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Manfred Heckscher
© Heiko Morisse

Dr. Manfred Heckscher * 1886

Gustav-Leo-Straße 7 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1942 Auschwitz
ermordet 10.01.1943

Dr. Manfred Heckscher, geb. 16.2.1886 in Hamburg, inhaftiert im Zuchthaus Fuhlsbüttel am 1.12.1938, am 10.12.1942 nach Auschwitz deportiert, Todesdatum dort 10.1.1943

Gustav-Leo-Straße 7

Manfred Heckscher stammte aus einer alteingesessenen Hamburger jüdischen Familie. Seine Eltern waren der Kaufmann Samuel Heckscher und Friederike Heckscher, geborene Mathias. Er hatte drei Brüder: Julius und Rudolf Heckscher waren im Lotteriegeschäft tätig, Caesar war, wie Manfred, Jurist.

Nach dem Abitur, das er mit guten Ergebnissen 1904 am Wilhelm-Gymnasium ablegte, studierte Manfred zunächst in München und Berlin, dann in Jena, wo er im Juni 1907 die erste juristische Staatsprüfung mit der Note "gut" bestand. 1907/08 leistete er seinen Dienst als Einjährig-Freiwilliger bei der Feldartillerie in Fürth ab. Danach trat er den Referendariatsdienst in Hamburg an verschiedenen Gerichten an und schloss am 13. Oktober 1911 mit der zweiten juristischen Staatsprüfung und der Note "ausreichend/voll ausreichend" das Studium ab. 1912 folgte die Promotion in Jena (Thema der Dissertation: "Die Ingebrauchnahme bestellter Auswahlsendungen"). Im selben Jahr ließ er sich in Hamburg als Rechtsanwalt nieder, zunächst in der Schauenburger Straße 50, in Sozietät mit Herbert Pardo, dem Vorsitzenden der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde Hamburg und zeitweiligem SPD-Bürgerschaftsabgeordneten. Später verlegte er die Kanzlei in den Neuen Wall 70–74.

Manfred Heckscher war Mitglied des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und politisch liberal eingestellt.

Am Ersten Weltkrieg nahm er als Vizewachtmeister und zeitweise als Lazarett-Inspektor in Brüssel und Löwen teil und kehrte nach Kriegsende mit verschiedenen Auszeichnungen in die Heimat zurück: dem Eisernen Kreuz II, dem Hanseatenkreuz und dem Ehrenkreuz für Frontkämpfer.

Manfred Heckscher heiratete die Hamburgerin Marie Catharine Bartholomae (geb. 1.10.1890). Am Tag der Eheschließung trat sie zum Judentum über und wurde Mitglied der Hamburger Gemeinde, wo ihr Ehemann registriert war.

Am 21. Januar 1923 wurde ihr Sohn Gerd geboren. Er konnte 1938 als Fünfzehnjähriger mit einem Kindertransport nach England gerettet werden. Die Tochter Eva starb 1925, wenige Wochen nach ihrer Geburt.

Ein Abstecher ins Kaufmännische misslang Heckscher gründlich: Für mehr als 100000 RM erbauten er und Partner 1929 in Altona, Holländische Reihe 48, ein Kino, die "Atlantik Lichtspiele". Es kamen die Jahre der Wirtschaftskrise, mehrere Pächter scheiterten, 1932 war das Kino finanziell am Ende und wurde mit Verlust geschlossen.

Die wirtschaftlichen Einbußen belegen die Eintragungen in der Kultussteuerkarte der Gemeinde, wonach Heckschers Kanzlei 1932/33 an Steuern 52,05 RM leistete. Bereits im nächsten Jahr aber stiegen die Einkünfte wieder deutlich an mit 346,05 RM Kultussteuer, und 1937 zahlte Heckscher 541,88 RM. Dies war seine letzte Zahlung. Die NS-Finanzverwaltung registrierte für 1937 ein privates Einkommen von durchschnittlich 1500 RM pro Monat.

Am 12. August 1938 wurde Manfred Heckscher verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Die Anklage lautete auf "Rassenschande" mit seiner "arischen" Mandantin Gertrud Grell (Anklageschrift des Ober­staatsanwalts bei dem Landgericht Hamburg vom 27. September 1938, Az 11 Js. 1070/38). Gertrud Grell (geb. 30.7.1894), geborene Andresen, verheiratet in zweiter Ehe mit Heinrich Grell, hatte sich seit 1919 in Rechtsfällen verschiedentlich an Heckscher gewendet.

Zusammen mit ihrem Mann, der in Hamburg zeitweilig eine Naturheilpraxis führte, sich aber auch um eine Anstellung bei der Finanzbehörde bemühte, betrieb sie in Bokel bei Elmshorn eine gewerbliche Kleintierzucht mit rund 120 Stück Vieh. Seit 1932 war sie NSDAP-Mitglied. Wie in den meisten dieser Fälle beruhte die Anklage wegen "Rassenschande" auf einer denunziatorischen Anzeige. Zur Anklage gegen Heckscher kam es im Verlaufe verwickelter, kaum zu durchschauender Streitigkeiten zwischen Gertrud Grell und ihrer Freundin Gretchen Krümmel, die mit ihrem Lebensgefährten Bruno Schultze bei Grells zur Miete wohnte. Die erbittert geführten Streitigkeiten der beiden Frauen hatten mit Heckscher direkt überhaupt nichts zu tun. Es ging unter anderem um nicht rechtzeitig eingelöste Pfänder im Leihhaus, um verliehenen Schmuck und geliehenes Geld (75 RM) und um Mietrückstände Gretchen Krümmels beim Ehepaar Grell.

Die Auseinandersetzungen gipfelten zunächst in einer Räumungsklage gegen Gretchen Krümmel, die am 27. Juli 1938 zwangsweise vollzogen wurde. Am 29. Juli, zwei Tage später, ging Bruno Schultze, der angeblich kein Wohnrecht bei Grells gehabt hatte, zur Polizei und zeigte Gertrud Grell wegen "rassenschänderischer" Beziehungen zu Heckscher an. Als einzigen "Beweis" führte er an: Grell habe von Heckscher einmal 20 RM bekommen, was sie Gretchen Krümmel gegenüber mit dem Spruch kommentiert habe: "Und das für fünf Minuten Schöntun".

Tatsache war, dass Manfred Heckscher Gertrud Grell den Betrag kurzfristig geliehen hatte, als ihr beim Einkauf in der Nähe von Heckschers Kanzlei das Geld ausgegangen war und sie den vertrauten Anwalt um Hilfe bat. Der Verhandlungsverlauf zeigte deutlich, dass es der NS-Justiz nicht um die Wahrheitsfindung ging. Keinen Belang hatten die Aussagen von Manfred Heckscher und Gertrud Grell, die jeglichen sexuellen Kontakt strikt verneinten. Keine Rolle spielte die vorgelegte Quittung über die geliehenen 20 Mark. Wie in zahlreichen ähnlichen Fällen stand das Urteil von Anfang an fest: die Schuld des jüdischen Angeklagten.
Dazu war es jedoch nötig, Gertrud Grell zu einem Geständnis zu bringen. Dies gelang, indem Polizei, vernehmende Richter und Staatsanwalt sie pausenlos unter Druck setzten. Ihr wurde mit der Einweisung ins KZ gedroht wegen Begünstigungen eines Juden, wiederholt wurde sie nachts zum Verhör von Bokel nach Hamburg gebracht und in Polizeigewahrsam genommen, wenn den Verfolgern ihre Aussagen nicht passten. Unter diesem Druck gestand sie zu­nächst, widerrief dann jedoch mehrfach.

In einem Brief an den Staatsanwalt vom 27. August 1938 schwor sie "bei Gott, dem Allwissenden, nie eine Zärtlichkeit mit Herrn Dr. Heckscher" gehabt zu haben. Diese Briefe waren plötzlich aus den Unterlagen verschwunden. Gertrud Grell war weiterhin bereit, vor Gericht Heckschers Unschuld zu beschwören, was ihr die Drohung mit einer Anklage wegen Meineids einbrachte. Am Ende ihrer Kräfte, sprang sie aus dem ersten Stock ihres Hauses in Bokel, überlebte jedoch ohne größere Verletzungen. Zu Beginn des Hauptverfahrens vor dem Landgericht Hamburg am 26. Oktober 1938 verweigerte sie zunächst die Aussage, gab dann aber dem enormen Druck nach und bezichtigte Heckscher unter Eid des angeblichen Verbrechens.

Damit war das Schicksal von Manfred Heckscher besiegelt. Das Urteil vom 1. Dezember 1938 lautete: "Der Angeklagte wird wegen fortgesetzter Rassenschande zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren verurteilt. Diese Zuchthausstrafe hielt das Gericht für erforderlich. Die bürgerlichen Ehrenrechte sind dem Angeklagten wegen der von ihm bewiesenen ehrlosen Ge­sinnung auf die Dauer von sechs Jahren aberkannt (§ 32 StGB). Eine Anrechnung der Untersuchungshaft konnte mit Rücksicht auf das hartnäckige Bestreiten des Angeklagten nicht erfolgen. Unterzeichnet: von Döhren. Stegemann. Dauwes."

Da Gertrud Grell nach dem Urteilsspruch weiterhin die Unschuld Manfred Heckschers beteuerte, wurde gegen sie am 17. Juli 1939 ein Verfahren wegen Meineides eröffnet, das dann jedoch bereits am 26. Juli "mangels ausreichenden Tatverdachts" wieder eingestellt wurde.

Manfred Heckscher wurde in der Haftanstalt 1 des Zuchthauses Fuhlsbüttel inhaftiert. Seine Versuche, eine Revision des Urteils zu erreichen (27.2.1939), scheiterten ebenso wie der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (19.7.1940).

Bereits am 9. November 1939 hatte Heckschers Frau Marie einen verzweifelten Brief an das Justizministerium geschrieben und gebeten, doch rasch zu entscheiden, "da die Ungewissheit über das künftige Schicksal meines Mannes mich dem Wahnsinn entgegentreibt. Durch meinen Kummer bin ich seit Monaten ernstlich erkrankt und meistens bettlägerig." Ihre Nerven waren zerrüttet, sie litt unter schweren Gallenschmerzen und bekam Morphium verordnet.

Außerdem hatte Manfred Heckscher beim Oberstaatsanwalt ein Gnadengesuch zur Weiterleitung an das Reichsjustizministerium in Berlin (6.6.1939) eingereicht. Er konnte in seinem Antrag sicherstellen, dass bei der Berliner Bank 50000 Mark in Devisen von dem Amsterdamer Bankier Adolf Engelkes hinterlegt seien, um seine sofortige Ausreise abzusichern. Das Geld hatten Freunde bereitgestellt, um so, wie in einigen anderen Fällen, die Auswanderung zu ermöglichen.

Zunächst wurden jedoch die verschiedenen Hamburger Institutionen um Gutachten gebeten. Die 6. Strafkammer hatte keine Bedenken gegen eine Begnadigung, wenn der Verurteilte noch ein bis zwei Jahre Zuchthaus absitze und dann sofort Deutschland verlasse. Die Strafanstalt Fuhlsbüttel befand: "Die Führung H.s lässt nichts zu wünschen übrig, er ist fleißig, diszipliniert und ordentlich. Im Hinblick auf den langen Strafrest aber wird das Gesuch nicht befürwortet." Auch die Gestapo, der Oberstaatsanwalt und der Generalstaatsanwalt empfahlen die Ablehnung des Gnadengesuches mit dem Argument, dass man sich mit einer Aus­wanderung Heckschers "einen neuen gemeingefährlichen Feind Deutschlands im Ausland" schaffe. Das abschließende Urteil der Gnadenbehörde lautete: "H. zeigt keinerlei Reue, als intelligenter Jude ist er auch im Ausland eine Gefahr für Deutschland. Außerdem verfügt er über keine Devisen für eine Auswanderung."

Der letzte Satz entsprach der Wahrheit. Manfred Heckscher hatte zwar die "Judenabgabe" entrichtet und die "Reichsfluchtsteuer" sichergestellt, verfügte jedoch über keine weiteren Reserven mehr. Die Devisensicherung durch den Bankier Engelkes war mittlerweile unmöglich geworden, da dieser als Jude nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Holland und der Okkupation im Mai 1940 sein "gesamtes Vermögen und sein Geschäft verloren" hatte (Schreiben des Rechtsanwalts Scholz an die Gnadenabteilung, 8.5.1941).

Nach mehr als 24 Monaten im Zuchthaus erhielt Heckscher am 10. Dezember 1942 einen Bescheid aus dem Reichsjustizministerium in Berlin. Die Vollstreckung der Strafe sollte unterbrochen werden. Was wie Freundlichkeit der NS-Justiz aussah, war in Wirklichkeit ein zynisches Manöver: Manfred Heckscher wurde nur freigelassen, um per Sondertransport nach Auschwitz verschleppt zu werden. Inzwischen hatte das NS-Regime nämlich im Oktober/November 1942 angeordnet, Zuchthäuser und Gefängnisse im Deutschen Reich "judenfrei" zu ma­chen, indem jüdische Häftlinge nach Auschwitz verlegt wurden. Dort wurde Manfred Heckschers Tod auf den 10. Januar 1943 datiert. Am 16. Februar wäre er 57 Jahre alt geworden. Ein halbes Jahr später, am 4. Juni 1943, nahm sich seine Ehefrau im Alter von 52 Jahren das Leben.

Der Sohn Gerd, der aus "rassischen" Gründen im März 1938 die "Gelehrtenschule des Johanneums" verlassen musste, hatte danach eine Lehre im größten und modernsten Optikgeschäft Hamburgs, bei Campbell und Co, Neuer Wall 30, begonnen. Nach der "Arisierung" der Firma musste er auch hier abbrechen und stand ohne Ausbildung da. Zwar konnte er mit einem Kindertransport nach England gerettet werden, aber er kam in der Fremde weder beruflich noch seelisch zurecht. Er darbte am unteren Existenzminimum, vereinsamte und litt unter chronischen Krankheiten wie Diabetes, Kreislaufbeschwerden, Gliederschmerzen. 1955 kehrte er nach Hamburg zurück und leitete ein Wiedergutmachungsverfahren ein.

Die Staatsanwaltschaft bearbeitete das einst von Manfred Heckscher beantragte Wiederaufnahmeverfahren, sprach ihn posthum in allen Anklagepunkten frei und rehabilitierte ihn damit vollständig.

Eine Wiederaufnahme des Meineidverfahrens gegen Gertrud Grell unterblieb, da wegen des Todes von Manfred Heckscher keine Beweisführung mehr möglich war.

© Johannes Grossmann

Quellen: 1; 2; 5; 8; StaH 314-15 OFP, R 1938/2403 und R 1938/2402; StaH 351-11 AfW, 210123; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht-Strafsachen, 5510/41; StaH 241-2, Justizverwaltung-Personalakten, A 1774 (Dr. Manfred Heckscher); StaH 213-13, Landgericht Wiedergutmachung Gerd Heckscher, Z 1613, Band 1, und Z 1613, Band 2; Totenregister Auschwitz, S. 1141/1943; Morisse, Jüdische Rechtsanwälte, 2003, S. 46, S.1 33ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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