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Hans Kühl * 1900
Wandsbeker Stieg 44 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)
HIER WOHNTE
HANS KÜHL
JG. 1900
EINGEWIESEN 1931
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
13.10.1943
‚HEILANSTALT‘ WEILMÜNSTER
ERMORDET 5.5.1944
Hans Hermann Richard Kühl, geb. 6.11.1900 in Elberfeld, vom 28.1.1918 bis 6.11.1931 im Kinder- und Pflegeheim Vorwerk in Lübeck, anschließend in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), am 7.8.1943 verlegt in die Landesheilanstalt Eichberg in Eltville (Hessen), weiterverlegt am 13.10.1943 in die Landesheilanstalt Weilmünster am Taunus, dort gestorben am 5.5.1944
Wandsbeker Stieg 44 (Hohenfelde)
Hans Hermann Richard Kühl (Rufname Hans), geboren am 6. November 1900 in Elberfeld, war eines von sieben Kindern des Ingenieurs Johann Hans Friedrich Kühl, dessen Geburtsdaten wir nicht kennen, und seiner Ehefrau, der Lehrerin Emilie Mathilde Anna (Rufname Anna), geborene Bockhorn, geboren am 18. Juni 1868. Die Familie stammte aus Elberfeld, heute ein Stadtteil von Wuppertal. Nicht nur Hans Kühl wurde dort geboren, auch seine ältere Schwester Magdalena Mathilde Gertrud kam dort am 23. April 1898 zur Welt.
Die Familie wechselte, vielleicht, weil der Vater sich beruflich veränderte, mehrere Male den Wohnort. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass Hans Kühl in Leipzig die neunte Klasse einer Hilfsschule und dann in Zerbst die 9. und die 8. Klasse der Hilfsschule je zweimal besuchte. (Zerbst liegt etwa auf halbem Weg zwischen den Städten Magdeburg und Wittenberg im heutige Sachsen-Anhalt. Die 8. und die 9. Klasse waren damals die niedrigsten).
Nach einem Aufenthalt in einem Erziehungsheim in Neubrandenburg bis Dezember 1917 wurde Hans Kühl am 28. Januar 1918 Bewohner des Erziehungs- und Pflegeheims Vorwerk in Lübeck. 1931 berichtete der behandelnde Arzt Furthmann gegenüber den Alsterdorfer Anstalten über Hans Kühl: Der junge Mensch sei im Garten beschäftigt worden – das Ziel sei gewesen, ihn gärtnerisch nach Maßgabe seiner geistigen Kräfte auszubilden. Seine Fortschritte aber seien nur gering gewesen. "Genuine Epilepsie" (angeborene Epilepsie) sei der Anstalt Vorwerk schon bei der Aufnahme als Grundkrankheit mitgeteilt worden. Dann und wann seien Anfälle aufgetreten, die aber durch Brom- und später durch Luminal hätten zurückgehalten werden können. In den letzten zwei Jahren seines Aufenthalts in Vorwerk hätten sich mehr und mehr Erregungszustände gezeigt, während die Zahl seiner epileptischen Anfälle gering geblieben sei. Der Arzt erwähnte insgesamt sieben Anfälle zwischen dem 2. Oktober 1930 und dem 18. Juli 1931. In derselben Zeitspanne habe Bettruhe an 97 Tagen verordnet werden müssen. Arbeitswilligkeit und -fähigkeit Kühls hätten mehr und mehr abgenommen, und starke Luminalgaben hätten verabfolgt werden müssen. Dadurch sei Hans Kühls Verbleiben im Vorwerker Heim, das seine Aufgabe in erster Linie in Erziehung und Unterricht und Arbeitsgewöhnung Jugendlicher Zöglinge sähe, unmöglich. Deshalb sei um anderweitige Unterbringung gebeten worden.
Familie Kühl wohnte schon seit etwa 1917 in der Straße Wandsbeker Stieg 44 in Hamburg-Hohenfelde. Hans Kühls Vater war am 29. Mai 1929 in Elberfeld verstorben. Die damals 61 Jahre alte Anna Kühl sah sich außerstande, ihren Sohn zu Hause zu versorgen und zu betreuen. Er wurde am 11. November 1931 in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Die schon in Vorwerk beobachteten Verhaltensweisen setzen sich lt. Patientenakte in Alsterdorf fort. Nach einer zunächst sehr ruhigen Phase hielt Hans Kühl später den Kopf eines Mitpatienten in der Badewanne unter Wasser und nahm gegenüber dem Pfleger eine drohende Haltung ein. Hans Kühn weigerte sich zur Arbeit zu gehen, aß am Abend nichts und weinte öfter.
Nach Wochen fleißiger und ruhiger Arbeit in der Bürstenmacherei folgte eine Zeit, in der Hans Kühl nach den Eintragungen in seiner Patientenakte stark erregt, eigensinnig und faul gewesen sei und gedroht habe, sich die Hand abschneiden zu wollen. Er sei phasenweise benommen und unsicher auf den Beinen gewesen.
Als er längere Zeit das Essen verweigerte, wurde er schließlich mit einer Sonde ernährt. Auch 1932 traten laut Eintragungen in der Patientenakte Phasen starker Erregtheit und Verwirrtheit auf. Mehrmals wollte er das Anstaltsgelände verlassen, "um nach Neubrandenburg in die Gärtnerei zu gehen".
Anfang 1933 lag Hans Kühl erkrankt an Grippe und Lungenentzündung in der Krankenabteilung der Anstalt. Danach befand er sich im April und Mai in einem "epileptischen Dauerzustand". Im weiteren Verlauf des Jahres häuften sich Berichte über starke Erregtheit, Aggressivität, Streitsucht, unterbrochen durch "epileptische Dauerzustände", die sich ähnlich auch in den Folgejahren zeigten.
Seine Familie hielt all die Jahre Kontakt zu Hans Kühl, und er erhielt immer wieder Urlaub für Besuche dort.
Seit 1937 betrieben die Alsterdorfer Anstalten Hans Kühls Sterilisation. Mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom Juli 1933 hatten die Nationalsozialisten die formale Rechtsgrundlage zur zwangsweisen "Unfruchtbarmachung" vermeintlich "Erbkranker" und "Alkoholiker" hergestellt. Nach diesem Gesetz konnte ein Mensch unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn befürchtet wurde, dass er diese Schäden weiter vererbte. (s. Reichsgesetzblatt I Nr. 86/1933 S. 146 ff.).
Die Alsterdorfer Anstalten schickten der Mutter im Oktober ein Merkblatt und ein Antragsformular auf Unfruchtbarmachung. Ohne deren Antwort abzuwarten, beantragten die Alsterdorfer Anstalten am 6. Oktober 1937 beim Erbgesundheitsgericht Hamburg Hans Kühls Unfruchtbarmachung. Sie schrieben zur Begründung: "Bei dem Patienten handelt es sich um einen erheblich dementen Epileptiker, bei dem häufige Erregungszustände auftreten, in denen er für seine Umgebung eine gewisse Gefahr bedeutet, da er in seiner Wut wild um sich schlägt. Er ist für eine nutzbringende Beschäftigung nicht zu gebrauchen. Exogene Momente, die sein Leiden verursacht haben könnten, sind nicht vorhanden. Patient leidet ein genuiner Epilepsie, die Sterilisation ist deshalb erforderlich."
Anna Kühl reagierte am 21. Oktober 1937 auf das übersandte Antragsformular gegenüber den Alsterdorfer Anstalten: "In Anbetracht der Tragweite des zu stellenden Antrages, möchte ich davon absehen, ihn von mir aus zu stellen. Gegen einen auf Sterilisation meines Sohnes belastenden Beschluss des Erbgesundheitsgerichts werde ich keinen Einspruch erheben."
Ein Urlaubsgesuch im Dezember wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Operation noch nicht vollzogen sei.
Der Eingriff wurde im Universitätskrankenhaus Eppendorf durchgeführt. Hans Kühl war am 21. Februar 1938 eingewiesen worden, wo er bis zum 28. Februar blieb.
Wegen Erregtheit wurde Hans Kühl 1938 und in den Folgejahren wiederholt in den Wachsaal eingewiesen. (In "Wachsälen" in den Psychiatrischen Anstalten wurden unruhige Kranke isoliert und mit Dauerbädern, Schlaf- sowie Fieberkuren behandelt. In den Alsterdorfer Anstalten wurden sie Ende der 1920er Jahre eingeführt. Im Laufe der 1930er Jahre wandelte sich deren Funktion: Nun wurden hier Patientinnen und Patienten vor allem ruhiggestellt, teils mit Medikamenten, teils mittels Fixierungen oder anderen Maßnahmen. Die Betroffenen empfanden dies oft als Strafe.)
Es kam auch zu Klagen, dass Hans Kühl in der Arbeitskolonne die Arbeit durch Streitsucht störe. Ein Bericht lautete: "Benahm sich in der Kirche flegelhaft, weigerte sich anfangs die Kopfbedeckung abzunehmen, suchte auf dem Rückweg von der Kirche Streitigkeiten mit Mitzöglingen und ließ sich auch nicht auf der Abteilung beruhigen." Mitte 1941 kam es zu einem Streit mit einem Mitpatienten, bei dem dieser so unglücklich hinfiel, dass er auf die Krankenstation gebracht werden musste.
Die Berichte über Erregtheit, Streitigkeiten mit Mitpatienten und epileptische Dämmerzustände setzten sich fort. Dann, am 7. August 1943, schrieb Anstaltsarzt und SA-Mitglied Dr. Kreyenberg: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Eichberg."
Nachdem die Alsterdorfer Anstalten während der schweren Luftangriffe der Alliierten auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") Schäden erlitten hatten, nutzte der Leiter der Alsterdorfer Anstalten, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, diese Situation und bat die Hamburger Gesundheitsbehörde um Genehmigung für den Abtransport von etwa 750 Anstaltsbewohnerinnen und -bewohnern, da sie durch die Bombenangriffe obdachlos geworden seien. Daraufhin verließen zwischen dem 7. und dem 16. August 1943 drei Transporte Alsterdorf mit insgesamt 469 Mädchen, Jungen, Frauen und Männern in verschiedene Richtungen. Dem Transport vom 7. August 1943 waren 128 Personen zugewiesen, dessen Ziel für 52 Jungen in der "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau und für 76 Jungen, Mädchen, Frauen und Männer in der "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden bestand.
Hans Kühl gehörte zu den 76 Patientinnen und Patienten, die in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden gebracht wurden.
Die Anstalt hatte während der "Aktion T4" als Zwischenanstalt gedient, von der aus Patienten in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt wurden. Nach dem offiziellen Stopp des "Euthanasie-Programms" im August 1941 wurde aber weiter gemordet, und zwar durch systematische Unterernährung und überdosierte Medikamente in Verbindung mit pflegerischer Vernachlässigung – auch in Eichberg selbst.
Hans Kühl wurde jedoch am 13. Oktober 1943 in die Landesheilanstalt Weilmünster am Taunus verlegt. Den Grund dafür kennen wir nicht.
In Weilmünster lebten die Kranken unter den erbärmlichsten Bedingungen. Die Zahl der Todesfälle lag in den Jahren von 1940 bis 1944 weit über dem bisherigen Durchschnitt. Diese traurige Bilanz war das Ergebnis des ständigen Hungers, unter dem die Patientinnen und Patienten von Anfang an zu leiden hatten, ihrer mangelhaften ärztlichen Versorgung bei Krankheiten und des gezielten Einsatzes tödlicher Medikamente.
Hans Kühl starb dort am 5.5.1944.
Stand: Juli 2024
© Ingo Wille
Quellen: Adressbuch Hamburg diverse Jahrgänge; Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Sonderakte V 128 (Hans Kühl).

