Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Stolperstein für Kurt Silberstein
© Johann-Hinrich Möller

Kurt Silberstein * 1898

Eppendorfer Landstraße 62 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
KURT SILBERSTEIN
JG. 1898
DEPORTIERT
1942 THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET 10.02.45
IM KZ DACHAU

Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Landstraße 62:
Hannelore Gerstle

Kurt Silberstein, geb. 28.3.1898 in Hamburg, am 15.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, über Auschwitz am 10.10.1944 nach Dachau deportiert, dort am 3.3.1945 ermordet

Eppendorfer Landstraße 62

Kurt Silberstein wurde 1898 als erstes Kind in eine großbürgerliche Familie hineingeboren. Sein Vater Edmund Silberstein war Inhaber der Firma Wallbruch & Co. am Schulterblatt 148. Seine Mutter Emilie, eine geborene Heimann, stand dem großen Haushalt vor. Bis 1913 bekam er drei Schwestern: Gerda, Alice und Ruth.

Kurt Silberstein besuchte das Wilhelm-Gymnasium in Hamburg und machte Ostern 1916 Abitur. In der Tradition seiner Familie schloss er eine kaufmännische Ausbildung an. Als sein Vater 1923 starb, erbte er zusammen mit seinen Geschwistern Anteile an diversen Grundstücken und Häusern in Hamburg. Gemeinsam mit seinem Onkel Hugo Heimann gründete er in den folgenden Jahren die Firmen: "Le Manteau" in Antwerpen und die "Damenkonfektion GmbH" in Hamburg. Die Grundstücksgemeinschaft "Heisista", in der sich die Namen Heimann, Silberstein und Stamm verbergen, gehörte zu 40 Prozent Hugo Heimann und zu 20 Prozent Kurt Silberstein. Der Hausmakler Stamm war Mitgesellschafter und verwaltete die Grundstücke.

1925 war für die Familie Silberstein ein schicksalsreiches Jahr. Im Mai kam Kurts jüngste Schwester Ruth nach einem Blinddarmdurchbruch in die Klinik am Mittelweg. Das zwölfjährige Mädchen starb nach fünf Tagen Klinikaufenthalt. Zwei Monate später heiratete Kurt Silberstein Ilse Fanny Rosenschein aus Harburg. Ilses Mutter, Johanna Rosenschein, war Mitinhaberin und Geschäftsführerin des großen Textilkaufhauses M. M. Friedmann in Harburg. Sie führte das renommierte Geschäft, nachdem ihr Mann 1911 verstorben war. Die Ehe von Kurt und Ilse scheiterte jedoch und wurde im April 1929 geschieden. Bevor Ilse Fanny 1930 nach Berlin-Halensee zog, lebte sie noch einige Zeit im Haus der Familie Silberstein am Isequai 19.

Seit 1924 war Kurt Silberstein Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Im Dezember 1937 schied er durch "Erklärung" aus, wurde aber im Juli 1939 – wie alle Jüdinnen und Juden, ob sie dem jüdischen Glauben angehörten oder christlich getauft waren – aufgrund der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz zwangsweise Mitglied der "Reichsvereinigung der Juden". Er ließ auf seiner Kultussteuerkarte "glaubenslos" vermerken.

Seit 1932 beschäftigte er eine Wirtschafterin, Mary Kloth, die ihm den Haushalt führte und eine ausgewählte Diät für ihn kochte. Kurt Silberstein litt unter Gallen- und Darmerkrankungen, und suchte deswegen in Hamburg und Berlin verschiedene Ärzte und Heilpraktiker auf.

Wie seine Schwestern Gerda und Alice bereitete sich auch Kurt auf eine Auswanderung vor. Er beantragte einen Reisepass, nahm Sprachunterricht in Englisch und Spanisch, belegte Kurse in "Frucht- und Alkoholverwertung" und "technologischen Fundamentalfragen" und ließ sich in die Speiseeisherstellung einführen. Sein Ausreiseantrag wurde jedoch abgelehnt, da die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten vermutete, Kurt Silberstein würde über die Firma Le Manteau in Antwerpen Geld ins Ausland schaffen. Im Zuge der "Arisierung" jüdischer Betriebe wurde die Hamburger Firma "Damenkonfektion GmbH" Mitte 1938 aufgelöst. Im November wurde sein Vermögen unter "Sicherungsanordnung" gestellt. Auslöser war die Auswanderung seiner Schwester Alice Weigert nach Südamerika.

Ihr Mann, der Zahnarzt Erwin Weigert, war während des Novemberpogroms verhaftet und nur unter der Auflage, sofort auszuwandern, freigelassen worden. Kurt Silberstein zahlte daraufhin seiner Schwester ihren Anteil an den gemeinsamen Grundstücken aus. Auch Gerda Bucky, seiner anderen Schwester, zahlte er das gemeinsame Erbe aus. Sie wohnte schon zwei Jahre mit ihrem Mann Walter im Hotel und wartete auf die Ausreisegenehmigung.

Im Laufe des Jahres 1939 musste Kurt Silberstein alle Grundstücke, die in seinem Besitz waren, verkaufen. Von deren Erlös wurden hohe Steuern abgezogen. Die Verkaufssummen flossen auf ein "Sicherungskonto", auf das er keinen Zugriff hatte. Außerdem musste er 164000 RM sogenannte Judenvermögensabgabe zahlen. Für seinen Lebensunterhalt bekam Kurt Silberstein monatlich eine Summe aus seinem Vermögen zugeteilt. Für alle Ausgaben, die diese Summe überstiegen, konnte er einen Antrag stellen. Die Genehmigung lag in der Hand eines Sachbearbeiters der Devisenstelle, der Anträge willkürlich bewilligte oder ablehnte. Zum Beispiel wollte Kurt Silberstein im Januar 1939 seinem Schwager Erwin Weigert eine spanische Grammatik und ein Buch über Südamerika zum Geburtstag schenken. Der Antrag wurde abgelehnt.

Zusammen mit seiner Haushälterin zog Kurt Silberstein 1939 von der Eppendorfer Landstraße 55 in den dritten Stock des Hauses Eppendorfer Landstraße 62. Nachdem seine Auswanderungspläne endgültig gescheitert waren, bezog er im März 1942 ein Zimmer in der Hartungstraße 9–11. Er musste Mary Kloth entlassen und bemühte sich bei der Devisenstelle sehr darum, eine größere Summe als Abfindung für sie bezahlen zu dürfen.

Das Haus Hartungstraße 9–11 im Besitz der "Gemeinschaftshaus GmbH", diente im Juli 1942 als Sammelstelle für die Deportation nach Theresienstadt. Auch Kurt Silberstein wurde von hier am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Im Getto Theresienstadt verbrachte er zwei Jahre, bis er am 28. September 1944 nach Auschwitz weiterdeportiert wurde. Im August 1944 begann die SS mit der Auflösung der Lager in Auschwitz. Am 10. Oktober ging ein Transport jüdischer Zwangsarbeiter nach Dachau, Kurt Silberstein war dabei. Er wurde in Dachau unter der Häftlingsnummer 1151136 registriert. Zwei Monate vor Kriegsende, am 3. März 1945, wurde er im KZ Dachau ermordet.

Sein Onkel Hugo Heimann wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 28. Mai 1943. Seine Schwestern und Schwager überlebten in den USA und in Montevideo. Ilse Fanny Marcuse, seine geschiedene Frau, konnte über Schanghai nach New York auswandern.

© Maria Koser

Quellen: 1; 2; 4; 5; 7; 8; StaH 351-11 AfW Abl.2008/1, 090802 Weigert, Alice; StaH 351-11 AfW Abl. 2008/1, 280398 Silberstein, Kurt; StaH 351-11 AfW Abl.2008/1 15249 Bucky, Walter; StaH 351-11 AfW Abl.2008/1 14427 Weigert, Erwin; StaH 351-11 AfW Abl.2008/1, 210599 Bucky, Gerda; StaH 351-11 AfW Abl.2008/1 20110 Marcuse, Ilse; StaH 351-11 AfW 1147 Marcuse, Ilse; StaH 351-11 AfW 1425 Hugo Heimann; StaH 314-15 OFP, R 1939/84; StaH 314-15 OFP, 1940/110; StaH 314-15 OFP, R 1938/3102; StaH 332-5 Peronenstandsbuch 11452 Nr. 323/1925; StaH 332-5 8081 Personenstandsbuch Nr. 211/1925; StaH 352-5 Todesbescheinigung 1925 St. 3 Nr. 211; StaH 621-1/85 Firma W. Schuler 57; Wilhelm Gymnasium zu Hamburg 1881–1956, Hamburg, ohne Jahresangabe; Auskunft Klaus Möller, Initiative Gedenken, Harburg; Auskunft KZ-Gedenkstätte Dachau vom 13.11.2007.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang