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Susanne Silber
© Kirchengemeinde Eben-Ezer, Hamburg-Eppendorf

Susanne Gertrud Silber * 1874

Eppendorfer Landstraße 33 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
SUSANNE GERTRUD
SILBER
JG. 1874
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Susanne Gertrud Silber, geb. 29.10.1874 in Berlin, am 15.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, am 15.5.1944 nach Auschwitz weiterdeportiert

Eppendorfer Landstraße 33

Der Großvater von Susanne Silber, Fabian Silber, geboren 1806 in Märkisch Friedland, war ein hervorragender Künstler und Lithograph in Berlin. In "Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin" ist seine berufliche Laufbahn beschrieben: Von 1839 bis 1840 war er Schreiblehrer der Knabenschule der Berliner Jüdischen Gemeinde. Er wurde Hof-Lithograph, Akademischer Künstler, Inhaber einer lithographischen Anstalt, Stein-, Kupfer- und Zinkdruckerei, einer Wappenstecherei sowie einer kaufmännischen Schreibakademie. Eins der von ihm publizierten Werke über Lithographie und Grafik soll, nach Angaben seines Urenkels, sogar in der Stadtbibliothek von New York stehen. Seine künstlerischen Fähigkeiten hat Fabian Silber an mindestens zwei seiner Enkel weitergegeben, an Johannes und Paul, Susannes Brüder.

Fabian Silber war praktizierender Jude. Sein Sohn August Friedrich, Susannes Vater, lebte ebenso säkular wie wahrscheinlich auch ihre Mutter, Elise Heymann-Silber, die aus Königsberg stammte. Mehrere Jahre lebte die Familie in den USA, wohin sie mit ihren damals drei Kindern, dem ältesten Sohn Johannes, Susanne, "Maus" genannt, sowie deren jüngerem Bruder Eugene ausgewandert war. In Hoboken, New Jersey, kam mit Margret eine weitere Tochter zur Welt. 1881 kehrte Elise Heymann-Silber, schwanger mit ihrem Sohn Paul, mit den vier kleinen Kindern allein nach Berlin zurück. Um ihre Kinder durchzubringen, nahm sie Untermieter auf. Das Haus soll in einer begehrten Wohngegend gelegen haben, in Sichtweite der kaiserlichen Residenz. Über Susannes Kindheit und Schulzeit ist nichts bekannt. Als erwachsene Frau sprach und schrieb sie fließend Englisch, ein Hinweis auf höhere Bildung.

Ihr Bruder Johannes, der sich auch Hans Friedrich nannte, Jahrgang 1873, wurde Bildhauer und zog später nach Hamburg. Dort betrieb er erfolgreich eine Firma zur Herstellung dekorativer Skulpturen, die in der wilhelminischen Zeit sehr beliebt waren. Zu seinen Aufträgen soll auch die Ausstattung deutscher Ozeandampfer gehört haben. Johannes, der nie geheiratet hatte, trat 1919 in die Jüdische Gemeinde ein. Er kaufte das Haus in der Eppendorfer Landstraße 33, wo Susanne wohnte. Diese Adresse ist auf seiner Kultussteuerkartei allerdings nur als "Kostadresse" angegeben. Unter "Wohnung" steht dort "Eilbekthal 54" verzeichnet. Also ist er wohl von Susanne verpflegt worden. Vielleicht hat sie auch seine Bücher geführt, denn auf der Deportationsliste ist "Buchhalterin" als ihr Beruf aufgeführt. In der Erinnerung ihres Neffen arbeitete Susanne außerdem als Verkäuferin, eventuell in einem Kaufhaus oder einem Geschäft für Damenbekleidung. 1922 starb Johannes an Krebs, bald darauf verlor Susanne auch ihre Mutter. Bruder Paul war nach seiner Ausbildung ebenfalls nach Hamburg gekommen. Er war wie sein Bruder Johannes Bildhauer und ging 1902 in die USA, um beim Bau und der Ausstattung des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in St. Louis mitzuwirken.

Susanne besuchte 1930 seine Familie in Texas. Einer ihrer Neffen erinnerte sich an sie als an eine Frau mit einem hübschen, großflächigen Gesicht, sehr warmherzig und freundlich in ihrer Art. In vielerlei Hinsicht sei sie wie eine Großmutter und sehr gütig gewesen.

Nach ihrer Rückkehr nach Hamburg hielt die Familie Briefkontakt. Susanne schrieb an den Bruder auf Deutsch, an die Neffen zum Geburtstag in "ziemlich gutem" (Zitat John Silber) Englisch. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs schickte sie Weihnachtsgeschenke nach Texas und empfing ihrerseits selbstgebackene Kuchen (mit weißem Zuckerguss und Kokosraspeln, so der Neffe) und Nahrungsmittel wie Kaffee, Tee und Schokolade. Diese waren in Deutschland teuer und wurden, in Aluminium- oder Blechbehältern versiegelt, zu ihr nach Hamburg versandt.

Ab 1934 war Susanne Silber Mitglied der evangelisch-methodistischen Gemeinde in Eppendorf. Wann sie zum ersten Mal den Kontakt dorthin suchte, ist nicht bekannt. Der Bremer Pastor Voigt, der zur Geschichte von "Juden" in methodistischen Kirchengemeinden forscht, mutmaßte in seiner Ansprache anlässlich der Verlegung des von der Gemeinde initiierten Stolpersteins im September 2006: "Vielleicht kam sie in das Gemeindehaus am Abendrothsweg, weil es den hoffnungsvollen jüdischen Namen EBEN-EZER – Stein der Hilfe – trug. Welche Hoffnungen bewegte sie in ihrem Herzen. Hier hörte sie eine andere Botschaft als die, die auf einem Wahlplakat der Nazis zu lesen war: Unsere letzte Hoffnung: Hitler!"

Im April 1933 wurde Susanne Silber "auf Probe" in die Kirche aufgenommen. Diese Möglichkeit war nach der damals gültigen Kirchenordnung vorgesehen für "alle Personen, die ein Verlangen bekunden, ein gottseliges Leben zu führen ... Susanne Silber wurde ... einer Kleingruppe ... zugewiesen." Für die "Jungmädel" nähte sie Bekleidung, dreieckige Halstücher und weiße Blusen, die zur Kluft gehörten. Außerdem übernahm sie eine Klasse der Sonntagsschule.

Zu dieser Zeit war sie im Hamburger Adressbuch in der 2. Etage des Hauses Eppendorfer Landstraße 33 als Hauseigentümerin, mit Telefon sowie mit dem Zusatz "Kunstgewerbe" eingetragen. Ob sie kunstgewerbliche Gegenstände auch selbst herstellte oder nur verkaufte – ein Auge für schöne Dinge muss sie gehabt haben. Hier zeigte sich wohl das Erbe ihres Großvaters.

Am 18. Mai 1934 wurde Susanne Silber, auf eigene Bitte hin im kleinen Kreis, getauft, was damals wahrscheinlich schon verboten war. Vier Jahre später – 1938 – stellte sie ihre Mitarbeit in der Sonntagsschule ein. Der damalige Pastor soll sie aufgefordert haben, sich aus der Gemeinde zurückzuziehen – eventuell eine Schutzbehauptung seinerseits gegenüber der Gestapo, denn laut Kirchenordnung "hatte kein methodistischer Pastor das Recht, ... ein Gemeindeglied vom Gemeindeleben auszuschließen". Der neue Pastor, der 1939 sein Amt antrat, nahm die seelsorgerlichen Besuche in ihrem Haus wieder auf. Sie nahm auch wieder an den Gottesdiensten teil, versuchte aber, dabei jedes Aufsehen zu vermeiden. Dazu Frau Lein, die damals als junges Mädchen auf der gegenüberliegenden Seite der Empore ihren Platz hatte: "Frau Silber – Susi Silber genannt – kam immer als letzte zum Gottesdienst. Zum Ende ging sie als erste, noch während des Schlussgesangs. Ihren Judenstern verdeckte sie mit der Handtasche."

Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen erfuhr die Gestapo, "dass eine Jüdin als eifrige Besucherin der Gemeinde bekannt geworden sei". Susanne Silber wurde zu der Angelegenheit vernommen. Spätestens im Frühjahr 1942 wollte die Gestapo die Mitgliedslisten der Kirche einsehen, was der Pastor verweigerte. Ein Jahr lang gingen zwischen Pastor, Superintendent, dem Bischof sowie dem Reichskirchenamt Briefe hin und her. Als die Behörden schließlich das Interesse verloren, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, war Susanne Silber schon deportiert worden. Aus dem Gemeindeleben hatte sie sich vorher längst zurückgezogen.

Ihr Bruder Paul hatte sie seit längerem in seinen Briefen aufgefordert, zu ihm in die USA überzusiedeln, und sie hatte ein Visum beantragt. 1939 bekam sie tatsächlich eins, fast gleichzeitig mit ihrer Schwester Margaret, die – weil in den USA geboren – die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß. Susanne Silber gab ihr Visum an ihren Neffen Werner Appelbaum, Margarets Sohn, weiter, sodass die beiden kurz vor Kriegsausbruch mit der letzten Überfahrt der "Bremen" in Amerika eintrafen. Neffe Werner beschrieb seine Tante 1960 als "hoch kompetente, hart arbeitende Frau voller Mitgefühl und Energie. Sie war eine sehr angenehme Person, die man gern um sich hatte, die anderen Mut machte und immer das Positive sah." Ihr anderer Neffe vermutete, dass diese für sie charakteristische Einstellung auch dazu beigetragen hatte, dass sie die Situation in Deutschland nicht richtig einzuschätzen wusste.

1940 musste sie ihr Haus verkaufen. Laut Telefonbuch von 1941 war sie weiter in der 2. Etage wohnhaft, jetzt allerdings ohne Telefon und ohne Gewerbe. Im Erdgeschoss residierten nun die NS-Frauenschaft, die "Deutsche Arbeitsfront", die NSDAP-Ortsgruppe Eppendorf-West, sowie die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Wie mag Susanne Silber sich mit solchen Nachbarn im Haus gefühlt haben? Im Januar 1941 zog sie in die Eichenstraße 14 zur Untermiete und wohnte dort "auf Zimmer", wie Frau Lein sagte. Wahrscheinlich hatte sie schon zu diesem Zeitpunkt einen Teil ihrer Einrichtung sowie persönliche Gegenstände Freunden und Bekannten anvertraut. Einige ihrer Weihnachtskrippenfiguren befanden sich noch bis Ende der 1990er Jahre im Diakoniewerk Bethanien. Nachdem der Kontakt zu ihrem Neffen, Professor John Silber, hergestellt war, wurden sie zu ihm in die USA geschickt.

In der Hauskartei Eichenstraße steht unter "Vermerk": "Verwendung im Luftschutz". Ob Susanne Silber bei Luftangriffen Brandwache halten musste? Ein Jahr später, im März 1942, war sie gezwungen, noch einmal ihre Bleibe zu wechseln. Sie zog in ein "Judenhaus". Als letzte Wohnadresse vor der Deportation ist Agathenstraße 3 eingetragen. Ein Mitglied ihrer Kirchengemeinde soll ihr vier Monate später in der letzten Nacht dort beigestanden und sie zum Sammelort begleitet haben.

© Sabine Brunotte

Quellen: 1, 4; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992e2 Band 6; AB 1931, 1941; StaH 332-8 Meldewesen, A 51/1 (Susanne Silber); Auskünfte Prof. John Silber, E-Mails vom 1.6.2009 und 18.6.2010; Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809–1851 von Jacob Jacobson 1962 in: http:/books.google.de/books, Zugriff 13.5.2010; Gespräch mit Frau Lein, Eben-Ezer-Gemeinde, am 12.1.2008; Eben-Ezer-Kirche 100 Jahre Bezirk Hamburg-Eppendorf, Geschichte in Bildern 1897–1997; Eben-Ezer-Kirche, Evangelisch-methodistische Kirche Hamburg-Eppendorf, Gemeindebrief Oktober-November 2006; Auszug aus der Ansprache von Pastor Karl Heinz Voigt (Bremen) am 10. September 2006 anlässlich der Verlegung des Stolpersteins.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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