Johanna Rappolt Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche. Allerdings wurden lediglich für 1929 Zahlungen von Paul Rappolt an die Jüdische Gemeinde eingetragen.
Die Umwandlung der Logen zu nicht-freimaurerischen christlichen Vereinen im April 1933 beinhaltete auch den Ausschluss jüdischer Mitglieder; bis 1935 wurden alle Logen geschlossen, die Mitglieder in Karteien erfasst und das Sachvermögen, Inventar und Schriftgut vom NS-Staat beschlagnahmt.
Im April 1936 nahm Paul Rappolt laut Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde wieder die evangelisch-lutherische Konfession an, wurde aber ab 1939 wieder zwangsweise als Mitglied des Jüdischen Religionsverbandes geführt.

Der Sohn Erich Rappolt (geb. 25.10.1902) besuchte von 1911 bis 1920 nach drei Jahren Vorschule das renommierte Realgymnasium des Johanneums und verließ die Schule mit dem Abiturzeugnis. Nach einer kaufmännischen Lehre bei einer Exportfirma wurde er im Familienunternehmen Rappolt & Söhne (Mönckebergstraße 11–13) auf künftige Leitungsaufgaben vorbereitet und im Januar 1929 zum persönlich haftenden Gesellschafter des Familienunternehmens ernannt. Im Januar 1939 emigrierte er nach England und war dort für 17 Monate als Exportmanager bei Hirschlands Ltd. (London) tätig. Im Rahmen von Einbürgerung und Wehrpflicht wurde sein Name in Eric Rigby geändert und dazu ein englischer Geburtsort eingetragen, um für den Fall, dass er in deutsche Gefangenschaft geriet, seine deutsche (und jüdische) Herkunft zu verbergen, denn er trat ab September 1940 ins englische "pioneer corps" ein.

Die Tochter Lilly "Lell" Rappolt (geb. 17.1. 1899), im Jahre 1900 getauft und 1915 zusammen mit ihrem Cousin Fritz Rappolt (siehe dort) konfirmiert, hatte mit dem Berufsziel Kinderärztin Medizin studiert, promoviert und ihr Medizinal-Praktisches Jahr im Januar 1933 im Krankenhaus St. Georg beendet. Ihre weitere Ausbildung an der Universitätsklinik Köln bei Professor Kleinschmidt endete bereits im März 1933 mit ihrer Entlassung, weil sie jüdischer Herkunft war. Um die Ausbildung fortzusetzen, zog sie in die Schweiz, wo sie beim Kanton-Spital Zürich (Juli 1933 bis Dezember 1934), in der Geburtsabteilung des Spitals Münsterlingen/Kanton Thurgau (vermutlich Januar bis Juni 1935) und im Basler Kinderhospital als Volontärassistentin (Sommer 1935 bis März 1936) arbeitete. Die Schweizer Behörden verweigerten ihr jedoch einen weiteren Aufenthalt, so dass sie im März 1936 nach Deutschland zurückkehren musste.
Kurzzeitig betrieb sie von April 1936 bis 1938 als praktische Ärztin eine Praxis im elterlichen Haus Rondeel 37. Mit dem Ausschluss aus der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (Anordnung vom 1.1.1938) und der Aberkennung der Approbation zum 30. September 1938 (Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.7.1938) wurden ihr die Grundlagen für die Ausübung des Arztberufes in Deutschland entzogen. Lilly Rappolt (1899–1981) emigrierte am 23. August 1938 in die USA, sie beauftragte Rechtsanwalt Walter Klaas (Dammtorstraße 27) mit der Bearbeitung der umfangreichen Auswanderungsregularien. Ihre Eltern schenkten ihr für die Emigration die enorme Summe von 150.000 RM. Doch der NS-Staat brachte den Großteil ihres Vermögens an sich u.a. durch die Reichsfluchtsteuer (77.000 RM), einen 92%igen Abschlag auf das in die USA transferierte Kapital (263.000 RM) sowie die "Judenvermögensabgabe" (5000 RM). Für die ausgeführten "Instrumentarien" ihrer Praxis musste sie zudem eine "Dego-Abgabe" von 3700 RM zahlen.
Zollsekretär Wierdemann von der "Zollfahndungsstelle" erschien im Hause Rondeel 37, kontrollierte das Umzugsgut und fertigte hierüber einen "Ermittlungsbericht" an. Vor ihm hatte bereits die "Öffentliche Auskunfts- und Beratungsstelle für Auswanderer in Hamburg" (Kaiser-Wilhelm-Straße 110) am 27. Juli 1938 schriftlich bestätigt: "Die Auswandererberatungsstelle hält die Mitnahme der teils gebrauchten, teils neu beschafften ärztlichen Praxiseinrichtung und Instrumente im Gesamtwert von RM 3106 zur Gründung einer neuen Existenz in den USA für angemessen und das Auswanderungsvorhaben des Fräulein Dr. Rappolt für wirtschaftlich durchführbar."
Neben der Praxisausstattung sowie der Schlafzimmer- und Wohnzimmereinrichtung wurden auch 10 nicht näher bezeichnete Bilder, diverse Bücher, eine Pingpongtischplatte, Reitkostüm nebst Stiefeln, Skikostüm nebst Stiefeln sowie Wanderstiefel in den Übersee-Containern verstaut. Am 19. September 1938 erreichte Lilly Rappolt per Schiff San Francisco; im Oktober 1939 legte sie am Krankenhaus Chicago ihr medizinisches Staatsexamen ab. Ihr Cousin Ernst Rappolt schrieb im Juli 1940 aus den USA an seinen Vater Franz Rappolt über sie: "Mit ihrer Gradlinigkeit, Offenheit und Anständigkeit hat sie sich schon sehr viele Freunde geschaffen."

1938 wurde den jüdischen Geschäftsleuten in Deutschland die ökonomische Basis entzogen. Neben dem Zwangsverkauf des überaus erfolgreichen Familienunternehmens Rappolt & Söhne im Juni 1938 verhängte der NS-Staat eine "Sicherungsanordnung" über das Geldvermögen von Johanna und Paul Rappolt, die so über ihr Eigentum nicht mehr verfügen konnten. Sie durften lediglich einen monatlichen "Freibetrag" von 1100 RM abheben. Ebenfalls 1939 musste Paul Rappolt eine "Judenvermögensabgabe" (rund 200.000 RM) für seine Familie bezahlen. Für die "Reichsfluchtsteuer" waren darüber hinaus 66.000 RM an Wertpapieren verpfändet worden. Die Eheleute verließen gezwungenermaßen am 3. Juni 1939 die Villa Rondeel 37 und zogen in eine Wohnung in der Heilwigstraße 5, 2. Stock (Harvestehude). Die Villa am Rondeel wurde am 5. April 1939 über die Hausmaklerfirma Johs. Reese & Co. an das Luftgaukommando XI Hannover für 115.000 RM verkauft, was unter dem Marktwert lag. Mit dem Ankauf der Villa übernahm die Luftwaffe auch Einrichtungsgegenstände, deren späterer Verbleib nicht geklärt werden konnte. Im Januar 1946 gab die "Standortverwaltung und Abwicklungsstelle der Luftwaffe Hamburg" gegenüber den Rechtsanwälten von Erich Rappolt/Eric Rigby folgende Stellungnahme ab: "Es entspricht den Tatsachen, daß durch den angeführten Kaufvertrag neben dem Grundstück Rondeel 37 einige Einrichtungsgegenstände zur Ausstattung der Dienstwohnung des Befehlshabers im Luftgaukommando XI erworben wurden. Als im Jahre 1943 die Dienstwohnung aufgegeben und das Haus an mehrere Bombengeschädigte vermietet wurde, wurden die reichseigenen Möbel und Einrichtungsgegenstände der Dienstwohnung in der Flakkaserne Rissen untergestellt, wo sie sich am Tage der Übergabe der Stadt noch befanden. Inzwischen ist die Kaserne von der Besatzungsmacht in Anspruch genommen worden und sollen die Möbel, soweit sie nicht bereits vorher entwendet worden sind, von der britischen Einheit zur Ausstattung der Dienst- u. Wohnräume verwendet worden sein".
Doch zurück in die 1930er Jahre: Die Hausangestellte Emma Schuldt, der Familie über 30 Jahre eng verbunden, durften sie weiterhin beschäftigen. Im Herbst 1939 erlitt Paul Rappolt seinen ersten Schlaganfall, seine offiziellen Briefe wurden nun von der Ehefrau Johanna oder dem Bruder Franz "in Vertretung" unterzeichnet. Am 27. November 1939 setzte Paul Rappolt ein Testament zugunsten seiner Ehefrau auf und benannte den Verwandten Morris Samson (1878–1959), Bruder von Helene Sophie Rappolt, geb. Samson (Ehefrau von Arthur Rappolt), zum Testamentsvollstrecker, der seit 1905 als Rechtsanwalt tätig war und ab März 1939 nur noch als "Konsulent" für jüdische Klienten arbeiten durfte.

Die jahrelangen psychischen Belastungen blieben für die Rappolts nicht ohne Folgen. Im März 1940 musste Paul Rappolt, obwohl selbst schonungsbedürftig, seine Frau Johanna pflegen, die "wegen Ueberanstrengung durch die Pflege von Paul auch im Bett liegt", wie Franz Rappolt an seinen Sohn in den USA schrieb. Die Herzkrankheit ihrer Schwester Alice Oppenheimer, geb. Oppenheim (siehe dort) bekümmerte sie zusätzlich. Franz Rappolt unterstützte beide nach Kräften. Doch die finanziellen Beschränkungen und die Politik der weitgehenden Ausgrenzung verhinderten eine ausreichende fachliche Pflege. Im Juni 1940 hatte sich Paul Rappolt wieder so weit erholt, dass er täglich Spaziergänge machen konnte. Doch ein halbes Jahr später, nach einer Lungenentzündung und einem dritten Schlaganfall, verstarb er am 4. Dezember 1940. Die Beisetzung der Urne im Familiengrab Oppenheim auf dem evangelischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs fand im engsten Familienkreis statt, anwesend waren nur Johanna Rappolt, ihre Schwester Alice mit Söhnen, Tochter und Schwiegersohn, die Haushälterin Emma Schult, Franz und Charlotte Rappolt, Ernst Rappolt und Otto Rappolt aus Berlin.
Auch jetzt war es wieder Franz Rappolt, der zur Seite stand. Aber auch die Schwester Alice Oppenheimer (geb. 18.3.1867) in der nahe gelegenen Sierichstraße 58 (Winterhude) bot ihrer Schwester Stütze und Unterschlupf, wenn die Hausangestellte frei hatte. Auch vom 21. Dezember 1940 bis Anfang Januar 1941 zog Johanna zu ihrer Schwester Alice. Neben Morris Samson wurde von Johanna auch der Neffe und Rechtsanwalt Albert Oppenheimer (1892–1983), der von Februar 1939 bis Juli 1941 als Angestellter bei der Jüdischen Gemeinde arbeitete, als zweiter Testamentsvollstrecker benannt. Zwar erbte Johanna Rappolt das Vermögen ihres Mannes, doch die "rassisch" begründeten Abgaben und Zwangssteuern führten zur nur mühsam kaschierten Plünderung ihres Vermögens.

Die Vermögenssperre ("Sicherungsanordnung") gegen Paul Rappolt wurde am 17. Dezember 1940 von Assessor Walter Weiffenbach von der Devisenstelle (U 16) wegen Tod aufgehoben, gleichzeitig aber das komplette Vermögen von Johanna Rappolt gesperrt. Am 8. Januar 1941 sandte ihr Weiffenbach im Behördenbefehlston und ohne Anrede eine Nachricht zu: "Nach meiner Sicherungsanordnung vom 17.12.1940 sind Sie verpflichtet, mir eine Bescheinigung der kontoführenden Bank über die Errichtung des beschränkt verfügbaren Sicherungskontos sowie Abschriften der Benachrichtigungen an Ihre Schuldner usw. vorzulegen (…) Ich ersuche Sie, diesen Verpflichtungen binnen einer Woche nachzukommen."

Die wertvolle Hamburgensien-Sammlung wurde nach Recherchen im Jahre 1945 des Sohnes Erich Rappolt für insgesamt 45.000 RM verkauft, Erwerber waren das Museum für Hamburgische Geschichte, das Staatsarchiv Hamburg und das Antiquariat mit Buchhandlung F. Dörling (Speersort 22). Für die staatlichen Ankäufe konnten bei der Verwaltung für Kunst- und Kulturangelegenheiten "Mittel zum Ankauf aus jüdischem Kunstbesitz" beantragt werden. Laut Aussage des Inhabers von F. Dörling, Max Bähr, im September 1945, soll der von ihm erworbene Teil der Rappolt-Sammlung bei den Luftangriffen 1943 verbrannt sein. Im März 1948 stellte sich der Sachstand der Informationen von Erich Rappolts Hamburger Rechtsanwälten so dar: "Im Jahre 1942 kaufte das Museum für Hamburgische Geschichte von der Firma Dörling aus der Sammlung Rappolt 508 Einzelblätter zum Preis von RM 220.000 zuzüglich RM 1100 Provision für die Firma Dörling. (…), daß der Ankauf des Museums für Hamburgische Geschichte bei weitem nicht die ganze Sammlung Rappolt umfasste. Ein großer Teil der unverkäuflich gebliebenen Gegenstände ist bei dem Brand der Firma Dörling im Sommer 1943 zugrunde gegangen." Weitere zwei Jahre später konnte zumindest für die erhalten gebliebenen Hamburgensien ein Wertausgleich vereinbart werden. "Die (…) Freie und Hansestadt Hamburg hat zur Abgeltung aller Rückerstattungsansprüche gemäß Vergleich vom 14.6.1950 DM 8000 (= 40.000 RM) und gemäß Vergleich vom 8.9.1950 DM 1100 (= 5500 RM) an die Berechtigten gezahlt (…)".

Zu spät, erst nach dem Tode ihres Mannes, bemühte sich Johanna Rappolt über ihre in die USA emigrierte Tochter um Bürgschaft, Visum und Schiffspassage in die Vereinigten Staaten. Nachdem diese Versuche gescheitert waren, versuchte Johanna Rappolt ab September 1941 zusammen mit ihrem Schwager Franz Rappolt nach Kuba auszuwandern. Für das Kuba-Visum bzw. den damit verbundenen einjährigen Aufenthalt auf der Insel mussten sie rund 2800 US-Dollar (rund 8500 RM) nachweisen. Nachdem sich das Deutsche Reich große Vermögensteile angeeignet hatte und für Überweisungen in das Ausland ein rund 90%iger Abzug berechnet wurde, stellte dies für die ehemals wohlhabende Johanna Rappolt ein fast unüberwindbares Problem dar. Die Aussicht, ihre Tochter Lilly wiederzusehen, gab ihr jedoch offensichtlich wieder etwas Kraft. Sie nahm nun – wie auch Franz Rappolt und sein Sohn Fritz – bei einem älteren Lehrer Spanischunterricht.

Trotz eines am 28. September 1941 für Johanna Rappolt erteilten Kuba-Visums zögerte sich ihre Ausreise hinaus, da der Hapag-Dampfer seine für den 4. November 1941 vorgesehene Fahrt auf unbestimmte Zeit verschieben musste. Die emotionale Talfahrt setzte sich fort, denn auch die Zusage für das parallel ab 30. August 1941 beantragte Uruguay-Visum sollte vier bis fünf Monate dauern. Bezahlt war die Überfahrt aber bereits. Am 30. Oktober 1941, als die Auswanderung schon verboten war und der erste Deportationstransport Hamburg bereits verlassen hatte, entrichtete Johanna Rappolt einen Reichsmark-Betrag, der dem Wert eines Hauses in guter Lage entsprach, an die "Allgemeine Treuhandstelle für die jüdische Auswanderung GmbH, Berlin (Alltreu)". Die Zahlung erfolgte "wegen Passage für Frau Joh. Rappolt". Bereits einen Monat vorher hatte sie einen umfangreichen Kapitaltransfer nach Montevideo/Uruguay versucht, wobei aber von deutscher Seite nur 4% in urug. Pesos überwiesen wurden (also ein "Transferverlust" von 96%).
Die Auswanderung von Franz und Johanna Rappolt nach Südamerika kam jedoch nicht zustande. Nach der Kriegserklärung NS-Deutschlands an die USA (11.12.1941) wurden bis Ende Januar 1942 alle Post-, Telegraphen- und Fernsprechverbindungen zu den USA und ihren Nachbarstaaten (inklusive Kuba) eingestellt. Jeder Kontakt zur Tochter wurde dadurch unterbunden.

Seit dem 19. September 1941 musste Johanna Rappolt den "Judenstern" tragen. Die Gestapo Hamburg verfügte, dass das Dienstverhältnis mit der nichtjüdischen Hausangestellten Emma Schult zum 31. Dezember 1941 zu beenden sei. Johanna Rappolt erhielt den Befehl, die Wohnung in der Heilwigstraße 5 (Harvestehude) zu verlassen und zusammen mit Franz Rappolt zum 15. April 1942 in ein "Judenhaus" in der Beneckestraße 6 umzuziehen. Für diese Zwangsunterkunft musste Johanna Rappolt monatlich 300 RM an die Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland überweisen.

Am 15. Juli 1942 wurde sie auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei, Leitstelle Hamburg, zusammen mit ihrem Schwager Franz Rappolt, mit "Transport VI/1" (insgesamt 926 Personen) von Hamburg ins Getto Theresienstadt deportiert. Auf den in Schreibmaschinenschrift akkurat erstellten Deportationslisten erhielten sie die Nummern "716" und "775". Auch ihre verwitwete Schwester Alice verheiratete Oppenheimer, seit März 1942 ebenfalls in der Beneckestraße 6 zwangsweise untergebracht, befand sich als "Nr. 682" in diesem Deportationszug.
Johanna Rappolt verstarb in Theresienstadt in der sogenannten Dresdner Kaserne (Gebäude für alte Frauen) am 15. November 1942 im Alter von 71 Jahren an Darmkatarrh, wie der 31-jährige Arzt und Lagerinsasse Leo Honigwachs bei der "Totenbeschau" diagnostizierte.

In Hamburg versteigerte Gerichtsvollzieher Bobsien im Mai 1943 die Reste von Johanna Rappolts Zimmereinrichtung für 1120 Reichsmark; der Versteigerungstermin war im Hamburger Fremdenblatt und im Hamburger Tageblatt angekündigt worden, der Erlös ging an das Deutsche Reich.

Im September 1945 kam ihr Sohn Erich Rappolt als "British Intelligence Corps Sergeant Eric Rigby" wieder in das befreite Hamburg. Er schrieb in seine neue Heimat Großbritannien: "Never in my life have I felt so thrilled, excited, sad and satisfied as this short spell in Germany. What a difference between 29. Jan. 1939 when I left Germany and now Sept. 1945, (…) What a tragedy that so many of our dear ones did not live to see the day of justice.”

Stand August 2016

© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 214-1 (Gerichtsvollzieherwesen), 573 (Johanna Rappolt, 1943); StaH 231-3 (Handelsregister), A 7 Band 42 (Prokuristenprotokoll, P 10438 Paul Rappolt); StaH 231-7 (Amtsgericht Hamburg, Handels- u. Genossenschaftsregister), A 1 Band 186 (Rappolt & Söhne); StaH 232-1 (Vormundschaftsbehörde), Serie I 839, Süskind Hersch Oppenheim (1833); StaH 311-3 I (Finanzbehörde I), Abl. 1989 305-2-1/ 268 Band 2 (u.a. Immobilien Rondeel 33, Rondeel 37, Leinpfad 58, 1946-1953); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1940/ 0484 (Johanna Rappolt, Sicherungsanordnung); StaH 314-15 (OFP), F 1981 (Lilly Rappolt); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht), A Nr. 28 (1506, Geburtsregister 1867, Alice Oppenheim); StaH 332-5 (Standesämter), 1466 u. 7848/1890 (Sterberegister 1890, David Berend Oppenheim); StaH 332-5 (Standesämter), 8589 u. 93/1898 (Heiratsregister 1898, Johanna Oppenheim u. Paul Rappolt); StaH 332-5 (Standesämter), 7948 u. 3061/1901 (Sterberegister 1901, Charlotte Oppenheim geb. Mendel); StaH 332-5 (Standesämter), 8006 u. 306/1911 (Sterberegister 1911, Albert Süskind Oppenheim); StaH 342-2 (Militär-Ersatzbehörden), D II 31 Band 2 (Paul Rappolt); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung) 789 (Paul Rappolt); StaH 351-11 (AfW) 1653 (Johanna Rappolt); StaH 351-11 (AfW), 26162 (Eric Rigby = Erich Rappolt); StaH 351-11 (AfW), 22268 (Lilly Rappolt); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Paul Rappolt (1929–1936 u. 1939–1940), Johanna Rappolt (1941–1942); StaH 614-1/71 (Vereinigte 5 Logen), 5.2 H44, Nr.133 (Mitgliederverzeichnis 1901–1910); StaH 741-4 (mikroverfilmte Alte Einwohnermeldekartei 1892–1925), Süskind Albert Oppenheim, Johanna Oppenheim; Adressbuch Hamburg 1897, 1900, 1913, 1932, 1941; Fernsprechbuch Hamburg 1895, 1899–1901, 1906–1911, 1936–1940; Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 113 (Carl Cohen & Co.), S. 491 (D. & F. Oppenheim); Joist Grolle/ Ina Lorenz, Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus dem Verein für Hamburgische Geschichte, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Band 93, 2007, S. 129–131 (Paul Rappolt); Ute Haug, Zehn Jahre Provenienzforschung an der Hamburger Kunsthalle, Rahmenbedingungen und Einzelfälle, in: Koordinierungsstelle Magdeburg, Die Verantwortung dauert an, Beiträge deutscher Institutionen zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, Magdeburg 2010, S. 158, 159; Thomas Held, Juden und Freimaurer in Hamburg (Magisterarbeit Uni Hamburg), Hamburg 1983, S. 91, 102, 103, 140; Marcus Meyer, Volksgemeinschaft oder Weltbruderkette – Freimaurer in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich",in : Susanne B. Keller (Hrsg.), Königliche Kunst – Freimaurerei in Hamburg seit 1737, Altenburg 2009, S. 132, 134; Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg – Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Hamburg 2003, S. 150 (Albert Oppenheimer), S. 155 (Morris Samson); Johannes Schröder, Verzeichnis der Abiturienten des Realgymnasiums des Johanneums zu Hamburg von Ostern 1875 bis Ostern 1934, Hamburg 1934, S. 56 (Erich Rappolt); Anna von Villiez, Mit aller Macht verdrängt – Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg/ München 2009, S. 380 (Lilly Rappolt, mit falscher Familienzuordnung); Kunsthalle Hamburg, telefonische Auskunft vom 7.7.2015; Denkmalschutzamt Hamburg, telefonische Auskunft vom 14.3.2008; Bau-Rundschau, Wochenschrift für das gesamte Architektur- u. Bauwesen Nord- u. Westdeutschlands, No. 42, 16. Oktober 1913 (Fotografie Privatkontor im Rappolt-Haus, ohne Seitenzahl); Film und Frau, Heft 3/XIV, Hamburg 1962, S. 46–51 (Galerie Rudolf Hofmann, Rondeel 37); Institut Theresienstädter Initiative/ Nationalarchiv Prag, Jüdische Matriken, Todesfallanzeigen, Ghetto Theresienstadt 12236 (Johanna Rappolt); Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Grabprotokoll Nr. 42.495 vom 30. Mai 1906, Familiengrab Oppenheim (AA 23, 311-328); Korrespondenz von Franz Rappolt und seinem Sohn Ernst Rappolt in den USA, 1940–1941, Privatbesitz; Brief von Eric Rigby (= Erich Rappolt) aus Hamburg nach England, 4.9.1945, Privatbesitz; St. Johannis-Kirche Harvestehude, Konfirmationsregister 1915 (Lilly Rappolt); www.ancestry.de (eingesehen 22.9.2007 u. 7.12.2015), Passagierliste der S. S. Manhattan 1938 (Hamburg – New York, Lilly Rappolt) und der S. S. City of Newport News (New York – San Francisco, Lilly Rappolt).

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