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Bereits verlegte Stolpersteine



Max Hahn * 1880

Werderstraße 43 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Riga
ermordet

Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Werderstraße 43:
Gerhard Dohme, Senta Dohme, Gertrud Hahn, Martha Helft, Bernhard Neustadt, Henriette Neustadt

Gertrud Hahn, geb. Lasch, geb. am 14.7.1893 in Halberstadt, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof, ermordet in Riga
Max Hahn, geb. 22.4.1880 in Göttingen, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof, ermordet in Riga

Werderstraße 43

Von den Nationalsozialisten aus ihrem Heimatort Göttingen vertrieben. Entrechtet, Gedemütigt und Verfolgt, fanden Gertrud und Max Hahn nach ihrer Ankunft in Hamburg für ein Jahr und acht Monate Unterkunft in der Pension von Henni Neustadt. Was blieb von einem erfolg- und arbeitsreichen Unternehmerleben?

Blicken wir auf das Leben von Gertrud und Max Hahn in der Universitätsstadt Göttingen zurück: Der Vater von Max Hahn, Raphael (1831 Rhina–1915 Göttingen) und seine Frau Hannchen, geb. Blaut (1837 Geisa–1908 Göttingen), galt als der Gründer des Familienunternehmens. Dazu gehörten die Fell- und Darmgroßhandlung Raphael Hahn, die hauptsächlich Rohhäute nach Übersee exportierte, sowie die Gallus Schuhfabrik. Max Hahn wuchs mit mehreren älteren Geschwistern auf.

Der älteste Bruder Nathan (1868 Göttingen–1942 Treblinka), verheiratet mit Betty Grünbaum (1883 Wannbach/Bayern–1942 Treblinka), arbeitete bereits in der Firma, als Max einige Jahre später dort einstieg. Nachdem der Vater nicht mehr aktiv im Unternehmen tätig war, jedoch ab und an nach dem Rechten schaute, führten die Brüder die Geschäfte gemeinsam. Nach dem Tod ihres Vaters erbten sie nicht nur die Firma, sondern auch zahlreiche Grundstücke in Göttingen sowie eine umfangreiche Sammlung von jüdischen Kultusgegenständen aus Silber (diese gilt seit 1945 als verloren).

Die Sammlerleidenschaft setzte sich in Max Hahn fort und er erweiterte die Sammlungen, u.a. mit Radierungen, chinesischen Stickereien und einiges mehr. Nebenbei fand er Zeit in der Jüdischen Gemeinde als deren langjähriger Vorsitzender aktiv zu sein.

Bei den vielen Aktivitäten kam das Private jedoch nicht zu kurz. Am 20. Juni 1917 heiratete Max Hahn in Halberstadt die gelernte Schneiderin Gertrud Lasch (1893 Halberstadt–1941 Riga). Gertrud war mit zwei Brüdern in einer Halberstädter Unternehmerfamilie aufgewachsen. Der Familie Lasch gehörte eine angesehene Handschuhfabrik und Lederfärberei, wo in Spitzenzeiten bis zu 200 Beschäftigte Lohn und Brot fanden.

Alsbald stellte sich Nachwuchs ein, Rudolf kam am 3.12.1919 und Hanni am 29.3.1922 in Göttingen zur Welt. Mittlerweile wohnte die Familie in einer eleganten Villa, die bis 1940 ihr Zuhause blieb. Die beiden Kinder wuchsen in einem kultivierten, stilvollen Elternhaus auf. Die Familie verbrachte Urlaube an Nord- und Ostsee, um die Kinder kümmerte sich das Kindermädchen Toni. Regelmäßige Kuren in dem zu der Zeit angesagten Kurort Marienbad gehörten dazu, ebenso Reisen in die Großstädte Europas, um an Kunst- und Kulturereignissen teilzunehmen.

Gemeinsam engagierte sich das Ehepaar Hahn in der Moritz-Lazarus-Loge. Frauen hatten zu der Loge keinen Zutritt, jedoch in dem angegliederten Schwesternbund, durften sie aktiv sein. Gertrud Hahn fungierte um ca. 1933 als deren Vorsitzende. Die Logen und Bünde arbeiteten karikativ, hervorgehoben sei hier die jüdische Wohlfahrtspflege.

Wenige Jahre zuvor traf die Weltwirtschaftskrise 1929 auch Göttingen, wodurch einige Betriebe schließen mussten. Die Not der Menschen wuchs. Bereits zu dieser Zeit fanden Übergriffe auf Juden, Synagogen und Rabbiner statt. Bei den Hahns wurden im Januar 1932 die Scheiben eingeworfen. Wenige Tage vor der Reichstagswahl im Juli 1932 sprach Adolf Hitler in Göttingen, wo ihm ca. 20.000 Menschen zuhörten. Bei der Wahl stimmten 51% für die Nationalsozialisten. Die Machtübernahme am 30. Januar 1933 vollzog sich auch in Göttingen reibungslos. Anfang März 1933 wehte auf dem Rathaus die Hakenkreuzfahne. Der für den 1. April reichsweit geplante Boykotttag gegen jüdische Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte fand in Göttingen bereits Ende März statt. Die Bürger und Bürgerinnen sahen zu, als Schaufensterscheiben zu Bruch gingen und Juden tätlich angegriffen wurden.

Im April 1935 marschierte ein SA-Trupp vor dem Hahn-Haus auf und skandierte "Max Hahn verrecke". Woraufhin Max Hahn Anzeige erstattete und den Namen eines Beteiligten nannte. Dieser stritt jedoch alles ab. Einhergehend mit den Drangsalierungen gegen Juden zeichnete sich ein kontinuierlicher Niedergang der Geschäfte ab, das betraf auch die Gallus Schuhfabrik, die Konkurs anmeldete.

Doch in diesen dunklen Zeiten gab es auch einen Lichtblick. In der Gemeinde in Göttingen trat Mitte 1935 ein junger Rabbiner sein Amt an: Hermann Ostfeld (1912 Hamborn–1996 Tel Aviv), der sich später Zvi Hermon nannte. Er wurde sehr wohlwollend aufgenommen. Hermann Ostfeld war den Menschen sehr zugetan und suchte sogleich das Gespräch mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Max Hahn. Daraus entstanden regelmäßige Treffen. Auch die jungen Mitglieder der Gemeinde, wie z.B. Hanni Hahn, hatten einen guten "Draht" zu ihm. Zu Hanni Hahn entwickelte sich eine Freundschaft, die erst mit dem Tod Hannis 1985 endete. Ab Januar 1938 hielt sich Hermann Ostfeld für einige Wochen in Palästina auf. Nach seiner Rückkehr stand fest, dass er zukünftig an der Universität von Jerusalem als Forschungsstudent tätig sein würde. Die großzügigen Hahn-Brüder schenkten ihm 5000 Reichsmark, für sein neues Leben in Palästina. Nach 1945 zahlte er das Geld an die Hahn-Kinder zurück.

Von den ehemals ca. 500 Göttinger Juden lebten im Oktober 1938 noch etwa 220 in der Stadt. Sie ahnten nicht, was sich in der Nacht vom 9. November auf den 10. November 1938 ereignen würde. Fast ausnahmslos wurden sie Opfer der brutalen Übergriffe des "Volkszorns", neben den Zerstörungen von Synagogen, Gebäuden und Geschäften. An den folgenden zwei Tagen gingen die Verwüstungen weiter. Die Hahn-Familien standen im besonderen Blick der Nationalsozialisten. SS-Männer stürmten nachts deren Zuhause und verwüsteten es. Die Brüder und ihre Frauen wurden verhaftet. Gertrud und Betty kamen am nächsten Tag wieder frei, Nathan einige Tage später. Am längsten blieb Max Hahn inhaftiert, erst im Juli 1939 kehrte er zurück.

Die lange Haftzeit nutzten die Nationalsozialisten für ihre Zwecke. So ließen sie ihn mehrmals aus der Haft vorführen, um Unterschriften für vorbereitete Kaufverträge zu erpressen, um so die systematische Ausplünderung voranzutreiben. Häuser und Grundstücke wechselten die Besitzer, Geschäfte und Betriebe wurden "arisiert" und/ oder liquidiert. Die Betriebe der Hahns existierten seit dem 1. März 1939 nicht mehr.

Bereits zu diesem Zeitpunkt führten Max und Gertrud Hahn die von ihnen ausgesuchten vermeintlich "jüdischen" Vornamen Raphael Ruben und Tana. Damit entgingen sie der Anordnung ab dem 1. Januar 1939 die Zwangsnamen "Israel" und "Sara" anzunehmen.

Aus uns unbekannten Gründen hielt sich Max Hahn Ende 1939 in Frankfurt/Main auf. Beim Verlassen einer Synagoge wurde er verhaftet und für einen Monat inhaftiert. Das Ehepaar machte sich große Sorgen um Hab und Gut und Max Hahn speziell um seine wertvolle bereits konfiszierte Judaicasammlung. Durch bürokratische Hürden, wurde es ihm jedoch unmöglich, die Sammlung zu retten.

Die beiden Hahn-Kinder, Rudolf und Hanni, die seit Mitte 1938 in Hamburg lebten, fanden Ende Januar und Mai 1939 Zuflucht in England. Im Sommer 1940 flüchtete das Ehepaar nach Hamburg, wo bereits Bruder und Schwägerin seit einem Jahr lebten. Sie hofften zunächst in der großen Stadt unbehelligter zu sein und so nah am Hafen könnte die Flucht ins Ausland vielleicht doch noch gelingen, sofern alle Formalitäten gestempelt und genehmigt vorlagen. Aber mit Beginn des Krieges im September 1939 war es fast unmöglich geworden, ein Aufnahmeland zu finden. Dem Ehepaar gelang es ca. 1940/1941 umfangreiche Dokumente in mehreren Containern nach Schweden und in die Schweiz zu expedieren. Doch sie selbst konnten nicht folgen.

Mit dem Transport vom 6. Dezember 1941 vom Hannoverschen Bahnhof deportierten die Nationalsozialisten Gertrud und Max Hahn nach Riga. Wann genau das Ehepaar dort ums Leben lässt sich nicht rekonstruieren.


Welche Spuren fanden sich zu den Geschwistern von Max und Gertrud Hahn?

Die älteste Schwester Mathilde (1861 Göttingen–1936 Regensburg) heiratete den Rabbiner Meyer Seligmann (1853 Reichelsheim/Odenwald–1925 Regensburg). Seit 1881 wirkte er als Stadt- und Distriktrabbiner in Regensburg und war 1893 Mitbegründer der Bayerischen Rabbinerkonferenz.

Rosalie Hahn (1863 Göttingen–1953) war mit Moritz Friedeberger (1862 Schrimm/Provinz Posen–1951 London) verheiratet. Deren Tochter Dorothea kam am 8.6.1900 in London zur Welt, wo sie 1993 ihre letzte Ruhe fand. Ihr Mann Maxwell Fraser (1896 Edinburgh) starb bereits 1982 in Portsmouth.

Minna Hahn (1865 Göttingen) ehelichte Felix Lazarus (1865 Petershagen/Westfalen–1945 London). Bis zu seiner Pensionierung 1930, übte er verschiedene Funktionen aus, so war er ab 1921 u.a. Direktor der jüdischen Volksschule in Kassel. Im Juli 1938 verließ das Ehepaar Kassel und verzog nach Frankfurt. Dank der Unterstützung ihrer Schwester Rosalie emigrierten Minna und Felix Lazarus noch vor Kriegsbeginn September 1939 nach England.

Die jüngste Schwester Marianne Hahn (1871) heiratete zu einem unbekannten Zeitpunkt Leopold Haas. Ihr Mann starb bereits 1926. Mit ihren 3 Kindern emigrierte Marianne Haas in die USA, sie folgte später ihrer Tochter nach Argentinien.

Hermann Hahn (1874 Göttingen–1942 Kulmhof) lebte in Köln. Er heiratete die aus Thüringen stammende Renate Tannenbaum (1889 in Gehaus). Die in England lebende Schwester Rosalie hatte bereits alles für die Emigration Hermanns vorbereitet, jedoch zu spät. Am 22. Oktober 1941 wurde Hermann Hahn in das Getto Litzmannstadt/Lodz deportiert, von dort am 12. Mai 1942 in das Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno, wo er Anfang Juni 1942 ermordet wurde.

Renate Hahn lebte nach ihrer Scheidung in Erfurt. Mit dem Transport am 10. Mai 1942 ab Weimar, wurde sie in das Getto Belzyce/Polen im Kreis Lublin deportiert. Danach verliert sich ihre Spur.

Gertrud Hahns älterer Bruder Alfred "Freddy" Lasch (1885 Halberstadt–1949) heiratete 1924 die Kölnerin Hildegard Fellchenfeld (1905–1988). Der Sohn Herbert Philip wurde 1927 geboren. Der Familie gelang 1940 noch die Emigration in die USA.

Der jüngere Bruder Siegfried "Friedel" Lasch (1900 Halberstadt–1973 New York/USA) studierte Medizin, emigrierte frühzeitig in die USA und ließ sich dort mit eigener Praxis nieder. Siegfried Lasch ehelichte 1937 Ilse Danziger.


Die 1940/1941 versandte umfangreiche Dokumentensammlung, erreichte die Erben erst Ende 1946. Mittlerweile arbeitet die Historikerin Sharon Meen an der Aufarbeitung der Familiengeschichte.

Das Deutsche Theater Göttingen beauftragte die Autorin Gesine Schmidt, ein Stück über die "Arisierung" in Göttingen zu schreiben. Daraus entstand "Die Nutznießer – Arisierung in Göttingen", indem u.a. an das Schicksal der Familie Hahn erinnert wird. Zu der Aufführung am 20. Juni 2017 befand sich die Enkelin von Max und Gertrud Hahn, Diana mit ihrem Ehemann im Publikum.

Das Städtische Museum Göttingen erwarb im Rahmen der "Arisierung" 1938 unter anderem Möbel aus dem Besitz der Familie Hahn. Am 8. November 2014 sollte die Rückgabe an die Enkel erfolgen. Dazu kam es nicht, da die Familie entschieden hatte sie dem Museum als Dauerleihgabe zu überlassen. Zeitgleich wurde am ehemaligen Wohnhaus des Ehepaars in der Merkelstraße 3, dem heutigen Sitz des Hogrefe Verlages, eine Gedenktafel angebracht.

Zum Gedenken an die Hahn-Familie verlegte Anfang 2018 Gunter Demnig im Beisein der Angehörigen mehrere Stolpersteine in Göttingen.

Dank der akribischen Suche des Provenienzforschers Christian Riemenschneider, fand sich im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ein verschollen geglaubter Kidduschbecher aus der Sammlung von Max Hahn. Dieser wurde am 7. November 2018 im Rahmen einer kleinen Feier an die Familie übergeben.


Stand: September 2019
© Sonja Zoder

Quellen: 1; 4; 5; 6; 8; 9; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 1350, 5025, 34347, 45621; div. Hamburger Adressbücher; Ein Gedenkbuch, Die jüdischen Bürger im Kreis Göttingen 1933–1945, Göttingen 1992; Von der Preußischen Mittelstadt zur südniedersächsischen Großstadt, Göttingen 1866–1989, Band 3, S. 726, Göttingen 1999; Göttinger Gedenktafeln, Ein biografischer Wegweiser, S. 5, 89, 90, Göttingen 2015; Ferera/Tollmien, Das Vermächtnis des Max Raphael Ruben Hahn, Göttingen 2015; Hermon, Vom Seelsorger zum Kriminologen, Göttingen 1990; Schmidt, Gesine, Deutsches Theater Göttingen: "Die Nutznießer. Arisierung in Göttingen", Göttingen 2017; URL: https://www.tracingthepast.org/minority-census; https://www.geni.com/people/Gertrud-Hahn/ am 30.07.2017; http://www.stadtarchiv.goettingen.de/personen/hahn.htm; https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Raphael_Hahn; http://www.museum.goettingen.de/frames/fr_judaica.htm; http://www.juden-in-goettingen.de/ jeweils am 31.07.2017; http://www.juden-im-alten-halberstadt.de/menschen.php?menschID=77&filter=L am 20.08.2017; http://www.juden-in-wuerttemberg.de/regensburg_friedhof.htm am 27.08.2017; https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Stolpersteine-fuer-Familie-Hahn-in-Goettingen,hallonds42556.html Zugriff am 08.07.2018; https://www.hogrefe.de/villamerkelstrasse3/; https://www.ndr.de/kultur/kunst/provenienzforschung/Interview-mit-dem-Enkel-von-Max-Raphael-Hahn-,hayden106.html; http://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Goettingen/Gedenktafel-fuer-Max-Raphael-und-Gertrud-Hahn-in-Goettingen Zugriff jeweils am 20.10.2018.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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