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Johanna Kannenberg (geborene Wohl) * 1878
Maria-Louisen-Straße 94 (Hamburg-Nord, Winterhude)
HIER WOHNTE
JOHANNA
KANNENBERG
GEB. WOHL
JG. 1878
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
21.1.1944
Johanna Kannenberg, geb. Wohl, geboren am 8.9.1878, gedemütigt/entrechtet, Flucht in den Tod am 21.1.1944
Maria-Louisen-Straße 94 (Winterhude)
Johanna Wohl wurde am 8. September 1878 in Wilhelmshaven als Tochter des Schlachtermeisters Anton Wohl und seiner Ehefrau Sophie Wohl, geborene Falk in eine jüdische Familie geboren.
Johanna Wohl hatte fünf Geschwister: Julius Wohl (geb. am 17.8.1876), Rosa Wohl (geb. am 29.11.1879), Mary Wohl (geb. am 12.8.1883), Arthur Wohl (geb. am 3.11.1884) und Ella Wohl (geb. am 21.9.1890).
Über die Kindheit, Jugend und Ausbildung von Johanna Wohl ist uns nichts bekannt.
Am 19. Dezember 1903 heiratete Johanna Wohl den nichtjüdischen evangelischen Willy Peter Martin Kannenberg (geb. am 28.5.1877 in Rendsburg), der in Wilhelmshaven lebte. Er wohnte und arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Küchenmeister auf dem Schiff der Marine S.M.S. Victoria Louise. Johanna Wohl wohnte bei ihrem Vater in der Marktstraße 12 in Wilhelmshaven. Als Beruf wurde in der Heiratsurkunde für Johanna Wohl "Haustochter" vermerkt, d.h. sie hatte offensichtlich für einen bestimmten Zeitraum in einer fremden Familie gelebt und die Haushaltsführung erlernt.
Das Ehepaar hatte drei Kinder: Hans Anton Wilhelm Kannenberg, geboren am 13. Februar 1906 in Wilhelmshaven, Werner Adolf Louis Ferdinand Kannenberg, geboren am 8. November 1909 in Wilhelmshaven und Ruth Kannenberg, geboren am 25. März 1918 in Oldenburg.
Willy Kannenberg hatte im Dezember 1924 ein Geschäft für den Verkauf von Südfrüchten, Obst und Gemüse in der Wilhelmshavener Straße 9 als Gewerbe angemeldet. Der Betrieb wurde aber bereits im Mai 1925 wieder abgemeldet. Über weitere berufliche Tätigkeiten von Willy Kannenberg ist uns nichts bekannt.
Die Familie wohnte zunächst in der Roonstraße 20 in Wilhelmshaven. Nach dem Tod ihres Ehemanns am 6. Oktober 1933 zog die verwitwete Johanna Kannenberg in der Kaiserstraße 34 in Wilhelmshaven, wo sie bis Anfang 1939 wohnte. Bei der Volkszählung im Mai 1939 wohnte Johanna Kannenberg bereits zusammen mit ihrem seit Februar 1939 verwitweten Bruder Julius Wohl in der Schiffdorfer Chaussee 11 in Wesermünde, dem heutigen Bremerhaven. Ihre Tochter Ruth Kannenberg wohnte zu diesem Zeitpunkt in der Forst Lausitz in Brandenburg, ihre Söhne Hans Kannenberg in Wilhelmshaven und Werner Kannenberg in Leer.
Im Februar 1940 verfügte die Gestapo Wilhelmshaven, dass sämtliche Juden bis zum 1. April 1940 Ostfriesland - dem damaligen Regierungsbezirk Aurich - und das Land Oldenburg zu verlassen hätten. Den Vorstehern der jüdischen Gemeinden wurde von der Gestapo vorab mitgeteilt, ihre Mitglieder hätten sich für den Abtransport nach Polen bereitzuhalten. Durch Verhandlungen konnte die Deportation in den Osten zunächst abgewandt werden. Die Betroffenen zogen teilweise zu Verwandten in andere Orte. Am 30. Mai 1940 berichtete die Gestapoleitstelle der Gauleitung der NSDAP in Oldenburg, dass im Laufe der vergangenen Monate 843 Juden aus den Kreisen Ostfrieslands und Oldenburgs "abgewandert" seien.
So übersiedelte auch Julius Wohl am 3. Februar 1941 nach Hamburg in ein jüdisches Altenheim in der Rothenbaumchaussee 217. Über den Wohnort Johanna Kannenbergs von Februar 1941 bis Juli 1942 ist uns nichts bekannt.
Die Jahre 1940-42 waren für Johanna Kannenberg geprägt durch die Verfolgung und den Tod sehr naher Verwandter. Besonders mit ihren in Hamburg wohnenden Schwestern Rosa Oberschützky, Mary und Ella Wohl bestand eine sehr enge familiäre Beziehung.
Am 8. März 1940 verstarb ihre schon länger erkrankte und seit 1932 verwitwete Schwester Rosa Oberschützky, die trotz ihrer Erkrankungen immer wieder von der Sozialfürsorge aufgrund zahlreicher vertrauensärztlicher Gutachten - und der Kürzung ihrer Leistungen - zur Arbeit gezwungen wurde. Im Januar 1935 war von der Wohlfahrtsstelle die Unterstützung von 7,- RM/wöchentlich auf 5,- RM/wöchentlich gekürzt worden; am 26. Mai 1937 dann wegen Nichtleistung der Pflichtarbeit (Arbeit in einer Nähstube) die Unterstützung völlig eingestellt worden. Im September/Oktober 1939 wurde sie vier Wochen lang im Israelitischen Krankenhaus in der Eckernförderstraße 4 (heute Simon-von-Utrecht-Straße 2) behandelt. Sie starb im Alter von 60 Jahren im Jüdischen Krankenhaus in der Johnsallee 54. Als Todesursache wurden aplastische Anämie und Gesichtsrose angegeben.
Am 25. Oktober 1941 wurde ihre Schwester Ella Wohl von Hamburg zunächst in das Getto Litzmannstadt/Lodz deportiert. Ella Wohl hatte in den Jahren davor ihre Schwester Rosa Oberschützky finanziell unterstützt und sich auch um ihre kranke Schwester Mary Wohl gekümmert. So bat sie auf einer Postkarte vom 5. November 1941 aus dem Getto (kurze Zeit war der Postverkehr mit den Getto Lodz erlaubt) ihre Schwester Mary Wohl, ihr "schnellstens ausführlich zu schreiben, wie es den lieben Geschwistern geht" und bestellt Grüße an "mein geliebtes Utelein", die Enkelin von Johanna Kannenberg. Am 15. Mai 1942 wurde Ella Wohl in das Vernichtungslager Kulmhof/Chelmo deportiert und dort ermordet.
Kurz danach wurden am 8. November 1941 Johanna Kannenbergs Nichte Käthe Scheier, geb. Oberschützky (geb. 2.9.1903) mit Ehemann Hans Martin (geb. 21.11.1903) und Tochter Ilma (geb. 16.10.1934) nach Minsk deportiert und dort ermordet. (An die Familie Scheier erinnern in Hamburg Stolpersteine mit Biografie in der Rothenbaumchaussee 83.)
Am 6. Dezember 1941 wurde ihr Bruder Julius Wohl aus Hamburg in die Außenstelle des Gettos Riga deportiert und dort ermordet. (Ein Stolperstein erinnert an sein Schicksal in der Rothenbaumchaussee 217.)
Johanna Kannenbergs Nichte Anni Mayer, geborene Oberschützky, beging am 11. August 1942 Suizid im Internierungslager Berg-am Laim/München. Bereits zwei Tage vorher hatte deren Ehemann Hermann Mayer aufgrund der bevorstehenden Deportation Suizid begangen.
Am 31. Dezember 1942 verstarb ihre im "Siechenheim" Schäferkampsallee 29 wohnende Schwester Mary Wohl. Sie starb aufgrund einer Gefäßerkrankung, als Folge der bereits vor Jahren durchgeführten Amputationen beider Beine.
Im Juli 1942 war Johanna Kannenberg nach Hamburg in die Finkenau 26 gezogen, danach in den Neuenfelder Fährdeich 355. Am 8. August 1942 zog Johanna Kannenberg dann zusammen mit ihrer Tochter Ruth und derer am 23. April 1940 unehelich geborenen Tochter Ute in die Maria-Louisen-Str. 94. Der Verlobte der Tochter Ruth und Vater von Ute hatte 1941 eine andere (nichtjüdische) Frau geheiratet, da er von der Zwecklosigkeit eines Versuchs zur Genehmigung der Heirat mit der Halb-Jüdin Ruth Kannenberg überzeugt war. Ruth Kannenberg arbeitete als Kontoristin im benachbarten Möbelhaus Bauer. Die Familie Kannenberg pflegte freundschaftliche Beziehungen zu ihren direkten Nachbarn.
Am 17. Januar 1944 erhielt Johanna Kannenberg den "Abwanderungsbefehl" von der Gestapo:
"Ihre Abwanderung aus Gross-Hamburg wird hiermit befohlen. Der Abtransport wird umgehend ausgeführt. Mit dem heutigen Tage unterliegen Sie für die Dauer des Transports besonderen Ausnahmebestimmungen………… i. A. Göttsche"
Johanna Kannenberg sollte sich am 19. Januar 1944 mit ihrer Kennkarte, Pass, Arbeitsbuch, Lebensmittelkarten und Quittungskarten der Invaliden- oder Reichsversicherung in der früheren Talmud-Tora-Schule, Grindelhof 36-38 einfinden. Sie durfte einen Koffer mit Bekleidung, Bettzeug mit Decke (ohne Matratze) und 50 RM mitnehmen.
Zur Deportation kam es nicht, da am 21. Januar 1944 um 10.30 Uhr Johanna Kannenberg von ihren beiden Kindern Hans und Ruth Kannenberg in ihrer Wohnung im Bett liegend tot aufgefunden wurde. Sie hatte in ihrer Wohnung mit Schlaftabletten Suizid begangen um der drohenden Deportation zu entkommen. Auf ihrer Todesurkunde wurde als Religion evangelisch-lutherisch angegeben. Wann Johanna Kannenberg zur evangelisch-lutherischen Konfession konvertierte, ist uns nicht bekannt. Nach den nationalsozialistischen Kriterien wurde sie auch als Konvertitin weiter als "Voll-Jüdin" eingestuft. Für die Beerdigung von Johanna Kannenberg musste vorab eine polizeiliche Erlaubnis gemäß § 39 Personenstandsgesetz vom 3. November 1937 beantragt werden, da die erforderlichen Personalpapiere für die Eintragung im Standesamt fehlten. Der Antrag wurde von der Schwiegertochter Gertrud Kannenberg am 24. Januar 1944 gestellt und bewilligt.
Überlebt haben aus der Familie Johanna Kannenberg ihre drei Kinder, ihr Bruder Arthur, der am 4. April 1945 nach Theresienstadt deportiert und dort befreit wurde und ihre Neffen Arnold Wohl (geb. am 8.6.1904), der nach Chile und Hans Oberschützky (geb. am 30.9.1899), der am 29. März 1939 mit der S.S. Gerolstein von Antwerpen in die USA/Minnesota emigrierte. Seine von ihm geschiedene Ehefrau Edith Oberschützky, geb. Windesheim wanderte zusammen mit der gemeinsamen Tochter Inge (geb. am 14.10.1933) vor Kriegsbeginn nach Argentinien aus.
Johanna Kannenbergs Tochter Ruth lebte mit ihrer Tochter Ute zunächst noch in der Maria-Louisen-Straße 94. Am 27. September 1947 heiratet sie den Korrespondenten Georg-Wolfgang Werner Naumann (geb. am 9.1.1916 in Düsseldorf). Ab 1966 wohnte die inzwischen verwitwete Ruth Kannenberg in der Willystraße 32. Im Jahr 2012 verstarb Ruth Kannenberg in einem Altenheim in Hamburg-Niendorf.
Johanna Kannenbergs Sohn Hans Kannenberg war Kaufmann und Inhaber einer Metallwarenfabrik in Wilhelmshaven. Er war in erster Ehe mit Dr. Gertrud Kannenberg, geb. Ritter (geb. am 6.5.1919 in Frankfurt) verheiratet. Konkurrenten veranlassten 1943/1944 seine Verhaftung durch die Gestapo wegen "Sabotage an der Kriegsindustrie". Hans Kannenberg wurde enteignet und die Maschinen beschlagnahmt. Dafür wurde nach Kriegsende ein Wiedergutmachungsverfahren angestrengt. In 2. Ehe war Hans Kannenberg mit Anneliese Sack, geb. Stehle verheiratet. Hans Kannenberg starb 1977 in Pforzheim.
Der Sohn Werner Adolf Louis Ferdinand Kannenberg verstarb 1979 in Emden.
Stand: Oktober 2025
© Birgit Geyer
Quellen: 1, 3, 4, 5, 7, 8; Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg - Hamburger Adressbücher von 1941 - 1966; StaH Entschädigungssachen: 213-13_6478 (Hans Kannenberg), 213-13_12977 (Ella Wohl), 213-13_10487 (Ella Wohl); StaH Gerichtsvollzieherwesen: 214-1_713 (Ella Wohl); StaH Auswanderung: 314-15_FVG 4335 (Hans Oberschützky), StaH Devisenstelle und Vermögensverwertungsstelle: 314-15_R1941/0036 (Julius Wohl); StaH Polizeibehörde - unnatürliche Sterbefälle: 331-5_1944/283 (Johanna Kannenberg); StaH Amt für Wiedergutmachung: 351-11_42453 (Ruth Naumann, geb. Kannenberg), 351-11_26755 und 351-11_26756 (Hans Obers / Oberschützky), 351-11_28238 (Julius Wohl); Arbeits- u. Sozialfürsorge: 351-14_ 1649 (Rosa Oberschützky, geb. Wohl); StaH Gesundheitsfürsorge: 352-8/7_26962 (Mary Wohl); StaH 522-1 Jüdische Gemeinden, 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg): Ella Wohl, Mary Wohl, Julius Wohl, Hans Oberschützky, Rosa Oberschützky; StaH Meldewesen Hausmeldedatei: 741-4 Nr. K2367 (Johanna Kannenberg) und K4465 (Ruth Kannenberg); Yad Vashem Datenbank der Namen von Holocaust-Überlebenden und Opfern: Datensatz-Nummer 11536367, 1190488, 14094434, 4668071, 4864155, 1463517, 11656211, 11624378, 11624385 und 11624882 (Zugriff 2.9.2024); Yad Vashem Dokumente: Postcard written in the Lodz Ghetto by Ella Wohl, born in Wilhelmshaven, Germany, and sent to Mary Wohl in Hamburg, Germany, 05 November 1941 (Zugriff 23.7.2025); Ancestry (Zugriff 18.8.2024): Todesurkunde Rosa Oberschützky, Todesurkunde Mary Wohl, Grabstätte Hans Kannenberg, Adressbücher Bremerhaven 1934-36, 1949/59, 1964/50; Arolsen Archives, ITS Digital Archives: Doc-ID 5135210 (Deportationskarte Artur Wohl), Doc-ID 12678862 (Meldekarte Mary Wohl), Doc-ID 12678861 (Kultussteuerkarte Mary Wohl), Doc-ID 12667708 (Zentralkartei Jüdischer Religionsverband Hamburg: Mary Oberschützky), Doc-ID 11194654 (Gestapo-Verzeichnis zu Jüdinnen und Juden aus der Stadt München: Anni Mayer), Doc-ID 70118439 (Israelische Kultusgemeinde München Liste verstorbener Juden in München: Hermann und Anni Mayer), Doc-ID 76810611 (Heiratsurkunde Hermann Meyer), Doc-ID 76810611 (Sterbeurkunde Hermann Mayer) (Zugriff 2.9.2024); Stadt Wilhelmshaven, Stadtarchiv, Personenstandsukunden: Heiratsurkunde Johanna Kannenberg, Todesurkunde Willy Kannenberg, Geburtsurkunde Johanna Wohl, Geburtsurkunden Hans und Werner Kannenberg, Heiratsurkunde Anton und Sophie Wohl, Meldekarten und Gewerbeanmeldung: Willi Kannenberg (Eingang 25.1.2022 - Antwort auf Anfrage vom 21.1.2022); Stadtarchiv Wilhelmshaven: Adressbuch 1900 (Anton Wohl); Adressbuch 1938/39 (Johanna Kannenberg, Hans Kannenberg); Adressbuch Bremerhaven (Julius Wohl) 1939; https://mappingthelives (Zugriff 11.8.2023); Biografisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933–1945: Anni Mayer, geb. Oberschützky https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=3451 und Hermann Mayer, https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=7452 (Zugriff 23.7. 2025); www.stolpersteine-bremen.de/glossar: Die Vertreibung der Juden aus Ostfriesland und Oldenburg.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".


