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Walter Leverentz * 1905
Schwenckestraße 62 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)
HIER WOHNTE
WALTER LEVERENTZ
JG. 1905
EINGEWIESEN 1910
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
13.10.1943 WEILMÜNSTER
ERMORDET 6.4.1944
Walter Johannes Albert Paul Leverentz, geb. 13.7.1905 in Hamburg, aufgenommen am 10.3.1910 in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), am 7.8.1943 verlegt in die Landesheilanstalt Eichberg bei Eltville, am 13.10.1943 verlegt in die Landesheilanstalt Weilmünster, dort gestorben am 6.4.1944
Schwenckestraße 62 (Eimsbüttel)
Walter Johannes Albert Paul (Rufname Walter) Leverentz wurde am 13. Juli 1905 in Hamburg geboren. Er war das älteste Kind des Handlungsgehilfen Alfred Theodor Richard Leverentz, geboren am 11. November 1879 in Hamburg, und seiner Ehefrau Albertine Hermine Wilhelmine Leverentz, geborene Fischer, geboren am 1. Dezember 1880 in Hamburg. Das Paar hatte am 16. Juli 1904 in Hamburg geheiratet und sich in der Schwenckestraße 62 niedergelassen, einer Straße im Norden Eimsbüttels mit großzügigen Wohnblocks aus der Gründerzeit.
Bis 1909 kamen drei Schwestern zur Welt: Käthe, geboren am 24. August 1907, Wilma Albertine Christine, geboren am 3. April 1909, und Elisabeth Albertine, geboren am 6. Dezember 1911.
Walter Leverentz‘ Geburt verlief sehr schwierig. Im Alter von acht Wochen erkrankte er an einer Hirnhautentzündung. Es hätten sich bei ihm erste Krampfanfälle gezeigt, so seine Mutter. Er habe mit 1 ¾ Jahren laufen und mit drei Jahren sprechen gelernt. Der niedergelassene Arzt Dr. A. Peeck urteilte im Januar 1910 über den inzwischen Fünfjährigen, seine Aufnahme in die Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) sei wegen "Idiotie" erforderlich. Er zeige Wutanfälle, sei schwachsinnig, könne nicht allein essen, spreche unvollkommen. (Die heute nicht mehr verwendeten Begriffe "Schwachsinn" und "Idiotie" bezeichneten Intelligenzminderung und angeborene Intelligenzschwäche bzw. eine schwere Form der Intelligenzminderung).
Walter Leverentz wurde am 10. März 1910 in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Laut ärztlichem Gutachten des Oberarztes Kellner vom 24. Januar 1923 litt Walter Leverentz an Epilepsie und Hydrocephalie (Wasserkopf), sei zu keiner Arbeit fähig und habe wegen Erkrankungen häufig in das Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Zudem diagnostizierte er Strabismus (Schielen) und Kyphose (Krümmung der Wirbelsäule).
1925 beschwerte Walter Leverentz‘ Vater sich bei den Alsterdorfer Anstalten, dass Walter sich bei einem Unfall dort beide Füße gebrochen hatte, was zu einer dauernden Gehbehinderung führte. Über die Behandlung der Unfallfolge kam es zwischen Walter Leverentz‘ Vater und den Alsterdorfer Anstalten zum Streit, auch darüber, ob ein Pfleger zu Walter gesagt habe, "Walter – was früher war – davon schweige man." In Verbindung damit wurde auch über das von Walters Vater zu zahlende Kostgeld gestritten. Die Alsterdorfer Anstalten forderten ihn auf, seinen Sohn aus der Einrichtung zu nehmen, wenn er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme. Dazu kam es jedoch nicht.
Laut Krankenakte war Walter Leverentz 1925 bis 1928 bettlägerig und unsauber. Es hieß, seine geistigen Fähigkeiten seien infolge vieler Krampfanfälle stark zurückgegangen. Während des Jahres 1928 wurde er "wegen Erregung" in das Krankenhaus der Alsterdorfer Anstalten eingewiesen. Er habe geschrien und geschimpft, mit sämtlichen erreichbaren Gegenständen geworfen und das Bettzeug auf den Boden geschleudert. Die Erregungsanfälle wurden auf einen "stark funktionellen Charakter" zurückgeführt, denn "sowie er allein ist, niemand um ihn ist, wird er ruhiger." Anscheinend waren die Alsterdorfer Anstalten überfordert. Sie schrieben: "Auf Dauer ist Pat.[ient] für die Alsterdorfer Anstalten nicht zu gebrauchen." Gegen Ende 1928 änderten sich jedoch die Berichte. Walter Leverentz habe sich "viel ruhiger" gezeigt, es seien "keinerlei Klagen mehr" über ihn geäußert worden. Nun habe er die Tage außerhalb des Bettes zugebracht und kleinere Hilfsarbeiten geleistet, sich freundlich und gutmütig verhalten.
Während der 1930er Jahre betätigte sich Walter Leverentz in der Korb- und Mattenflechterei. Das Personal beschrieb ihn nun als arbeitsam und fleißig. Diese Entwicklung wurde durch krampfartige Zustände unterbrochen, während der er anhaltend schrie. Er sei im Allgemeinen fröhlich und ruhig und zu kleinen Späßen gern bereit gewesen. Streitigkeiten sei er aus dem Weg gegangen und bemüht gewesen, sich trotz seiner körperlichen Behinderung selbst zu helfen. In den 1940er Jahren glichen die Berichte denen der Vorjahre. Am 26. März 1943 hieß es: "Pat.[ent] bekommt wenig Anfälle, er ist gutmütig und freundlich, hält sich sauber und ist an seiner Umgebung interessiert. Früher arbeitete er in der Korbmacherei. Fragen kann er sinngemäß beantworten, betrachtet gern Illustrierte Blätter, ist recht aufmerksam."
Die Eintragungen in Walter Leverentz‘ Patientenakte endeten am 7. August 1943. Der Oberarzt der Alsterdorfer Anstalten, Gerhard Kreyenberg, schrieb: "Wegen Beschädigung der Anstalt durch Fliegerangriff verlegt nach Eichberg."
Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Eltville am Rhein, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt.
Walter Leverentz gehörte zu den 76 Kindern und Männern, die am 7. August 1943 in die "Landesheilanstalt Eichberg" gebracht wurden.
Die Alsterdorfer Patienten kamen, zusammengepfercht in einem Güterwagen, am 8. August 1943 in Hattenheim an und wurden dort "wie Vieh auf LKWs" verladen und zur "Landesheilanstalt Eichberg" gebracht.
Die "Landesheilanstalt Eichberg" in Hessen war eine derjenigen Anstalten, die eng mit dem "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten verwoben waren. Der leitende Arzt der Einrichtung, Friedrich Mennecke, gehörte als Gutachter bei der T4-Zentrale in Berlin und Leiter diverser Ärztekommissionen zu den entschiedenen Befürwortern und Vollstreckern dieses Mordprogramms. In der ersten Phase der Krankenmorde diente die "Landesheilanstalt Eichberg" als eine der zahlreichen Stationen, an denen die Selektierten gesammelt wurden, bevor sie den Weg in die Gaskammern der nahe gelegenen Tötungsanstalt Hadamar antreten mussten.
Nach dem offiziellen Stopp dieser Phase des nationalsozialistischen "Euthanasie"-Programms Ende August 1941 wurde auch in Eichberg weiter gemordet. Die Patientinnen und Patienten blieben sich weitgehend selbst überlassen. Außerdem wurden sie mehr als mangelhaft verpflegt. Oft wurde dem Leben der Kranken durch Injektionen ein Ende gesetzt. Diese Methode war auf der 1940/41 eingerichteten "Kinder-Fachabteilung" der "Landesheilanstalt Eichberg" entwickelt und später auch in anderen Abteilungen dieser Einrichtung durchgeführt worden.
Walter Leverentz blieb nicht in Eichberg, sondern wurde am 13. Oktober 1943 in die "Landesheilanstalt Weilmünster am Taunus" verlegt. Den Grund dafür kennen wir nicht.
In Weilmünster lebten die Kranken unter den erbärmlichsten Bedingungen. Die Zahl der Todesfälle lag in den Jahren von 1940 bis 1944 weit über dem vorherigen Durchschnitt. Diese traurige Bilanz war das Ergebnis des ständigen Hungers, unter dem die Patientinnen und Patienten von Anfang an zu leiden hatten, ihrer mangelhaften ärztlichen Versorgung bei Krankheiten und des gezielten Einsatzes tödlicher Medikamente.
Walter Leverentz starb dort am 6. April 1944.
Wir wissen nicht, wie und wann die Eltern von seinem Tod erfuhren und auch nicht, was aus ihnen geworden ist.
Bekannt ist das Schicksal der Schwestern: Käthe Leverentz arbeitete später als Kontoristin. Wilma Albertine Christine war als Schneiderin tätig. Sie war seit 17. August 1929 mit dem Elektroingenieur Adolf Matthias Wilckens verheiratet. Die Eheleute wohnten in Hamburg-Altona, Altonaerstraße 67. Beide kamen am 25. Juli 1943 bei einem Luftangriff ums Leben. Elisabeth Albertine heiratete am 24. Juni 1939 den Expedienten Werner Ludwig Georg Boether. Elisabeth Albertine Boether litt an einer angeborenen Verkrümmung der Wirbelsäule. Sie wurde als "ganz verwachsen aber intelligent" beschrieben. Sie starb am 8. Mai 1947 an einer Herzkrankheit.
Stand: Dezember 2024
© Ingo Wille
Quellen: Adressbuch Hamburg diverse Jahrgänge; StaH 332-5 Standesämter 14440 Geburtsregister Nr. 905/1905 (Walter Johannes Albert Paul Leverentz); 8636 Heiratsregister Nr. 487/1904 (Alfred Theodor Richard Leverentz/Albertine Hermine Wilhelmine Fischer), 13113 Heiratsregister Nr. 510/1929 (Wilma Leverentz/Adolf Wilcken); Standesamt Weilmünster Sterberegister Nr. 579/1944 (Walter Johannes Albert Paul Leverentz); Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Sonderakte V 126 (Walter Leverentz). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff., 299 ff.

