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Reinhard Postner
Reinhard Postner
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Reinhard Postner * 1939

Wilhelmsburger Straße 1 (Hamburg-Mitte, Veddel)


HIER WOHNTE
REINHARD POSTNER
JG. 1939
EINGEWIESEN 1943
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT‘ 7.8.1943
HEILANSTALT
KALMENHOF / IDSTEIN
ERMORDET 23.8.1943

Reinhard Postner, geb. am 8.3.1939 in Marktredwitz (Oberfranken), am 14.4.1943 aufgenommen in den damaligen "Alsterdorfer Anstalten" (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), am 7.8.1943 "verlegt" in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein (Taunus), dort gestorben am 23.8.1943

Wilhelmsburger Straße 1

Reinhard Joseph Alexander (Rufname Reinhard) Postner wurde am 8. März 1939 in dem oberfränkischen Ort Marktredwitz geboren. Seine Eltern waren der Zollsekretär Alois Postner, geboren am 1. Mai 1906 in Waldershof im Fichtelgebirge, und dessen Ehefrau Emma, geborene Schüler, geboren am 16. März 1911 in Matgendorf in Mecklenburg. Sie wohnten bereits in der Wilhelmsburger Straße 1 im Hamburger Stadtteil Veddel, als ihr Sohn Reinhard zur Welt kam. Reinhard hatte eine ältere Schwester, Ingrid, geboren am 9. Juni 1935, über die uns nichts Näheres bekannt ist.

Reinhards Geburt soll kompliziert verlaufen sein. Im März 1940 attestierte ihm Otto Ullrich, Direktor der Universitäts-Kinderklinik und Poliklinik in Rostock, dass er an "organisch bedingten Salaam-Krämpfen" leide. (Salaam-Anfälle sind ein Hauptmerkmal des West-Syndroms, einer schweren Form der Epilepsie bei Säuglingen. Dabei zuckt der Körper des Babys plötzlich, der Kopf beugt sich ruckartig wie beim Nicken nach vorne, die Arme werden nach vorne geworfen und vor der Brust zusammengeführt. Diese Bewegung erinnert an den Salaam-Gruß. Die Krankheit kann zu Entwicklungsverzögerungen und -störungen führen.)

Reinhard Postner war vom 11. Juni bis 27. Juli 1940 Patient der Universitätsklinik Rostock, ob im Zusammenhang mit den Anfällen oder aus anderen Gründen ist nicht überliefert.

Auch darüber, ob die Familie zu dieser Zeit in Rostock lebte und wann sie ggf. nach Hamburg zurück kam, liegen uns keine Informationen vor. Aus einem Schreiben des Vaters Alois Postner vom 31. Juli 1944 an die "Alsterdorfer Anstalten" ergibt sich, dass die Familie zu dieser Zeit in Waldersdorf lebte, dem Geburtsort von Alois Postner.

Bei Reinhard Postners Aufnahme in den Alsterdorfer Anstalten diagnostizierte der Oberarzt, SA-Mitglied Gerhard Kreyenberg, "Idiotie, Epilepsie". ("Idiotie" ist ein heute nicht mehr gebräuchlicher Begriff für eine schwere Form der Intelligenzminderung.)

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die "Alsterdorfer Anstalten" in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, das SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt.

Am 7. August 1943 wurden zusammen 128 Jungen und Männer in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" im Rheingau (76 Personen) und die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein (52 Personen) abtransportiert. Unter ihnen war der inzwischen vierjährige Reinhard Postner, dessen Transport die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" am 8. August erreichte.

Dort lebte er nur noch sechzehn Tage. Er starb am 24. August 1943, angeblich an "Epilepsie, Idiotie, status epilepticus und Marasmus" (schwere Form der Mangelernährung).

Die Anstalt Kalmenhof entstand 1888 als eine fortschrittliche, pädagogisch orientierte Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen. 1939 wurde sie in das "Euthanasie"-Programm der "Aktion T4" (benannt nach der Adresse der Berliner Euthanasiezentrale, Tiergartenstraße 4) einbezogen. Die Patientinnen und Patienten wurden von dort in die benachbarte Tötungsanstalt Hadamar gebracht und ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der Krankenmorde im August 1941 richtete die zur Berliner "Euthanasie"-Zentrale gehörende Tarnorganisation "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" im Kalmenhof eine sogenannte Kinderfachabteilung ein. In dieser wurden Kinder durch die Überdosierung von Medikamenten wie Luminal, Skopolamin oder Morphium getötet.

Es ist davon auszugehen, dass Reinhard Postner in dieser "Kinderfachabteilung" eines nicht natürlichen Todes starb.

Stand: Oktober 2025
© Ingo Wille

Quellen: Standesamt Idstein Sterberegisterauszug Nr. 129/1943 (Reinhard Postner); Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv Sonderakte V 76 (Reinhard Postner). Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie – Die Toten 1939-1945, Hamburg 2017, S. 258. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff. https://www.aerzteblatt.de/archiv/24708/NS-Kindereuthanasie-Ohne-jede-moralische-Skrupel (Zugriff am 7.8.2025).

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