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Knabe Domaracka * 1944
Randowstraße gegenüber Nr. 14 (am Gedenkstein) (Altona, Lurup)
HIER GEBOREN
KNABE DOMARACKA
GEB. 4.12.1944
MUTTER IN ZWANGSARBEIT
KZ-AUSSENLAGER EIDELSTEDT
NACH DER GEBURT
ERMORDET
Weitere Stolpersteine in Randowstraße gegenüber Nr. 14 (am Gedenkstein):
Knabe Dub, Alice Dubova, Julianna Malinowska, Marianne Taus
Der Knabe mit dem Nachnamen Domaracka kam am 4.12.1944 in Hamburg zur Welt, ermordet als Neugeborener
Gedenkstein gegenüber Randowstraße 14 (heute Hamburg-Lurup), ehemals KZ Außenlager Eidelstedt - Friedrichshulder Weg
Der Knabe mit dem Nachnamen Domaracka kam am 4. Dezember 1944 in Hamburg zur Welt. Er erhielt keinen Vornamen.
Seine Mutter Ruzena Domaracka, geb. Herszkovicz, geb. am 11.6.1918 in Iza/Karpaten, war 1944 zunächst in das Getto Theresienstadt und dann zusammen mit ihrem Ehemann in das KZ Auschwitz deportiert worden, beide waren jüdisch.
Aufgrund einer Selektion für einen Arbeitseinsatz am 17. Juni 1944 wurde Ruzena Domaracka zusammen mit ihrer Schwägerin Hilde Lewkowitz einer Gruppe jüdischer tschechoslowakischer und ungarischer Frauen zugeteilt, die im Juli 1944 zur Zwangsarbeit nach Hamburg verbracht wurde. Sie war im dritten Monat schwanger. Ihr Ehemann blieb in Auschwitz und wurde ermordet.
Zunächst gelangten die Frauen in das Lager Dessauer Ufer zum Arbeitseinsatz im Hafengebiet, anschließend am 13. September 1944 in das Frauenlager Hamburg-Wedel. Am 27. September 1944, am Jom Kippur, dem Versöhnungstag und höchsten jüdischen Feiertag, wurden sie in das Außenlager des KZ-Neuengamme Eidelstedt, direkt neben dem Güterbahnhof, heute Friedrichshulder Weg, verlegt. Sie mussten Schwerstarbeit leisten: Bombenschutt wegräumen, Deiche bauen, Zement und Backsteine schleppen und Behelfsbauten für ausgebombte Hamburger*innen errichten. Ihr Lagerkommandant war der berüchtigte SS-Mann Walter Kümmel, der stets eine Gummipeitsche bei sich getragen und die Frauen geschlagen haben soll.
Ruzena Domaracka, auch "Rose" oder "Rozi" genannt, hatte ihre Schwangerschaft in Auschwitz und noch eine Zeit lang in Hamburg verbergen können, ständig in der Angst, zurückverlegt zu werden, wenn ihr Zustand bekannt werden würde. (Möglicherweise hatte sie bei ihrem Aufenthalt im Lager Dessauer Ufer miterlebt, dass die zwei jüdischen tschechischen Frauen Ruth Huppert und Berta Reich wegen ihrer Schwangerschaft drei Tage nach ihrer Ankunft von dort in ein KZ zurückgeschickt worden waren.)
Kurz vor ihrer Niederkunft wurden Ruzena Domaracka und die ebenfalls hochschwangere Zwangsarbeiterin Alice Dubova angewiesen, im Lager zu bleiben: Die Hamburgerinnen und Hamburger sollten keinen Anstoß daran nehmen, dass Hochschwangere Schwerstarbeit leisteten.
Am 3. Dezember 1944 setzten bei Ruzena Domaracka die Wehen ein, die sich über 24 Stunden hinzogen. Am Abend des 4. Dezember 1944 brachte sie im Lager mit Hilfe der "Lagerärztin" Ruzena Zimmerova und der "Häftlingskrankenschwester" Luise Haarburger, (alias Wassermann, ihr selbst gewählter Deckname) einen gesunden Knaben mit schwarzen Haaren zur Welt.
Eine SS-Frau, die zum Wachpersonal gehörte und die Zwangsarbeiterinnen auf dem Weg zur Arbeit bewachte, zeigte kurze Zeit später der frisch Entbundenen ihr totes Kind, das die Aufseherin in einen Pappkarton gelegt hatte. Ruzenas Freundin Cecilia Wassermann erzählte ihr später, der Lagerkommandant Kümmel habe das Kind ertränkt.
Ehemalige Zwangsarbeiterinnen, die im Mai 1981 als Zeitzeuginnen in einem Untersuchungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg gegen den wegen Mordes an zwei neugeborenen Kindern angeklagten Lagerleiter und SS-Mann Kümmel aussagten, berichteten, dass Kümmel das Neugeborene in einem Bündel Zeitungspapier oder Lappen in den Waschraum gebracht und unter einem Wasserstrahl oder in einem Wasserkübel ertränkt habe. Danach habe er das Bündel in einen Abfallkübel geworfen und anschließend von einer Totgeburt gesprochen.
Im Hamburger Sterberegister sind Geburt und Tod beider Knaben nicht eingetragen.
Ruzena Domaracka, die nach dem Krieg nach Israel emigrierte, sagte 1982 als Zeugin in diesem Prozess gegen Walter Kümmel aus: "Mir war von Anfang an klar, dass man das Kind töten würde." "Ich blieb nach der Geburt noch 10 Tage im Revier … Danach wurde ich von ihm zur schwersten Arbeit herangezogen. Obgleich ich kaum laufen konnte, musste ich schwere Zementplatten und Zementsäcke schleppen."
Viel zu spät war nach dem Krieg Anklage gegen Kümmel erhoben worden. Seine Beteiligung an der Tötung der Neugeborenen wurde vom Gericht nur als Beihilfe zum Mord gewertet, trotz der Aussagen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen. Kümmel seien keine niedrigen Beweggründe nachzuweisen – und außerdem sei das Verbrechen seit 1960 verjährt. Kümmel wurde 1982 freigesprochen.
In einer Fernsehsendung über das Lager Eidelstedt äußerte sich Kümmel selbst zu den Anschuldigungen, er sagte, dass es im Lager Eidelstedt keine Möglichkeit gegeben habe, die Kinder unterzubringen, wörtlich: "Deshalb haben die ja schließlich auch draufgedrungen, die sollten umgebracht werden, die Kinder. Das war’n Geheimbefehl!"
Von der Zwangsarbeit profitierende Betriebe:
Stadt Hamburg
Saar-Bauindustrie AG Saarlautern, Zweigstelle Hamburg, Schauenburgerstraße 15
Großunternehmen für den gesamten Hoch- und Tiefbau, Beton- und Eisenbetonbau, Bergwerks- und Hüttenbauten.
Stand: Februar 2025
© Margot Löhr
Quellen: StaH 213-12, 0003 Band 001–011 Staatsanwaltschaft Landgericht, Fotoarchiv 741-4, A 81/3–81/5; Hédi Fried, Nachschlag für eine Gestorbene. Ein Leben in Auschwitz und danach, Hamburg 1995; Hédi Fried, Fragmente meines Lebens, Lizenzausgabe für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Hamburg 2014; Ruth Elias, die Hoffnung erhielt mich am Leben, München 1988. http://www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016; https://www.hamburg.de/clp/dabeigewesene-suche/clp1/ns-dabeigewesene/onepage.php?BIOID=102&qN=Kümmel, eingesehen 16.7.2017; Fernsehsendung NDR III am 6.5.1982, "KZ gleich nebenan" von Barbara Schönfeld.