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Hans-Jürgen Hobein * 1934
Langenfelder Straße 91 (Altona, Altona-Nord)
HIER WOHNTE
HANS-JÜRGEN HOBEIN
JG. 1934
EINGEWIESEN 1936
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT‘ 7.8.1943
HEILANSTALT
KALMENHOF / IDSTEIN
ERMORDET 14.3.1944
Hans-Jürgen Hobein, geb. 14.3.1934 in Altona, am 12.2.1936 aufgenommen in den damaligen "Alsterdorfer Anstalten" (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), am 7.8.1943 abtransportiert in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein, dort gestorben am 24.8.1943
Langenfelder Straße 91
Hans-Jürgen Wolfgang (Rufname Hans-Jürgen) Hobein wurde am 14. März 1934 in der damals noch selbstständigen preußischen Stadt Altona (heute Hamburg) geboren.
Seine Eltern, der Polizeiwachtmeister Ernst Gustav Wilhelm Hobein, geboren am 12. August 1896 in Altona, und Paula Hobein, geborene Sievers, geboren am 9. Dezember 1905 in Altona, wohnten in der Langenfelder Straße 91 in Altona. Sie hatten 1929 in Altona geheiratet und bekamen am 15. März 1933 ihr erstes Kind, Roswitha. Nach Hans-Jürgen folgte am 19. Mai 1937 der Bruder Wolfgang, der im Alter von zwei Jahren am 15. Oktober 1939 im Universitäts-Krankenhaus Eppendorf an Knochenmarkentzündung, Blutvergiftung und Kreislaufschwäche starb.
Hans-Jürgen Hobein hatte im Alter von drei Monaten bis zu zehnmal täglich unter Krämpfen gelitten. Bei ihm war Rachitis aufgetreten. Er befand sich vom 31. Januar bis zum 12. Februar 1936 im Hamburger Säuglingsheim in der Hochallee 1. Wir wissen nicht, wer die Aufnahme im Säuglingsheim veranlasste. Der Leitende Arzt, Ludwig Gmelin, teilte der Kranken- und Sterbekasse der Hamburgischen Polizeibeamten am 6. Februar 1936 mit, dass der Junge dringend im Krankenhaus der "Alsterdorfer Anstalten" aufgenommen werden müsse, da eine fachärztliche neurologische Beobachtung des Kindes wegen Verdachts auf ein Gehirnleiden erforderlich sei. Im ärztlichen Aufnahmeschein schrieb Ludwig Gmelin, der fast zweijährige "idiotische" Junge zeige einen vollkommen leeren Gesichtsausdruck. Er sei körperlich gut entwickelt, jedoch die Muskulatur sei ganz schlaff. Der Junge könne nicht sitzen, er sinke in sich zusammen und wackele mit dem Kopf.
Die Aufnahme in den damaligen "Alsterdorf Anstalten" fand am 12. Februar 1936 statt. Während der Aufnahmeuntersuchung beschrieb der Vater seinen Sohn als apathisch und umgänglich, er habe an Krämpfen gelitten und mitunter ohne Grund gelacht. Der leitende Arzt, SA-Mitglied Gerhard Kreyenberg, diagnostizierte noch am selben Tag "Idiotie". ("Idiotie" ist ein heute nicht mehr gebräuchlicher Begriff für eine schwere Form der Intelligenzminderung.)
Während des ersten Jahres in Alsterdorf wurde Hans-Jürgen Hobein unter anderem wegen Magen-Darm-Infektionen, Lungenentzündung, fieberhafter Grippe und Windpocken über längere Phasen in der Krankenstation betreut. Er wurde als "vollkommener Pflegling" eingestuft, der dauernd im Bett liege und unsauber sei. Er spreche nicht und müsse gefüttert werden, habe auf nichts reagiert und an seiner Umgebung keinen Anteil genommen. Hans-Jürgen habe weder sprechen noch stehen oder sitzen können und soll öfter den Kopf gegen die Bettbretter geschlagen haben.
Im Jahre 1940 traten gehäuft Anfälle auf. Ansonsten entsprach sein Zustand bis 1943 den Beschreibungen der vergangenen Jahre. Der Junge sei ein völlig pflegebedürftiges "Liegekind", das auch mit Spielsachen nichts anzufangen wisse.
Die Eintragungen in Hans-Jürgen Hobeins Patientenakte endeten am 6. August 1943 mit dem Schlussvermerk des Anstaltsarztes SA-Mitglied Gerhard Kreyenberg: "Verlegt, da die Alsterdorfer Anstalten zerstört sind."
Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die "Alsterdorfer Anstalten" in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt.
Am 7. August 1943 wurden zusammen 128 Personen in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" im Rheingau (76 Personen) und in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein (52 Personen) abtransportiert. Der neunjährige Hans-Jürgen Hobein war unter ihnen. Der Transport erreichte die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" am 8. August.
Dort lebte Jürgen Hobein nur noch wenige Tage. Er starb am 23. August 1943, angeblich an "Idiotie und Marasmus" (schwere Form der Mangelernährung).
Die Anstalt Kalmenhof entstand 1888 als eine fortschrittliche, pädagogisch orientierte Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen. 1939 wurde sie in das "Euthanasie"-Programm der "Aktion T4" (benannt nach der Adresse der Berliner Euthanasiezentrale, Tiergartenstraße 4) einbezogen. Die Patientinnen und Patienten wurden von dort in die benachbarte Tötungsanstalt Hadamar verlegt und ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der Euthanasiemorde im August 1941 richtete die zur Berliner "Euthanasie"-Zentrale gehörende Tarnorganisation "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" im Kalmenhof eine sogenannte Kinderfachabteilung ein. In dieser wurden Kinder durch Überdosierung von Medikamenten wie Luminal, Skopolamin oder Morphium getötet.
Es ist als sicher anzunehmen, dass Hans-Jürgen Hobein in dieser "Kinderfachabteilung" keines natürlichen Todes starb.
Der Stolperstein zur Erinnerung an Hans-Jürgen Hobein weist aufgrund eines früheren Forschungsstandes als Sterbedatum den 14. März 1944 aus. Richtig ist 24. August 1943.
Stand: Oktober 2025
© Ingo Wille
Quellen: Adressbuch Hamburg 1942. StaH 332-5 Standesämter 6177 Geburtsregister Nr. 832/1896 (Ernst Gustav Wilhelm Hobein), 1313 Heiratsregister Nr. 1109/1929 (Ernst Hobein /Paula Sievers), 9906 Sterberegister Nr. 1560/1939 (Wolfgang Hobein), Standesamt Idstein Nr. 133/1943 Sterberegisterauszug (Hans-Jürgen Hobein). Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv Sonderakte V 69 (Hans-Jürgen Hobein). Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie – Die Toten 1939-1945, Hamburg 2017, S. 258. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff. https://www.aerzteblatt.de/archiv/24708/NS-Kindereuthanasie-Ohne-jede-moralische-Skrupel (Zugriff am 7.8.2025).


