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Bereits verlegte Stolpersteine



Anna Reichenbach * 1868

ABC-Straße 2 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
ANNA REICHENBACH
JG. 1868
EINGEWIESEN 1935
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Anna Reichenbach, geb. am 25.4.1868 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-Neustadt, ABC-Straße 2

Anna Reichenbachs Mutter, Amalie Koppel, geboren am 23. Juli 1840 in Hamburg, heiratete am 14. November 1858 den Kürschner Bernhard Reichenbach, geboren im April 1833 in Borbeck (heute ein Stadtteil von Essen). Beide bekannten sich zum jüdischen Glauben. Das Ehepaar wohnte zunächst in der Fuhlentwiete im Hamburger Stadtteil Neustadt und wechselte mehrmals den Wohnsitz, bis es schließlich viele Jahre in der ABC-Straße 2 lebte und dort auch elf seiner achtzehn Kinder bekam. Vier der Kinder wurden tot geboren bzw. starben bei oder kurz nach der Geburt, sieben im Säuglingsalter.

Das Schicksal von vier Nachkommen, nämlich von Bertha Reichenbach, geboren am 8. November 1862, Bruno Reichenbach, geboren am 4. Februar 1864, und Alfred Reichenbach, geboren am 2. Februar 1870, und Gretchen Reichenbach, geboren 19. Juni 1874, ist ungewiss.

Von drei Kindern wissen wir, dass sie das Erwachsenenalter erreichten: Anna Reichenbach, geboren am 25. April 1868, Mary Reichenbach, geboren am 2. Februar 1867, Carl Reichenbach, geboren am 3. Oktober 1881.

Bernhard und Amalie Reichenbach, die viele Schicksalsschläge durch die Todgeburten und das frühe Ableben mehrerer Kinder hinnehmen mussten, erlebten weder das Schicksal ihrer Tochter Anna noch das ihrer Tochter Mary. Beide Eltern waren noch im 19. Jahrhundert gestorben, Bernhard am 23. August 1884, Amalie am 3. Juni 1899.

Anna Reichenbach, von deren Kindheit, Jugend oder Ausbildung wir nichts wissen, wurde bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmalig in der "Irrenanstalt Friedrichsberg” aufgenommen. Auf der noch vorhandenen Patienten-Karteikarte lassen sich sieben Aufnahmen in Friedrichsberg nachvollziehen. Die letzte Aufnahme in der nach dem Ersten Weltkrieg in "Staatskrankenanstalt" umbenannten Einrichtung wegen einer "Geisteskrankheit" datiert vom 16. Juli 1930. Anna Reichenbach blieb hier bis Juni 1935 und wurde dann für die nächsten Jahre in die Staatskrankenanstalt Langenhorn verlegt.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in staatlichen sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die inzwischen in "Heil- und Pflegeanstalt" umbenannte Einrichtung in Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Anna Reichenbach gehörte zu den Patientinnen und Patienten, die schon vor dem Stichtag in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn lebten. Am 23. September wurde sie mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten im Güterbahnhof Ochsenzoll in einen Zug verladen und nach Brandenburg an der Havel transportiert. Noch an demselben Tag töteten man die Menschen in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Anna Reichenbachs Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Anna Reichenbachs Schwester Mary heiratete am 12. Januar 1894 den aus einer Klempnerfamilie stammenden jüdischen Mechaniker Feodor Stern, geboren am 1. Dezember 1871 in Borbeck. Marys Bruder Carl Reichenbach war als Trauzeuge anwesend. Aus der Heiratsurkunde wissen wir, dass er in Manchester lebte. Die Ehe mit Feodor Stern wurde nach nur zwei Jahren "vom Bande" geschieden. Die Scheidung "vom Bande" erlaubte eine Wiederverheiratung. Die Klausel "vom Bande" wurde dann ausgesprochen, wenn im Heimatstaat des einen Partners das Recht der katholischen Kirche galt und damit eine Wiederverheiratung nach einer Ehescheidung eigentlich ausgeschlossen war. Aus der Ehe ging die am 22. November 1894 geborene Tochter Käthe hervor. Sie ergriff den Beruf der Kontoristin, starb aber schon am 22. Oktober 1918 mit kaum 24 Jahren. Am 15. Juli 1942 erhielt den Befehl für die Deportation nach Theresienstadt. Zwei Monate später, am 21. September 1942, wurde sie nach Treblinka weitertransportiert und vermutlich dort ermordet. Die Hamburger Deportationsliste vom 15. Juli 1942 enthält auch die Namen ihres früheren Ehemannes Feodor Stern und dessen zweiter Ehefrau Johanna, geborene Jüdell, geboren am 1. Januar 1865 in Altona. Johanna Stern kam am 8. Februar 1943 in Theresienstadt ums Leben. Feodor Stern, der abweichend von der Schreibweise in seiner Heiratsurkunde, auf seiner Kennkarte und in der Deportationsliste Fedor geschrieben wurde, gehörte zu den Wenigen, deren Gefangenschaft durch die Rote Armee beendet wurde.

Für Mary Stern liegt ein Stolperstein in der Isestraße 21. Dort wohnte sie zuletzt als Untermieterin bei Carl Richard Sohn, der ebenfalls nach Theresienstadt deportiert wurde (siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Für Johanna Stern liegt der Stolperstein in der Gertigstraße 22 in Hamburg Winterhude (siehe www.stolpersteine-hamburg.de). An Anna Reichenbach erinnert ein Stolperstein in Hamburg-Neustadt, ABC-Straße 2.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1;2; 3; 4; 5; 7; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-3 Zivilstandsaufsicht A4 Geburtsregister Nr. 1068/1866 Reichenbach ohne Namen, A 25 Geburtsregister Nr. 581/1867 Carl Reichenbach, A 48 Geburtsregister Nr. 2238/1868 Anna Reichenbach, A 65 Geburtsregister Nr. 1307/1869 Herman Reichenbach, A 83 Geburtsregister Nr. 697/1870 Alfred Reichenbach, A 151 Geburtsregister Nr. 2114/1873 Kind ohne Namen Reichenbach, A 179 Geburtsregister Nr. 4395/1874 Gretchen Reichenbach; 332-5 Standesämter 16 Sterberegister Nr. 2065/1876 Frieda Reichenbach, 37 Sterberegister Nr. 3036/1877 Martin Reichenbach, 69 Sterberegister Nr. 1907/1879 Betsy Reichenbach, 165 Sterberegister Nr. 2552/1884 Bernhard Reichenbach, 1884 Geburtsregister Nr. 3434/1876 Frieda Reichenbach, 1912 Geburtsregister Nr. 4911/1877 Martin Reichenbach, 1934 Geburtsregister Nr. 3790/1878 Reichenbach ohne Namen, 1955 Geburtsregister Nr. 2820/1879 Betsy Reichenbach, 2029 Geburtsregister Nr. 2173/1882 Reichenbach ohne Namen, 2005 Geburtsregister Nr. 3443/1881 Reichenbach ohne Namen, 7925 Sterberegister Nr. 1119/1899 Amalie Reichenbach, 8047 Sterberegister Nr. 697/1918 Käthe Stern, 8565 Heiratsregister Nr. 13/1894 Feodor Stern/Mary Reichenbach, 8778 Heiratsregister Br. 130/1923 Iwan Reichenbach/Rifka Becky Grünberg, 9100 Geburtsregister Nr. 2093/1894 Käthe Stern; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 1834 Feodor Stern; 522-1 Jüdische Gemeinden 696e Geburtsregister Nr. 70/1859 Caroline Reichenbach, Nr. 50/1860 Caecilie Reichenbach, 696f Geburtsregister Nr. 246/1862 Bertha Reichenbach, Nr. 14/1865 Selma Reichenbach, 702d Heiratsregister Nr. 56/1858 Bernhard Reichenbach/Amalie Koppel, 725i Sterberegister Nr. 124/1869 Caecilie Reichenbach, 725k Sterberegister Nr. 233/1865 Selma Reichenbach; 332-8 Meldewesen (Alte Einwohnermeldekartei 1892–1925); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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