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Wilhelm Münster * 1926
Im Holderstrauch 6 (Eimsbüttel, Schnelsen)
HIER WOHNTE
WILHELM MÜNSTER
JG. 1926
EINGEWIESEN 1938
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT‘ 27.11.1941
´HEILANSTALT` TIEGENHOF
ERMORDET 4.4.1942
Wilhelm Münster, geb. in Hamburg am 28.7.1926, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 19.7.1938, "verlegt" in die "Heil- und Pflegeanstalt" Langenhorn am 28.7.1941, "verlegt" in die "Gau-Heilanstalt Tiegenhof" (polnisch Dziekanka) bei Gnesen (polnisch Gniezno) am 27.11.1941, dort ermordet am 4.4.1942
Im Holderstrauch 6 (Schnelsen)
Wilhelm Münster wurde am 28. Juli 1926 in Hamburg geboren. Seine Eltern waren Erna Baumgart, geborene Münster, geboren am 2. August 1899 und Wilhelm Ziemann, von Beruf Barbier (rasiert oder trimmt Bärte). Dessen Geburtsdatum ist uns nicht bekannt. Erna Baumgart und Wilhelm Ziemann waren nicht verheiratet. Wilhelm Münsters Mutter heiratete später einen Mann namens Baumgart. Auch über ihn ist uns Näheres nicht bekannt.
Wilhelm Münster wuchs wahrscheinlich bei seinen Großeltern mütterlicherseits auf. Seine letzte Adresse vor seiner Aufnahme in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) ist die gleiche wie die seiner Großeltern, im Holderstrauch 6 in Schnelsen. Seine Großeltern waren Carl Friedrich Isidor Münster, geboren am 11. Oktober 1862 in der damals noch selbstständigen preußischen Stadt Altona und Johanna Münster, geborene Ackermann, geboren am 30. Dezember 1874 in Altona. Sie hatten am 1. Mai 1897 geheiratet. Carl Münster war Oberpostsekretär. Aus der Ehe von Carl und Johanna Münster waren drei Töchter hervorgegangen: Erna, verheiratete Baumgart, die Mutter von Wilhelm Münster, ein Mädchen, das mit 17 Jahren gestorben ist und deren Geburtsdatum und Namen uns unbekannt sind, und Erna Hedwig, verheiratete Maier, geboren am 8. April 1907.
Wilhelm Münster wurde am 19. Juli 1938 in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Seine Krankenakte ist nicht mehr verfügbar. Die wenigen anderen Lebensdaten sind dem Aufnahmebuch der Alsterdorfer Anstalten und einer sog. Erbgesundheitskarteikarte entnommen, die für das ab 1934 aufgebaute Hamburger Gesundheitspassarchiv zum Zwecke der "erbbiologischen Bestandaufnahme" der Bevölkerung angelegt wurde.
Die Diagnose lautete "Erethische Imbezillität" (Imbezillität ist ein veralteter, herabwürdigender Begriff für eine mittlere Intelligenzminderung). Zum Krankheitsverlauf heißt es, dass Wilhelm Münster ein "unheilbar kranker, tiefstehender Patient war, der nur wenig Beziehungen zur Umwelt besass. Pflegerisch bereitete er keine allzu grossen Schwierigkeiten, da er sich allein an- und auskleiden konnte und am Tage seine Bedürfnisse unaufgefordert verrichtete. Er war nicht arbeitsfähig." Auffällig an seinem Aufnahmedatum ist, dass seine Großmutter zwei Tage vorher verstorben war. Möglicherweise fühlte sich der Großvater allein nicht dazu in der Lage, für den zwölfjährigen Enkel zu sorgen.
Wilhelm Münster lebte drei Jahre in den Alsterdorfer Anstalten, bis er am 28. Juli 1941 zusammen mit mindestens 49 anderen Männern zunächst in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" überführt wurde. Drei Tage später folgte ein weiterer Transport mit mindestens 20 Frauen. Die Patientinnen und Patienten wurden mit Bussen der ‚Gemeinnützigen Krankentransport-Gesellschaft‘ (GeKraT), einer Teilorganisation der "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, nach Langenhorn gebracht.
Michael Wunder, der die Geschichte der ermordeten Alsterdorfer Patienten aufgearbeitet hat, wies darauf hin, dass die Transporte, die überwiegend aus besonders schwachen und nicht arbeitsfähigen Menschen bestanden, nach den Meldebögen an die "Euthanasie"-Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin zusammengestellt worden waren. Pastor Lensch, damals Anstaltsleiter der Alsterdorfer Anstalten und SA-Mitglied, hatte dann von der Gesundheitsbehörde Hamburg eine entsprechende Liste der Transportteilnehmer erhalten. Der Gesundheitssenator Ofterdinger hatte ihm versichert, es handele sich lediglich um eine Verlegung, um die Alsterdorfer Anstalten zu entlasten und die in Langenhorn leerstehenden Betten sinnvoll zu nutzen.
Dennoch machte sich Aufregung unter den Insassen breit, als die Busse der GeKraT auf das Gelände der Alsterdorfer Anstalten fuhren. Durch die kirchlichen Proteste gegen die Euthanasie, die zu diesem Zeitpunkt reichsweit ihren Höhepunkt erreicht hatten, und Hinweise aus süddeutschen und ostdeutschen Anstalten waren die Tötungsaktionen durchaus auch unter den Pflegerinnen und Pflegern der Alsterdorfer Anstalten und über diese auch teilweise den Anstaltsinsassen bekannt. Deshalb verfasste Lensch ein Rundschreiben an alle Pflegekräfte, in dem er den Abtransport als "Verwaltungsakt" darstellte, der mit "anderen Maßnahmen nichts zu tun hat". Die Pflegekräfte mussten den Empfang dieses Rundschreibens quittieren.
Den Beteuerungen zum Trotz wurde Wilhelm Münster vier Monate später mit weiteren Frauen und Männern aus Langenhorn in die "Gau-Heilanstalt" Tiegenhof (Dziekanka) bei Gnesen (Gniezno) verlegt. Das Hamburger Gedenkbuch Euthanasie enthält die Namen von 66 ehemaligen Alsterdorfer Patientinnen und Patienten, die mit diesem Transport zum Tiegenhof gebracht wurden. (Vier der insgesamt 70 Alsterdorfer Patienten waren vor dem Transport in Langenhorn gestorben.) Insgesamt wurden aus der "Heil- und Pflegeanstalt" Langenhorn zwischen dem 26. September und dem 27. November 1941 in mehreren Transporten mehr als 200 Menschen in die "Gauheilanstalt" Tiegenhof abtransportiert. In dem Hamburger Gedenkbuch Euthanasie lassen sich 206 Personen nachweisen.
Die psychiatrische Anstalt Dziekanka in der Nähe von Gnesen war im Oktober 1939 von der deutschen Wehrmacht besetzt worden und hatte die Bezeichnung "Gau-Heilanstalt Tiegenhof" erhalten. Bis zum Sommer/Herbst 1941 hatten die deutschen Besatzer die dortigen polnischen Patientinnen und Patienten in mehreren Aktionen ermordet. Als die Hamburger in Tiegenhof eingetroffen waren, traf dieses Schicksal auch sie. Sie wurden getötet durch systematisches Verhungernlassen, durch Überdosierung von Medikamenten sowie durch Verwahrlosung.
In den Tiegenhofer Unterkünften befanden sich separate Tötungszimmer, in denen den wehrlosen und entkräfteten Opfern tödliche Mittel injiziert, eingeführt oder aufgelöst in Suppe verabreicht wurden.
Wilhelm Münster lebte in der Anstalt Tiegenhof nur vier Monate, er starb am 4. April 1942 mit 15 Jahren.
Stand: April 2025
© Karin Gutjahr
Quellen: Adressbuch Hamburg 1939; StaH 332-5 Standesämter 5899 Heiratsregister Nr. 345/1897 (Carl Friedrich Isidor Münster/Johanna Marie Auguste Ackermann), 7209 Sterberegister Nr. 604/1938 (Johanna Marie Auguste Münster); Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Erbgesundheitskarteikarte (Wilhelm Münster); Zdzisław Jaroszewski (Hrsg.), Die Ermordung der Geisteskranken in Polen 1939-1945, Warschau 1993, S. 86-102. Enno Schwanke, Die Landesheil- und Pflegeanstalt Tiegenhof – Die nationalsozialistische Euthanasie in Polen während des Zweiten Weltkrieges, Ffm. 2025. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 269 ff.

