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Nann(y)i Hattendorf (geborene Lomnitz) * 1864

Hallerstraße 6 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1942 Theresienstadt
1942 weiterdeportiert nach Minsk

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 6:
Pauline Biram, Wally Daniel, Max Daniel, Alfred Friedensohn, Gertrud Friedensohn, Dr. Georg Sacke

Nanni Hattendorf, geb. Lomnitz, geb. am 17.3.1864 in Bischhausen/Oberhessen, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, am 21.9.1942 in Treblinka ermordet

Hallerstraße 6

Die Eltern von Nanni Hattendorf: Menke Lomnitz und Karoline, geborene Nussbaum, liegen in Bischhausen/Oberhessen auf einem alten Friedhof begraben, der zur Jüdischen Gemeinde gehörte, die bis 1920 existierte. Die Grabsteine sind auf der Vorderseite hebräisch und auf der Rückseite deutsch beschriftet. Die alteingesessene Familie Lomnitz hatte Hausbesitz und galt nach einer Händlerliste von 1786 als wohlhabend durch Viehhandel und eine Schlachterei. Das Fachwerkhaus ihrer Eltern und Vorfahren steht noch in Bischhausen und trägt eine Inschrift, wie man sie auch bei christlichen Bauherren antrifft: "GOTT BEWARE DIESES HAUS UND ALLE DIE DA GEHN EIN UND AUS WAS FREUNDE SEIN GEHT AREIN ZU MIR FEINTE ABER WEICHED VON HIER BAUHERR WOLF MENKE UND DESEN EHEFRAU PESGEN DEN 4 JULI ANNO 1785 ZM WVL".

Nanni Lomnitz heiratete den Oldenburger Moritz Hattendorf, der von Beruf Schlachter war, und zog zu ihm nach Osternburg, einem Stadtteil von Oldenburg. Haus und Grundstück an der Bremer Straße 58 gehörten den Hattendorfs. Im Zwei-Jahresrhythmus wurden dem Ehepaar vier Töchter geboren: Ella am 24.4.1896, Gretchen am 16.7.1898, Frieda am 27.4.1900 und Emma am 20.3.1902.

Die Töchter, außer Ella, heirateten und verließen in den 1920er- und 1930er-Jahren Oldenburg: Gretchen ging 1915 nach Hannover und später nach Hamburg, Emma, die als Verkäuferin gearbeitet hatte, 1923 nach Hildesheim, Frieda, ebenfalls Verkäuferin, 1934 nach Berlin. Der Vater Moritz Hattendorf starb am 11.Oktober 1936 in Oldenburg.

Mutter Nanni blieb zusammen mit ihrer ältesten Tochter in dem Oldenburger Haus mit Garten wohnen. Tochter Ella hatte eine höhere Töchterschule besucht und arbeitete bis August 1936 als Kontoristin bei der Lackfabrik Lefeber in Oldenburg, danach in anderen Beschäftigungsverhältnissen. Laut Aussage ihrer Schwester Emma im Wiedergutmachungsverfahren wurde ihr "aus rassischen Gründen" bei der Lackfabrik gekündigt. Die Aussage des Fabrikbesitzers in dem Verfahren lautet dagegen: "… gab ihre Tätigkeit auf eigenen Wunsch auf".

Ella, die den Schriftverkehr mit den Behörden auch für ihre Mutter erledigte, stellte verschiedene Anträge beim Oberfinanzpräsidenten, um aus dem gesperrten Vermögen Geld für den Lebensunterhalt zu bekommen. Ein noch in Oldenburg gestellter Antrag auf Freigabe von mtl. 150 RM an den zuständigen Oberfinanzpräsidenten Weser/Ems wurde negativ beschieden: "… da Sie mit ihrer Mutter Frau Nanni Sara Hattendorf einen gemeinsamen Haushalt führen und ihr Lebensunterhalt aus dem Freigabebetrag für die Vorgenannte erfolgt."

Ella und Frieda verfügten in Hamburg über Immobilienbesitz: Zwei bebaute Grundstücke in Uhlenhorst, Beethovenstraße 19 und Humboldtstraße 83. Beide Grundstücke mussten sie am 19. Dezember 1938 verkaufen. Die Finanzverwaltung berief sich auf die §§ 8 und 9 der erst zwei Wochen vorher, am 3. Dezember 1938 erlassenen Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens – RGBl. I. S.1709. Verkaufserlöse aus Immobilien mussten demnach sofort auf ein "Sicherungskonto" überwiesen werden. Diese Verordnung war Teil der "Arisierung", des systematischen Raubes jüdischen Vermögens durch den NS-Staat.

Im Dezember 1939 gelang es Ella Hattendorf einen Betrag von 1000 RM aus ihrem "Sicherungskonto" an ihre damals in Hannover wohnende Schwester Frieda zu überweisen, allerdings auch dort nur auf ein "Sicherungskonto" der NS-Devisenstelle. Die Enteignung funktionierte lückenlos.

Im April 1940 musste Nanni Hattendorf zusammen mit Ella "aus Verfolgungsgründen" nach Hamburg verziehen. Überschüssige Möbel wurden bei der Spedition Gaertner & Co in der Gärtnerstraße 20 eingelagert bzw. verkauft.

Der Grund für den Wegzug aus Oldenburg war die Initiative ostfriesischer Landräte, wonach Juden Ostfriesland bis zum 1. April 1940 verlassen sollten. Jedenfalls meldeten die ostfriesischen Städte und Landgemeinden im April 1940 – früher als anderswo im Reich –, dass sie "judenfrei" seien. Die überlebende Schwester Emma bestätigte diesen Sachverhalt in der Begründung ihrer Ansprüche als Ellas Erbin: "… Als Osternburg und Umgebung im Zuge der Verfolgungsmaßnahmen judenrein gemacht wurden …"

In Hamburg wohnte seit 1938 auch die inzwischen geschiedene zweite Tochter Grete ("Gretchen") Lewin in der Sierichstraße 153 und arbeitete als Hausangestellte bei dem Buchhändler Hugo Friedmann. (vgl. Hugo Friedmann, geb. 16.7.1882, in: www.stolpersteine-hamburg.de).

Die Adressen von Mutter Nanni und Tochter Ella, die zusammenblieben, wechselten binnen eines Jahres in Hamburg von der Werderstraße 6 zur "Ostmark"-/Hallerstraße 6 und von da zur Isestraße 69. Dort ist für Ella Hattendorf ein Stolperstein verlegt.

Im Dezember 1941 wurden Mutter Nanni und ihre Tochter dann endgültig getrennt. Ella wurde mit dem Transport vom 6. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert.

Mutter Nanni, als über 65-Jährige, wurde von den Osttransporten zunächst ausgenommen. Sie sollte in das "Altersgetto" Theresienstadt deportiert werden. So musste sie in Hamburg noch einmal umziehen in das "Judenhaus" Benneckestraße 6. Von dort wurde sie, jetzt 78 Jahre alt, am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und von dort am 21. September als Gefangene Nr. 190 nach Treblinka geschafft und ermordet.

Ihre zweite Tochter Gretchen folgte der Mutter aus Hamburg vier Tage später mit dem Transport vom 19. Juli 1942 nach Theresienstadt. Sie hat dort beinahe zwei Jahre gelebt und am Anfang ihrer Gefangenschaft in der Festung vielleicht noch ihre Mutter gesehen. Grete Lewin wurde dann mit der Häftlingsnummer 1035 am 15. Mai 1944 nach Auschwitz-Birkenau verbracht und ermordet.
Die dritte Tochter, Frieda, wurde am 20. Juli 1942 zusammen mit ihrem Mann Emil Mayer von Köln aus nach Minsk deportiert und dort ermordet.
Nur der jüngsten Tochter Emma gelang im März 1939 zusammen mit ihrem Mann Karl Weinberg, der als selbstständiger Hausmakler in Hamburg gearbeitet hatte, einer sechsjährigen Tochter und dem einjährigen Sohn noch rechtzeitig die Flucht nach Bolivien. Dort wird von einer entbehrungsreichen Eingewöhnungszeit mit Depressionen und Schlafstörungen berichtet. Sie stellte seit 1956 Wiedergutmachungsanträge als Erbin ihrer Mutter und ihrer Schwestern, die erst in den 1970er-Jahren endgültig beschieden wurden. Immerhin erhielt sie aus Deutschland eine kleine "Berufsschadensrente".

Stand: September 2016
© Bruno Lowitsch

Quellen: 1; 5; 8; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident 19028 und FVg 8690, 351-11 Amt für Wiedergutmachung -26113; Karl Kollmann, Wiegand, Spuren, Auskünfte und Führung in Bischhausen: Karl Kollmann; Stadtarchiv Oldenburg, Auskünfte Claus Ahrens; Wikipedia (www.wikipedia.de), Geschichte der Juden in Ostfriesland (eingesehen Dezember 2013).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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