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Dr. Moses Goldschmidt * 1873
An der Alster 21 (Hamburg-Mitte, St. Georg)
HIER WOHNTE
DR. MOSES
GOLDSCHMIDT
JG. 1873
FLUCHT 1939
BRASILIEN
TOT 12.8.1943
Weitere Stolpersteine in An der Alster 21:
Rosa Glass
Dr. Moses Goldschmidt, geb. 21.10.1873, 1939 Flucht nach Brasilien,
gestorben in Porto Alegre, Rio Grande do Sul/Brasilien am 12.8.1943
An der Alster 21
Dr. med. Moses Goldschmidt stammte aus einer zuerst in Altona, dann in Hamburg lang ansässigen, angesehenen jüdisch-orthodoxen Kaufmannsfamilie. Er war der ältere Bruder von Clara Goldschmidt (1886-1934), für die ein Stolperstein in der Warburgstraße 26 liegt. Die beiden hatten fünf Schwestern und einen Bruder: Bella, geb. 1876, Meta, geb. 1879, Esther, geb. 1881, Rahel, geb. 1882, Lea, geb. 1885, Meyer, geb. 1887 und Hannah, geb. 1890. Mit Ausnahme von Clara Goldschmidt überlebten alle die Nazizeit.
Der Vater Salomon (1844-1897) starb im Alter von 53 Jahren, als Moses noch studierte; seine Mutter Pauline Perle Lebiah (1848-1917) wurde 68 Jahre alt. Beide sind auf dem Jüdischen Friedhof am Bornkampsweg begraben.
Moses besuchte das Altonaer Königliche Christianeum und studierte dann Medizin in Würzburg und Freiburg im Breisgau. Nach seiner Promotion sammelte er zunächst im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg und dann im Eppendorfer Krankenhaus Erfahrungen als Arzt. 1901 war er auf einer Seereise über Southampton, Lissabon und Madeira nach Brasilien und zurück als Schiffsarzt tätig. In demselben Jahr übernahm er eine Praxis am Besenbinderhof in St. Georg, einige Jahre später zusätzlich eine hamburgische Armenarztstelle. Als für die Hotelkrankenkasse zuständiger Arzt war er auch für die Angestellten und bei Bedarf die Gäste des Hotel Atlantic verantwortlich.
1907 schloss er mit Anita Friedmann, geb. 21. Januar 1887 die Ehe. Das Paar bekam drei Kinder, die Söhne Hans Werner (1909-1982) und Gerhard Wolfgang (1915-1995) sowie die Tochter Ellen (1910-1986).
Im Ersten Weltkrieg war Moses bereits zu alt für eine aktive Teilnahme. Er wurde aber zur Unterstützung herangezogen, versorgte die Patienten von Kollegen, die an der Front waren und arbeitete zusätzlich zu seiner eigenen Praxis in einer Poliklinik.
Die Ehe von Moses und Anita wurde 1919 geschieden, 1921 heiratete Moses Thea (Dorothea) Martens, (geb. 3. Dezember 1887), die 1934 verstarb.
Im Jahr 1936 gab Moses seine ärztliche Tätigkeit auf. Um der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen, musste er im Februar 1939 nach Brasilien emigrieren, wo sich seine beiden Söhne, Hans-Werner und Gerhard-Wolfgang schon 1928 bzw. 1934 niedergelassen hatten. Seine Tochter Ellen hatte Hamburg bereits 1932 verlassen und lebte in Paris. Dort heiratete sie einen Parsen mit britischer Staatsangehörigkeit. (Parsen oder Parsis ist ein Wort für Perser in Hindi; sie stammen von Persern zoroastrischen Glaubens ab, die vor über 1000 Jahren nach Indien ausgewandert sind, um religiöser muslimischer Verfolgung zu entgehen.) Mit ihrem in Indien geborenen Mann musste Ellen nach der Eroberung von Paris durch die deutsche Wehrmacht im Juni 1940 über Vichy-Frankreich, Spanien, Portugal, Mozambique und Südafrika nach Bombay (Mumbai) fliehen.
Moses war ein intellektueller, gebildeter und lebensbejahender Mensch, der seinen Beruf engagiert ausübte und dessen ganze Liebe seinen Kindern gehörte.
Als er Deutschland im Alter von 65 Jahren verließ, hatte das nationalsozialistische System ihn um seine gesamte Habe gebracht. So kam er nahezu mittellos bei seinen Söhnen in Brasilien an. In den folgenden Jahren half er ihnen im Geschäft. Eine große Freude waren ihm seine Enkelkinder. Hingegen war es ihm nicht vergönnt, seine Tochter wiederzusehen. In einem Brief vom 16. September 1941 schrieb er ihr: "Aber wirklich schmerzlich und den Schlaf der Nächte verscheuchend, ist der Gedanke, von seiner einzigen Tochter und deren Familie durch Tausende von Meilen getrennt zu sein und sich mit dem Gedanken vertraut machen zu wissen, sie vielleicht nie wiederzusehen, denn wer weiß, wann dieser Krieg zu Ende sein wird, ob ich bei meiner schwankenden Gesundheit und meinem Alter überhaupt das Ende noch erleben werde […]."
Dr. med. Moses Goldschmidt starb am 12. August 1943 in Porto Alegre/Brasilien und ist auf dem Jüdischen Friedhof von Tristeza bei Porto Alegre beigesetzt.
Seine in Brasilien verfassten handschriftlichen Lebenserinnerungen fanden sich in seinem Nachlass. Der Mann seiner Enkeltochter Anita, geb. Shroff, Raymond Fromm in London, hat die Aufzeichnungen aufbereitet und daraus ein maschinengeschriebenes Manuskript angefertigt. Sie sind 2004 unter dem Titel Mein Leben als Jude in Deutschland 1873-1939 beim Hamburger Verlag Ellert & Richter erschienen und beschreiben als Zeitzeugnis die wilhelminische Zeit des Kaiserreichs, den 1. Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Hyperinflation von 1923 und ihre Folgen, den allmählichen Aufstieg der Nationalsozialisten, die Auswirkungen der Nürnberger Gesetze, sowie eine unangenehme, aber interessante Konversation mit einem Gestapobeamten.
Text fachlich geprüft, nicht lektoriert
Stand: August 2025
© Raymond & Anita Fromm mit Ergänzungen von Sabine Brunotte