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Bereits verlegte Stolpersteine



Margaretha Severin * 1901

Beim Schlump 27 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
MARGARETHA SEVERIN
JG. 1901
EINGEWIESEN 1917
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 16.8.1943
‚HEILANSTALT‘
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 2.6.1944

Margaretha Severin, geb. am 6.8.1901 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen "Alsterdorfer Anstalten" am 1.5.1917, verlegt nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") am 16.8.1943, dort gestorben am 2.6.1944

Beim Schlump 27

Margaretha Hertha Auguste (Rufname: Margaretha) Severin wurde am 6. August 1901 im Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf in Hamburg geboren. Ihre Mutter Johanna Maria Henriette Severin, geboren am 13. Dezember 1878 in Lübeck, arbeitete als Köchin und Dienstmädchen. Sie war mit dem leiblichen Vater Richard Prenzlau nicht verheiratet.

Johanna Severin gab ihre Tochter Margaretha in die Pflege der Schneiderin Wilhelmine Jahn, Barmbekerstraße 165 in Winterhude. Margarethas Großvater wurde zu ihrem Vormund berufen. Die Großeltern, der Buchhalter Johannes Carl Wilhelm und Augustine Caroline Catharina Severin, wohnten in der Straße Beim Schlump 27.

Margarethas Mutter heiratete am 26. März 1910 in London den am 13. September 1873 in Hannover geborenen Ferdinand Carl Heinrich Ludwig Carow, der im diplomatischen Dienst tätig war.

In London bekamen die Eheleute Carow fünf Kinder: Johann Wilhelm Eduard am 28. Oktober 1910, Sophie am 28. Februar 1912, Franziska am 23. Januar 1913, die Zwillinge Johanna und Nancy am 7. Januar 1914.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs floh die Familie Hals über Kopf aus London nach Berlin und musste ihre Habe zurücklassen. Hier reichte das Einkommen jedoch kaum für den notwendigen Lebensunterhalt. Als Ferdinand Carow im März 1916 eine Aushilfsstelle in der Deutschen Auslandsvertretung in Konstantinopel antrat, blieb seine Familie in Berlin. Am 11. Mai 1916 kam mit Carl-Ferdinand in Berlin ein weiteres Kind zur Welt.

Weil ihr die Betreuung der inzwischen fünfzehnjährigen Margaretha zunehmend schwerfiel, wollte ihre Pflegemutter diese beenden. Margarethas leibliche Mutter wollte ihre Tochter jedoch unter Hinweis auf ihre schwierigen familiären Lebensverhältnisse nicht zu sich nehmen. Mit Hilfe des "Kinderschutz und Jugendwohlfahrt e.V.", Hamburg, erhielt Margaretha Severin einen Platz in den damaligen "Alsterdorfer Anstalten" (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Die kräftig gebaute Margaretha Severin litt nach den Unterlagen des Vereins seit ihrer Geburt unter Krämpfen. Sie lernte im dritten Lebensjahr zu gehen und zu sprechen. Die "Vorschule für beschränkte Kinder" hatte sie mit mittelmäßigem Erfolg und die "Hilfsschule" bis Klasse 4 besucht. Ihre Begabung wurde als gering eingestuft, das Betragen als gut bezeichnet.

In dem Ärztlichen Aufnahmeschein von Alsterdorf vom 22. April 1917 hieß es über ihren Zustand: "Fast ohne alle Kenntnisse. Rechtsseitig gelähmt. Arbeitsunfähig. Kann sich nicht allein anziehen. Krämpfe treten in zwei- bis vierwöchentlichen Abständen auf. Gemütszustand gut, manchmal Wutanfälle." Die Polizeibehörde stufte Margaretha Severin als "hochgradig schwachsinnig und demnach für die Behandlung in den Alsterdorfer Anstalten geeignet" ein.

Nach einigem Schriftwechsel zwischen den Alsterdorfer Anstalten und der Mutter Johanna Carow insbesondere über Kostenbeiträge der Mutter wurde Margaretha Severin schließlich am 1. Mai 1917 in den "Alsterdorfer Anstalten" aufgenommen. Bei ihrer Aufnahme in Alsterdorf erschien sie umgänglich und meistens guter Stimmung. Ihre frühere Pflegemutter besuchte sie oft und nahm sie auch auf Urlaub zu sich. Margarethas Mutter war zwar um ihre Tochter sehr besorgt, konnte sie aber nicht besuchen, denn sie folgte ihrem Ehemann nach Konstantinopel, der eine Stelle als Gesandtschaftssekretär in der Deutschen Botschaft erhalten hatte. Später lebte die Familie in Oslo.
Zwischen Johanna Carow und den "Alsterdorfer Anstalten" kam es wiederholt zu brieflichen Auseinandersetzungen über Kostgeld- und Kleidergeldzahlungen. Auch Ferdinand Carl Heinrich Ludwig Carow setzte sich gegenüber der Direktion der "Alsterdorfer Anstalten" für sein Stiefkind ein, das ihm schon vor der Heirat bekannt war.

Anfang der 1930er Jahre änderten sich die Verhältnisse in der Familie Carow. Wegen Margaretha und der für sie aufzuwendenden Unterhaltszahlungen kam es zu einer Trennung der Eheleute. Johanna Carow lebte ab 1931 mit ihren sechs Kindern in Dresden.

In Hamburg wurde ab 1934 das "Hamburger Gesundheitspassarchiv" zum Zwecke der "erbbiologischen Bestandsaufnahme" der Bevölkerung aufgebaut. Dafür erstellten auch die "Alsterdorfer Anstalten" Karteikarten (bezeichnet als "Erbgesundheitskarteikarte" oder "Sippschaftstafel"), auf denen Familienstammbäume und Kurzbeschreibungen der Bewohner in einer durchgängig abwertenden und verurteilenden Sprache festgehalten wurden. Die "Erbgesundheitskarteikarte" für Margaretha Severin ist noch erhalten. Darauf heißt es: "Pat.[ientin] ist durch ihre rechtsseitige Lähmung sehr behindert, braucht Hilfe bei der Körperpflege. Sie ist auch nur sehr wenig zu beschäftigen, macht Handarbeiten, die nur sehr langsam vonstatten gehen. Da sie größenwahnsinnig ist, kommt es oft zu Streitigkeiten. Sie kann sehr erregt werden und wird dann auch tätlich. Schimpft oft [mit] sehr mit häßlichen Ausdrücken." Als Diagnose wurde "Epilepsie, Porencephalie, Imbezillität" angegeben.
(Die Porenzephalie ist nach bisherigem Kenntnisstand eine angeborene oder vor der Geburt erworbene Hirnmissbildung. Imbezillität ist ein nicht mehr gebräuchlicher Ausdruck für eine mittelgradige geistige Behinderung.)

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die "Alsterdorfer Anstalten" Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Mit einem dieser Transporte wurden am 16. August 1943 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") in Wien "verlegt".

Unter den nach Wien abtransportierten Mädchen und Frauen befand sich auch Margaretha Severin. Sie starb dort am 2. Juni 1944.
Über die Umstände ihres Todes sind in Margaretha Severins Patientenakte keine Angaben enthalten.

Die Anstalt in Wien war während der ersten Phase der NS-"Euthanasie" vom Oktober 1939 bis August 1941 eine Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Nach dem offiziellen Ende der Morde in den Tötungsanstalten wurde in bisherigen Zwischenanstalten, also auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter gemordet: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheit, vor allem aber durch Nahrungsentzug. Bis Ende 1945 kamen von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg 257 ums Leben.

Margaretha Severin hatte über viele Jahre bei ihrer Pflegemutter in der Barmbeker Straße 165 gewohnt. Aber auch Margarethas Großeltern waren intensiv um ihre Enkeltochter besorgt, besonders während der Übergangszeit, als die Pflegemutter überfordert gewesen war, bis zur Aufnahme in den Alsterdorfer Anstalten. Wegen der familiären Verbindung wurde der Stolperstein zur Erinnerung an Margaretha Hertha Auguste Severin vor dem Wohnhaus der Großeltern, Schlump 27, in den Fußweg eingelassen.

Stand: Oktober 2025
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg (diverse Jahrgänge); StaH 332-5 Standesämter 13616 Geburtsregister Nr. 1924/1901 (Margaretha Bertha Severin). Standesamt Berlin-Schöneberg Sterberegister Nr. 1/1948 (Ferdinand Carl Heinrich Ludwig Carow). Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Erbgesundheitskarteikarte Margarete Severin, Sonderakte V 248 Margarethe Hertha Auguste Severin. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 331-371. Peter von Rönn, Der Transport nach Wien, in: Peter von Rönn u.a., Wege in den Tod, Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 425-467. Peter Schwarz, Die Heil- und Pflegeanstalt Wien-Steinhof im Ersten und Zweiten Weltkrieg, in: Markus Rachbauer, Florian Schwanninger (Hg.), Krieg und Psychiatrie, Lebensbedingungen und Sterblichkeit in österreichischen Heil- und Pflegeanstalten im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Innsbruck/Wien 2022.

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