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Eduard Reinitz
Eduard Reinitz (für die Fotografie wurde der Kopf gestützt)
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Eduard Reinitz * 1936

Rostocker Straße 16 b (Hamburg-Mitte, St. Georg)


HIER WOHNTE
EDUARD REINITZ
JG. 1936
EINGEWIESEN 1938
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT’ 10.8.1943
‚HEILANSTALT‘ MAINKOFEN
ERMORDET 27.12.1944

Eduard Hermann Reinitz, geb. 25.1.1936 im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 18.8.1938, abtransportiert in die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen am 10.8.1943, dort gestorben am 27.12.1944

Rostocker Straße 16 b (St. Georg)

Eduard Hermann Reinitz (Rufname Eduard) wurde am 25. Januar 1936 im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg in Hamburg geboren. Er und seine Mutter Erna Luise Reinitz, geborene Braasch, geboren am 2. Januar 1908 in Schwartau, konnten das Krankenhaus am 3. Februar 1936 verlassen. Sein Vater war der Arbeiter Julius Eduard Hermann Reinitz, geboren am 22. Juli 1904 in Hamburg. Die Familie wohnte in der Rostocker Straße 14, später in einem Hinterhaus in der Rostocker Straße 16 im Stadtteil St. Georg.

Eduard Reinitz‘ Geburt verlief problemlos. Bei dem Jungen zeigte sich jedoch bald wie schon bei seiner Mutter eine stark vergrößerte Schilddrüse.

Am 9. August 1938 brachten die Eltern ihren Sohn ins Krankenhaus St. Georg. Nach dem Krankenhausbericht verhielt er sich bei seiner Einlieferung außerordentlich laut, schlug sich dauernd an den Kopf, als ob er Ohrenschmerzen habe, und schrie, war in keiner Weise ansprechbar und reagierte auf nichts. Die Diagnose lautete "Rachitis" (auch bekannt als Englische Krankheit), Hydrocephalus und "angeborener Schwachsinn".
(Hydrocephalus, auch als "Wasserkopf" bezeichnet, ist eine Erkrankung, bei der sich übermäßig viel Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit im Schädelinneren ansammelt. Der heute nicht mehr verwendete Begriff "Schwachsinn" bezeichnete eine Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche.)

Als sich das Krankenhaus St. Georg außerstande sah, Eduard Reinitz wegen seines lauten Verhaltens weiterhin im Krankenhaus zu behandeln, verlegte es den Jungen am 18. August 1938 "zur weiteren Klärung der Diagnose" in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Der Patientenakte zufolge konnte Eduard Reinitz gehen, wenn er an der Hand geführt wurde, aber nicht sprechen und hörte nicht auf seinen Namen. Mit Spielsachen konnte er nichts anfangen; er spielte oft mit seinen Fingern. Nach diesen Feststellungen wurde er wieder in das Allgemeine Krankenhaus St. Georg zurückverlegt und bald darauf zu seinen Eltern entlassen.

Am 8. Februar 1939 wurde Eduard Reinitz zum zweiten Mal in die Alsterdorfer Anstalten eingewiesen. Nach überstandener Lungenentzündung habe sich der Junge laut Patientenakte wie schon früher verhalten. Es hieß, er könne gut sitzen. An beiden Händen angefasst, stehe er unsicher, an der Hand geführt, könne er gehen. Er, der Dreijährige, benötige bei der Körperpflege Hilfe. Er zeige guten Appetit, müsse aber gefüttert werden. Er nässe und schmutze am Tag und bei Nacht ein. Wie früher hieß es, er wisse mit Spielsachen nichts anzufangen und spiele stattdessen oft mit seinen Fingern. Eduard könne nicht sprechen, höre auch nicht auf seinen Namen. Das Kind sei "immer verschlampt" und schreie andauernd.

Die Berichte wiederholten sich in gleicher Weise, bis schließlich am 11. August 1943 der Alsterdorfer Oberarzt Gerhard Kreyenberg notierte, "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten, durch Fliegerangriff verlegt nach Mainkofen."

Die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen, in der vornationalsozialistischen Zeit ein psychiatrisches Krankenhaus, wurde während der nationalsozialistischen Herrschaft systematisch zu einer Sterbeanstalt entwickelt. Von dort wurden während der ersten Phase der "Euthanasie" bis August 1941 Menschen in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim in der Nähe von Linz verschleppt und mit Gas ermordet. 606 von ihnen sind namentlich bekannt (Stand 2016). Nach dieser ersten Phase wurden die Patientinnen und Patienten in Mainkofen selbst ermordet, und zwar durch Nahrungsentzug im Rahmen des "Bayrischen Hungererlasses" (Hungerkost, fleisch- und fettlose Ernährung, in Mainkofen als "3-b Kost" bezeichnet), pflegerische Vernachlässigung und überdosierte Medikamentengaben. Nach dem Wissensstand von 2016 starben 760 Mainkofener Anstaltsbewohner an Unterernährung. Als angebliche Todesursache wurde insbesondere Darmkatarrh, Tuberkulose, Lungenentzündung bzw. Lungentuberkulose angegeben.

In Mainkofen wurde Eduard Reinitz im Wesentlichen wie schon in den Alsterdorfer Anstalten beurteilt. Im Dezember 1943 hieß es: "Psychisches Verhalten des Patienten gegenüber früheren Berichten völlig unverändert. Es besteht ein erheblicher Grad von Schwachsinn. Patient ist vollkommen unselbständig, eine Verständigung ist nicht möglich. Er versteht die gegebenen Befehle kaum. Zeitweilig ist Patient laut, besonders nachts unruhig, mit anderen Kindern hat er keinen Connect, steht allein herum, spielt nicht, beschäftigt sich mit seinen Fingern, schmiert Speichel herum, ist äußerst unsauber, zeitweilig unrein."

Während des folgenden Jahres wurden in Mainkofen keine weiteren Einträge in Eduard Reinitz‘ Patientenakte vorgenommen, auch keine Hinweise auf einen sich verschlechternden körperlichen Zustand. Er starb am 27. Dezember 1944, angeblich an Lungentuberkulose. Es darf als wahrscheinlich angenommen werden, dass Eduard Reinitz nicht auf natürliche Weise ums Leben kam.
Eduard Reinitz wurde sieben Jahre alt.

Erna Reinitz, deren Ehemann am 22. Oktober 1943 als Pioniersoldat auf dem "östlichen Kriegsschauplatz" sein Leben verloren hatte, erhielt per Telegramm Nachricht vom Ableben ihres Sohnes. Sie antwortete sofort: "Komme zur Beerdigung meines Kindes. Bitte um gute Beerdigung. Blumen besorgen. Bezahle alles." Erna Reinitz war die einzige Angehörige der nach Mainkofen abtransportierten Alsterdorfer Kranken, der es gelang, an der Beerdigung ihres Kindes teilzunehmen.

Am 11. Januar 1945 wandte sich Eduards Mutter schriftlich an die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen. Sie schrieb: "Ich bitte Sie mir über den Krankheitszustand meines Sohnes Eduard Reinitz, der am 27.12.44 verstorben ist, zu schreiben. Mir wurde in Hamburg, in den Alsterdorfer Anstalten, wo mein Sohn vorher war, von den Ärzten gesagt, wenn das Kind tot ist, könnten Sie es genau sagen, woher es kommt, da es nicht erblich ist. Da ich vorige Woche 2mal vergeblich auf den Arzt gewartet habe, bitte ich Sie, darüber zu berichten.
Mit deutschem Gruß Fr. E. Reinitz".

Es ist nicht festzustellen, ob Erna Reinitz jemals eine Antwort erhielt.

Stand: März 2025
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg 1934; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 458 (Eduard Reinitz).

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