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Günther Penning * 1933
Flotowstraße 14 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)
HIER WOHNTE
GÜNTHER PENNING
JG. 1933
EINGEWIESEN 1936
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 7.8.1943
‚HEILANSTALT‘
KALMENHOF / IDSTEIN
ERMORDET 4.9.1943
Günter Penning, geb. 12.2.1933 in Hamburg, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) erstmalig am 26.6.1935 und erneut am 2.11.1936, abtransportiert nach Idstein im Rheingau in die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" am 7.8.1943, dort gestorben am 4.9.1943
Flotowstraße 14, Barmbek-Süd
Günter Penning kam am 12. Februar 1933 in der Frauenklinik in der Straße Finkenau im Hamburger Stadtteil Uhlenhorst zur Welt. Sein Vorname wurde auch in offiziellen Dokumenten oft Günther geschrieben. In seiner Geburtsurkunde heißt er Günter (ohne h).
Seine Eltern, der Postbeamte Rudolf Johann Friedrich Penning, geboren am 1. Januar 1896 in Krenzlinerhütte (Mecklenburg), und seine Ehefrau Henny Berta Ella, geborene Prösch, geboren am 20. September 1902 (Geburtsort nicht bekannt), wohnten mit ihrem älteren Sohn Walter, geboren am 30. Juni 1927, in der Flotowstraße 14 im Stadtteil Barmbeck (heute Barmbek-Süd).
Günter Penning hatte von Geburt an eine Fehlstellung der Augen, so dass er schielte.
Nach den Berichten seiner Eltern entwickelte sich Günter zunächst gut. Ihnen fiel dann auf, dass das Kind sich anders verhielt als sein Bruder. Das Kind aß schlecht, es schluckte nicht und verweigerte weitgehend feste Nahrung.
Die Eltern stellten den Jungen mehrmals dem Kinderarzt W. Roggenkämper vor, der ihn im April 1934 zur Beobachtung in die Kinderklinik des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg in der Baustraße (heute Hinrichsenstraße) einwies. Wir kennen weder die Dauer noch die Ergebnisse dieses Krankenhausaufenthaltes.
Am 21. Juni 1935 wurde Günter Penning mit der Diagnose Gastritis (Entzündung der Magenschleimhaut) und Dyspepsie (meist auf den Magen bezogene Beschwerden im Oberbauch) zur Beobachtung im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek aufgenommen. Nach dem Krankenbericht machte er einen ängstlichen Eindruck. Wenn jemand an sein Bett herantrat, fing er an zu schreien. Er reagierte auf Ansprache nur mit Weinen. Weiter besagt der Bericht, Günter habe den ganzen Tag im Bett gelegen, ohne sich zu bewegen und an seinem Finger gelutscht. Auch während des Aufenthalts im Barmbeker Krankenhaus sei die Nahrungsaufnahme schlecht gewesen. Der ärztliche Direktor des Krankenhauses Edgar Reye, diagnostizierte eine "einfache Idiotie". ("Idiotie" ist ein nicht mehr gebräuchlicher Begriff für eine schwere Form der Intelligenzminderung). Die weitere Entwicklung müsse abgewartet werden.
Auf Empfehlung von Edgar Reye wurde Günter Penning am 26. Juni 1935 zur Beobachtung in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen und am 11. September 1935 nach Hause zu den Eltern entlassen.
Am 2. November 1936 brachten die Eltern ihren Sohn wieder in die Alsterdorfer Anstalten, weil er ihnen große Schwierigkeiten bereitet habe. Dort wurde er als vollkommen hilfs- und pflegebedürftig beschrieben. Er könne nicht laufen und nicht sprechen. Auf seiner Patientenakte steht in roter Schrift die Diagnose "Idiotie".
Sie enthält im Laufe der Zeit einige Eintragungen zu üblichen Erkrankungen wie Grippe, Mandelentzündung, ein Exzem oder Furunkel. Eine Diphterie erforderte einen vierwöchigen Krankenhausaufenthalt. Einmal brach er sich das Schlüsselbein.
Erst im September 1938 findet sich wieder ein kurzer Bericht über Günter Pennings Zustand in seiner Patientenakte. Danach musste er weiterhin in der Körperpflege versorgt und auch gefüttert werden. Allerdings konnte er Brot, Schokolade und Obst essen. Sein Wesen wurde als freundlich beschrieben. Er freue sich, wenn man sich mit ihm beschäftige. An die Hand genommen, könne er schon etwas laufen.
Im Gegensatz zum Arzt Edgar Reye, der im Barmbeker Krankenhaus zwar einen kleinen Hirnschädel, aber explizit keine Mikrocephalie festgestellt hatte, wurde von den Alsterdorfer Anstalten im Oktober 1938 gegenüber dem Polizeipräsidenten Hamburg erklärt, dass eine "eigentlich anstehende gesetzliche Impfung wegen der Mikrocephalie" unterbleiben könne. (Mikrocephalie bezeichnet einen abnorm kleinen Kopf, oft infolge eines zu kleinen oder nicht normal entwickelten Gehirns).
1941 musste der Junge immer noch gefüttert werden. Die Körperpflege erforderte die Hilfe des Betreuungspersonals und er nässte ein. Zeitweise soll er sehr lebhaft gewesen sein, meistens habe er aber still auf seinem Stuhl gesessen und keinen Anteil an seiner Umgebung genommen. Er konnte weder sprechen noch selbstständig laufen. 1942 wurde der neunjährige Junge dem Männerbereich der Anstalt zugeteilt.
Im März 1943 hieß es, Günter Penning sei "Liegekind". Er sei Tag und Nacht unrein, spiele und beschäftige sich nicht, reagiere aber manchmal auf Anruf. Sobald er keine "Schutzjacke" trage, kneife er sich mit beiden Händen in die Wangen und beschmiere sich mit Speichel. Er werde mit eingeweichtem Brot und Kartoffelbrei gefüttert. Über den Besuch der Eltern freue er sich.
Die ohnehin wenigen Einträge in Günter Pennings Krankenakte endeten am 7. August 1943: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalt durch Fliegerangriff verlegt nach Idstein. Gez. Dr. Kreyenberg".
Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch nutzte die Gelegenheit, sich eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Er bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt.
Mit dem ersten Transport am 7. August 1943 wurden zusammen 128 Mädchen, Jungen und Männer in die Heil- und Pflegeanstalt Eichberg im Rheingau (76) und die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" bei Idstein (52) abtransportiert. Günter Penning gehörte zu den 52 Kindern, die am 8. August 1943 in der "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" ankamen.
Ursprünglich war die 1888 gegründete Anstalt Kalmenhof eine fortschrittliche, pädagogisch orientierte Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen gewesen. 1939 wurde sie in das "Euthanasie"-Programm der "Aktion-T4" (eine Tarnbezeichnung nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) einbezogen. Die Patientinnen und Patienten wurden von dort in die benachbarte Tötungsanstalt Hadamar verlegt und mit Gas ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der "Euthanasie"-Morde im August 1941 richtete die zur Berliner "Euthanasie"-Zentrale gehörende Tarnorganisation "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" im Kalmenhof eine "Kinderfachabteilung" ein, in der Kinder durch überdosierte Medikamente wie Luminal, Skopolamin oder Morphium getötet wurden.
Der zehn Jahre alte Günter Penning starb nur sieben Tage nach seiner Ankunft in der "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" am 4. September 1943. Als Todesursache wurde auf der Sterbeurkunde "Idiotie, Gastroenteritis, Marasmus" angegeben. (Marasmus ist eine Erkrankung, die in Folge einer chronischen quantitativen Mangelernährung entsteht).
Es ist als sicher anzunehmen, dass Günter Penning getötet wurde.
Stand: Juli 2024
© Ingo Wille
Quellen: Adressbuch Hamburg (mehrere Jahrgänge), Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 73 (Günter Penning). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 289 ff.

