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Moritz Sachse * 1883

Schwarzenbergstraße 69 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
MORITZ SACHSE
JG. 1883
VERHAFTET 3.12.1938
MISSHANDELT
EINGEWIESEN 18.3.1940
`VERSORGUNGSHEIM`FARMSEN
ENTLASSEN 8.1.1941
TOT AN DEN FOLGEN

Moritz Franz Sachse, geb. am 5.7.1883 in Dresden, am 18. März 1940 Einweisung ins Versorgungsheim Farmsen, verstorben am 14. März 1953

Schwarzenbergstraße 69 (früher Bergstraße 69), Stadtteil Harburg-Heimfeld

Moritz Sachse lebte seit 1907 in Harburg. Er war verheiratet mit Klara, geb. Wohlberg. 1926 wohnte das Ehepaar Sachse Bergstraße 30, ab 1930 in der Bergstraße 69. In beiden Fällen waren sie auch Eigentümer des Hauses.

Klara Sachse betrieb ein Weißwaren-Geschäft (Wäscheanfertigung), als Berufsbezeichnung für Moritz Sachse war "Kfm. Angestellter" angegeben. Bei welcher Firma er beschäftigt war, ist nicht bekannt; dokumentiert ist eine Anstellung im Arbeitsamt Harburg und seine Entlassung im Jahr 1936.

Moritz Sachse war wohl nicht (partei)politisch engagiert, hat aber aus seiner ablehnenden Einstellung zur NSDAP und der Regierung keinen Hehl gemacht. Vermutlich haben unvorsichtige Äußerungen zu seiner Entlassung geführt. Er bezog nach der Entlassung ein Ruhegeld, das ihm mit Bescheid des Versicherungsamtes vom 16.4.1937 wieder entzogen wurde, nachdem ein Gutachten des Regierungsmedizinalrates Auer bestätigte, dass Moritz Sachse arbeitsfähig und geistig gesund sei.

Schon im Jahr 1933 hatte Familie Sachse Probleme mit den Behörden. Ein in dem Haus Bergstraße 69 befindliches Ladengeschäft sollte neu vermietet werden, weil der Vormieter - ohne sich an den bestehenden Vertrag zu halten - ausgezogen war. Eine Vertragserfüllung war nicht durchzusetzen, da er SS-Mann war. Eine Neuvermietung wurde behördlicherseits behindert.

Der Reichsluftschutzbund (RLB) beschuldigte zudem Moritz Sachse, er sabotiere den Luftschutz, halte sich nicht an die gegebenen Vorschriften, mache diese lächerlich und leiste Widerstand.

Im Juli 1938 wurde Moritz Sachse in einem Schreiben vom RLB Ortsgruppe VIII Reviergruppe 3 für seine Haltung gerügt und ihm Konsequenzen angedroht: "Sie haben jetzt zu wiederholten Malen den Anordnungen des Reichsluftschutzbundes keine Folge geleistet. Sie werden darauf hingewiesen, daß für Sie lediglich der Blockwart Herr Dierks zuständig ist und Sie haben seinen Anweisungen zu folgen. Sie wollen die Freundlichkeit haben, sich mit den Bekanntmachungen des Herrn Polizei-Präsidenten vertraut zu machen, wenn Sie sich vor Schaden bewahren wollen.
Der Reviergruppenführer gez. KNAAK LS Obertruppmeister"

Diese Drohung nahm Moritz Sachse offensichtlich nicht ernst. Mit Schreiben vom 25.11.1938 beschwerte er sich beim Polizeipräsidenten über den Luftschutzhauswart Heinrich Dierks und verlangte dessen Absetzung. Am 3.12.1938 wurde er wegen "Sabotage am Aufbau" verhaftet und 8 Stunden von der Gestapo verhört und schwer misshandelt.

Zeugen bestätigten später eine auffallende Veränderung im Verhalten Moritz Sachses nach diesem Verhör, der Obermedizinalrat Janik bezeichnete die Folgen als "katastrophal". Moritz Sachse habe "in tödlicher Angst vor dem KZ" gelebt. "Die Mißhandlungen müssen so schwer gewesen sein, daß sie einen vollkommen anderen Menschen aus ihm gemacht haben."

Er wurde in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn eingewiesen. Die Akten darüber, wer dies anordnete und welche Begründung gegeben wurde, sind nicht erhalten. Auch fehlen Angaben, ob er dort untersucht bzw. "therapiert" wurde. Am 18.3.1940 wurde Moritz Sachse – gegen seinen Willen und in Abwesenheit der Ehefrau - in das Versorgungsheim Farmsen eingewiesen. Auch dort soll es zu Misshandlungen gekommen sein. Nach 10 Monaten - am 8.1.1941- wurde er wieder entlassen.

Das Versorgungsheim Farmsen war während der NS-Zeit zu einer "Bewahranstalt für Asoziale" umgestaltet worden. Aus der Arbeitskraft ihrer Bewohner sollte sich die Anstalt möglichst selbst finanzieren. Die Bewohner wurden in Fabrik, Wäscherei, Haus- und Landwirtschaft beschäftigt. Ein Verstoß gegen den Arbeitszwang konnte die Einweisung in ein Konzentrationslager zur Folge haben.

Der psychische und physische Zustand Moritz Sachses verschlechterte sich weiter, auch nach Kriegsende.

Ab 1950 versuchte Moritz Sachse - und nach seinem Tod seine Witwe - Wiedergutmachungsansprüche durchzusetzen. Alle Anträge und Klagen wurden abgelehnt, weil "keine Anhaltspunkte für politische, rassische, religiöse oder weltanschauliche Verfolgung" vorlägen. Die Begründung lautete u.a. "Der Kläger ist nicht in einem Konzentrationslager gewesen, denn das Versorgungsheim Farmsen stellt kein KZ i.S. der Zonenanweisung 20 dar." Und weiter "Selbst, wenn man aber davon ausginge, daß die Anstalt Farmsen ein Konzentrationslager dargestellt habe […..] wäre ein Anspruch auf Erteilung der Sonderhilfsberechtigung nicht gegeben. Nicht jede Einweisung in ein Konzentrationslager begründet einen Anspruch auf Erteilung der Sonderhilfsberechtigung." (Erst im Frühjahr 2020 erkannte der Bundestag "Asoziale" als wiedergutmachungsberechtigte Opfergruppe an)

Am 14. März 1953 verstarb Moritz Sachse an den Folgen des Verhörs und des Anstaltsaufenthalts, den er und seine Familie als Haft empfanden.

Stand: Juni 2024
© Margrit Rüth

Quellen: StaHH 351-11_6376; StaHH 351-11_13509; Adressbuch Harburg 1922 – 1937; Ulrich Würdemann: Versorgungsheim Farmsen -2mecs (15. Januar 2022); KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Interview mit Christiane Rothmaler (Historikerin) in taz. vom 23.6.2022.

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