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Chaile Charlotte Lippstadt (geborene Engel) * 1873

Kurzer Kamp 6 Altenheim (Hamburg-Nord, Fuhlsbüttel)

1942 Theresienstadt/Minsk
ermordet

Weitere Stolpersteine in Kurzer Kamp 6 Altenheim:
Dr. Julius Adam, Johanna Hinda Appel, Sara Bromberger, Therese Bromberger, Friederike Davidsohn, Margarethe Davidsohn, Gertrud Embden, Katharina Embden, Katharina Falk, Auguste Friedburg, Jenny Friedemann, Mary Halberstadt, Käthe Heckscher, Emily Heckscher, Betty Hirsch, Hanna Hirsch, Regina Hirschfeld, Clara Horneburg, Anita Horneburg, Emma Israel, Jenny Koopmann, Franziska Koopmann, Martha Kurzynski, Laura Levy, Isidor Mendelsohn, Balbine Meyer, Helene Adele Meyer, Ida Meyer, Ella Rosa Nauen, Celine Reincke, Friederike Rothenburg, Benny Salomon, Elsa Salomon, Martha Rosa Schlesinger, Louis Stiefel, Sophie Stiefel, Louise Strelitz, Eugenie Hanna Zimmermann

Chaile Charlotte Lippstadt, geb. Engel, geb. am 20.5.1873 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 21.9.1942 nach Treblinka und ermordet

Kurzer Kamp 6

Chaile Charlotte Engel wurde am 20. Mai 1873 in Hamburg geboren. Ihre Mutter Regina Engel, geb. Messeritsch, brachte sie mithilfe der Hebamme Frau Wehrenberg im Valentinskamp 31 zur Welt. Ihr Vater Benny Engel betrieb dort einen Handel mit Weißwaren. Väterlicherseits stammte die Familie von Joseph Salomon Engel (geb. um 1670 in Burg auf Fehmarn, damals noch zu Dänemark gehörig) ab. Seit Ende des 18. Jahrhunderts war die Familie Naftali Hertz Engel in Hamburg ansässig. Grabsteine sind auf dem Altonaer Friedhof Königsstraße zu finden. Charlottes Vater Bieme Engel, genannt Benny (geb. 31.8.1830 in Altona), war in einem jüdischen Waisenhaus in Altona aufgewachsen. Er hatte seine Eltern bereits als Kind verloren, seinen Vater Ruben, als er drei Jahre, seine Mutter Hannchen, geb. Praeger, als er sieben Jahre alt war.

Wie seine Vorfahren war Benny Engel Kaufmann geworden. Neun Jahre hatte er in dem Geschäft mit Weißwaren bei den Gebrüdern Lemos zu deren vollster Zufriedenheit in Altona gearbeitet. Nach der Verleihung der Hamburger Staatsangehörigkeit im Jahre 1861 war er in das geachtete "Uhr-Alte-Löbliche-Kramer-Amt" als Amtsbruder aufgenommen worden. Diese zunftartige Vereinigung bestand bis zur Gewerbefreiheit 1865. Benny Engel hatte sich im "Manufactur- und Weißwarenhandel" selbstständig gemacht und Gella Jenny, geb. Samson (geb. 16.10.1837 in Hamburg), am 26. Mai 1861 geheiratet. Auf Wunsch seiner Brauteltern war er von Altona nach Hamburg gezogen. Zwei Söhne hatte seine Ehefrau in den folgenden Jahren zur Welt gebracht, Rudolph Ruben (geb. 19.6.1862) und Semmy (geb. 19.2.1864). Nach der Geburt des zweiten Sohnes hatte sie Wochenbettfieber bekommen und war eine Woche später, am 4. März 1864, verstorben.

Charlottes Vater, der mit zwei kleinen Söhnen früh Witwer geworden war, hatte im Jahr darauf Charlottes Mutter Regina, geb. Messeritsch (geb. 13.10.1834 in Bockenheim), geheiratet. Sie war die Tochter von Bella, geb. Levien, und dem Bankier Sussmann Messeritsch. In den folgenden Jahren waren Charlottes ältere Geschwister zur Welt gekommen: Anna Hannchen (geb. 7.9.1866), Emil Eliser (geb. 18.1.1868), Joseph (geb. 3.7.1869) und Siegfried Simon (geb. 23.2.1871). Zwei Schwestern waren sehr früh an Keuchhusten verstorben, Bella (geb. 11.12.1870) mit einem Jahr und vier Monaten am 11. April 1872 und Auguste, die Zwillingsschwester von Siegfried, fünf Tage später im Alter von zehn Monaten.

Charlotte war die Jüngste und wuchs mit ihren sechs älteren Geschwistern in Hamburg auf. Ihrer Mutter gelang es, alle sieben Kinder in einer geborgenen Atmosphäre aufwachsen zu lassen. Als junge Frau hatte Regina eine gute Ausbildung zur Erzieherin erhalten. Schon ihr Großvater Elieser Sussmann Messeritsch soll Hauslehrer des Barons Rothschild in Frankfurt gewesen sein. So erhielten auch Charlotte und ihre Geschwister eine gute Erziehung, ihr Bruder Semmy eine fundierte Ausbildung.

Charlotte wurde Neujahr 1878 in die von Dr. Katzenstein geleitete Höhere Töchterschule mit angeschlossenem Kindergarten am Großneumarkt 36 in die "Klasse R" für 15,- Mark Schulgeld aufgenommen; später wurde diese Schule die Realschule für Mädchen von Dr. Jakob Löwenberg. Bis zum Juli des nächsten Jahres blieb Charlotte dort, dann verließ sie sie zusammen mit ihrem Bruder Joseph und ihrer Schwester Anna, die vier Jahre lang diese Schule besucht hatte.

Charlotte war sechs Jahre alt, als ihr Vater ein großes Geschäfts- und Wohnhaus am Gänsemarkt 61 (später Jungfernstieg) errichten ließ. In dieser Zeit wurde Benny Engel Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Neweh Scholaum mit dem Prediger Dr. Joseph Isaacsohn. Die dem Elternhaus gegenüberliegende Synagoge wurde im selben Jahr, 1879, eingeweiht. Die Eltern übernahmen die verantwortungsvolle Aufgabe, das heilige Silber zu verwahren.

Aufgrund der finanziellen Belastungen aus übernommenen Bürgschaften und der wegen des schlechten Baugrundes erhöhten Baukosten musste Charlottes Vater das Haus am Gänsemarkt zwei Jahre später verkaufen. Der Umzug mit Familie und Geschäft erfolgte in die Theaterstraße und zwei Jahre später in die Colonnaden 21/22. Benny Engel führte dort als Inhaber ein "Confections- Seiden- und Modegeschäft".

Aus den unveröffentlichten Lebenserinnerungen von Semmy Engel ist zu erfahren, dass Charlottes Kindheit begleitet war von Menschen, die überwiegend aus der Kundschaft des Vaters stammten, größtenteils Künstler des nahegelegenen Stadttheaters. So bekam die Familie häufig Freikarten für Theaterbesuche. Im Sommer wurde gemeinsam mit Freunden der Zoologische Garten besucht, die Familie hatte ein Abonnent. Vielleicht nahm Charlotte auch an der Lotterie des "Israelitischen Mitgift-Vereins", vormals "Ausstattungsverein von 1840", teil, wie es von ihrer Schwester Anna in den Akten der Jüdischen Gemeinde überliefert ist. Anna hatte das Glück, in der 173. Ziehung im Juni 1885 das Gewinnlos mit der Losnummer 1097 zu ziehen. Es wurde in einem Schriftstück festgehalten, dass sie den Betrag von 1.200,- Mark vier Tage vor ihrer Hochzeit ausgezahlt bekommen solle. Am 24. November 1889 wurde sie mit Emanuel Grünthal getraut. Sie kannten sich schon aus Kindertagen. Familie Grünthal hatte in der Nachbarschaft in den Colonnaden gewohnt und in ihrem Haus den Tanzstundenklub für die Jugendlichen der Familien gegründet.

Charlottes Bruder Semmy Engel heiratete am 2. Februar 1892 die Hamburgerin Selma Peine (geb. 23.5.1871). Das junge Paar zog im Sommer des Jahres, als in Hamburg die Cholera herrschte, nach Bergedorf, Am Baum 36. Ein Jahr später, am 28. Juli 1893, erwarb Semmy Engel das Hamburger Bürgerrecht und meldete sein Gewerbe als Architekt mit seinem Büro in der Großen Reichenstraße 1, 2. Stock, an.

Am 17. April 1898 verstarb Charlottes Vater Benny Engel in seiner Wohnung am Schlump 88 an den Folgen einer Diabetes. Charlottes Bruder Semmy Engel hatte ihm zur Seite gestanden, und es ist anzunehmen, dass auch Charlotte in der Zeit der Krankheit für ihren Vater gesorgt hatte. Seit elf Tagen war er in Behandlung von Dr. Julius Sachs gewesen, der auch als Arzt für das Stadttheater tätig war. Benny Engel wurde 67 Jahre alt. Er fand zwei Tage später seine letzte Ruhe auf dem Jüdischen Grindelfriedhof neben seiner ersten Frau.

Fast zwei Jahre nach dem Tod des Vaters heiratete Charlottes Bruder Emil Engel am 12. Januar 1900 Clara Grünthal. Sie stammte aus der Familie seines Schwagers, des Ehemannes seiner Schwester Anna.

Charlotte Engel blieb ohne Beruf und heiratete für damalige Verhältnisse spät. Kurz bevor sie 29 Jahre alt wurde, ging sie am 11. April 1902 die Ehe mit dem zehn Jahre älteren Kaufmann und "Agenten" (Handelsvertreter) Emil Lippstadt ein. Beide gehörten der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an. Charlotte hatte bis dahin mit ihrer Mutter in der Eimsbüttelerstraße 53 bei ihrer Schwester Anna und der Familie Grünthal gewohnt. Trauzeuge waren Charlottes 38-jähriger Bruder Semmy Engel, Architekt, wohnhaft in der Rothenbaumchaussee 22, und der 62-jährige Kaufmann Louis Lippstadt, Hamburger Staatsbürger, wohnhaft in der Marktstraße 15.

Charlottes Ehemann Emil Lippstadt (geb. 5.11.1863) war der Sohn von Auguste, geb. Ascher, und dem Viehhändler Kallmann Lippstadt aus Elmshorn, Kreis Pinneberg. Sein Vater war bereits in Elmshorn verstorben. Emil Lippstadt hatte als Kaufmann seit 1891 einen Gewerbeschein und war seit 1894 in Hamburg ansässig. Er leitete als Inhaber die Firma "Lippstadt & Loewenherz", Exportvertretung "für elektrische und photographische Apparate", die 1901 zunächst mit dem Mitinhaber Henry Löwenherz in der Johannis- und Knochenhauerstraße gegründet worden war.

Ihren Sohn Kurt Kallmann brachte Charlotte Lippstadt ein Jahr nach der Hochzeit am 7. Februar 1903 in Hamburg zur Welt. Im selben Jahr zog Charlottes Schwiegermutter, die Witwe Auguste Lippstadt, nach Hamburg. Bis Kurt in die Schule kam, wohnte Charlotte Lippstadt mit ihrer Familie in der Weidenallee 57. Dann zog die Familie in die Wohnung Wrangelstraße 40, 2. Stock. Nach den Grundschuljahren an der bei Kaufmannsfamilien beliebten Wahnschaff-Schule, besuchte Kurt ab 3. Juni 1912 die Talmud Tora Schule, die anerkannte jüdische Jungenschule gleich neben der neuen Bornplatzsynagoge im Grindelviertel. Überlieferten Notizen nach, sei er ein mittelmäßiger Schüler gewesen, das Lesen habe ihm mehr als das Turnen gelegen.

Charlottes Mutter wohnte weiterhin bei der freundschaftlich und verwandtschaftlich verbundenen Familie Grünthal. Sie verstarb am 20. August 1910 in ihrer Wohnung Grindelberg 44, 2. Stock, in Anwesenheit ihres Stiefsohnes Semmy Engel. Regine Engel, geb. Messeritsch, wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel Ohlsdorf beerdigt, Grablage A 10, Nr. 169.

Einen Monat danach verstarb auch Charlottes Schwiegermutter Auguste Lippstadt, geb. Ascher, in ihrer Wohnung in der Grindelallee 153, 3. Stock.

Im April 1914 gab Charlottes Ehemann Emil Lippstadt seine preußische Staatsangehörigkeit auf und erlangte die Hamburger Staatsbürgerschaft. Er versteuerte damals jährlich 7.265,- Mark. Sein Kontor der "Exportagentur Lippstadt & Loewenherz mit Musterlager für Kurzwaren der Eisen-Musik- und Confektionsbranche" befand sich am Großen Burstah 9.

Charlottes Bruder Siegfried Simon Engel wurde Soldat im Ersten Weltkrieg. Er kam körperlich unversehrt zurück und heiratete am 28. November 1919 Lilly Feiber (geb. 21.5.1891 in Frankfurt). Sie hatte bei ihren Eltern, Charlotte Jenny, geb. Mayer, und Kaufmann Leopold Feiber, in der Schlüterstraße 64 gewohnt.

Wirtschaftlich war die Situation für die Exportagentur von Charlottes Ehemann mit Beginn des Ersten Weltkrieges immer schwieriger geworden, mit der Inflation 1923 und dem Börsenkrach 1929 verstärkte sich dies noch.

Innerhalb dieser Zeit war Charlottes Bruder Emil Elieser Engel am 17. Januar 1926 verstorben, einen Tag vor seinem 58. Geburtstag. Emil Engel, Kohlenmakler Beim Schlump 86, war abends um 7 Uhr gegenüber seinem Geschäft bei Haus Nr. 83 einem Herzschlag erlegen. Er hatte unter Coronalsklerose gelitten. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel bestattet, Grablage A 9, Nr. 318. Emil Engel hinterließ neben seiner Ehefrau fünf Kinder, Annie (geb. 1901), Bruno (geb. 1902), Robert (geb. 1906), Friedrich (geb. 1908) und Wilhelm (geb. 1912). Seine Ehefrau Clara, geb. Grünthal, verstarb fünf Jahre später im Februar 1931.

Charlottes Bruder Siegfried Simon Engel verstarb am 13. Januar 1934 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt, Grablage F, Nr. 148. Er war zuletzt als Kaufmann im Im- und Export Geschäft tätig, zum Schluss in der Gerhofstraße 2. In diesem Jahr wurde Charlotte Lippstadts Sohn Kurt, der 1927 aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde ausgetreten war, wieder Mitglied der Gemeinde.

Charlotte Lippstadt wohnte mit ihrer Familie noch immer in der Wrangelstraße 40. Sie war fast 62 Jahre alt, als sie Witwe wurde. Ihr Ehemann Emil Lippstadt verstarb am 1. März 1935 mit 72 Jahren im Israelitischen Krankenhaus an einem Herzinfarkt. Es war die Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen, die das Leben der jüdischen Bürger mehr und mehr belastete. Seine letzte Ruhe fand Emil Lippstadt auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel, Grablage O 3, Nr. 309, dort wo auch Charlottes Brüder und sein Bruder Alfred bestattet worden waren. Alfred Lippstadt, Inhaber der Firma Zinner & Lippstadt, war ein Jahr vor ihm mit 60 Jahren in Hamburg an einem Herzanfall verstorben, Grablage M 2, Nr. 57.

Charlottes Lippstadts Sohn Kurt übernahm im Alter von 33 Jahren in dieser schwierigen Zeit die Führung der väterlichen Firma, inzwischen verlegt in den Grindelhof 83, Haus 10.

Charlotte Lippstadts Bruder Semmy Engel war ein bekannter Architekt in Hamburg geworden. Er führte 1904 die Umbauten am Gebäude der Henry Jones-Loge in der Hartungstraße durch und erbaute die Vereinssynagoge der "Vereinigten Alten und neuen Klaus". Nach seinen Plänen, die er zusammen mit Ernst Friedheim erarbeitet hatte, entstand von 1904 bis 1906 die große Hauptsynagoge am Bornplatz. 1909 folgten Synagogenbauten in der Hoheluftchaussee und später, 1920, in der Gluckstraße in Barmbek sowie 1929 in der Kielortallee 22 für die Oppenheimer-Stiftung. 1911 baute er die Kapelle auf dem Jüdischen Friedhof Langenfelde aus; 1919 übernahm er den Umbau der Leichenhalle des Jüdischen Friedhofs Ilandkoppel und 1924 den Umbau des Kinderheims Wilhelminenhöhe in der Rissener Landstraße 127. 1928/29 erarbeitete er im Gemeinschaftsbüro mit seinem Sohn Bernhard die Entwürfe im Bauhausstil für die Reihenhaus-Wohnanlage "Sophieneck" in der Sophienterrasse. In seinen Schaffensjahren errichtete er auch etliche Wohn- und Kontorhäuser. Im Jahr 1936 wurde Semmy Engel als jüdisches Mitglied aus der Architektenkammer ausgeschlossen. Eine weitere Ausübung seines Berufes wurde ihm damit unmöglich gemacht. In diesem Jahr emigrierte Semmy Engels Sohn und Teilhaber Bernhard Engel mit seiner Ehefrau Renée, geb. Loewenheim, und dem fünfjährigen Töchterchen Lilian nach London. Semmy Engel folgte ihnen zwei Jahre später im Juli 1938.

1936 verstarb auch Rudolf Ruben Engel zwei Wochen vor seinem 74. Geburtstag am 3. Juni 1936 im Universitätskrankenhaus Eppendorf. Er hatte am Grindelberg 1a gewohnt, war unverheiratet und hatte als Kaufmann sein Geschäft mit "Weißwaren und Konfektion" in der Carolinenstraße 12 geführt. Wie seine Brüder wurde er auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel Ohlsdorf bestattet, Grablage ZX 10, Nr. 419.

Charlotte Lippstadt blieb in Hamburg, sie war 1937 mit ihrem Sohn in die Neumünsterstraße 37 gezogen. Anfang des Jahres, am 7. Januar 1937, war auch drei Jahre nach ihrem Bruder Siegfried Simon seine Witwe Lilly Simon, geb. Feiber, verstorben.

Als 1938 nach dem Novemberpogrom die Verfolgungen gegen die Juden verstärkt wurden, war auch Charlottes Sohn betroffen. Kurt Lippstadt wurde am 16. November 1939 um 16:40 Uhr in Stade in Gestapohaft genommen. Aufgrund des Annahmeersuchens des Amtsgerichts Stade wegen eines vermeintlichen "Diebstahls" wurde er sieben Tage später, am 21. November 1939 morgens um 11 Uhr, unter Nr. 192, in das Stader Gefängnis in Untersuchungshaft überführt. Nach fast fünf Monaten, am 2. März 1940, 13:00 Uhr, wurde Kurt Lippstadt aus der Haft nach Hamburg entlassen. Die Fahrt mit der Bahn N2 182 war für ihn vorgegeben.

In dieser Zeit suchte Kurt Lippstadt nach einer Möglichkeit, auszuwandern.Der Jüdische Hilfsverein unterstützte ihn seit dem 14. Februar 1939 dabei, seine Auswanderung vorzubereiten und eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erlangen.

An die Geheime Staatspolizei war eine Mitteilung ergangen, dass er bei der Mutter wohne und beabsichtige, nach Shanghai auszuwandern. Die für die Ausreise notwendige Unbedenklichkeitsbescheinigung erhielt er am 21. März 1940 vom Finanzamt, da er als Alleininhaber der Firma Kurt Lippstadt kein Vermögen zu verzeichnen hatte. Für die Abwicklung beim Oberfinanzpräsidenten wurde Kurt Kallmann Lippstadt am 26. März 1940 zum Großen Burstah 31 in den 4. Stock, Zimmer 170, bestellt. Er musste den Antrag auf Mitnahme von Umzugsgut und das Verzeichnis ausstellen. Seine angegebenen Wertsachen wurden von Juwelier Ed. Steiner, Inhaber E. Müller, geschätzt. Am 29. März wurden in der Grindelallee 141 acht Teile Alpacca-Besteck und sonstige Silbergegenstände, ein Anhänger, eine Taschenuhr, eine Kette und ein Ring verpackt und versiegelt. Nachdem die Liste seines Mitnahmeguts eingehend geprüft worden war, verließ er u. a. mit Familienbildern, wissenschaftlichen Büchern, neun Gebetsbüchern und einem Gebetsmantel am 10. Mai 1940 seine Heimatstadt Hamburg. Die Schiffspassage musste er wahrscheinlich der italienischen Schifffahrtsgesellschaft Lloyd Triestino in Dollar bezahlen, wie es für andere Passagiere belegt ist. Es war eines der letzten Schiffe, mit dem Kurt Lippstadt über Genua nach Shanghai entkommen konnte, in ein Land, in dem Emigranten zu dieser Zeit kein Visum, kein Vermögen und keine Beziehungen vorweisen mussten. (Nach dem Kriegsbeitritt von Italien im Juni 1940 war die Flucht für jüdische Emigranten aus dem Deutschen Reich nur noch ein Jahr lang mit der sibirischen Eisenbahn über die damalige Sowjetunion möglich.) "Kurt Kallmann Israel Lippstadt" wurde in Abwesenheit "der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt durch Bekanntmachung v. 27.3.1941, veröffentlicht in der Nr. 77 des Deutschen Reichsanzeigers und Preußischen Staatsanzeigers vom 1. 4.1941". Damit war Kurt Lippstadt staatenlos.

Charlotte Lippstadt war nun auf sich allein gestellt in Hamburg zurückgeblieben. Im Mai 1940 hatte sie von der Neumünsterstraße 37 in das "Judenhaus", das Mendelson-Israel-Stift umziehen müssen. Ob sie die Absicht hatte, auszuwandern, ist nicht bekannt.

Am 19. Juli 1942 wurde Charlotte Lippstadt zusammen mit 22 weiteren jüdischen Frauen und einem Mann aus dem Mendelson-Israel-Stift nach Theresienstadt deportiert. Vorher hatte sie dafür einen "Heimeinkaufsvertrag" über 116,60 RM abschließen müssen, die die Jüdische Gemeinde auf das Sonderkonto H abführen musste, auf das das Reichssicherheitshauptamt Zugriff hatte.

Am 21. September 1942 wurde Charlotte Lippstadt von Theresienstadt mit einem der gefürchteten Transporte nach Treblinka verschleppt und ermordet. Chaille Charlotte Lippstadt war 69 Jahre alt. Die Nachricht des Todes ihres Sohnes Kurt musste sie nicht mehr ertragen. Kurt Kallmann Lippstadt verstarb in Shanghai am 14. Dezember 1942 (im "Aufbau" von 1946 ist November angegeben). Nach den Angaben auf einer Liste des HIAS (Hebrew Immigrant Aid Society) in den Arolsen Archives, über Juden, die in Shanghai zwischen 1939 und 1948 verstorben sind und beerdigt wurden, ist als Todesursache "bacillary dystontery" (vermutlich richtig "dysentery" – bakterielle Ruhr) angegeben. Kurt Kallmann Lippstadt war 39 Jahre alt. Ein Stolperstein erinnert an ihn vor seinem ehemaligen Elternhaus in der Wrangelstraße 40, Hoheluft-West.

Die emigrierten Angehörigen blieben lange im Unklaren über das Schicksal Charlotte Lippstadts. Deshalb schrieb am 13. August 1944 Reuben Malachi (früher Robert Engel, der Sohn ihres Bruders Emil aus Jerusalem) an Max Plaut (den Vorsitzenden des Jüdischen Religionsverbandes ab Dezember 1938 in Hamburg), der 1944 noch hatte nach Palästine ausreisen können, und erbat Auskunft über den Verbleib seiner "Tante Lottchen", Charlotte Lippstadt.

Noch am 14. Februar 1945 wurde auch Gertrud Simon, geb. Lippstadt (geb. 20.1.1902 in Hamburg), die in Niedernstegen 34, Hamburg-Fuhlsbüttel wohnte, nach Theresienstadt deportiert. Sie war eine Tochter von Alfred Lippstadt, dem Schwager von Charlotte Lippstadt. Gertrud Simon gehörte zu denen, die überlebten und bei Kriegsende befreit wurden. Am 29. Juni 1945 kehrte sie nach Hamburg zurück; im April 1950 emigrierte sie in die USA.

Stand: Januar 2023
© Margot Löhr

Quellen: 1; 2; 4; 5; 6; 7; 8; 213-13 Landgericht Rückerstattung, 13948 Charlotte Lippstadt; StaH, 242-1 II Zentralgefängnis, Haftkartei, Kurt Lippstadt; StaH, 314-15 Oberfinanzpräsident, 314-15_FVg 8033 Kallmann Lippstadt, FVg 8937 Kallmann Lippstadt; StaH, 332-3 Zivilstandsaufsicht, Geburtsregister, A 154 Nr. 3341 Chaile Charlotte Engel, A 71 Nr. 3650 John Joseph Engel; StaH, 332-5 Standesämter, Geburtsregister, 2277 u. 1463/1892 Paul Engel, 2342 u. 1361/1894 Robert Engel; StaH, 332-5 Standesämter, Heiratsregister, 2745 u. 1344/1889 Emanuel Grünthal u. Hannchen Anna Engel, 8602 u. 7/1900 Emil Engel u. Klara Grünthal, 2983 u. 357/1902 Emil Lippstadt u.Charlotte Engel; 3481 u. 135/1924 Isaac Callinar u. Sara Erna Grünthal; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 7915 u. 678/1898 Benny Engel, 8002 u. 390/1910 Regina Engel, 8002 u. 451/1910 Auguste Lippstadt, 8006 u. 103/1911 Paul Engel, 8085 u. 25/1926 Emil Lippstadt, 8089 u. 358/1927 Siegfried Grünthal, 8107 u. 66/1931 Klara Engel, 1038 u. 95/1935 Emil Lippstadt, 9884 u. 897/1936 Rudolf Engel; StaH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, AIf Bd. 127 Nr. 116 Benny Engel, AIf Bd. 172 Nr. 20684 Semmy Engel; StaH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B I a 1861, Nr. 116 Benny Engel, BIII 125866 Emil Lippstadt; StaH, 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 1001 Alfons Engel, 1002 Semmy Engel, 1003 Irma Samson;StaH, 352-5 Gesundheitsbehörde, Todesbescheinigungen, 1898 Sta 3 Nr. 678 Benny Engel, 1911 Sta 3 Nr. 103 Paul Engel, 1915 Sta 17 Nr. 74 Emil Engel, 1926, Sta 3 Nr. 25 Emil Lippstadt, 1935, Sta 2a Nr. 95 Emil Lippstadt, 1936, Sta 3c Nr. 897 Rudolf Engel; StaH, 361-2II Oberschulbehörde, Abl. 2007/1, Nr. 1, 342; StaH, 376-2 Gewerbepolizei, Spz VIII C 68 Nr. 1880; StaH, 522-1 Jüdische Gemeinden, Abl. 1993/1 A 10; StaH, 522-1 Jüdische Gemeinden, Heiratsregister, 702 d, Nr. 23/1861 Benny Engel u. Gella Samson; StaH, 522-1 Jüdische Gemeinden, Sterberegister, 725 l, Nr. 53/1868 Henny Engel; StaH, 741-4 Fotoarchiv, A 477, K 6044, K 6519, Sa 1246; StaH, Hamburger Börsenfirmen, A 902/0022, 1910–1913; ITS Archiv Arolsen, Ordner 957, S. 188–191, File AL 7-77; Datenbankprojekt des Eduard-Duckesz-Fellow und der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie, Grindelfriedhof, Ohlsdorf 1908–1914, 1922–1930, 1931–1939, A 9-317/318, A 10-169, F-147/148, M 2-57, O 3-309, ZX-419, http://jüdischer-friedhof-altona.de/datenbank.html, eingesehen am: 22.2.2022; "Aufbau" 12 (1946), Nr. 17, S. 38; unveröffentlichtes Manuskript von Rabbiner E. Duckesz: Die Geschichte der Familie Engel, Archiv Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e. V., mit freundlicher Genehmigung von Benjamin Maleachi; E-Mail-Auskunft von Ralph Hirsch, Council on the Jewish Exile in Shanghai (CJES), Celle, 9.6.2011; Jürgen Sielemann: Aus den Erinnerungen des Architekten Semmy Engel, in: Maajan 12 u. 13 (1998/99), 2. Folge, Nr. 48, S. 1321–1325, 3. Folge, Nr. 49, S. 1367–1370, 4. Folge, Nr. 50, S. 1414–1417; Jürgen Sielemann: Semmy Engel, in: Das jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, hrsg. vom Institut für die Geschichte der Deutschen Juden, Red.: Kirsten Heinsohn, Göttingen 2006, S. 71.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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