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Siegfried Liebreich * 1873

Hein-Hoyer-Straße 24 (Hamburg-Mitte, St. Pauli)


HIER WOHNTE
SIEGFRIED LIEBREICH
JG. 1873
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 10.11.1942

Siegfried Liebreich (Gumpel), geb. 27.2.1873 in Hamburg, inhaftiert vom 23.6.1938 bis 19.9.1938 im KZ Sachsenhausen, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 10.11.1942

Hein-Hoyer-Straße 24 (Wilhelminenstraße 24)

Betty Worms, geb. Gumpel, geb. 21.10.1871 in Hamburg, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 1.12.1942

Hein-Hoyer-Straße 63 (Wilhelminenstraße 63)

Die Eltern von Siegfried Liebreich und Betty Worms waren die Eheleute Abraham Gottschalk und Julie Gumpel, geb. Beer. Abraham war Schlachter. Julie wurde am 31. August 1845 in Hamburg geboren. Aus ihrer Ehe stammten sechs Kinder. Ihr erstes Kind, Jette, starb 1866 gleich nach der Geburt. Es folgten Adolf 1867, Olga ein Jahr darauf, Rosa 1870, Betty wiederum ein Jahr später, zuletzt Siegfried. Abraham Gottschalk verstarb und Julie heiratete im November 1880 den ihr bereits seit Längerem bekannten Schlachter und Geflügelhändler Schmay Liebreich. Dieser war 1855 in Weigenheim in Bayern geboren worden. Er hatte bei ihrer ersten Eheschließung als Trauzeuge fungiert. Julie und Schmay bekamen zwei Kinder: Die Tochter Mary, geboren 1882 und den Sohn Ely, Geburtsjahr 1884.

Dieter Guderian widmet Julie Beer in seiner genealogischen Studie zur Familie Isaac/Wolf ein Kapitel und beschreibt sie als ausgesprochen rührige und lebhafte Person. Und: "Es stellte sich heraus, dass sie der Mittelpunkt der Familien Beer, Isaac, Gumpel und Liebreich war, die auf das Engste miteinander verbunden gewesen sind." Der Familie Isaac entstammten die Brüder James, Ludwig und Leopold, die, um antisemitischen Diskriminierungen zu entgehen, den Künstlernamen Wolf annahmen. Ludwig und Leopold wurden als die Gebrüder Wolf bald berühmt. Olga Gumpel, Bettys und Siegfrieds älteste Schwester, gründete mit einem der "Hamburger Originale", dem Künstler Leopold Wolf, eine Familie.

Betty Gumpel heiratete den jüdischen Buchhalter – auf seiner Kultussteuerkarte auch Bücherrevisor – Carl Worms, mit dem sie zunächst in der Wallstraße in Berlin Charlottenburg wohnte. Dort wurde am 15. November 1897 ihre Tochter Johanna geboren. Am 5. Mai 1900 bekamen die Eheleute eine zweite Tochter: Claire. Über Johanna ist bekannt, dass sie die Höhere Töchterschule in der Karolinenstraße bis zu ihrem 15. Lebensjahr besuchte, sodass davon auszugehen ist, dass die Familie im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nach Hamburg zog.

Sie ließ sich in der damaligen Wilhelminenstraße – heute Hein-Hoyer-Straße – 63 nieder. Carl Worms wurde ab 1913 bei der Jüdischen Gemeinde steuerlich veranlagt. 1923 schied er aus der Gemeinde aus, galt als unbekannt verzogen. Die Ehe von Betty und Carl wurde nach Angaben ihrer Tochter Johanna vor 1933 geschieden. Um 1934 arbeitete Betty Worms als "Büffetstütze" (Kellnerin). Ihr Einkommen war so gering, dass sie keine Kultussteuern zahlen musste. Ab 1935 war sie erwerbslos.

Im September desselben Jahres zog sie in eine kleinere Wohnung: Sie wohnte für einige Zeit im 1930 gebauten Theodor-Wohlwill-Stift in der Kielortallee 26. Ihr letzter Hamburger Wohnsitz war die Bundesstraße 43. Hier traf sie auf ihre verwitweten Schwestern Rosa Stern und Olga Wolf, die ebenfalls in dem John-R.-Warburg-Stift wohnten. Olga verstarb am 14. März 1941. Bettys Tochter Johanna konnte auswandern. Sie ließ ihre Möbel in der Bundesstraße bei der Mutter. Zusammen mit ihrer Schwester Rosa und ihrem Bruder Siegfried Liebreich wurde Betty am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 1. Dezember 1942 starb, drei Wochen nach dem Tod ihres Bruders Siegfried. Ihre jüngere Tochter Claire – verheiratete Möller – verstarb während des Krieges bei einem Bombenangriff auf Hamburg.

Siegfried, der Jüngste der Nachkommen Abraham Gottschalks, nannte sich später nach seinem zweiten Vater Liebreich. Er war – nach den Angaben auf seiner Kultussteuerkarte – von Beruf Fotograf und Handelsvertreter. Das Adressbuch von 1938 verzeichnet ihn als Vertreter. Auf der Transportliste nach Theresienstadt ist er als Fotograf registriert. Er heiratete die im Oktober 1875 in Hamburg geborene nicht jüdische Mathilde Bähr. Mit ihr bekam er am 17. Juli 1897 eine Tochter, Maria.

Siegfrieds Mutter und ihr Ehemann feierten 1905 ihre Silberhochzeit. Er widmete ihnen ein Tafellied, in dem das Paar sowie alle seine Geschwister in kurzen Reimen Erwähnung finden. Die Liebe Schmays zu Julie – im Tafellied "Siegfried" und "Fanny" genannt – scheint sich danach schon in einer der ersten Begegnungen der beiden angebahnt zu haben:

"Vor vielen, vielen Jahren, das ist jetzt schon lange her,
kam als Geselle ,Siegfried’ hier an bei Schlachter Beer,
und wie so oft im Leben sich so was wohl begibt,
hat er sich kurz darauf in ,Fanny’ schon verliebt.
Denn so wie sie ihm keine mehr gefiel,
sie zu erringen, das war sein höchstes Ziel."


Die Zeilen lassen eine Nähe zu seinem Stiefvater Schmay erkennen, die möglicherweise dazu beigetragen hat, dessen Namen anzunehmen. Auch auf sich selbst machte er einen Reim:

"Einst als ganz kleiner Junge ging Siegfried mit Papa
Die Kundschaft zu bedienen, nun hört, was dort geschah,
Er wurde plötzlich still und blaß und eh’s Papa gesehen
War auf der Moorweid ihm o Graus schon ein Malheur geschehen.
Doch selbst später, Schwerenöter, ging er gern zur Eisbahn ‘naus.
Darum, hatte er mal Stellung, Flog er bald auch wieder raus."


Zwei Jahre nach ihrer im großen Kreis gefeierten Silberhochzeit starb Julie Liebreich. Im November 1926 zog die Tochter Maria – inzwischen verheiratete Leiser – aus der elterlichen Wohnung in der Wilhelminenstraße nach Berlin.

Siegfried Liebreich wurde – wie auch Leo Silberstein und Arthur Krebs – ein Opfer der Aktion "Arbeitsscheu Reich". Er wurde vom 16. bis 24. Juni 1938 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel in "Schutzhaft" genommen. Sein Name findet sich weiter auf der "Liste der am Donnerstag, den 23. Juni 1938 eingelieferten Arbeitsscheuen" des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Etwa drei Monate später, am 19. September 1938, wurde er entlassen. Ab 1938 – so ein Vermerk auf seiner Kultussteuerkarte – lebte Siegfried unterstützt von seiner Tochter Maria. Seine Ehefrau Mathilda starb am 2. August 1939, die verwitwete Tochter Maria Leiser am 29. November 1941.

Vier Monate vor seiner Deportation nach Theresienstadt musste Siegfried aus seiner Wohnung in der Wilhelminenstraße in ein "Judenhaus" in der Kielortallee 22 ziehen.

© Christiane Jungblut

Quellen: 1; 2; 3; 4; 5; 8; AB 1938, T. 1, 1941, T. 3. 4; 1942; AfW 151197 Kohn-Kelly, Johanna; ITS/ARCH/ Konzentrationslager Sachsenhausen, Ordner 97, Seite 31; ITS/ARCH/Konzentrationslager Sachsenhausen, Ordner 104, Seite 273; ITS/ARCH/Konzentrationslager Sachsenhausen, Ordner 105, Seite 91; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht - Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 c; StaH 314-15 OFP, Abl. 1998/1, W 591; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 170670 Stern, Rosa; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 e 1 Band 6; Bajohr, "Arisierung"; 1997, S. 267; Guderian, Hamburger Originale, 2006, S. 11, 141 ff; Telefonat mit Dieter Guderian am 12.1.2009.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".
Hier abweichend:
(2) Bundesarchiv Berlin, R 1509 Reichssippenamt, Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17. Mai 1939

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