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Marianne Müller (geborene Polack) * 1893
Hegestieg 12 (Hamburg-Nord, Eppendorf)
HIER WOHNTE
MARIANNE MÜLLER
GEB. POLACK
JG. 1893
DEPORTIERT 1941
RIGA-JUNGFERNHOF
ERMORDET
Weitere Stolpersteine in Hegestieg 12:
Aron Leopold Müller, Minna Müller
Aron Leopold Müller, geb. 1.8.1891 in Altona, am 7.8.1941 emigriert in die USA, 21.8.1942 verstorben
Marianne Müller, geb. Polack, geb. 21.10.1893 in Hamburg, am 6.12.1941 deportiert nach Riga, ermordet
Minna Müller, geb. 3.9.1862 in Röbel (Mecklenburg), deportiert am 9.6.1943 nach Theresienstadt, Tod 18.2.1944
Hegestieg 12, Eppendorf
Minna Müller, geb. Engel, geb. am 2. September 1862 in Röbel war mit dem Kaufmann Max Müller verheiratet. Das Paar bekam vier Kinder: Aron Leopold, geb. 1. August 1891, Nanny, geb. am 29. September 1893, Paula, geb. am 6.3.1895 und Lazarus Siegmund, geb. am 5.11.1901. Max Müller war 1919 bereits verstorben.
Leopold Müller besuchte die Talmud-Tora-Schule und absolvierte danach eine Lehre zum Kaufmann in der Fa. "Nathan Ruben", die nach dem Adressbuch von 1915 "Herren- u.- Knabenkleider, Hemden, Gummi-Mäntel, Ölzeug" herstellte und außer in Hamburg auch in Lübbecke, Berlin, M.-Gladbach und Manchester Niederlassungen besaß. Nach der Lehre ging er nach Berlin, um dort zu arbeiten.
Leopold Müller diente im Ersten Weltkrieg als Frontsoldat und hatte das Frontkämpferabzeichen erhalten. Er war von 1920 bis zum 27. August 1941 als Mitglied in der Jüdischen Gemeinde Hamburgs eingetragen.
In der Zentralgewerbekartei meldete sich Leopold Müller am 20. Dezember 1918als "Kaufmann -Textilwaren- für Hamburg, Kaiser-Wilhelm-Strraße 16, I," an. Als Wohnsitz gab er die Schlachterstraße 40/42 an. Hinter dieser Adresse verbarg sich das Marcus-Nordheim-Stift mit Freiwohnungen für arme jüdische Familien. Sein Gewerbe wurde am 3. Oktober 1938 als eingestellt registriert. Bis dahin blieb der Eintrag unverändert.
Als im Mai 1919 Leopold Müllers Schwester Nanny heiratete, diente er als Trauzeuge. Er selbst heiratete am 15. September 1922 Marianne, geb. Polack, geb. am 21. Oktober 1893 in Hamburg. Sie bekamen zwei Kinder: Inge, geb. am 5. April 1924 und Max Gerhard, geb. am 20. Mai 1925, beide wurden in Hamburg geboren.
Marianne Polack gehörte das Geschäft "Polack & Co., Handelsvertreter" in der Ferdinandstraße 29. Es war 1922 erstmals im Hamburger Adressbuch notiert und 1923 unter der Bezeichnung "Polack & Co., Trikotagen, Strumpf- und Wollwaren" auf den Namen Marianne Müller eingetragen; ab 1924 lief es unter dem Namen ihres Mannes "A. L. Müller", nun mit der Adresse "Winckel-Straße 40".(Die Winckelstraße lag zwischen Valentinskamp und Dammtorwall und wurde 1938 in Ulricusstraße umbenannt. Die Straße existiert heute nicht mehr.)
Bereits 1926 war die Firma nicht mehr verzeichnet.
Wie auf der Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde verzeichnet, wohnte das Ehepaar Müller später in der Kielortalle 8 und in der Hansastraße 55, ab 1927 war es im Adressbuch mit der Anschrift Hegestieg 12 eingetragen. Leopold Müller arbeitete inzwischen als Vertreter für verschiedene Firmen. Allerdings liefen die Geschäfte nicht sehr gut. Seit 1927 bezog er Fürsorgeunterstützung und hatte zudem laut Fürsorgeakte zwei Zimmer seiner 4-Zimmer-Wohnung untervermietet. Dennoch geriet er mit der Miete in Verzug,1932 strengte sein Vermieter eine Klage auf Räumung an. Mit Unterstützung der Fürsorgestelle konnte er die Räumung jedoch ebenso wie einen zweiten Versuch 1933.
Trotz seiner geringen Einnahmen benötigte Leopold Müller einen PKW. Im Oktober 1932 begründete er dies gegenüber der Fürsorgestelle: "Ich besuche ausser Hamburg noch die Provinz Schleswig Holstein und habe ca. 2 Ctr. [Zentner] Muster. Durch Auto ist dieses die billigste Beförderungsart. Ich gebe zu, daß meine ganze Arbeit noch nicht einträglich genug ist, hoffe aber durch das Auto größere Verdienstmöglichkeiten zu erringen. Ich fahre täglich ca. 150 km und brauche auf 100 k ca. 11/12 ltr., d.h. pro Tag = 16/17 ltr. Benzin bei einem Kurs von 30/32 Pf. (heute 34 Pf.) würde das M 5.50 pro Tag bedeuten. An Oel benötige ich monatlich ca. 10 ltr. a M 1.25, da nach einer bestimmten Kilometerzahl das Oel wieder abgelassen werden muss. Ausserdem kommen noch einige Mark für kleine Reparaturen in Frage. Hinzu kommen monatlich Garage: M 20,--, Versicherung: M 20,--, Steuer: M 20,--, was pro Tag zusammen M 2,-- ausmacht. Ferner kommt hinzu, daß, wenn ich ausserhalb bin, ich auch ein paar Mark für mich als Spesen (Verkaufsspesen) benötige."
Zu diesem Zeitpunkt war Leopold Müller für die "Hamburger Wäschefabrik" und die Firma Wetzel & Lemmel" aus Chemnitz tätig. Den monatlichen Kosten von RM 250 stand 1932 ein Verdienst von RM 310 gegenüber, so dass der Nettoverdienst lediglich RM 60 betrug. Leopold Müller schrieb dazu: "Meine Verhältnisse haben sich noch nicht gebessert, weshalb ich ohne die wöchentliche Wohlfahrtsunterstützung immer noch nicht zurecht komme." Das Fahrzeug, ein DKW, wurde durch eine Firma, für die Leopold Müller als Vertreter tätig war, zur Verfügung gestellt. Als er nicht mehr für diese arbeitete, musste er das Fahrzeug zurückgeben.
1938 musste er die Tätigkeit als Vertreter ganz aufgeben. Marianne Müller hatte aufgrund der prekären Verhältnisse 1939 Arbeit als Haushaltshilfe angenommen, konnte damit aber nur wenig zum Unterhalt der Familie beitragen.
Am 11. November 1938 wurde Leopold Müller im Rahmen der Novemberpogrome verhaftet, als er vor der Talmud-Tora-Schule auf seinen Sohn wartete. Er wurde ins KZ Sachsenhausen verbracht, wo er bis zum 14. Dezember 1938 einsaß.
In dieser bedrückenden Zeit erhielt das Ehepaar Müller für ihre Kinder Max Gerhard und Inge einen Platz in einem Kindertransport, der sie im Dezember 1938 nach England in Sicherheit brachte.
Aus der Fürsorgeakte geht hervor, dass Leopold Müller 1939 durch das Arbeitsamt vermutlich in "Pflichtarbeit" für Wohlfahrtsempfänger eingesetzt und 1940 an ein Tiefbauunternehmen vermittelt worden.Er selbst schrieb in einem Brief an die "Gemeindeverwaltung der Stadt Hamburg": "Seit voriger Woche habe ich durch Vermittlung des Arbeitsamtes Beschäftigung als Erdarbeiter gefunden." Andere Arbeitsmöglichkeiten konnte er als Juden nicht mehr finden. 1940 wurde ihm der Mittelfinger der linken Hand in Folge eines Arbeitsunfalls amputiert, so dass er für lange Zeit nicht arbeitsfähig war.
Marianne und Leopold Müller gaben 1939 ihre Unterkunft im Hegestieg 12 auf und zogen nun mit in die Erdgeschosswohnung von Leopolds Schwester Nanny Müller, die seit 1936 ebenfalls in diesem Mietshaus lebte (siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Leopold Müller zahlte ihr nun "für ein möbl. Zi. mit Küchenbenutzung mtl. RM 20".
Am 27. Januar 1941 schrieb Leopold Müller wieder an die "Gemeindeverwaltung der Hansestadt Hamburg - Sozialverwaltung": "Seit Jahren bin ich beim dem Amerikanischen Consulat zur Auswanderung nach U.S.A. vorgemerkt und sind vor einiger Zeit meine Papiere als in Ordnung befunden worden [sic!]. Meine Warte-Nummer ist jetzt an der Reihe, sodaß ich voraussichtlich in Kürze auswandern kann. Ich habe keinerlei Geld, besitze auch keinerlei Vermögenswerte und nehme nur die notwendigsten Kleidungsstücke mit. Seit 1939 bin ich als Arbeiter beschäftigt. Am 15. August 1940 hatte ich einen Betriebsunfall, bin seitdem erwerbsunfähig und beziehe Krankengeld. Meine Bitte geht nun dahin, da ich nicht in der Lage bin, das geliehene Geld zurückzuzahlen, mir die restliche Schuldsumme [es handelte sich um RM 440,87] zu erlassen, damit ich unbehindert auswandern kann."
Das Amt war zwar nicht bereit, auf die Forderung zu verzichten, erklärte aber: "Im Fall Ihrer endgültigen Auswanderung wird Ihnen wegen ihrer restlichen Schuld keine Schwierigkeiten bereitet [sic!]." Dies war tatsächlich bei anderen jüdischen Auswanderern der Fall gewesen, die noch ähnliche Schulden zu begleichen hatten.
Leopold Müller emigrierte am 7. August 1941 nach Chicago/USA. Seine Schwester Paula Pfeffer schrieb später, er habe den letzten "Auswanderertransport nach den USA am 15. August 1941" erreicht. Seine Frau habe baldmöglichst nachkommen wollen.
In den USA war Leopold Müller auf Unterstützung durch Verwandte angewiesen, vermutlich von seinem Bruder Siegmund, denn er konnte seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten. Er starb in Chicago am 21. August 1942, laut Todesbescheinigung an Magenkrebs.
Leopolds Bruder Siegmund Müller lebte ebenfalls in Chicago. Möglicherweise wanderten sie gemeinsam aus. Darüber ist aber nichts überliefert.
Im Hegestieg 12 lebte in der Wohnung von Nanny Müller auch ihre Mutter Minna Müller. Die hochbetagte Frau musste am 3. Dezember 1941 in das ehemalige Siechenhaus der Jüdischen Gemeinde, Schäferkampsallee 29, nun als "Judenhaus" genutzt, umziehen und wurde ab dem 20. Mai 1943 ins "Judenhaus" Beneckestraße 4-6 eingewiesen. Hier wurden vor allem ältere Jüdinnen und Juden vor der Deportation konzentriert. Von dort wurde die 81jährige am 9. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 18. Februar 1944 starb.
Marianne Müller wohnte nach Leopold Müllers Ausreise weiterhin bei ihrer Schwägerin Nanny im Hegestieg 12. Beide erhielten den Deportationsbefehl für den 6. Dezember 1941 nach Riga. Nicht im Getto Riga, sondern in Riga-Jungfernhof, wohin der Hamburger Transport umgeleitet wurde, fanden beide den Tod. Wann, wie und wo genau, ist nicht bekannt.
Sie wurden nach dem Krieg auf den 8.5.1945 für tot erklärt.
Die Kinder von Leopold und Marianne Müller, Max Gerhard Müller und Inge Müller, überlebten in England. Beide nahmen später die britische Staatsangehörigkeit an. Max Gerhard studierte ab 1952 in Cambridge/USA. Inge heiratete später Paul Gerstl. Sie lebten in Toronto/Kanada.
Leopold und Nanny Müllers Schwester Paula Pfeffer überlebte die NS-Zeit in einer Mischehe.
Stand: Oktober 2024
© Martin Bähr
Quellen: Hamburger Adressbuch; StAH 213-13 Landgericht Hamburg Wiedergutmachung 7467 Müller, Nanny; 351-11_Wiedergutmachung 744 Müller, Minna, 351-11_Wiedergutmachung 13125 Müller, Aron Leopold; 351-11_Wiedergutmachung 15336 Müller, Marianne; 351-11 Wiedergutmachung 15833 Müller, Nanny; 351-11_Wiedergutmachung 17120 Pfeiffer, Paula; 351-11_Wiedergutmachung 47327 Müller, Gerhard; 522-01_0992_b_41163 Nanny Müller geb. 29.9.1893; 522-01_0992_b_41164 Nanny Müller geb. 29.9.1893; 522-01_0992_b_41137 Leopold Müller; 522-01_0992_b_41139 Leopold Müller; 522-01_0992_b_41161 Minna Müller, geb. Engel; Email der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen v. 27.9.2024;Meyer, Beate (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 - 1945. Geschichte, Zeugnis, Erinnerung, Hamburg 2006.; Schwarz, Angela: Von den Wohnstiften zu den "Judenhäusern". in: Ebbinghaus, Angelika; Linne, Karsten (Hrsg.): Kein abgeschlossenes Kapitel. Hamburg im "Dritten Reich". Hamburg 1997.https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de933481; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de933449; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de933475; https://www.pamatnik-terezin.cz/prisoner/te-muller-minna; https://www.statistik-des-holocaust.de/VI7-3.jpg; https://www.statistik-des-holocaust.de/OT411108-8.jpg, https://www.statistik-des-holocaust.de/OT411206-23.jpg; https://www.statistik-des-holocaust.de/VI7-3.jpg (alle letzter Zugriff 22.7.2024).

