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Erna Meyer (geborene Nacke) * 1898
Flotowstraße 15 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)
HIER WOHNTE
ERNA MEYER
GEB. NACKE
JG. 1898
EINGEWIESEN 1935
VERSORGUNGSHEIM HAMBURG
‚VERLEGT‘ ‚HEILANSTALT‘
MESERITZ-OBRAWALDE
ERMORDET 9.3.1944
Erna Paula Liesbeth Meyer, geb. Nacke, geb. am 12.2.1898 in Hamburg, Patientin der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg vom 7.11.1927 bis 23.12.1927 und vom 22.8.1931 bis 17.6.1935, aufgenommen in einem Versorgungsheim am 17.6.1935, verlegt in die Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde, dort ermordet am 9.3.1944
Flotowstraße 15 (Barmbek-Süd)
Erna Paula Liesbeth Meyer (Rufname Erna), geborene Nacke, kam am 12. Februar 1898 in Hamburg zur Welt. Sie war die Tochter des Korbmachers Gustav Herrmann Nacke, geboren am 26. April 1870 in Helfenberger Grund bei Dresden, und seiner Ehefrau Pauline, geborene Kaiser, geboren am 24. Januar 1875 in Zduny, südlich von Danzig gelegen. Die Eltern hatten am 5. September 1893 in Hamburg geheiratet.
Erna Nackes älterer Bruder, Waldemar Gustav Hermann, geboren am 28. August 1893, war in Hamburg, ihre am 18. Juli 1907 geborene jüngere Schwester Hertha Margarete Martha, in Dresden zur Welt gekommen. Dort besuchte Erna Nacke die Schule bis zur Ersten Klasse (die Erste Klasse war damals die höchste). Danach war sie als Blumenbinderin tätig.
Familie Nacke kehrte wahrscheinlich 1914 nach Hamburg zurück. 1915 war sie im Hamburger Adressbuch in der Weidestraße 67 in Barmbek eingetragen, kurz darauf in der Flotowstraße 15 im heutigen Barmbek-Süd.
In der Weidestraße 67 wohnte auch Erna Nackes späterer Ehemann Hermann Meyer, geboren am 26. Dezember 1890.
Die siebzehnjährige Erna Nacke und der 24 Jahre alte Hermann Meyer heirateten am 24. Juli 1915 in Hamburg. Erna Meyer war auch zur Zeit der Eheschließung als Blumenbinderin tätig. Ihre in der Heiratsurkunde eingetragene Adresse lautete Bergstraße 26. Wahrscheinlich wohnte und arbeitete sie in der Blumenhandlung der Gebrüder Seyderheim, die dort ihr Geschäft hatten. Wie schon Erna Nackes Vater war auch ihr Ehemann Korbmacher. Hermann Meyer wohnte zur Zeit der Eheschließung in Kirchwärder (Kirchwärder war zu der Zeit geteilt. Ein Teil gehörte zu Hamburg, der andere, wo Hermann Meyer lebte, hieß Preußisch-Kirchwärder und war dem Amt Winsen unterstellt. Deshalb hieß dieser Teil in den Dokumenten "Kirchwärder, Kreis Winsen an der Luhe". Er kam 1938 infolge des Groß-Hamburg Gesetzes zu Hamburg).
Das junge Paar mietete eine Wohnung in Hamburg in der Schumannstraße 45a, damals im Stadtteil Uhlenhorst, heute Barmbek-Süd. Dort lebte Erna Meyer während der Militärzeit ihres Mannes allein mit der am 3. September 1917 geborenen Tochter Irmgard.
Hermann Meyer, der als Soldat im Ersten Weltkrieg an der Westfront teilnehmen musste, kehrte erst 1920 aus der Gefangenschaft zurück und trug schwer an einem Kriegstrauma.
Auch Erna Meyers Vater leistete Militärdienst im Ersten Weltkrieg. Er kam am 4. Mai 1917 ums Leben und wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Dort erinnert ein Grabstein an ihn.
Die Witwe, Erna Meyers Mutter, heiratete im Jahr 1919 den Korbmacher Emil Max Schuster, geboren am 14. November 1872 in Herzberg im damaligen Kreis Schweinitz (heute Sachsen-Anhalt). Pauline, verheiratete Schuster, verwitwete Nacke, lebte viele Jahre auch mit ihrem zweiten Ehemann in der Flotowstraße 15.
Nach Hermann Meyers Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft kamen in der Schumannstraße die Kinder Elfriede am 15. Dezember 1920 und Gerhard am 22. September 1922 zur Welt. Vermutlich wurde die Wohnung für die nun fünfköpfige Familie zu klein. Die Familie zog 1923 oder 1924 nach Hamburg-Moorfleth, Elbdeich 123. Hier wurde am 27. Juni 1927 Marianna Meyer geboren.
In Moorfleth trafen Erna Meyer zwei schwere Schicksalschläge. Die älteste Tochter Irmgard ertrank 1924, der Sohn Gerhard 1926, beide in der Dove Elbe.
In der Familie hieß es später, dass Ernas psychische Instabilität mit dem Ertrinken ihrer Kinder begann. Hermann Meyer hatte die Leichname beider Kinder jeweils tagelang in der Dove Elbe gesucht und dann auch gefunden. In der Familie wurde erzählt, Erna Meyer habe nach Gerhards Tod, schon schwanger mit Marianna, in der Dove Elbe Suizid begehen wollen.
Erna Meyer war nun zeitweise nicht mehr in der Lage Haus und Kinder zu versorgen. Nachdem sie, wie ihr Ehemann berichtete, Wahnideen geäußert, ihn mit starker unbegründeter Eifersucht geplagt habe und misstrauisch gegenüber den Nachbarn gewesen sei, die sie angeblich durch Gedankenübertragung beeinflussen würden, zog ihr Ehemann den Hausarzt Lohse zu Rate. Er sah in den – wie es hieß – zunehmenden nervösen bis psychischen Störungen eine Gefahr für sie selbst und für ihre Angehörigen und wies Erna Meyer in eine Anstalt ein. Erna Meyer kam vom 1. bis 7. November 1927 zur Beobachtung in das Hamburger Hafenkrankenhaus. Von dort wurde sie mit der Diagnose "paranoide Psychopathie" am 7. November 1927 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg verlegt.
Marianna, die jüngste Tochter, war zu dieser Zeit vier Monate, Elfriede 6 Jahre alt.
Die Verlegung nach Friedrichsberg geschah gegen Erna Meyers Willen. Sie wusste nicht, weshalb sie dort eingewiesen wurde, fühlte sich falsch eingeschätzt und zeigte keinerlei Krankheitseinsicht. Bei der Aufnahme dort soll sie einen "gespannten Gesichtsausdruck" gehabt haben, etwas "läppisch" (albern, leere Heiterkeit mit Anstrich des Einfältigen) und affektschwach (Affekte=Gemütserregungen) gewesen sein, aber nach jeder Richtung orientiert. Über den Tod der beiden Kinder soll sie sich lächelnd, ohne einen adäquaten Affekt, geäußert haben. In ihrer Krankenakte heißt es: "Sie stellte alle vom Mann vorgeschichtlich angegebenen krankhaften Symptome in Abrede, äußerte sich ausweichend und zerfahren. Ihr Affekt war gleich Null und nie der Situation entsprechend, ihre Mimik war steif und leer, ihre Haltung gebunden. So blieb die Kranke während der ganzen Beobachtung. Sie beschäftigte sich etwas, zeigte aber keine gesunden Interessen und hatte keinen natürlichen Rapport mit ihrer Umgebung. […] Sie wurde ungeheilt gegen ärztlichen Rat am 23. Dezember 1927 zu ihrer Mutter entlassen."
1929/1930 leitete ihr Ehemann die Scheidung ein. In der Familie wurde erzählt, er wollte zur Versorgung der Kinder und des Haushalts eine neue Ehe eingehen. Die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg übergab dem Landgericht Hamburg ein umfangreiches Gutachten darüber, ob Erna Meyer infolge seelischer Erkrankung in der Lage sei, "ihre Pflichten als Ehefrau zu erfüllen und ob sie prozessfähig ist, ferner um welche Art der Erkrankung es sich handelt". Darin wurde festgestellt: "Mit Sicherheit ist die Beklagte in Geisteskrankheit verfallen. […] Es ist auch jede Aussicht auf Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft [mit dem Ehemann] ausgeschlossen. Die vorliegende Erkrankung befindet sich schon in einem vorgerückten Stadium, besonders bezüglich des Grundsymptoms der Affektstörungen, so dass man schon […] von einer Verblödung mäßigen Grades in dieser Richtung sprechen muss. Die Prognose solcher Erkrankung, wenn sie einmal in ein solches Stadium vorgerückt ist, ist schlecht. Eine Rückbildung der als wesentlich aufgeführten Symptome ist nicht zu erwarten. Das Günstigste was die Kranke treffen kann, ist ein Stillstehen der Erkrankung in dem jetzigen Stadium."
Die Ehe zwischen Erna und Hermann Meyer wurde mit Wirkung vom 8. Februar 1931 geschieden. Am 24. September 1932 heiratete Hermann Meyer erneut. Seine zweite Frau, Greetje Henriette Therese Freese, brachte die Tochter Else Freese, geboren 1922, mit in die Ehe.
Während Erna Meyers Krankenhausaufenthalt – so die Familienerzählungen – hatten Hermann Meyer und eine seiner Schwestern für die beiden Töchter gesorgt. Nach Hermann Meyers zweiter Heirat lebten die Mädchen in der neuen Familie.
Am 22. August 1931 wurde Erna Meyer erneut in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen. Sie hatte nach der Ehescheidung bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in der Flotowstraße 15 gewohnt. Wilhelm Weygandt, der ärztliche Direktor der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, berichtete im Oktober 1931 an die Wohlfahrtsbehörde Hamburg: "Die Prognose der zum zweiten Male hier eingewiesenen Kranken ist schlecht. Vielleicht gelingt es, sie noch einmal zu der Mutter zu entlassen, wahrscheinlich aber wird sie bald wieder zurückkehren und dauernd anstaltsbedürftig bleiben".
Im Zuge der Räumung der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg ab 1934 kamen Patientinnen und Patienten von dort wahrscheinlich auch in das Versorgungsheim Oberaltenallee, sicher jedoch in das Versorgungsheim Farmsen. Wahrscheinlich als Teil dieser Umstrukturierung wurde Erna Meyer am 17. Juni 1935 in die Zweiganstalt Farmsen eingewiesen.
Ab Februar 1941 wurden Bewohnerinnen und Bewohner unter dem Vorwand, sie sollten vor den Gefahren des Luftkriegs geschützt werden, aus dem Versorgungsheim Farmsen abtransportiert. Wir wissen von mindestens zwei Transporten, die im März und im August 1941 mit dem Ziel "Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde" in der damaligen Provinz Brandenburg (Międzyrzecz, heute Polen) erfolgten. Mit einem dieser Transporte wurde auch Erna Meyer dorthin gebracht.
Die Anstalt Meseritz-Obrawalde war seit 1942 ein Ort der dezentralen "Euthanasie". Unmittelbar nach Ankunft der Patientinnen und Patienten entschied das ärztliche Personal aufgrund deren körperlicher Verfassung darüber, ob jemand sofort zur Tötung bestimmt wurde oder zunächst noch arbeiten musste, z.B. in der Gärtnerei oder in der Nähwerkstatt. Die nicht mehr Arbeitsfähigen erhielten Medikamente, die zum Tode führten.
Erna Meyer überlebte drei Jahre in der Anstalt Meseritz-Obrawalde, sie starb dort am 9. März 1944.
Stand: Juli 2024
© Ingo Wille
Quellen: StaH 332-5 9086 Geburtsregister Nr. 1429/1893 (Waldemar Gustav Hermann Nacke), 6366 Geburtsregister Nr. 491/1898 (Erna Paula Liesbeth Nacke), 2814 Heiratsregister Nr. 995/1893 (Gustav Herrmann Nacke/Pauline Kaiser), 6523 Heiratsregister Nr. 313/1915 (Erna Paula Liesbeth Nacke/Hermann Meyer), 6556 Heiratsregister Nr. 620/1919 (Emil Max Schuster/Paulina verw. Nacke geb. Kaiser), 6962 Sterberegister Nr. 1140/1917 (Gustav Herrmann Nacke); Standesamt Dresden III, Geburtsregister Nr. 1286/1907 (Hertha Margarete Martha Nacke); Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Hamburg, Archiv, (Patientenakte Erna Meyer der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Peter von Rönn u.a., Wege in den Tod, Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 377 ff. Auskünfte von Stefanie Enns.

