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Bereits verlegte Stolpersteine



Helene und Samuel Wellner mit ihren Töchtern und Söhnen, ca. 1930
© Sammlung Matthias Heyl

Helene Chaja Wellner (geborene Freifeld) * 1883

Schloßmühlendamm 16 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
HELENE CHAJA
WELLNER
GEB. FREIFELD
JG. 1883
AUSGEWIESEN 1938
ZBASZYN POLEN
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Schloßmühlendamm 16:
Anna Weinstein, Hermann Wellner, Samuel Wellner, Josef Wellner

Chaja Helene Bromberger genannt Wellner, geb. Freifeld, geb. am 17.9.1883 in Chrzanów, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn, deportiert nach Auschwitz
Hermann Bromberger genannt Wellner, geb. am 21.6.1912 in Harburg, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn, Todesdatum unbekannt
Josef Bromberger genannt Wellner, geb. am 27.5.1913 in Harburg, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn, 1939 KZ Fuhlsbüttel, 1941 KZ Sachsenhausen, gestorben am 25.5.1942 im KZ Sachsenhausen
Samuel Bromberger genannt Wellner, geb. am 10.12.1881 in Chrzanów, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn, deportiert nach Auschwitz

Stadtteil Harburg-Altstadt, Schlossmühlendamm 16

Als Samuel und Chaja Helene Bromberger, genannt Wellner, ihren Geburtsort im österreichischen Teil Oberschlesiens vor dem Ersten Weltkrieg verließen, ahnten sie nicht, dass ihr Traum von einer besseren Welt 30 Jahre später an eben diesem Ort auf so furchtbare Weise wieder enden sollte. Von ihrem Elternhaus aus war die Metropole Krakau fast ebenso schnell zu erreichen wie die Kleinstadt O´swie˛cim an der Soła. Chrzanów zählte 1910 etwas mehr 11000 Einwohner, von denen Juden rund die Hälfte ausmachten. Nach 1918 wehte in der Stadt die Flagge der neu gegründeten polnischen Republik.

Auf der Suche nach einer neuen Heimat gelangte das junge jüdische Ehepaar aus Oberschlesien im Jahre 1910 nach Harburg, wo die beiden Eheleute in der Mühlenstraße 18 (heute: Schlossmühlendamm 16) eine Wohnung fanden und Samuel Wellner in den Straßen und auf den Plätzen der Stadt als Hausierer zurechtzukommen versuchte. Seine Frau unterstützte ihn dabei nach Kräften, vor allem als in den folgenden Jahren fünf Kinder zusätzlich zu versorgen waren. Auf den ersten Sohn Oskar (geb. 13.6.1911) folgten seine beiden Brüder Hermann und Josef. Danach kamen die zwei Schwestern Erna (geb. 4.8.1916) und Peppi (geb. 2.6. 1922) zur Welt.

Das Geld war immer knapp im Hause Bromberger-Wellner. Die Situation entspannte sich erst etwas, als die Kinder nach ihrer Schulzeit zum Lebensunterhalt der Familie beitrugen. Mit ihrer Hilfe war es schließlich auch möglich, eine etwas größere Wohnung in der Turnerstaße (heute: Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße) zu beziehen.

Das hohe Verantwortungsbewusstsein der Kinder ist nicht zuletzt ein Beweis für den engen Zusammenhalt dieser orthodox-religiösen Familie. Die religiösen Feiertage wurden ebenso genau beachtet wie der Kaschrut, die rituelle Reinheit der Speisen. Während andere Kinder am Sabbath draußen spielten, mussten Erna Wellner und ihre Geschwister zu Hause Gebete sprechen und Hebräisch lernen. Nachdem die drei Jungen zunächst eine Harburger Schule besucht hatten, wechselten sie später auf die Talmud Tora Schule in Hamburg. Alle fünf Kinder absolvierten nach ihrer Schulzeit eine Lehre, die ihnen einen erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben ermöglichte.

Dieses harmonische Familienleben wurde auch nicht dadurch gestört, dass die Kinder sich mit zunehmendem Alter in einigen politischen und religiösen Fragen von ihren Eltern entfernten. Ihr Selbstverständnis wurde mehr und mehr von ihrer Begegnung mit der nichtjüdischen und deutsch-jüdischen Umwelt geprägt, die ihren Eltern eher fremd war. Sie hatten neben jüdischen auch nichtjüdische Freundinnen und Freunde und lösten sich hier und da auch schon einmal von der engen Bindung an das kultisch-religiöse Brauchtum, das ihren Eltern noch so viel bedeutete.

Doch der enge Familienzusammenhalt wurde noch fester, als nach 1933 der staatliche Verfolgungsdruck gegen die jüdische Bevölkerung – und vor allem gegen die "Ostjuden" – von Tag zu Tag wuchs. Nachdem unbekannte Täter im Sommer 1936 eines Nachts einen Stein in das Schlafzimmer der Eltern geworfen hatten, glaubten Samuel und Chaja Wellner, dass ihre Sicherheit in Harburg nicht mehr gewährleistet sei. Sie hofften, dass sie in einer Wohnung in der Rappstraße im Hamburger Grindelviertel besser vor Anschlägen dieser Art geschützt seien. Im September 1936 wechselten sie zur Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg.

Die ganze Familie wurde am 28. Oktober 1938 im Rahmen der reichsweit durchgeführten so genannten Polenaktion nach Zbaszyn, einem kleinen Grenzort an der Bahnstrecke Berlin– Posen–Warschau abgeschoben, wo sie in den ersten Tagen und Wochen in Viehställen unterkamen. Von hier aus gelang Erna und Peppi Wellner im Juni 1939 die Flucht über Hamburg ins Exil nach Großbritannien, nachdem sie durch Vermittlung eines Freundes ein Visum für die Einreise in das Vereinigte Königreich als Hausangestellte erhalten hatten.

Auch die drei Brüder kehrten 1939 noch einmal nach Hamburg in der Hoffnung zurück, hier bessere Möglichkeiten als in Polen für die Ausreise in ein Exilland zu finden. Außerdem wollten sie ihre Wohnungen und die ihrer Eltern in der Rappstraße auflösen. Alle Bemühungen blieben mehr oder weniger in den Anfängen stecken. Oskar Wellner und seine beiden jüngeren Brüder konnten bei den Behörden nicht einmal eine Genehmigung dafür erwirken, den Hausstand ihrer Eltern, der sich in den Lagerhallen einer Spedition befand, nach Polen nachsenden zu dürfen. Oskar und Hermann Wellner kehrten offenbar nach einiger Zeit uverrichteter Dinge nach Polen zurück, während ihr Bruder Josef länger in Hamburg blieb.

Vergebens hoffte er hier darauf, seiner schwangeren Frau Sonja, geb. Schütt (geb. 3.4.1914), die er kurz zuvor in Zba˛szy´n geheiratet hatte und die die Hansestadt am 2. August 1939 mit einem englischen Visum verlassen durfte, auf schnellstem Wege folgen zu können. Kurz nach ihrer Ausreise begann der Zweite Weltkrieg. Am 9. September 1939 wurde Josef Wellner als Angehöriger eines Feindstaats und als polnischer Jude interniert und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingewiesen. Am 24. Februar 1940 wurde er von dort in das KZ Sachsenhausen verlegt, wo sein Leben am 25. Mai 1942 – kurz vor seinem 29. Geburtstag – endete.

Seine Brüder und Eltern gingen im Sommer 1939 in den Ort in Oberschlesien, von dem aus Samuel und Chaja Helene Wellner einst "in eine bessere Welt" aufgebrochen waren. Die Wehr­macht besetzte ihn am 2. September 1939. Chrzanów wurde bald in Krenau und O´swie˛cim in Auschwitz umbenannt, nachdem dieser Teil Oberschlesiens dem Deutschen Reich eingegliedert worden war. Für die Jüdinnen und Juden in Chrzanów und Umgebung begann gleich nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht ein furchtbares Martyrium. Dem Terror und den Plünderungen der ersten Kriegstage folgte bald eine unendliche Zahl von Vor­schriften, Verordnungen und Bestimmungen, die die Lebensgrundlagen der jüdischen Bevölkerung in zunehmendem Maße vernichteten. In allen größeren Orten – so auch in Chrzanów – setzten die örtlichen Behörden sehr schnell einen Judenrat ein, der ihre Befehle bei der Registrierung der Juden und ihrer späteren Deportation in das benachbarte Vernichtungslager Auschwitz zu befolgen hatte. Die "Aussiedlung" der letzten 1000 Jüdinnen und Juden aus dem Getto dieser Stadt begann am 18. Februar 1943 und endete nach kurzer Fahrt in den Gaskammern des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.

Auch Samuel, Chaja Helene, Hermann und Oskar Wellner mussten eines Tages die Fahrt nach Auschwitz antreten. Nur Oskar Wellner überlebte diese Hölle wie durch ein Wunder. Nach einer langen Odyssee durch viele andere Lager wurde er im Mai 1945 in Ebensee, einem Außenposten des KZ Mauthausen, von amerikanischen Truppen befreit. Seine Hoffnungen auf ein Wiedersehen mit seinen Eltern und seinen Brüdern blieben unerfüllt.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 2 (FVg 5913 Samuel Bromberger, FVg 5680 Josef Bromberger, FVg 4855 Erna Rosa Bromberger, FVg 4856 Peppi Bromberger); 4; 5; 8; StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1,101281 Wellner, Samuel, 130611, Wellner, Oscar, 270513 Bromberger, Josef, 020622 Lamm, Peppi, geb. Bromberger, 030414 Weiner, Sonja, geb. Schütt, 250340 Bromberger, John-David; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; Interview mit Erna Handler, geb. Bromberger vom 19.5.1989, in: Heyl, Synagoge; Czech, Kalendarium, 2. Auflage, S. 416; http://en.wikipedia.org/wiki/Chrzanów (eingesehen am 20.3.2010); Wiener, Name, S. 19ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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