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Thekla Abrahamssohn, geb. Abel
© Yad Vashem

Thekla Abrahamssohn (geborene Abel) * 1890

Eppendorfer Landstraße 84 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
THEKLA
ABRAHAMSSOHN
GEB. ABEL
JG. 1890
DEPORTIERT 1941
LODZ
ERMORDET 11.4.1943

Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Landstraße 84:
Heinz Adolf Abrahamssohn, Max Lippmann, Tony Lippmann, Hedwig Rosenberg

Thekla Abrahamssohn, geb. Abel, geb. 29.6.1890 in Hamburg, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, dort gestorben am 11.4.1943
Heinz (Henry) Adolf Abrahamssohn, geb. 10.2.1923 in Hamburg, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, dort gestorben am 23.3.1943

Eppendorfer Landstraße 84 und Haynstraße 36

Als die Nationalsozialisten im Januar 1933 die Macht übernahmen, war Thekla Abrahamssohn 42 Jahre alt, seit fünf Jahren Witwe und hatte zwei Kinder durchzubringen: Hilde, gerade elf geworden, und Heinz, noch nicht ganz zehn Jahre alt. Theklas schwere Aufgabe wurde etwas erleichtert dadurch, dass sie, Tochter der Hamburger Hirsch (Hermann/Hyman) Abel und Regina Abel (geb. Kessler), stets in gutem Kontakt zu ihren fünf Brüdern Alphons (geb. 1866), Max (geb. 1879), Leon (geb. 1880), Theodor (geb.1883) und John (geb. 1886) stand, die in Ham­burg lebten und sie mit Rat und Tat unterstützten. Drei Brüder waren erfolgreich im Uhren-Großhandel tätig, einer war Zahnarzt. Ein anderer, John, war Direktor der Warburg-Bank. Auch finanziell scheint Thekla Abrahamssohn nicht schlecht gestellt gewesen zu sein. Ehemann Moritz, 1883 in Esens / Ostfriesland geboren, war Mitinhaber der chemischen Fabrik Leopold Bachner in der Eiffestraße und hinterließ seiner Familie u. a. ein nicht geringes Ver­mö­gen an Wertpapieren.

Die Tochter Hilde war seit 1928 Schülerin an der Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde. Sie war immer eine sehr gute Schülerin, wie die Zeugnisse beweisen, vor allem auf mathematisch-naturwissenschaftlichem Gebiet. Im März 1938 hatte sie den Realschulabschluss und damit, wäre es in Deutschland noch nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gegangen, die Qualifikation für den Besuch der gymnasialen Oberstufe. Ihr Traum, Abitur zu machen und Naturwissenschaften zu studieren, war unter den Nationalsozialisten jedoch unerfüllbar. Jüdinnen und Juden war eine höhere Schulbildung und akademische Laufbahn verboten.

Hilde entschloss sich, Deutschland so bald wie möglich zu verlassen. Ihr Ziel war England. Aber sie wollte nicht mit völlig leeren Händen dastehen. Und es gelang ihr – angesichts der rassistischen Verfolgung war das ein großes Glück – bereits zum 1. April 1938 in einem Ausbildungskurs für Kinderpflege und Hauswirtschaft des Bezirks Hamburg-Altona unterzukommen. Ende Januar 1939 schloss sie den Kurs mit Erfolg ab. Weitere Erfahrung erwarb sie sich im Mädchenwaisenhaus des Jüdischen Religionsverbandes, dem Paulinenstift, wo sie für einige Monate aushilfsweise als Zweite Erzieherin aufgenommen wurde. Außerdem nahm sie privaten Englischunterricht.

Im Juli 1939 floh sie, 17-jährig, zunächst nach London, dann nach Southampton, wo sie nahezu mittellos ankam. Durch die "Sicherungsanordnung" der Reichsregierung war das Konto der Mutter seit dem 2. Februar 1939 gesperrt, eine Sondergenehmigung zur Finanzierung eines Auslandsaufenthaltes unmöglich. An ein Nachholen des Abiturs in England und erst recht an ein Studium war nicht zu denken. Völlig auf sich allein gestellt, ging Hilde den aus der Not heraus bereits eingeschlagenen Weg weiter und bildete sich, unter den schwierigsten finanziellen Bedingungen und mit großer Ausdauer, zur Kinderpflegerin, Krankenschwester und Hebamme aus.

So überlebte Hilde Abrahamssohn den Holocaust.

In Hamburg geblieben waren die Mutter und der jüngere Bruder. Heinz trafen die rassistischen Maßnahmen in seiner Ausbildung besonders schwer. Er war 1930 in die Volksschule gekommen, musste sie als Jude 1935 aber verlassen. Er wechselte zur Jüdischen Jungenschule, die er 1939 abschloss. Weitere Ausbildungsmöglichkeiten gab es für den 16-Jährigen nicht, auch keine Lehrstelle. Die Aussicht auf eine Ausbildung als Tischler zerschlug sich. Mit Gelegenheitsarbeiten versuchte er sich über Wasser zu halten und wurde von seiner Mutter unterstützt. Dass es auch für sie immer schwieriger wurde, zeigt sich etwa darin, dass sie mit ihren Kindern zwischen 1933 und 1941, dem Jahr der Deportation, mehrmals umzog, in stets bescheidenere und günstigere Wohnungen, von der Eppendorfer Landstraße 84 in den Novalisweg 15 in der Jarrestadt und von dort in die Haynstraße 36. Weiteres über ihre Situation erfahren wir aus den für Jüdinnen und Juden obligatorischen Darlegungen ihrer finanziellen Verhält­nisse und aus den detaillierten Anträgen an die Finanzbehörde, zu denen Jüdinnen und Juden gezwungen waren, wenn sie darum bitten wollten, per Sondergenehmigung durch den Oberfinanzpräsidenten Hamburg (Devisenstelle) von ihrem eigenen Konto einen Betrag abbuchen zu dürfen, der über den bewilligten monatlichen Satz hinausging; beispielsweise am 16. Juli 1941 die 46,40 RM "für eine Brille für meinen Sohn Heinz Israel lt. beiliegender Rechnung von Ocularium, Hamburg 36, Dammtorstraße 32". Der Oberfinanzpräsident ließ genehmigen.

Nicht genehmigt wurde der Antrag auf 392 RM Freibetrag für die monatlichen Gesamtkosten, also für Miete, Lebensunterhalt, Krankenkasse etc. für Mutter und Sohn. Der Beamte errechnete, dass 180 RM auch reichten.

Dieser Antrag vom 8. September 1939 ist noch aus einem anderen Grunde interessant: Unter Punkt e) Sonstige Ausgaben steht nämlich: "fremdsprachlicher Unterricht." Hilde aber hatte das Land schon im Juli verlassen. Wer nahm diesen Unterricht und warum? Hinzu kommt: Auf der Kultussteuerkarte von Thekla Abrahamssohn findet sich in der Zeile "ausgeschieden durch ..." der handschriftliche Vermerk "England". Dieser Eintrag wurde aber wieder gestrichen. Ob es sich um ein rasch erkanntes Versehen des Schreibers handelte oder ob die Flucht nach England geplant war und fehlschlug oder was der Hinweis sonst zu bedeuten hat, wissen wir nicht.

Der letzte Antrag von Thekla Abrahamssohn datiert vom 23. Oktober 1941 und bittet um Freigabe von 250 RM. Da steht, in ihrer gepflegten Handschrift, unter der Rubrik "Zahlungsempfänger und Verwendungszweck": "Zur Barauszahlung an mich! RM 200.- zur Mitnahme für mich und meinen Sohn Heinz Israel bei der Evakuierung aus Groß-Hamburg; RM 50.- für verschiedene Ausrüstungsstücke". Dem Antrag wurde noch am selben Tag stattgegeben mit dem Zusatz: "Die Genehmigung verliert nach einem Monat ihre Gültigkeit."
Bereits zwei Tage später, am 25. Oktober 1941, wurden Thekla und Heinz Abrahamssohn mit dem ersten Deportationszug, der aus Hamburg abging, nach Lodz verschleppt. Heinz hatte ursprünglich nicht auf der Liste gestanden. Er meldete sich freiwillig, vermutlich, um mit seiner Mutter zusammenzubleiben.

Beide starben im Getto Lodz. Er starb am 23. März 1943 an "Herzschwäche" (Abmeldeformular). Sie starb 19 Tage später am 11. April an "Herzschlag".
Er war gerade 20 Jahre alt geworden, sie war 52.

Auch vier der fünf Brüder von Thekla Abrahamssohn, geborene Abel, und weitere Verwandte wurden festgenommen, deportiert und ermordet – Alphons in Theresienstadt, Max in Sobibor, John in Auschwitz, Leon in Neuengamme. Nur Bruder Theodor entkam, er floh 1939 nach Schanghai. Für Heinz Abrahamssohn wurde auch in der Haynstraße 36 ein Stolperstein verlegt.

© Johannes Grossmann

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; AfW 021121 Hilde Hillmann; StaH 314-15 OFP, R 1939/281; StaH 332-8 Meldewesen A 51/1 (Abrahamssohn, Thekla); Archiwum Panstwowe, Lodz (Getto-Archiv); USHMM, RG 15083,M 301/106-107, Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 1.5.2010; Howard Wolfers, E-Mails an Björn Eggert vom 3.8.2010 und 11.8.2010.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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